Michael Muschalle
Michael Muschalle Rudolf Steiners Begriff der Denk-Beobachtung (Das Kapitel wir derzeit überarbeitet. Stand 29. 06. S. 19 - 22) Kapitel 9.1 Über das Zusammenfallen von Wahrnehmung und Begriff und intuitives Denken Das Denken wird bei der Beobachtung durch beschreibende Begriffe "angeschaut" - das heißt es schaut sich selbst an. "Der beobachtete Gegenstand ist qualitativ derselbe wie die Tätigkeit, die sich auf ihn richtet." sagt Steiner in Kap. III auf S. 48, (alternativ hier S. 30) der Philosophie der Freiheit. Es ist demnach eine denkende / erkennende Tätigkeit, die sich auf die Erfahrungen des Denkens richtet. Angeschaut wird vergangenes / exemplarisches Denken in der Absicht es unter deskriptive Begriffe zu bringen. Steiners elementarste Gliederung für Erkenntnisprozesse ist wiederum die nach Wahrnehmung und Begriff. In der Zweitauflage der Philosophie der Freiheit wird das am Ende von Kapitel VII in den Zusätzen von 1918 (hier auf S. 94; in der GA-4 von 1995 auf S. 133) eigens noch einmal hervorgehoben mit der Bemerkung: „Man wird aus dem schon Vorangehenden, aber noch mehr aus dem später Ausgeführten ersehen, daß hier alles sinnlich und geistig an den Menschen Herantretende als Wahrnehmung aufgefaßt wird, bevor es von dem tätig erarbeiteten Begriff erfaßt ist.“ Was natürlich auch für das unbegriffene Denken gilt, das in seiner Erscheinungsform von wirkender Denktätigkeit und bewirktem Denkinhalt zunächst einmal nur «Wahrnehmung ist, bevor es von dem tätig erarbeiteten Begriff erfaßt ist.» Ebenso selbstverständlich sollte es deswegen sein, daß die «qualitativ gleichwertige» denkende / erkennende Tätigkeit, die sich auf die Erfahrungen des Denkens beobachtend richtet, ebenfalls zugleich wahrgenommen wird. Denn andernfalls wüsste der Denker gar nicht, dass er in einem denkenden / erkennenden Tun begriffen ist. Letzteres müsste ihm automatenhaft unbewußt bleiben, wenn dem so wäre und er diese seine Aktivität nicht erlebte. Er muß infolgedessen von dieser aktuellen erkennenden / denkenden Aktivität eine unmittelbare Erfahrung / Wahrnehmung haben. Laut Steiner jedenfalls ist es über sämtliche Frühschriften hinweg in der Tat so, dass die denkende / erkennende Aktivität wahrgenommen wird. Desgleichen muß der Erkennende des Denkens auch von seinen Erkenntnismotiven ein Bewusstsein haben, die hinter seinem inneren Handeln stehen und seine Aktivität mobilisieren. Denn er erkennt das Denken nicht ohne Anlass aus dem Nichts heraus und ins Blaue hinein. Sondern es gibt stets einen konkreten Beweggrund dafür in Gestalt eines «Erkenntnis-Motivs» und einer «Triebfeder» seines erkennenden Handelns. Er muß sich auf der Grundlage eines gezielten und beobachtbaren Willensentschlusses dem eigenen Denken betrachtend / erkennend gegenüberstellen. Eines konkreten Erkenntnis-Entschlusses, der auch jederzeit feststellbar ist. Um mit der Philosophie der Freiheit zu sprechen: „Beobachtung und Denken sind die beiden Ausgangspunkte für alles geistige Streben des Menschen, insoferne er sich eines solchen bewußt ist.“ (GA-4, Kap. III, S. 38) Und an späterer Stelle, (ebd. Kap. IX, S. 149): „Für den einzelnen Willensakt kommt in Betracht: das Motiv und die Triebfeder. Das Motiv ist ein begrifflicher oder vorstellungsgemäßer Faktor; die Triebfeder ist der in der menschlichen Organisation unmittelbar bedingte Faktor des Wollens. Der begriffliche Faktor oder das Motiv ist der augenblickliche Bestimmungsgrund des Wollens; die Triebfeder der bleibende Bestimmungsgrund des Individuums. Motiv des Wollens kann ein reiner Begriff oder ein Begriff mit einem bestimmten Bezug auf das Wahrnehmen sein, das ist eine Vorstellung.“ So Steiner in der GA-4, Kap. IX (auch hier S. 103 f) zu den Motiven. Das gilt wie gesagt auch für jene inneren Willenshandlungen, die bei der Selbstbeobachtung, und ganz speziell bei der erkennenden Betrachtung des eigenen Denkens infrage kommen. Die dahinter stehende Frage- und Aufklärungsintention läßt sich als Motiv und Triebfeder nachweisen. Nicht nur beim selbsterkennenden Denker findet sich ein entsprechendes Forschungsmotiv, sondern auch bei organisierten Forschungsprojekten ist das so. Zumal es bei letzteren dazu gehört, die Ziele des forschenden Tuns sachlich begründet zu benennen, wie es ja auch in der Philosophie der Freiheit und in Steiners restlichen Begründungsschriften regelmäßig der Fall ist. - Und zwar sind sie wegen solcher Begründungen als Erkenntnis-Motive auch dann sichtbar, obwohl mancher Literat und Steinerinterpret bei Steiner erklärtermaßen erst gar keine Motive sucht, weil er das für gänzlich aussichtslos hält. Wie Sie bei Christian Clement, von dem (Stand 26.04.22) diese Auskunft um die ganz und gar unauffindbaren Motive Steiners stammt, sehen und wie Sie explizit von ihm hören werden, sind nicht nur Steiners Motive absolut unauffindbar, sondern auch seine eigenen nicht ganz ernst zu nehmen, weil sie von ihm selbst nicht wirklich sicher zu ermitteln seien. Sie könnten auch vollkommen illusionär, weil verschleiert sein. Und letzteres wäre ja im allgemeinen durchaus möglich. Wenn er nun schon Steiners Motive nicht finden kann, dann könnte Herr Clement aber doch bei den eigenen etwas glücklicher und zumindest in der Lage sein, bei diesen etwas mehr Stabilität zu erlangen, indem er beginnt, sein Denken zu beobachten. Denn das geht ohne einen forschungs-motivischen Hintergrund eben gar nicht. So wenig, wie man ernsthafte mathematische Probleme ohne Motiv und absichtslos, aber dennoch zielgerichtet und erfolgreich lösen kann. Was ein Widerspruch in sich selbst wäre. Beim Erkennen des Denkens sind die Voraussetzungenen nicht anders. So daß auch hier eine motivlose, aber gleichwohl zielgerichtete Erkenntnishandlung nicht vorstellbar ist. Und Herr Clement zumindest dabei doch punktuell eine gewisse Klarheit und Übersicht zu seiner ganz persönlichen Motivationslage erlangt. Das kann ja auch schon hilfreich sein. Indem er sich einfach nur fragt: Warum er in den Ausnahmezustand zur Beobachtung des Denkens eintritt, nachdem er die Philosophie der Freiheit nebst anderen Begründungsschriften Steiners gründlich studiert hat. Zur Grundsatzorientierung kann das mitunter recht erhellend sein. Siehe dazu meinen längeren Exkurs hier, Kap. 14.1 auf derzeit S. 759 ff. Aber lassen wir es hier erst einmal bei diesem eingesprengten Aperçu um die Blütenträume einer manchmal ziellos herumschlingernden und schleiernden Steinerforschung, und versuchen Sie es stattdessen selbst. Was Sie jedenfalls als Beobachter Ihres Denkens bemerken werden, ist, dass Sie sich innerlich aufraffen müssen zwecks Beobachtung Ihres Denkens. Sie müssen dazu wissen was Sie tun wollen und warum. Daß und warum Sie gewissermaßen gegen den eigenen, permanenten Denkstrom anschwimmen, indem Sie ihn beobachten. Denn die Erkenntnis des Denkens gelingt nur, wenn man es auch ernstlich will im sogenannten «Ausnahmezustand», wie Steiner die Bewußtseinshaltung der Beobachtung des Denkens im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit nennt, den einzunehmen ohne ein entsprechendes Erkenntnismotiv niemandem in den Sinn käme. Und der daher als ganz bewußte Erkenntnishandlung nur motivisch geleitet und willentlich eingenommen werden kann, auch wenn er im übrigen nicht allzu schwierig einzunehmen ist, wie Steiner selbst sagt. Wer diesen Willen dazu allerdings nicht hat, sich in den beobachtenden Ausnahmezustand zu versetzen, der kommt nicht weit mit der Erkenntnis des Denkens. Oder um mit Steiner zu konstatieren: „Wer den guten Willen nicht hat, sich in diesen Standpunkt zu versetzen, mit dem könnte man über das Denken so wenig wie mit dem Blinden über die Farbe sprechen...“. (GA-04, hier S. 28 f) Anhand dieses als «Ausnahmezustand» bezeichneten Beobachtungsstandpunktes läßt sich dann allerdings die «allerwichtigste Beobachtung machen, die dem Menschen möglich ist.»: „Denn er beobachtet etwas, dessen Hervorbringer er selbst ist; er sieht sich nicht einem zunächst fremden Gegenstande, sondern seiner eigenen Tätigkeit gegenüber. Er weiß, wie das zustande kommt, was er beobachtet. Er durchschaut die Verhältnisse und Beziehungen. Es ist ein fester Punkt gewonnen, von dem aus man mit begründeter Hoffnung nach der Erklärung der übrigen Welterscheinungen suchen kann.“ So Steiner hier S. 29 dazu. Mit anderen Worten: Der Mensch «durchschaut dabei das Weltgeschehen», wie er es dann 1897 in Goethes Weltanschauung (S. 70) noch prägnanter ausführte: „Bei der Beobachtung des Denkens durchschaut der Mensch das Weltgeschehen. Er hat hier nicht nach einer Idee dieses Geschehens zu forschen, denn dieses Geschehen ist die Idee selbst.“ (Unverändert in der GA-06 von 1990, dort auf S. 86.) - Vergleichbares kann man aber bereits 1886 in den Grundlinien … dazu hören, wenn im Kapitel 13, hier S. 78 vom «Denken als Wesen der Welt» die Rede ist: „Unsere Erkenntnistheorie führt zu dem positiven Ergebnis, daß das Denken das Wesen der Welt ist und daß das individuelle menschliche Denken die einzelne Erscheinungsform dieses Wesens ist.“ Ein wirkungsloses Wesen der Welt wiederum ist für Steiner, der nach den geistig wirkenden Kräften der Welt sucht, schlechterdings nicht vorstellbar. Mit dem bekannten Resultat, daß er den beim Denken erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem schon 1886 ausdrücklich im Kapitel 8 und 15 hervorhebt (siehe weiter unten). So daß die Wendung «durchschautes Weltgeschehen» von 1897 neben der «allerwichtigsten Beobachtung» von 1894 dann wirklich keine Überraschung mehr war. Das Beobachten allerdings muß man wirklich auch ernstlich wollen und benötigt dazu selbstverständlich ein entsprechendes Erkenntnis-Motiv hinsichtlich dessen, was man da eigentlich will. Dieses Motiv, das dann zur Triebfeder des in diesem Fall inneren Handelns wird, kann wiederum auch nur aus den rein gedanklichen Überlegungen des (intuitiven) Denkens gewonnen werden. Denn anders als über das (intuitive) Denken kommt man zu keinen Forschungsmotiven, die auch noch klar formuliert und sachlich begründet sind, um mit Steiner zu sprechen. Denn wenn es schon das intuitive Denken ist, «durch das eine jegliche Wahrnehmung in die Wirklichkeit erkennend hinein gestellt wird», wie er hier S. 180 sagt, dann erst recht jene inneren Wahrnehmungen, die methodisch anhand von Forschungsprojekten zum Denken in die Wirklichkeit erkennend hinein gestellt werden. - Man muß sozusagen erst vom eigenen Denken zurücktreten wollen, um es sich in Erkenntnisabsicht im Ausnahmezustand «gegenüberzustellen», wie wir unten noch näher sehen werden. Dazu braucht man einen klar artikulierten Willensentschluß, um sein eigenes Denken dann im Ausnahmezustand zu erleben und zu beobachten. Und sei es, daß man überhaupt nur wissen will, «was wir erleben wenn wir denken», so wie es Karl Bühler 1907 seiner prominenten Untersuchung des Denkens als dezidierte Leitfrage hier auf S. 303 vorangestellt hat. Als ganz elementares Anliegen seiner methodischen Beobachtung des Denkens. - Die Menschheit, zumal die anthroposophischen Anhänger Steiners wären schon viel weiter, wenn sie sich in genügend großer Zahl und ebenso systematisch wie Karl Bühler so eine Frage in den zurückliegenden 120 Jahren ernsthaft in Erkenntnisabsicht vorgelegt hätten, wie es damals Bühler tat. Und wie es Steiner nicht nur ebenso ausdrücklich empfiehlt, sondern noch weit eindringlicher über viele Jahrzehnte hinweg. Abgesehen von Merijn Fagard, den sie auf meiner Website und in seinem Forschungsprojekt finden, haben sich da empirisch psychologisch noch wenige Anthroposophen hingewagt, wenn es gottseidank auch in den letzten Jahren zunehmend mehr geworden sind, die sich dem auch von akademischer Seite nähern. Bühlers Leitfrage, «Was erleben wir wenn wir denken?» mag vielleicht auch eine Hilfestellung geben, den Beobachtungsbegriff etwas näher zu charakterisieren, wenn man ihn mit dem von Steiner genannten Erkenntnismotiv in Verbindung bringt. Dem Wissen um das eigene geistige Streben, das sich im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit zu Beginn anläßlich der grundlegenden Einführung von Beobachtung und Denken findet. Dort mit den Worten vorgebracht: „Beobachtung und Denken sind die beiden Ausgangspunkte für alles geistige Streben des Menschen, insoferne er sich eines solchen bewußt ist ....“ (Hier S. 23.) Der Mensch ist sich seines geistigen Strebens bewußt. Das ist sozusagen der Grundcharakter, meinetwegen auch Grundvoraussetzung von Beobachtung und Denken an dieser Stelle dort. Was soviel heißt wie: Ich muß meine Forschungsmotive bei der Beobachtung des Denkens natürlich auch kennen, denn sonst wäre ich mir meines geistigen Strebens darin nämlich nicht bewußt. Was trivial ist und für jedes bewußte Forschungsprozedere gilt, das ja ganz gezielt auf Erkenntnisgewinn hinorientiert ist. Die von Bühler genannte Leitfrage «Was erleben wir wenn wir denken?» ist so ziemlich die elementarste, die man auf dem empirischen Beobachtungsweg über das Denken beantworten kann. Im simpelsten Fall mit «Ja!» oder «Nein!»: «Es gibt dort Erlebnisse oder auch keine.» In der Mehrheit der Fälle aber solche mit ziemlich differenzierten Einzelheiten des Denkgeschehens, die den Versuchspersonen Bühlers noch erinnerlich waren. Sofern sie als Psychologen der selben Leitfrage folgten wie Bühler, und das war ja in der Regel der Fall, haben sie mit ihrer Antwort auch ein implizites Urteil mit Blick auf Bühlers Frage abgegeben. Insofern, als sie seine Leitfrage positiv und oft auch vielschichtiger beantworten konnten. Und damit konnten sie sich ein qualifiziertes Urteil zu jenen Annahmen von zahlreichen Fachphilosophen erlauben, die seinerzeit glaubten, daß es beim Denken gar nichts zu erleben gäbe, wie Bühler eingangs ausführt. Das Urteil wiederum, «Ja, da ist doch eine Menge zu erleben!» ist natürlich das Resultat einer einfachen Begriffsbildung auf der Grundlage von Erfahrung des Denkens. Meinetwegen ein Wahrnehmungsurteil, um an Steiners Kapitel 11, hier S. 64 der Grundlinien… anzuknüpfen: „Durch das Wahrnehmungsurteil wird erkannt, daß ein bestimmter sinnenfälliger Gegenstand seiner Wesenheit nach mit einem bestimmten Begriffe zusammenfällt.“ Ein Wahrnehmungsurteil, diesmal bezogen auf Wahrnehmungen des «inneren Sinnes», von denen in den Grundlinien … im Kapitel 7 auch die Rede ist. Im einfachsten Fall ist es ein Existenzialurteil dahingehend, daß da überhaupt etwas als Wahrnehmung existiert, was wie gesagt von vielen Zeitgenossen laut Bühler bestritten wurde. Wie leicht zu erkennen ist, bewegt sich die Leitfrage Bühlers, «was wir erleben, wenn wir denken?» ganz in der Nähe oder im unmittelbaren Umkreis dessen, was Steiner in der Philosophie der Freiheit dahingehend ausführt, wenn er sagt, „daß hier alles sinnlich und geistig an den Menschen Herantretende als Wahrnehmung aufgefaßt wird, bevor es von dem tätig erarbeiteten Begriff erfaßt ist.“ (hier, Kap. VII, S. 94). Bezogen auf Steiner untersuchte Bühler anhand seiner Leitfrage, ob es beim Denken überhaupt «Wahrnehmungen» gibt oder nicht. Erst wenn man so eine Frage beantwortet hat, läßt sich weitergehend darüber reden, ob und wie man sie mit einem tätig erarbeiteten Begriff erfasst. Was dabei als «Wahrnehmung überhaupt» auftritt, das entspricht zunächst dem, was Steiner in den Grundlinien … und in Anlehnung an Johannes Volkelt die «reine Erfahrung» nennt. Solche reinen Erfahrungen sind aus Steiners Sicht zunächst einmal als Wahrnehmungen zu betrachten. Wahrnehmungen, die so lange als «Wahrnehmungen» zu betrachten sind, bis sie vom tätig erarbeiteten Begriff erfasst worden sind. Das wissenschaftlich psychologische Beobachtungsprojekt zwecks Erkenntnis des Denkens beginnt faktisch allerdings bereits in dem Moment, wo man die eigene begründete Erkenntnisabsicht in die Tat umsetzt, und sich dann wie Bühler fragt, ob und was dabei überhaupt zu erleben ist. Man sucht dann eben anhand eines speziell organisierten experimentellen Vorgehens ganz ausdrücklich nach inneren Wahrnehmungen; oder «reinen Erfahrungen», um mit Johannes Volkelt zu sprechen. Das grundlegendste Urteil, das man dann aussprechen kann, betrifft lediglich die Existenz oder Nicht-Existenz von Wahrnehmungen beim Denken. Ob die elementarsten Wahrnehmungen der Würzburger bereits solche Existenzialurteile enthielten oder nicht, darüber läßt sich eigentlich nicht streiten. Denn ausgesprochen wird das Urteil ja erst in dem Augenblick, wenn die Existenz ausdrücklich bejaht oder verneint wird. Oder wenn man beginnt, die Wahrnehmungen näher zu charakterisieren, was regelmäßig hinterher in Berichtsform der Fall war. So lange nur etwas erlebt wird ist das nicht der Fall. Und zwar umso sicherer, je mehr man sich auf die Beantwortung jener Denkaufgabe konzentriert hat, die dazu als Denkexperiment vorgelegt wird. Obwohl man sich formell natürlich in dem Moment schon im Beobachtungsprojekt befindet, das ja willentlich und wohlorganisiert unternommen wurde. Die Frage, was solche erlebten Wahrnehmungen eigentlich sind, auf die man dabei gestoßen ist, ist vom elementaren Wahrnehmungsurteil noch ganz unberührt. Und ebenso unberührt sind sie von der Frage, was sie im Denkzusammenhang eigentlich zu bedeuten haben, und welche Rolle sie für einen empirischen Begriff des Denkens spielen. Was ja einen großen und auch den theoretisch anspruchsvolleren Teil von Bühlers Habilitationsarbeit ausmachte. (Deren Teile 2 und 3 Sie auch hier finden.) Da gilt dann auch Steiners Feststellung aus der Philosophie der Freiheit, wonach „alles sinnlich und geistig an den Menschen Herantretende als Wahrnehmung aufgefaßt wird, bevor es von dem tätig erarbeiteten Begriff erfaßt ist.“ Die Frage ist dann weiter: Was heißt das im vorliegenden Bühlerschen Fall der Frage nach der Existenz von Wahrnehmungen überhaupt? Und sind diese schon vom tätig erarbeiteten Begriff erfaßt, wenn überhaupt nur ihr Vorhandensein festgestellt wird, ohne auf das «Was» näher eingehen zu können. Oder gar auf ihre Rolle im gesamten Denkprozess. Immerhin war bei den Würzburgern das Bemerken von Wahrnehmungen sogar ein maßgeblicher Teil von Bühlers Fragestellung, wenn man dessen Abhandlung folgt und sich seine programmatischen und methodischen Eingangserläuterungen ansieht: „Es gibt wohl kaum eine andere einzelwissenschaftliche Frage, auf die man so viele verschiedene Antworten erhalten kann als auf die: was ist Denken? Denken ist Verknüpfung, Denken ist Zerlegung. Denken ist Urteilen. Denken heißt Apperzipieren. Das Wesen des Denkens liegt in der Abstraktion. Denken ist Beziehen. Denken ist Aktivität, ist ein Willensvorgang. Fragt man aber spezieller nach den Inhalten der Denkerlebnisse, dann lautet die Antwort sehr einmütig, spezifische Denkinhalte gebe es nicht. Es gibt nur ganz wenige Forscher, die diesen Satz nicht anerkennen würden. Und gerade das, was die meisten eint, ist nun die folgende Untersuchung bestimmt, zu bestreiten, ...“ So Bühler dort. Was «die meisten Forscher einte», war die Annahme, dass es spezifische Denkerlebnisse gar nicht gäbe. Und das wollte er leitmotivisch mit seiner Untersuchung klären, ob dem überhaupt so ist. Klar ist zunächst auch hier, dass so ein Urteil über die Existenz oder Nichtexistenz von Denkwahrnehmungen zeitlich der Wahrnehmung nur nachfolgen kann, denn die muß als Wahrnehmung ja erst einmal da sein, bevor ich über deren Existenz urteilen kann. Die Erlebnisse des Denkens sind also schon da, bevor ich in einem zweiten Schritt darüber Begriffe bilde. Daß es wiederum bei einfachsten Wahrnehmungsurteilen nicht bleibt und die Verhältnisse zunehmend komplexer werden, können Sie ebenfalls bereits den ausführlichen Untersuchungen Bühlers entnehmen. Und hier gibt es einen weiteren großen Unterschied zwischen dem Denkpsychologen Bühler und dem «philosophischen Beobachter» Steiner (siehe auch nachfolgend). Dem letzteren nämlich ging es von Anbeginn nicht nur um rein denkpsychologische und engere Fragestellungen, sondern auch um idealistisch-naturwissenschaftliche, insofern, daß er als Goetheforscher und auch unabhängig von Goethe explizit nach den wirkenden Kräften der Natur im Inneren suchte. Wie Sie nicht nur den Grundlinien … von 1886 ablesen können, und nicht nur seinem Kommentar zu Goethes Essay Die Natur in der Kürschnerausgabe von 1887 auf S. 6, wo es heißt: „Sinnenfällig wahrnehmbar sind nur die Geschöpfe der Natur, nicht ihre schaffende Kraft. Die letztere (die Mutter) wird uns erst in der Wissenschaft vermittelt, wenn wir uns von der Natur als einer Mannichfaltigkeit von Produkten zu ihr als der Produzentin erheben. Wir müssen von den gegebenen Dingen zu den Kräften der Natur vorschreiten, von der Wirkung zu dem Wirkenden.“ Sondern Vergleichbares auch dem zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit hier S. 20 f: „So wahr es ist, daß wir uns der Natur entfremdet haben, so wahr ist es, daß wir fühlen: wir sind in ihr und gehören zu ihr. Es kann nur ihr eigenes Wirken sein, das auch in uns lebt. [] Wir müssen den Weg zu ihr zurück wieder finden. Eine einfache Überlegung kann uns diesen Weg weisen. Wir haben uns zwar losgerissen von der Natur; aber wir müssen doch etwas mit herübergenommen haben in unser eigenes Wesen. Dieses Naturwesen in uns müssen wir aufsuchen, dann werden wir den Zusammenhang auch wieder finden.“ Und noch klarer im Buch Goethes Weltanschauung von 1897 im Kapitel Die Metamorphose der Weltanschauung ab S. 61, wo dann das Weltgeschehen ganz explizit bei der Beobachtung des Denkens durchschaut wird. Der Forschungshorizont Steiners war sehr viel weiter als derjenige Bühlers. Um das Weltgeschehen ging es Bühler (noch) nicht. Aber Steiner insofern, als er mit seinen denkpsychologischen Beobachtungen nach einer erkenntnistheoretischen Grundlage für die Welterklärung suchte. Das betrifft natürlich auch die wirkenden Kräfte der Natur, die nach seiner Auffassung nur geistig sein konnten – so viel geht bereits aus den Grundlinien … hervor. Und so viel geht auch aus seinem Kommentar zu Goethes Naturhymnus hervor. Desgleichen aus Goethes Weltanschauung (Ausgabe von 1897) wonach (S. 69 f) «der Beobachter des Denkens das Weltgeschehen durchschaut». Weil er dabei die (wirkende) Idee selbst durchschaut. Desgleichen ebenso klar wenige Seiten zuvor (S. 67 f) in seinen Goethe kommentierenden Worten: „Goethe macht einmal die Bemerkung: «Wer sie [meine Schriften] und mein Wesen überhaupt verstehen gelernt, wird doch bekennen müssen, daß er eine gewisse innere Freiheit gewonnen.» (Unterhaltungen mit dem Kanzler von Müller, 5. Jan. 1831.) Damit hat er auf die wirkende Kraft hingedeutet, die sich in allem menschlichen Erkenntnisstreben geltend macht. Solange der Mensch dabei stehen bleibt, die Gegenstände um sich her wahrzunehmen und ihre Gesetze als ihnen eingepflanzte Prinzipien zu betrachten, von denen sie beherrscht werden, hat er das Gefühl, daß sie ihm als unbekannte Mächte gegenüberstehen, die auf ihn wirken und ihm die Gedanken ihrer Gesetze aufdrängen. Er fühlt sich den Dingen gegenüber unfrei; er empfindet die Gesetzmäßigkeit der Natur als starre Notwendigkeit, der er sich zu fügen hat. Erst wenn der Mensch gewahr wird, daß die Naturkräfte nichts anderes sind als Formen desselben Geistes, der auch in ihm selbst wirkt, geht ihm die Einsicht auf, daß er der Freiheit teilhaftig ist. Die Naturgesetzlichkeit wird nur so lange als Zwang empfunden, so lange man sie als fremde Gewalt ansieht. Lebt man sich in ihre Wesenheit ein, so empfindet man sie als Kraft, die man auch selbst in seinem Innern betätigt; man empfindet sich als produktiv mitwirkendes Element beim Werden und Wesen der Dinge. Man ist Du und Du mit aller Werdekraft. Man hat in sein eigenes Tun das aufgenommen, was man sonst nur als äußeren Antrieb empfindet. Dies ist der Befreiungs-Prozeß, den im Sinne der Goetheschen Weltanschauung der Erkenntnisakt bewirkt.“ - Oder wie Steiner bereits 1886 an die Dichterin M. E. delle Grazie schrieb: „Oh, wir sollten doch endlich zugeben, daß ein Wesen, das sich selbst erkennt, nicht unfrei sein kann! Indem wir die ewige Gesetzlichkeit der Natur erforschen, lösen wir jene Substanz aus ihr los, die ihren Äußerungen zugrunde liegt. Wir sehen das Gewebe der Gesetze über den Dingen walten, und das bewirkt die Notwendigkeit. Wir besitzen in unserem Erkennen die Macht, die Gesetzlichkeit der Naturdinge aus ihnen loszulösen und sollten dennoch die willenlosen Sklaven dieser Gesetze sein? Die Naturdinge sind unfrei, weil sie die Gesetze nicht erkennen, weil sie, ohne von ihnen zu wissen, durch sie beherrscht werden. Wer sollte sie uns aufdrängen, da wir sie geistig durchdringen? Ein erkennendes Wesen kann nicht unfrei sein.“ (GA-30, Dornach 1989, S. 238 f) Erkenntnistheorie (und Freiheitsforschung) auch als Naturforschung von Innen. In allen seinen Frühschriften. Das war ausdrückliches Programm nicht nur der Philosophie der Freiheit laut zweitem Kapitel, sondern bereits der Grundlinien … . Worauf wir gleich noch kommen werden. Vielleicht hilft es, um den Unterschied zwischen Bühler, dessen Versuchspersonen und Steiner etwas zu charakterisieren, auch Steiners Unterscheidung von Verstand und Vernunft aus dem Kapitel 12 der Grundlinien … (hier S. 67 ff) etwas zu bemühen. Und zwar wird der Horizont der Beobachtung immer weiter, je mehr versucht wird, die größeren Zusammenhänge in den Blick zu bekommen. Das geistige Weltgeschehen und seine ethischen Implikationen gehören zusammen mit den Auseinandersetzungen zwischen Materialismus, Monismus, Spiritualismus und Freiheit des Menschen sicherlich zu den höchsten Fragestellungen, die man sich als psychologisch / philosophischer Beobachter stellen kann. Was beim Anthroposophen Steiner dann ja noch ganz andere Formen der Untersuchung annimmt. Aber es ist klar, daß derjenige, der nach dem durchschauten Weltgeschehen fahndet, vor allem Wert legt auf sicher erlebte Wirksamkeiten und ihre Zusammenhänge in der Welt, und, – im Falle Steiners, – als empirischer Erkenntniswissenschaftler ebenso natürlich in seinem Inneren. Wir werden das unten in Verbindung mit Kants Kausalitätsproblem noch etwas näher ausführen. Was bei Bühler ersichtlich alles keine vorrangige Rolle spielte, denn der war mit seiner Habilitationsarbeit wesentlich als Denkpsychologe unterwegs, und nicht als Weltbeobachter, der mit psychologischen Mitteln nach wirkenden Kräften im Inneren zwecks Welterklärung und zwecks Überwindung des Kantschen Illusionismus suchte. Beim Würzburger Institutsleiter Oswald Külpe war das schon deutlich anders als bei Bühler, wie Sie an seinem Artikel über die Psychologie des Denkens hier ab S. 297 ff nachlesen können. Der dort ganz explizit von inneren Wirksamkeiten spricht, die bei den psychologischen Versuchen gefunden wurden. So daß er in diesem Artikel S. 312 ff von der «monarchischen Struktur des Seelenlebens» spricht. Und die enorme philosophische Bedeutung solcher empirisch psychologischen Befunde ausdrücklich hervorhebt. Während andere Zeitgenossen wie F. A. Lange seinen Worten zufolge den Geisteswissenschaften «nur Steine statt Brot» auftischten, wie er S. 311 f hervorhebt. Vergleichbares können Sie bereits dem Psychologiekapitel 18 aus Steiners Grundlinien... entnehmen. Bei Külpe lesen Sie ähnlich und seine kritische Passage abschließend: daß Zeitgenossen wie F. A. Lange an den Außenwerken der Psychologie stehen bleiben und sich „mit dem Hallerschen Spruche trösten: ins Innre der Natur dringt kein erschaffner Geist.“ Naturforschung von Innen also nicht nur bei Steiner, sondern ganz ausdrücklich auch bei Külpe. Analog wie bei Goethe, der dazu allerdings nicht den Weg der Beobachtung des Denkens beschritt wie Steiner. Kommen wir zurück zur Frage der Beobachtung. Prinzipiell beginnt das Beobachtungsvorhaben dann, wenn das Erkenntnismotiv methodisch verwirklicht wird. Das Motiv muß ja vorhanden sein, wenn jemand auf der Grundlage spezifischer Forschungsüberlegungen etwas über das Denken wissen will. Was natürlich auch für Versuchspersonen, zumal für fachliche gilt, die sich so eine Fragestellung zu eigen gemacht haben wie die, «Was wir erleben wenn wir denken?» So daß die Erkenntnisintention als bewußtes Motiv bei allen Beteiligten, mehr oder weniger speziell ausgeprägt vorhanden ist, sonst würden sie sich zumal als fachpsychologische Versuchspersonen auf so etwas ja nicht einlassen. Die nächste Frage lautet dann: Wann beginnt eigentlich die Erkenntnis des Denkens, wo über die Erfahrungen des Denkens nachgedacht wird und man zur anspruchsvolleren Begriffsbildung darüber gelangt. Das Wahrnehmungsurteil: «Es gibt Denkerlebnisse! / oder auch nicht!» kann die Versuchsperson gegebenenfalls schon fällen, unmittelbar nachdem sie etwas erlebt hat. Das kann, entsprechendes Interesse vorausgesetzt, als einfache Urteilskonstatierung unter Umständen, und zumal in Phasen der Stockung oder des Innehaltens während des Experimentes ziemlich schnell gehen, ohne den experimentellen Denkfluß entscheidend zu unterbrechen. Sie sind dann vielleicht auch verblüfft oder überrascht über das bislang Erlebte, und so weiter. Bühlers «Aha-Erlebnis», ist ja als geflügeltes Wort in die Geistesgeschichte eingegangen. Innerlich ausgesprochen übrigens häufiger von seiner Versuchsperson K. (Külpe), wie Sie etwa auf S. 305 und öfter in Bühlers Studien nachlesen können wie etwa an folgender Stelle in seinen Protokollen: „Da kam mir pötzlich mit einem Aha! der Gedanke: das ist die bekannte Anschauung, daß Grenzen nur von Überragendem aus festgestellt werden können.“ Das «Aha!» der Versuchsperson Külpe begleitete in diesem Fall dessen Denken und war lediglich Ausdruck einer für die Problemlösung der experimentellen Denkaufgabe wichtigen Entdeckung. Er fand etwas unerwartet einen Lösungsweg und begleitete das mit diesem inneren Kommentar. Wie weit das erlebte «Aha!» wiederum schon ein Wahrnehmungs-Urteil war und nicht bloß ein prägnant durchlaufener Überraschungsreflex, der sich dann lediglich in einer vorbegrifflichen Interjektion als Ausdruck des Erstaunens in einem entscheidenden Denkstadium niederschlägt, wie «Ach!», «Oh!» und «Hui!», oder das dem Archimedes nachgesagte «Eureka!» als Ausdruck der Freude über eine gefundene bedeutende Einsicht, ist eine weitere Frage. Nachgedacht wurde über die Funktion des «Aha!» jedenfalls den Protokollen zufolge erst später. Zur denkpsychologischen Bewertung dieses «Aha!» siehe auch Bühler im Teil 2 seiner Untersuchung etwa auf S.17. Es mag sein, daß in einzelnen Fällen den denkpsychologisch erfahrenen Versuchspersonen auch während des Versuchs klar wurde, daß das Erlebnis zur Klärung ihres expliziten Forschungsvorhabens selbst gehörte. Dann hätten sie sozusagen zwischendurch einen Abstecher vom Experiment zum Forschungsprogramm und seiner Lösung in Urteilsform gemacht. Die Hauptarbeit der Beobachtung allerdings, wie man insbesondere schon bei solchen Bewertungsfragen wie um das berühmte «Aha» sieht, nämlich die psychologisch / philosophische Beurteilung der mitgeteilten Denk-Erlebnisse, worin die eigentliche Erkenntnisarbeit liegt, nimmt den weitaus größten Teil der Bühlerschen Habilitationsstudie ein. Der sich dabei ja mit einem nennenswerten Teil der zeitgenössischen Fachliteratur und ihren Problemstellungen kritisch auseinandersetzt. Eine Versuchsperson kann das natürlich nicht während des Versuchs. Zumal wenn sie nur feststellen will, was sie während des Denkens erlebt. Wenn die Versuchsperson als «philosophischer Beobachter» (Steiner) ihre Denkerlebnisse schließlich auch noch mit Kants Kausalitätsproblem sachgemäß in Verbindung bringen wollte, dann müsste sie den basalen Versuch überhaupt abbrechen, der lediglich etwas über das Vorhandensein von speziellen Erlebnissen während des Denkens aussagt. Und sich für mindestens einige Wochen oder Monate, vielleicht auch Jahre oder ein ganzes Leben lang, je nach Bildungs-, Wissens,- und Interessenstand zurückziehen, um die Frage zu beantworten, was das Erlebte alles mit diesem Problem Kants zu tun hat. Erst damit, wenn sie das ganze Für und Wider um die Erkenntnis von Kausalzusammenhängen erfolgreich auf ihr Versuchsprozedere übertragen hätte, wäre ihr Beobachtungsprozedere abgeschlossen. Und die Wahrnehmung mit dem «tätig erarbeiteten Begriff erfaßt», um mit Steiner zu sprechen. Dahingehend, daß sie «bei der Beobachtung des Denkens das Weltgeschehen durchschaut», wie es Steiner 1897 hier S. 70 bemerkte. Das Beobachtungsunterfangen zur philosophischen Klärung einer Wahrnehmung kann unter Umständen viele lange Jahre in Anspruch nehmen. Ohne spezielle philosophische Problemkenntnis der Naturerklärung und ohne empirisch psychologische Fach- und Problemkenntnis ist so eine Beobachtung wie die letztere nicht möglich. Das einfache Wahrnehmungsurteil «Es gibt Erlebnisse beim Denken!» reicht dazu jedenfalls nicht aus, wie der Leser leicht verstehen wird. Und selbst die einfache Beobachtung «Es gibt auch erlebte Wirksamkeitszusammenhänge im Denken!», was philosophisch bereits sehr anspruchsvoll ist, kann mit ihrer abschliessenden Bewertung unter Umständen jahrelang weiter gehen. Bei Johannes Volkelt, der 1886 in der Schrift Erfahrung und Denken etwa S. 81 auch nach Kausalzusammenhängen in den Innenerlebnissen suchte, dauerte es mehr als dreißig Jahre, bis er mit der Beobachtung in eine gewisse Nähe dessen gelangte, wie Sie seiner Schrift Gewißheit und Wahrheit von 1918 ab S. 141 ff entnehmen können. - Als erlebtes inneres Tun wird das Denken und seine Erkenntnis von Steiner auch in sämtlichen Frühschriften dargetan. Einschließlich Goethes Weltanschauung von 1897 in ihrem dortigen Kapitel Die Metamorphose der Welterscheinungen (hier S. 69 ff ). Wenn er in der Philosophie der Freiheit im Kapitel Die Konsequenzen des Monismus, im zweiten Zusatz von 1918 vom intuitiv erlebten Denken hier auf S. 181 schreibt, es ist «eine Wahrnehmung, in der der Wahrnehmende selbst tätig ist, und es ist eine Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenommen wird», so kann man dasselbe als Sachauskunft bereits 32 Jahre zuvor in Steiners Originalausgabe der Grundlinien… von 1886 im Rückblick von Kap. 15 (hier S. 56) respektive im Kap 8 (hier S. 24 ff) nachlesen. Desgleichen in Wahrheit und Wissenschaft, Kap. 4., hier S. 37. Die späteren Zusätze von 1918 zur Philosophie der Freiheit werden zwar gern von ihren Interpreten infolge ungenügender Werkkenntnis, und deswegen unberechtigt der späteren Anthroposophie zugeschlagen; die allerdings in diesem Begründungsbuche laut Steiners Vorrede zu GA-4 hier S. 5 und seiner dezidierten Auskunft in der späteren Geheimwissenschaft (GA-13) hier S. 343 f gar nicht zu finden ist. Von wenigen Ausblicken darauf abgesehen, die er in der Zweitauflage der Philosophie der Freiheit in der Tat ja gibt. Davon abgesehen aber findet sich die Passage mit der wahrgenommenen Selbstbetätigung wie gesagt sachlich bereits 32 Jahre früher in Steiners Grundlinien … von 1886, so daß wirklich niemand auf die spätere Anthroposophie «hinschielen» (Steiner) muß, um die Philosophie der Freiheit und ihre Darstellungen zur erlebten Denkbetätigung zu verstehen und annehmbar zu finden. In der Regel aber werden Steiners Vorgängerschriften oder Goethes Weltanschauung leider kaum oder gar nicht zur wissenschaftlichen Analyse solcher Fragen um die Beobachtung des Denkens herangezogen. Obwohl Steiner den für jeden nachvollziehbaren Gesamt-Zusammenhang aller Grundschriften in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21, S. 58 f) selbst ausdrücklich dargelegt hat. - Die zum Begreifen des Denkens notwendigen beschreibenden Begriffe wiederum werden zumeist überhaupt erst gesucht, ganz analog wie man in der Biologie lange Zeit nach charakteristischen morphologischen Kriterien gesucht hat, um Bauprinzipien und Verwandtschaftsbeziehungen von Lebewesen zu eruieren. Dieses "Anschauen" des Denkens unter beschreibenden Kategorien ist nicht etwa bloß metaphorisch zu nehmen. Es handelt sich hier zwar um eine metaphorische Übertragung aus der Sphäre der gegenständlichen Beobachtung in die der Denk-Beobachtung, aber wenn wir uns klar machen, unter welchen erkenntnistheoretischen Bedingungen wir einen herkömmlichen Gegenstand überhaupt erkennend "anschauen" können, dann müssen wir doch zugestehen, daß zu dieser erkennenden Sinnes-Anschauung deskriptive Begriffe / individualisierte Vorstellungen erforderlich sind, die sich in diesem Fall eben auf normales Sinnliches beziehen. (Zur Beachtung: Es geht um Anschauung und nicht lediglich um reine visuelle Erfahrungen, die völlig frei von Begriffen ist. Siehe dazu etwa: Der sehende Blinde, in, Der Spiegel, Nr. 47, 18.11.2002 S. 190 ff). Wenn uns die Tatsachen der sinnlichen Wahrnehmung etwas sagen sollen, dann benötigen wir dafür nicht nur ihre reine Wahrnehmung, sondern auch die dazu geltenden Begriffe. Beim unmittelbar erfahrenen / wahrgenommenen Denken verhält es sich nicht anders. Zum Begreifen des Denkens benötigt man ebenfalls Begriffe, die anhand konkreter Erfahrungen des Denkens gewonnen sind. Mit einem wesentlichen Unterschied. Bei der gewöhnlichen Sinneswahrnehmung und ihrer Erkenntnis ist der naive Realismus auch von Steiner nicht zugelassen. Bei der Erkenntnis des Denkens ist er es gleichwohl (GA-4, Kap. V, hier, S. 71). - Dazu weiter unten noch. Wenn wir das Denken "anschauen" oder "betrachten" wollen, dann benötigen wir verständlicherweise auch dazu beschreibende Begriffe, die sich entsprechend auf das Denken beziehen. Will man sich anhand konkreter Beispiele dieses "Anschauen" des Denkens verdeutlichen, dann kann man ohne weiteres auf Steiners epistemologisch-psychologische Beschreibungen des Denkens zurückgreifen. Beispiele dieser Art wurden in dieser Arbeit schon exemplarisch angeführt, und das ließe sich natürlich fortführen und über Steiners Darstellungen hinaus erweitern. Wenn er beispielsweise in den «seelischen Beobachtungsresultaten» der Philosophie der Freiheit ausführt, daß sich das Denken nach Begriffen richtet und nicht nach den Zuständen der Hirnphysiologie, dann ist das eine exemplarische Beschreibung von Denkprozessen, die nur als seelisches Beobachtungsresultat an faktischen Denkprozessen gewonnen werden kann. Ein physikalistischer Hirnphysiologe wird so etwas nicht sagen, aber der beobachtet auch nicht sein Denken, selbst wenn er so etwas womöglich glauben sollte. Sondern der redet dann lediglich wie ein Blinder über die Farbe, wie Steiner bemerkt. Steiner verwendet für die Beschreibungen des erlebten Denkens auch den Ausdruck ideelles Gegenbild. Etwa hier, S. 99 der Philosophie der Freiheit, Kapitel VIII, Zusatz von 1918. Alternativ in GA-04, Dornach 1995, S. 142 f. Wobei der Ausdruck «Gegenbild» verschiedene semantische Variationen in der Schrift annimmt. So spricht Steiner im Kapitel IX, hier S. 102 etwa auch von einem «leiblichen Gegenbild». Und in besonders bemerkenswerter Form in Kap. VII, von den ideellen Gegenbildern für die Wahrnehmungen, hier auf S. 85. An jener Stelle insofern nicht nur bemerkenswert, da «die Individuen kommen und gehen, während das scheinbar nichtssagende und unwirkliche ideelle Gegenbild der Tulpengattung sich als bleibend behauptet.» Bemerkenswert ist diese Passage Steiners vor allem auch, da er im Kapitel V (hier auf S. 71) im Gegensatz zu allen anderen Wahrnehmungsgegebenheiten ausdrücklich den naiven Realismus gegenüber dem Denken gelten läßt. Was er übrigens schon in Wahrheit und Wissenschaft bemerkte (Kap. V, hier S. 40; a) alternativ die Dissertation Kap. V, hier S. 29 f, wonach «die Wissenschaft des Denkens in einer Beschreibung des Denkens bestehe» – also einen rein deskriptiven Charakter habe. Was ja bereits einen naiven Realismus des Denkens signalisiert. Schon 1892 / 93 ist folglich der naive Realismus des Denkens die Basis und deskriptive Standardorientierung zwecks Erkenntnis des Denkens. Das aber ist auch 1892 f alles nicht neu, sondern läßt sich bereits 1886 für die Grundlinien … aufzeigen. Die Metaphorik des "Sehens" findet sich überdies so eng verbunden mit Steiners Begriff der Denk-Beobachtung, daß man sicherlich von einer weitreichenden Überschneidung der Ausdrücke "Beobachtung", Betrachtung" und "Anschauung" des Denkens ausgehen kann. - Am Rande gesagt wird diese Metaphorik des Sehens von Steiner auch in spezifisch übersinnlichen Zusammenhängen, zwar nicht durchgängig, aber sicherlich auch nicht zufällig beibehalten in Ausdrücken wie "Hellsehen" oder "Geist-Anschauung" usw. . Und das reine Denken selbst wird von ihm, wie er etwa in GA-35, 1984, S. 321 ausführt, ausdrücklich dem übersinnlichen, schauenden Bewußtsein zugerechnet: "Meine früheren Schriften behandeln das reine Denken so, daß ersichtlich ist, ich zähle dieses durchaus zu den Verrichtungen des «schauenden Bewußtseins». Ich sehe in diesem reinen Denken die erste, noch schattenhafte Offenbarung der geistigen Erkenntnisstufen." Steiner spricht im Zusammenhang mit dem Spaltungsargument des dritten Kapitels der Philosophie der Freiheit von einem "Zusehen" beim gegenwärtigen Denken, das nicht gleichzeitig möglich sein soll. Ferner verwendet er die Ausdrücke "Beobachtung des Denkens" und «denkende Betrachtung des Denkens» - wie wir in Anmerkung 54 gezeigt haben - weitgehend synonym. Daher spricht einiges dafür, daß dieses "Zusehen", das "Anschauen", die "Betrachtung" und die "Beobachtung" des Denkens voneinander nicht allzu verschieden sind, sondern sachlich in etwa dasselbe meinen. - Auch in der englischen Übersetzung der Philosophie der Freiheit von Michael Wilson werden die Unterschiede der Ausdrück "Zusehen" und "Beobachten" weitgehend aufgehoben. 107a - Anders gesagt: der Begriff der "Beobachtung" des Denkens rückt auch in eine deutliche Nähe zum "Anschauen" des Denkens und ist zu erheblichen Teilen deckungsgleich zu ihm. Ein Unterschied mag darin liegen, daß der Beobachtungsbegriff einen klaren wissenschaftlich-methodischen Akzent hat und der Anschauungsbegriff nicht. Erinnern wir uns noch einmal: „Beobachtung und Denken sind die beiden Ausgangspunkte für alles geistige Streben des Menschen, insoferne er sich eines solchen bewußt ist.“ So erläutert Steiner (hier in der älteren Ausgabe der Philosophie der Freiheit von 1958 auf S. 23) die Grundbegriffe von Beobachtung und Denken. Hinter dem Beobachten steht erklärtermaßen ein spezifisches Erkenntnisinteresse. Bei Steiner ein "bewußtes geistiges Streben". Wohlgemerkt: ein geistiges Streben, „insoferne er sich eines solchen bewußt ist.“ Also steht dahinter eine bestimmte Erkenntnisabsicht bzw. eine Fragehaltung als Motiv des geistigen Strebens, um das der Beobachter auch genau weiß. Was natürlich ebenso für jeden Beobachter des Denkens gilt, der das Denken erkennen will. Es wird dabei vorausgesetzt, daß der Beobachter des Denkens seine eigenen Erkenntnismotive auch kennt. Er muß demnach wissen, was er tut und warum er es tut. Was, wie wir oben schon im Zusammenhang mit Christian Clement bemerkten, eben im Umkehrschluss heißt, daß man ohne bewusstes Erkenntnismotiv bei der Beobachtung des Denkens nicht weit kommt, da man ohne so ein klares Motiv gar nicht darauf verfiele eine Erkenntnis des eigenen Denkens via Beobachtung überhaupt zu erstreben. Eine vollkommen motivlose, aber zielgerichtete wissenschaftliche Beobachtung, zumal des Denkens, ist schlechterdings nicht möglich, sondern so realistisch wie eine Taschenuhr ohne Zeiger, Uhrwerk und Gehäuse. Wie gesagt: Prüfen Sie das selbst, lieber Leser, ob dem so ist. Oder ob es möglich ist, ohne jedes Motiv das eigene Denken erkennen zu wollen. Ohne Motiv kommt man also nicht weit mit der Beobachtung des Denkens. Eine andere Frage ist, ob man ohne eine adäquate Methode weit kommt. Das Erkenntnismotiv ist eine Sache und die Methode eine andere. Wenn man den Autoren der Würzburger Schule folgt, die ja am Beginn des 20. Jahrhunderts als erste in Deutschland die systematische experimentelle Beobachtung Denkens akademisch etablierten, dann war die Lage um die beobachtende Erkenntnis des Denkens die, daß man es schon gern wollen wollte. Nur Können konnte man nicht. Weil es bis dahin keine adaequate empirische Methode dafür gab. Nachzulesen ist das bei Karl Bühler in seiner umfangreichen Habilitationsarbeit von 1907 / 08 gleich zu Beginn, S. 297 ff. Desgleichen bei Oswald Külpe, dem damaligen Leiter des Würzburger Instituts, in einem historischen Überblick über die Genese der modernen Denkpsychologie im Anhang seiner Vorlesungen über Psychologie, ab S. 297 ff. Um nur exemplarisch diese zwei zu nennen. Was beide, Bühler und Külpe zusammen mit den anderen Beteiligten des Würzburger Instituts methodisch vorschlugen und in dieser Zeit etablierten, entsprach dem, was Rudolf Steiner schon 1886, also mehr als 20 Jahre vor ihnen die «gegenüberstellende Betrachtung» oder Beobachtung von Erfahrungen des Denkens nannte. Mit dem wesentlichen Unterschied, daß die Würzburger als erfahrene akademische Psychologen zur experimentellen Untersuchung im Labor vor allem mit professionellen Versuchspersonen arbeiteten. Mit ausgebildeten Psychologen, die in der Selbstbeobachtung sehr erfahren waren. Ein Vorschlag, den man dann ähnlich auch 1917 von Steiner in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21) vorgelegt bekam, auf S. 170 f. Zwar nicht als ausschließlich möglichen methodischen Ansatz, aber gleichwohl mit sehr großer Dringlichkeit vorgebracht, und in Anlehnung an die parallelen, aber erfolglosen Bemühungen Franz Brentanos um ein psychologisches Labor. So daß Steiner dort vom Wunsch nach einem echten psychologischen Laboratorium spricht, «bei jedem, der auf dem anthroposophischen Gesichtspunkt steht.» Was wohl hinreichend für sich selbst spricht. - Steiners Sprachgebrauch erscheint ja mitunter etwas vage, insbesondere mit Blick auf den Anschauungsbegriff, wie wir in früheren Abschnitten schon bemerkt haben. Richtig spannend und sehr viel klarer wird es aber auf jeden Fall dann, wenn es um die eben genannte «gegenüberstellende Betrachtung» = Beobachtung des Denkens geht. Hochinteressant und erhellend, weil sich das entsprechende methodische Verfahren seit 1886 unverändert und ganz explizit in Steiners Grundschriften findet. Wonach es natürlich das Denken selbst ist, das sich denkend zwecks Erkenntnis betrachtet und sich dazu seinen eigenen Denk-Erfahrungen «gegenüberstellt». Das kann auch gar nicht anders sein. Dazu kommen wir nachfolgend. Vorab aber noch ein illustrierender Ausblick mittels späteren Ausführungen des «Anthroposophen» Steiner dazu, was ein wenig die ausgesprochene Kontinuität seines frühen Beobachtungsprozederes beleuchtet. Am 15. Februar 1917 führte Steiner in Berlin mit ausdrücklichem Blick auf das «gegenüberstellenende Betrachten und Erkennen des Denkens» und im Zusammenhang mit der Behandlung des Psychologie-Pioniers Fechner in GA-66, Dornach 1988, S. 16 f folgendes aus: „Wer nicht nur in flüchtigem Rückblick auf den Erkenntnisakt auf das Denken hinschaut, sondern sich in die Lage versetzt, gewissermaßen von dem Denkakt zurückzutreten, aber so, daß das Denken, das er im Erkennen pflegt, wie eine Art Erinnerungsvorstellung so, daß sie genau beobachtet werden kann, vor der Seele steht; wer also nicht verharrt im Denken, wo man es nicht erkennen kann, sondern wer gewissermaßen vom Denken zurücktritt, der erkennt, daß er, indem er denkt, so in diesem Denken lebt, wie - um diesen Vergleich, den ich hier schon öfter brauchte, noch einmal zu brauchen - man in sich lebt, wenn man vor einer Spiegelfläche steht.“ - Mit seiner Spiegelmetapher werden wir uns hier nicht befassen, sondern nur mit dem Erkenntnisprozedere, welches auf die Erkenntnis des Denkens gerichtet ist. Dieses Erkenntnisprozedere, und so viel geht aus der Passage von 1917 hervor, benötigt zwei Denkschritte in Form einer gegenüberstellenden Betrachtung. - Wobei nicht zu vergessen ist, daß es das Denken selbst ist, mit dem sich der Denker einem vergangenen Denken gegenüberstellt, um es zu erkennen. Er hat es hier folglich nicht nur mit einem vergangenen Denken zu tun, das er betrachtet. Sondern auch mit dem erlebten gegenwärtigen, mit dem er diese erkennende Betrachtung vornimmt. Wenn man nur im Denken verharrt, so Steiner, dann kann man es nicht erkennen. Sondern man muß vom Denken zurücktreten, so daß man es wie eine Art Erinnerungsvorstellung vor sich hat. Dann erst ist diese Erkenntnis möglich. - «Betrachtende oder denkende Gegenüberstellung» lautet das entsprechende methodische Erkenntnisprinzip, das sachlich seit 1886 in den Frühschriften Steiners zur Erkenntnis des Denkens ausgeführt wird. Was sich 1917 immer noch bei Steiner findet. (Sehr viel ausführlicher siehe dazu hier auf derzeit S. 1237-1243.) Beginnend aber bereits mit den Grundlinien … von 1886, im vierten Kapitel hier auf S. 11 f. Es ist das Denken, das sich den eigenen Denkerfahrungen betrachtend gegenüberstellen muß, um sich selbst zu erkennen. Oder unverfänglicher gesprochen, und weil das Erkennen ja seine ganz persönliche Erkenntnis-Angelegenheit ist: Der Denker stellt sich denkend den Erfahrungen des eigenen Denkens gegenüber, um es zu erkennen. Man darf ergänzen, daß es sich hier um eine begründende erkenntniswissenschaftliche Methode handelt, die laut Steiners häufigen Erläuterungen den empirischen Nachweis des schauenden Bewußtseins und der Leibfreiheit des begrifflichen Denkens, - was beides zusammengehört, - erbringen sollte. So wird auch sein Laborwunsch von 1917 in der Schrift Von Seelenrätseln vorgebracht, wo es um die «Veranlagung zum Schauen» geht. Und die Veranlagung zum schauenden Bewußtsein liegt nun einmal im begrifflichen Denken einschließlich jener inneren Produktivität, ohne die es kein begriffliches menschliches Denken bei Steiner gibt. In der spezifisch anthroposophischen Methode, die auf der frühen Forschung aufbaut, wie Sie hier in GA 255b ab S. 295 ff anschaulich lesen können, werden die Verhältnisse noch wesentlich komplexer. «Ausnahmezustand» nennt Steiner das Forschungsverhalten der Beobachtung des Denkens wiederholt in der Philosophie der Freiheit, was sachlich dasselbe bedeutet: Nämlich sich in Erkenntnisabsicht den (eigenen) Denkerfahrungen betrachtend gegenüber zu stellen, um es zu begreifen. Und dabei kommt es zu einer einzigartigen erkenntniswissenschaftlichen Sachlage, die es nirgendwo sonst gibt. Wahrnehmung und Begriff fallen bei der Erkenntnis des Denkens zusammen, wie Steiner in der Philosophie der Freiheit am Beginn des 9. Kapitels, hier Seite 101 f ausführt. Und nicht nur das, sondern der Mensch erlebt dabei laut Steiner auch einen Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem, der ebenfalls in dieser Form und Sicherheit einzigartig ist im menschlichen Erkenntnisleben. Weswegen Steiner darauf im dritten Kapitel das Fundament der Welterklärung gründet. - Zwei Dinge sind nun zu beachten, wenn es um das «Zusammenfallen von Wahrnehmung und Begriff» geht: Zunächst einmal ist da die Tatsache zu beachten, dass auch Begriffe und Ideen für Steiner geistige Wahrnehmungsgegebenheiten sind. Das Denken als Auffassungsorgan nimmt bekanntlich Ideen wahr «wie das Auge das Licht», wie der Leser in GA-1 nachlesen kann. Das alles darf inzwischen als bekannt vorausgesetzt werden. Näheres und ausführlicher dazu auch hier. Die Wahrnehmung ist inhaltlich in diesem Fall etwas rein Begriffliches, Ideelles. Und insofern ist es selbstverständlich zu sagen, daß Wahrnehmung und Begriff zusammenfallen. Insofern der Begriff eben als Wahrnehmung / Inhalt des wahrnehmenden Denkens («intellektuelle Anschauung» laut GA-3, Kap. IV, S. 37) auftritt. Wo aber in diesem Frühwerk (GA-3) bereits die Wahrnehmung der eigenen Denktätigkeit gleichzeitig auf dieser S. 37 bereits genannt wird. So daß wir da schon zweierlei Wahrnehmungen beim reinen Denken vorliegen haben. Einerseits den begrifflichen Inhalt, und andererseits das eigene denkende Hervorbringen dieses begrifflichen Inhalts. «Wirkendes und Bewirktes», wie Steiner bereits 1886 schreibt. Steiner ist da auch ganz und gar unmissverständlich im nachfolgenden Frühwerk von 1892 / 93. Und - das ist eben hervor zu heben: Das war er bereits 1886 schon, rund sechs Jahre zuvor. Ist es 1894 in der Philosophie der Freiheit immer noch. Wird es auch 1897 in Goethes Weltanschauung bleiben. Und für den späteren Anthroposophen gilt nichts anderes, wenn der auch die Verhältnisse dann sehr viel komplexer darlegt als in seinem Frühwerk. Die spätere Erkenntnismethode der Anthroposophie reift ja erst heran auf der Grundlage der Frühschriften, wie Steiner immer wieder beteuert. Für die Idee des Erkennens wiederum hat er in den Anmerkungen von 1924 der Grundlinien … eigens (hier auf S. 136 ff) hervorgehoben, daß diese Idee des Erkennens prinzipiell auch für die anthroposophische Form des Erkennens gilt: „Ein Unterschied tritt nur insofern auf, als die Sinneswahrnehmung durch den Gedanken gewissermaßen nach oben zum Anfang des Geistigen hin in Wirklichkeit vollendet, die geistige Anschauung von diesem Anfang an nach unten hin in ihrer wahren Wesenheit erlebt wird. Daß das Erleben der Sinneswahrnehmung durch die von der Natur gebildeten Sinne, das der Anschauung des Geistigen durch die erst auf seelische Art ausgebildeten geistigen Wahrnehmungsorgane geschieht, macht nicht einen prinzipiellen Unterschied. [] In Wahrheit ist in meinen späteren Veröffentlichungen kein Verlassen der Idee des Erkennens vorhanden, die ich in dieser Schrift ausgebildet habe, sondern nur die Anwendung dieser Idee auf die geistige Erfahrung.“ Vom letzten Hinweis Steiners jetzt abgesehen: Es ist auf jeden Fall der Umstand zu beachten, daß das individuelle Denken als Erkenntnishandlung und inneres Tun selbst eine Wahrnehmungsgegebenheit für sich ist. Wahrnehmungsgegebenheiten sind sowohl das begriffliche Element, als auch die eigene Aktivität, die dabei zum Einsatz kommt. Auch dazu ausführlicher hier. Insofern bedeutet die Wahrnehmung des Denkens erkenntnistheoretisch und mit Blick auf Steiners Grundlagen eben nicht lediglich dasselbe wie die Wahrnehmung von tätig hervorgebrachten Begriffen und Ideen. Sondern die innere Tätigkeit als solche tritt als weitere Wahrnehmung hinzu. Worauf Steiner ausdrücklich auch hinweist mit der Bemerkung hinsichtlich seiner Differenz zu Hegel, eingangs von Kapitel IV der Philosophie der Freiheit, (hier S. 57 f; alternativ hier S. 38) So schreibt er dort bezüglich seiner Differenz zu Hegel: „Ich muß einen besonderen Wert darauf legen, daß hier an dieser Stelle beachtet werde, daß ich als meinen Ausgangspunkt das Denken bezeichnet habe und nicht Begriffe und Ideen, die erst durch das Denken gewonnen werden. Diese setzen das Denken bereits voraus. Es kann daher, was ich in bezug auf die in sich selbst ruhende, durch nichts bestimmte Natur des Denkens gesagt habe, nicht einfach auf die Begriffe übertragen werden. (Ich bemerke das hier ausdrücklich, weil hier meine Differenz mit Hegel liegt. Dieser setzt den Begriff als Erstes und Ursprüngliches.)“. - So Steiner dazu. Nur das Denken ist in sich selbst ruhend und durch nichts bestimmt. Begriffe und Ideen, die erst durch das Denken gewonnen werden müssen, sind es nicht. Damit verschiebt sich bei Steiner im Vergleich zu Hegel der empirische Fokus des Erkenntnisinteresses auf jenen «Prozess», durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden. Das aber ist bereits 1886 in den Grundlinien … der Fall. Nachzulesen dort in Kapitel 8, im Kapitel 16 und im Psychologiekapitel 18. Der erlebte Prozess wiederum, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden, ist aber «auch derselbe erlebte Prozess, durch welchen das Denken selbst beobachtet, erkannt und begriffen wird». Es ist dies ein ganz maßgebliches Unterscheidungsmerkmal Steiners gegenüber Hegel. Der Untersuchungsstandort Steiners ist damit ausgesprochen empirisch, induktiv und sehr viel basaler als derjenige Hegels. Wer nämlich den Produktionsprozess von Begriffen und Ideen untersucht, der untersucht natürlich nicht vornehmlich Begriffe und Ideen meinetwegen auf ihren logischen Zusammenhang oder ihre Reichweite und Geltung hin, sondern vor allem induktiv auf empirischem Wege die Art, wie sie im menschlichen Bewusstsein erscheinen / zur Erscheinung gebracht werden. Und wie in diesem Fall «Wirkendes», - das ist der Prozess, - und «Bewirktes», - das ist das Resultat dieses wirkenden (Erkenntnis) - Prozesses miteinander zusammenhängen. Das aber ist für Steiner vorrangig auch eine Angelegenheit einer komplementären Naturforschung, die sich durch sämtliche seiner Begründungsschriften hinzieht. Letzteres, der «Prozess», durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden, bzw. - der erlebte Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem, - ist eine genuin naturwissenschaftliche Fragestellung, die Steiner als solche bereits in den Grundlinien … im Zusammenhang mit Kant im Kapitel 14 behandelt. Wobei wiederum das Prozedere des individuellen Denkens als innere Aktivität oder «Wirkendes» ein psychologisches ist, wie wir in den Grundlinien ... auch schon gehört haben. Dort im Kapitel 18 über das psychologische Erkennen. Wonach es vor allem darauf ankäme den Menschen als einen Tätigen zu begreifen. Oder wie Steiner dort auch (S. 120) sagt: „Die einheitliche Seele ist uns ebenso erfahrungsgemäß gegeben wie ihre einzelnen Handlungen. Jedermann ist sich dessen bewußt, daß sein Denken, Fühlen und Wollen von seinem «Ich» ausgeht. Jede Tätigkeit unserer Persönlichkeit ist mit diesem Zentrum unseres Wesens verbunden. Sieht man bei einer Handlung von dieser Verbindung mit der Persönlichkeit ab, dann hört sie überhaupt auf, eine Seelenerscheinung zu sein. Sie fällt entweder unter den Begriff der unorganischen oder der organischen Natur. Liegen zwei Kugeln auf dem Tische, und ich stoße die eine an die andere, so löst sich alles, wenn man von meiner Absicht und meinem Wollen absieht, in physikalisches oder physiologisches Geschehen auf. Bei allen Manifestationen des Geistes: Denken, Fühlen, Wollen, kommt es darauf an, sie in ihrer Wesenheit als Äußerungen der Persönlichkeit zu erkennen. Darauf beruht die Psychologie.“ Auf der anderen Seite ist dort (S. 118) wiederum die Psychologie «die erste Wissenschaft, in der es der Geist mit sich selbst zu tun hat». Wenn Steiner in den Anmerkungen von 1924 (hier S. 142) darauf hinweist, daß er sich seinerzeit unter der «Psychologie» sehr viel Weiteres vorgestellt habe, was später Thema seiner anthroposophischen Forschung wurde, dann mindert das natürlich nicht den Wert seiner frühen psychologisch orientierten Grundlagenforschung, sondern zeigt nur, wo sie hin führt. Zudem gibt es da ja auch die Tatsache, daß sich Steiner 1917 in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21, S. 171 f) eindringlich ein psychologisches Laboratorium wünschte, um dort die «Veranlagung zum Schauen» gründlich weiter zu erarbeiten. Was natürlich ganz unmissverständlich nicht nur die Kontinuität seines Anliegens von 1886 demonstriert, sondern auch das Faktum, welche Rolle er dabei einer ganz normalen empirischen Psychologie der inneren Beobachtung beilegte, die es 1886 freilich in der von ihm 1917 gedachten institutionalisierten Form «nach dem Vorbild der Wünsche Brentanos» noch gar nicht gab. Die «in sich selbst ruhende Tatsache des Denkens» hat etwas mit dem Produktionsprozess von Begriffen und Ideen zu tun. Was wie gesagt bereits ein Thema der Grundlinien … von 1886 im Kapitel 8 ff ist. Das, um es noch einmal zu betonen, hat natürlich eine psychologische Dimension, die von Steiner genauso, und zwar im Psychologiekapitel 18. der Grundlinien ..., (hier S. 118 ff) erläutert wird. Dahingehend, daß «die Psychologie die erste Wissenschaft sei, in der es der Geist mit sich selbst zu tun habe». Und man nur eine «wahrhafte Psychologie gewinnen könne, wenn man auf die Beschaffenheit des Geistes als eines Tätigen eingeht» (S. 120). Wenn die Philosophie der Freiheit später als «seelische Beobachtungsresultate» gekennzeichnet wird, dann ist das nicht nur aus sachlichen Gründen zu verstehen, sondern auch aus der werk-genetischen Perspektive. Und ebenso ist es zu verstehen, wenn Steiner im zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit die Naturwirksamkeit im menschlichen Inneren sucht. (Siehe hier S. 20 f.) Solche Fragen des Erkennens und der damit verbundenen «Naturwirksamkeit» hängen natürlich als grundlegende Erkenntnisfragen im eminentesten Sinne mit einander zusammen. Dahingehend: Wer oder was erwirkt eigentlich mein Erkennen? Ist das bereits ein kausal naturdeterminierter Prozess? Einer, der sich mit zwanghafter Naturnotwendigkeit vollziehen muß? - Eine häufig aufkommende Frage, wie nicht nur am primitiven Physikalismus zu sehen ist, der alles Denken und Erkennen auf rein physikalische Naturwirksamkeiten bzw. auf die Hirnphysiologie zurückführen möchte, aber um plausible empirische Begründungen dafür im höchsten Maße verlegen ist. Insofern, als er darauf ein Kausalitätsprinzip zur Anwendung bringt, das er als solches nie sicher belegen kann, wie Steiner im Kapitel 14 der Grundlinien ... im Zusammenhang mit Kant erläutert. Während einzig im Denken der Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem unmittelbar und sicher erkenntniswissenschaftlich greifbar ist: „Wir erinnern uns, warum eigentlich das Denken in unmittelbarer Erfahrung bereits sein Wesen enthält. Weil wir innerhalb, nicht außerhalb jenes Prozesses stehen, der aus den einzelnen Gedankenelementen Gedankenverbindungen schafft. Dadurch ist uns nicht allein der vollendete Prozeß, das Bewirkte gegeben, sondern das Wirkende.“ So heißt es gleich im Folgekapitel 15 der Grundlinien …, gleich im Anschluß an die Auseinandersetzung mit Kant. Wer das Denken beobachtet, der beobachtet also nicht nur Begriffe und Ideen für sich genommen, sondern vor allem auch den Prozeß des Denkens selbst. Der von Steiner schon im Kapitel III der Philosophie der Freiheit zur allerwichtigsten Beobachtung erklärt wird, die der Mensch machen kann. Es ist die Beobachtung der produktiven Art und Weise, wie Begriffe und Ideen gewonnen werden, um bei Steiners Hegel-Bemerkung von oben zu bleiben. Und das wiederum ist jener seelisch / geistige Prozess, der schon 1886 in den Grundlinien … besonders nachdrücklich im Kapitel 15 von Steiner in Erinnerung gerufen wird. Weil nämlich in diesem Prozess Wirkendes und Bewirktes in ihrem erlebten Zusammenhang vorliegen: „Wir erinnern uns, warum eigentlich das Denken in unmittelbarer Erfahrung bereits sein Wesen enthält. Weil wir innerhalb, nicht außerhalb jenes Prozesses stehen, der aus den einzelnen Gedankenelementen Gedankenverbindungen schafft. Dadurch ist uns nicht allein der vollendete Prozeß, das Bewirkte gegeben, sondern das Wirkende.“ So Steiner im Kapitel 15 hier auf S. 86. Wohlgemerkt, auch das Wirkende ist bereits 1886 «gegeben». Dass so etwas freilich auch ein Thema der «Psychologie von Bewußtseinsakten» im ausgehenden 19. Jahrhunderts und darüber hinaus war, will ich hier nur mehr andeuten. Im Zusammenhang mit Oswald Külpe, der solche inneren Wirksamkeiten suchte und beobachtete, haben wir es ja vorhin schon kurz zum Ausdruck gebracht. In dieser philosophisch-psychologischen Tradition, die nach erlebten inneren Wirksamkeiten sucht, ist Steiner als Vertreter des naturwissenschaftlichen Idealismus natürlich ebenfalls anzusiedeln. Und zwar nicht nur via Fichte, wie der Leser in einer längeren Untersuchung hier auf meiner Webseite ausführlich studieren kann. Steiner war mit seinem Begründungsvorhaben auch eingebettet in eine philosophische Strömung des Empirismus, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, das seit Kant und Hume als empirisch unlösbar geltende Kausalitätsprinzip / besser wohl: deren Kausalitätsproblem auf dem Wege der inneren Beobachtung zu bewältigen. Wo Kant an Stelle einer empirischen Antwort auf dieses Grundlegungs-Problem aller Naturwissenschaften eine lediglich metaphysische gab, wie er hier in seinen Prolegomena in der Vorrede ab S. 6 eigens im Zusammenhang mit David Hume erläutert. Das wiederum war für viele Empiristen, und eben auch für Steiner ein völlig unmöglicher Lösungsweg für die empirische Erkenntnis der Welt. Nämlich ihr fundamentales Prinzip der naturwissenschaftlichen Kausalerkenntnis lediglich metaphysisch scheinbegründen, aber nicht empirisch und sachlich begründen zu können. Wovon das Kapitel 14 der Grundlinien … bereits besonders deutlich zeugt, mit seinem kritischen Hinweis auf den Dogmatismus der Offenbarung und der Erfahrung, «die an die Sache nie herankommen». Deswegen bei Steiner die regelmäßige Betonung des erlebten Zusammenhangs von Wirkendem und Bewirktem respektive der erlebten inneren Aktivität des Denkens seit 1886, was ja dann im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit zur «allerwichtigsten Beobachtung wird, die der Mensch machen kann.» - Man möchte angesichts der Rezeptionslage um Steiners Begründungswerk ergänzend hinzufügen: Zur allerwichtigsten Beobachtung des Menschen wird, sofern er sich dieses Problems von Kant und Hume bewußt ist! Was eben bei den anthroposophischen Interpreten in den allerseltensten Fällen der Fall ist. Weswegen diese Beobachtung der Philosophie der Freiheit inzwischen ein regelrechtes Mauerblümchendasein fristet, und oft auch schon gar nicht mehr von den Interpreten der Anthroposophen erwähnt wird, wie etwa von Heusser oder Wagemann, Förster (letzterer auch hier) und anderen, die von Steiners Grundlagen, und speziell von solchen Zusammenhängen der «allerwichtigsten Beobachtung» mit Humes und Kants Kausalitätsproblem herzlich wenig verstehen. Sie können damit schlicht nichts anfangen, weil sie die entsprechenden Zusammenhänge mit Steiners Frühwerk gar nicht kennen. Und demgemäß auch weitestgehend entleert sind von Steiners eigenen zum Verständnis unerlässlichen Grundlagen, trotz aller mitunter hochtönenden Ankündigungen diesbezüglich. Für eine Erkenntnistheorie wiederum, die für alles Erkennen gilt, wie diejenige Steiners, ist es allerdings leicht nachvollziehbar, daß Steiner sich bereits im Kapitel 14 der Grundlinien … von 1886 (hier S. 81 ff) mit Blick auf Kant das Kausalitätsproblem vorgenommen hat. Da geht es nämlich nicht minder um den erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem. Folglich hatte Steiner sehr gute Gründe dafür, einen kritischen Blick in dieser Frage auf Kant zu werfen. Siehe dazu auch meine längere Studie. Dort etwas kürzer gefasst speziell auch im Exkurs ab derzeit S. 1219 ff. - Eine zusätzliche Bemerkung noch zu diesem zurückliegenden Abschnitt: Für den gewöhnlichen Beobachter des Denkens dürfte es nicht allzu schwierig sein, Steiners grundlegende Gedankengänge zur methodischen Beobachtung des Denkens in Form der «gegenüberstellenden Betrachtung» nachzuvollziehen, wenn er dessen Frühwerk hinreichend sorgfältig studiert. Etwas anders ist, wie wir sehen, die Sachlage, wenn es um Steiners philosophisch – naturwissenschaftliche Hintergründe und Konklusionen seiner Beobachtungen geht. Hier ist die Haupt-Sache eben die, daß man schon «philosophischer Beobachter» sein muß, wie Steiner das in GA-30, S. 69 ff; insbes. auch S. 83 f speziell mit Blick auf Goethe nannte. Man muß die Beobachtung auch mit entsprechenden philosophischen Kernfragen in Verbindung bringen können und wollen. Und das gilt natürlich auch für Steiner selbst, der seine «philosophischen» Begründungsschriften niemals ohne den naturwissenschaftlichen Blick auf die Begründungs-Schwachstellen des Empirismus verfasste, wie man an seiner Behandlung Kants nicht nur im Kapitel 14 der Grundlinien ... sieht. Was man am Projekt der «Kant-Überwindung» in der Schrift Wahrheit und Wissenschaft ebenso sieht. Desgleichen an den «seelischen Beobachtungsresultaten nach naturwissenschaftlicher Methode» in der Philosophie der Freiheit, wo das im Untertitel von 1918 eigens noch einmal hervorgehoben wurde. Der «gewöhnliche» Beobachter des Denkens kommt ohne wissenschaftsgeschichtliche Kenntnis der Kernprobleme des Empirismus natürlich nicht so ohne weiteres auf jene fundamentalen naturwissenschaftlichen Konfliktfelder, die sich um die Kausalerklärung ranken, wenn er keine entsprechenden wissenschaftsgeschichtlichen Erfahrungen mitbringt. Er sieht dann die Verbindungen zwischen der erlebten Denk,- und Erkenntnistätigkeit, Steiners «allerwichtigster Beobachtung», und der Lösung des Kausalproblems nicht, obwohl es in beiden Fällen um den Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem geht. Beim Denken und Erkennen ebenso wie in der Naturwissenschaft. So daß der wissenschaftshistorisch Unerfahrene folglich nicht erkennt, daß das naturwissenschaftliche Kausalproblem Kants auch ein unmittelbar zu beantwortendes jener empirisch psychologisch orientierten Erkenntnistheorie Steiners ist, die auf der inneren Tätigkeit des Denkens und Erkennens aufbaut. Wo sich ganz naturgemäß die Frage nach dem erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem stellt: Dahingehend: Wer oder was erwirkt eigentlich mein Denken und Erkennen? Und erst recht nicht kommt der Unerfahrene darauf, daß die genannte Problemzone des Empirismus in der Steinerzeit regelmäßig, und nicht nur von Steiner aufgegriffen wurden. Und dann ebenfalls konstruktiv mit empirisch psychologischen Mitteln. Das alles liegt auch den heutigen Anhängern Steiners in der Regel völlig fern, selbst wenn sie vielleicht akademisch wie etwa Eckart Förster noch so sehr als Spezialisten aus dem deutschen Idealismus stammen. Ein anthroposophischer Interpret arbeitet sich dann auch wie Reto Savoldelli 2019 hoffnungslos an solchen Grundwerken Steiners ab, ohne den leistesten Schimmer zu haben, worum es da überhaupt in empiristisch / naturwissenschaftlicher Hinsicht geht. Inzwischen hat Savoldelli seinen Artikel zwar mit Stand vom 10. April 2020 überarbeitet. Verstanden davon hat er aber immer noch nichts, sonst würde er seine abstrusen Hymnen auf die paradoxe Verbindung zu Witzenmanns Strukturphänomenologie nicht singen. (Siehe dazu ausführlicher auf unserer Webseite auch hier ab S. 771.) So ein Interpret kommt dann eben auch als Anthroposoph nicht darauf, daß und warum Steiner die Beobachtung des eigenen Denkens die «allerwichtigste» nennt, «die der Mensch machen kann». Er kommt auch nicht darauf, warum Steiner bei der Beobachtung des Denkens nicht nur «das Weltgeschehen beobachtet», sondern es sogar «durchschaut», wie es in Goethes Weltanschauung (1897, S. 69 f) heißt. Dem Interpreten ist einfach nicht klar, daß derjenige das Weltgeschehen grundsätzlich nie durchschauen kann, wer «an die Sache gar nicht herankommt», sprich: an den erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem, wie es Steiner im Kapitel 14 der Grundlinien… gegenüber Kant geltend machte. Was auch für Witzenmann galt, der seinerseits und erklärtermaßen «an die Sache nie heran kam». Denn wer den erlebten Zusammenhang zwischen Wirkendem und Bewirktem beim Denken grundsätzlich nicht auf der unmittelbaren Erfahrungsebene erreicht, sondern ihn sogar wissenschaftsphilosophisch in Abrede stellt, und obendrein auch noch die verschrobene Frage, «Wie kann Unbeobachtbares zur Erinnerung werden?» zur «erkenntnistheoretischen Grundfrage» erklärt (Witzenmann, hier, S. 356, S. 386, S. 397), der hat im Kern und speziell an dieser erkenntniswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Schlüsselstelle jede Verbindung mit Steiner verloren. Da fehlt jeder Durchblick und jeder Einblick in Steiners Anliegen. Als Interpret Steiners hat er nicht einmal Steiners Grundfrage der Erkenntnistheorie gefaßt, die da lautet: «Was ist Erkennen?» (Siehe GA-1, S. 143; GA-1, S. 157 f; S. 195 f ; GA-2, S. 137 f) Wie wir sehen, hat im Falle Witzenmanns die aus einem Interpretationsirrtum der Denkbeobachtung erwachsene Entgleisung weder mit Steiner sachlich irgend etwas zu tun, noch weiß Witzenmann überhaupt worum es diesem in den Frühschriften mit der Beobachtung des Denkens ging. Nicht zuletzt, weil schon das ganze Prozedere dieser Beobachtung ihm ein Buch mit sieben Siegeln geblieben ist, wie insbesondere aus dem engeren Kontext von Witzenmanns Goethebuch ersichtlich wird, aus dem heraus er seine verstiegene «Grundfrage» entwickelt hat. Wo ja der unverstandene Steinersche Begriff der «Denkbeobachtung» den Nährboden dieser «Grundfrage», «Wie kann Unbeobachtbares zur Erinnerung werden?» bildet. Ohne daß beim Verfasser Witzenmann das Bemühen erkennbar wäre, auch nur einen Funken Problemlösungs-Recherche in Steiners restliche Frühschriften zu investieren, um das von Steiner Gemeinte zu begreifen. Weil Witzenmann das nie verstanden hat, aber über ein hinreichend ausgeprägtes Potential zur Selbstblendung über die eigene intellektuelle Grösse verfügte, hielt er sich für berufen, anlässlich seines persönlichen Denk-Beobachtungsproblems und fern von jeder gründlichen quellenbasierten Problemrecherche, die auch Steiners restliche Grundwerke sorgsam einbezieht, eine eigene «erkenntnistheoretische Grundfrage, Wie kann Unbeobachtbares zur Erinnerung werden?» vor seinen anthroposophischen Anhängern aufzubauen, die im Verhältnis zu Steiner, zu dessen Vorhaben und zu dessen Begründungen entlegener, einfältiger und destruktiver kaum sein könnte: Ein einzigartiges Debakel der anthroposophischen Bewegung, der Steiner-Interpretation und der Steiner-Rezeption! Ausgelöst von einem intellektuellen Grossgimpel in dieser Bewegung, der es in seiner Selbstblendung schlichtweg nicht für nötig hielt, Steiners Frühschriften einmal sorgsam zu studieren. Wie wir es heute auch weithin vergleichbar sehen, wo sich akademische Welterklärer über Steiners Werk hermachen. Daß so ein gründlich entgleister und in seiner Selbstüberhebung abgestürzter Steiner-Interpret wie Witzenmann dann natürlich auch das Weltgeschehen nicht durchschaut, von dem er nicht einmal wusste, was Steiner überhaupt damit meinte, das versteht sich von selbst. Auch Witzenmann kam wie Kant «an die Sache nie heran», um mit Steiner zu sprechen. Das ist natürlich trivial und gilt eben auch für das Denken und sein Erkennen. Im Gegensatz dazu kommt derjenige aber «an die Sache heran», der Wirkendes und Bewirktes in ihrem Zusammenhang unmittelbar erlebt. Das ist ebenso trivial. Dass er dann als Beobachter dieses Geschehens zugleich auch das Weltgeschehen durchschaut, liegt in der Natur dieser Sache, bleibt aber in aller Regel einem Steinerinterpreten (und nicht nur Savoldelli) ein Buch mit sieben Siegeln, weil er die ganzen philosophischen Zusammenhänge und Lösungsbemühungen um das Kausalitätsproblem nicht kennt. Und demzufolge auch die denk-psychologischen Lösungsbemühungen Steiners nicht versteht, weil er sie mit den parallelen Bemühungen von Steiners Zeitgenossen zudem auch nicht in Verbindung zu bringen vermag. Die entsprechende Problemgeschichte der naturwissenschaftlichen Kausalerkenntnis muß er sich erst gesondert aneignen, um die naturerklärende Reichweite der Beobachtung des Denkens in Steiners frühen Begründungsschriften verstehen zu können. Es geht dabei ausnahmslos immer auch um das neuzeitliche Kausalitätsproblem und dessen Lösung, wie man schon eingangs der Philosophie der Freiheit gleich im ersten Kapitel, und ebenso eingangs ihres dritten Kapitels zu lesen bekommt. „Ist der Mensch in seinem Denken und Handeln ein geistig freies Wesen oder steht er unter dem Zwange einer rein naturgesetzlichen ehernen Notwendigkeit?“ So fragt ihr Verfasser direkt zu Beginn des Werkes im Kapitel I. Was dann auf den ersten Seiten ihres dritten Kapitels in etwas veränderter Form und mit einem Blick auf den physiologischen Psychologen Theodor Ziehen neuerlich vorgebracht wird. Nur können sich anthroposophische und andere Interpreten in der Regel darauf keinen Reim machen, weil sie die neuzeitliche Problemgeschichte der empiristischen Kausalerklärung eben nicht kennen. Auch nicht die Tatsache, daß man zu Steiners Zeit dieses Problem analog wie Steiner auf dem Wege der inneren Beobachtung auf empirisch psychologischem Wege zu lösen suchte. Zumal als Interpreten können sie so etwas erst recht nicht begreifen, wenn sie dann auch noch im Vorfeld dessen am Verständnis der Beobachtung des Denkens gehindert werden, und vor der Frage stehen, wie jemand das Weltgeschehen durchschauen können sollte, wo er doch noch nicht einmal das aktuelle Denken laut Steiner beobachten kann. Wo es dann eben darauf ankommt, was Steiner unter einer Beobachtung des Denkens überhaupt versteht, damit solche Mißverständnissse nicht aufkommen, und der Interpret womöglich glaubt, daß man das unbeobachtbare gegenwärtige Denken womöglich auch gar nicht erfahren kann. Siehe Witzenmann! - Auch bei Anthroposophen ist das eine regelmäßig und häufig anzutreffende Fehlinterpretation. Daß ihnen damit und bei all ihrer wissenschaftsgeschichtlichen Unwissenheit auch Steiners kausalitätsphilosophischer Lösungsansatz nebst seinem inneren Naturforschungsanliegen ganz zwangsläufig und unverstanden durch die Hände rinnt, liegt auf der Hand. Da bleibt dann eben auch Steiners unverstandene «allerwichtigste Beobachtung» aus der Philosophie der Freiheit auf der Strecke. Zumal dann, wenn sie aus der Schule Witzenmanns stammen, wo solche Denkansätze Steiners, - und wie wir bemerkten nicht nur von diesem, - angesichts von Witzenmanns bizarrer «erkenntnistheoretischen Grundfrage», «Wie Unbeobachtbares zur Erinnerung werden kann?» schon prinzipiell jenseits aller Möglichkeiten liegen. - Wir können die Sachlage hinsichtlich des Zusammenfallens von Wahrnehmung und Begriff inzwischen noch viel weiter eingrenzen und präzisieren. Steiner spricht wie gesagt bei der «erkennenden Betrachtung des Denkens» auch von einer «Gegenüberstellung». Das nicht nur in der Philosophie der Freiheit im Kapitel III, hier S. 26 ff, bzw. in der Erstauflage von 1894 im Kapitel IV hier S. 39, sondern bereits rund acht Jahre zuvor in den Grundlinien … von 1886 am Ende des Kapitels 4, auf S. 28 f, wo es diesbezüglich heisst: „Auch das Denken selbst erscheint uns zunächst als Erfahrungssache. Schon indem wir forschend an unser Denken herantreten, setzen wir es uns gegenüber, stellen wir uns seine erste Gestalt als von einem uns Unbekannten kommend vor. [] Das kann nicht anders sein. Unser Denken ist, besonders wenn man seine Form als individuelle Tätigkeit innerhalb unseres Bewußtseins ins Auge faßt, Betrachtung, d. h. es richtet den Blick nach außen, auf ein Gegenüberstehendes. Dabei bleibt es zunächst als Tätigkeit stehen. Es würde ins Leere, ins Nichts blicken, wenn sich ihm nicht etwas gegenüberstellte. [] Dieser Form des Gegenüberstellens muß sich alles fügen, was Gegenstand unseres Wissens werden soll. Wir sind unvermögend, uns über diese Form zu erheben. Sollen wir an dem Denken ein Mittel gewinnen, tiefer in die Welt einzudringen, dann muß es selbst zuerst Erfahrung werden. Wir müssen das Denken innerhalb der Erfahrungstatsachen selbst als eine solche aufsuchen.“ - «Wir müssen das Denken innerhalb der Erfahrungstatsachen selbst als eine solche aufsuchen», die dann als Erfahrungstatsache «gegenüberstellend zu betrachten ist»; um bei Steiners eigener Ausdrucksweise und Methode zu bleiben. Denn wer das Denken erforscht, so Steiner, «der muß es sich gegenüberstellen». Und es dann denkend betrachten. Diese Verfahrensweise der betrachtenden Gegenüberstellung gilt also nicht nur 1886, sondern gleichermaßen 1894 in der Philosophie der Freiheit. Und ebenso in ihrer Zweitauflage von 1918. Bei den Grundlinien ... bleibt es damit also nicht, sondern derselbe zwingende methodische Hinweis zur gegenüberstellenden denkenden Betrachtung des Denkens findet sich auch im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit. So an zentraler Stelle der Zweitauflage von 1918, auf S. 43 f / in der Ausgabe von 1958 auf S. 27: „Zwei Dinge vertragen sich nicht: tätiges Hervorbringen und beschauliches Gegenüberstellen. Das weiß schon das erste Buch Moses. An den ersten sechs Welttagen läßt es Gott die Welt hervorbringen, und erst als sie da ist, ist die Möglichkeit vorhanden, sie zu beschauen: «Und Gott sahe an alles, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut.» So ist es auch mit unserem Denken. Es muß erst da sein, wenn wir es beobachten wollen“ So heißt es in der Zweitauflage von 1918. Und dasselbe auch auch in der ersten Erstauflage von 1894 im Kapitel IV, S. 39 f. Nun ist das Denken nicht nur der nachträglich begreifenden, gegenüberstellenden Beobachtung zugänglich, sondern selbstverständlich auch der unmittelbaren Erfahrung. Auch das bereits in den Grundlinien … von 1886. Dort im Kapitel 8., hier S. 44 f. Vorgebracht dort mit den Worten: „Tritt nun das Denken wirklich in einer Weise an uns heran, wird es unserer Individualität so bewußt, daß wir mit vollem Rechte die oben hervorgehobenen Merkmale für dasselbe in Anspruch nehmen dürfen? Jedermann, der seine Aufmerksamkeit auf diesen Punkt richtet, wird finden, daß ein wesentlicher Unterschied zwischen der Art besteht, wie eine äußere Erscheinung der sinnenfälligen Wirklichkeit, ja selbst wie ein anderer Vorgang unseres Geisteslebens bewußt wird, und jener, wie wir unser eigenes Denken gewahr werden. Im ersten Falle sind wir uns bestimmt bewußt, daß wir einem fertigen Dinge gegenübertreten; fertig nämlich insoweit, als es Erscheinung geworden ist, ohne daß wir auf dieses Werden einen bestimmenden Einfluß ausgeübt haben. Anders ist das beim Denken. Das erscheint nur für den ersten Augenblick der übrigen Erfahrung gleich. Wenn wir irgend einen Gedanken fassen, so wissen wir, bei aller Unmittelbarkeit, mit der er in unser Bewußtsein eintritt, daß wir mit seiner Entstehungsweise innig verknüpft sind. Wenn ich irgend einen Einfall habe, der mir ganz plötzlich gekommen ist und dessen Auftreten daher in gewisser Hinsicht ganz dem eines äußeren Ereignisses gleichkommt, das mir Augen und Ohren erst vermitteln müssen: so weiß ich doch immerhin, daß das Feld, auf dem dieser Gedanke zur Erscheinung kommt, mein Bewußtsein ist; ich weiß, daß meine Tätigkeit erst in Anspruch genommen werden muß, um den Einfall zur Tatsache werden zu lassen. Bei jedem äußeren Objekt bin ich gewiß, daß es meinen Sinnen zunächst nur seine Außenseite zuwendet; beim Gedanken weiß ich genau, daß das, was er mir zuwendet, zugleich sein Alles ist, daß er als in sich vollendete Ganzheit in mein Bewußtsein eintritt. Die äußeren Triebkräfte, die wir bei einem Sinnenobjekte stets voraussetzen müssen, sind beim Gedanken nicht vorhanden. Sie sind es ja, denen wir es zuschreiben müssen, daß uns die Sinneserscheinung als etwas Fertiges entgegentritt; ihnen müssen wir das Werden derselben zurechnen. Beim Gedanken bin ich mir klar, daß jenes Werden ohne meine Tätigkeit nicht möglich ist. Ich muß den Gedanken durcharbeiten, muß seinen Inhalt nachschaffen, muß ihn innerlich durchleben bis in seine kleinsten Teile, wenn er überhaupt irgendwelche Bedeutung für mich haben soll.“ - Damit haben wir einen relativ langen und hoch interessanten Sachverhalt vor uns. Der Gedanke zeigt «sein Alles». Weil wir es hier «nicht mit unzugänglichen äußeren Triebkräften zu tun haben, sondern mit der erlebten eigenen Tätigkeit», die ihn erst zur Erscheinung bringt. Wir haben demnach beim Denken Wirkendes und Bewirktes unmittelbar im Bewußtsein vorliegen. Was bei keiner einzigen «äußeren» Tatsache der Welt der Fall ist. Es ist dies der Grund, warum laut Steiner das Denken bereits in unmittelbarer Erfahrung sein Wesen enthält, wie er rückblickend dann im Kap 15, S. 86 der Grundlinien … eigens noch einmal anführt: „Wir erinnern uns, warum eigentlich das Denken in unmittelbarer Erfahrung bereits sein Wesen enthält. Weil wir innerhalb, nicht außerhalb jenes Prozesses stehen, der aus den einzelnen Gedankenelementen Gedankenverbindungen schafft. Dadurch ist uns nicht allein der vollendete Prozeß, das Bewirkte gegeben, sondern das Wirkende.“ Das alles sollte man im Auge behalten angesichts Steiners oben erwähnter kritisch abgrenzender Bemerkung zu Hegel, daß es ihm (Steiner) vornehmlich darum gehe, den Prozeß ins Auge zu fassen, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden. In diesem Prozeß wiederum, - und das ist jetzt die naturwissenschaftliche Dimension des Erkenntnisproblems, - liegt ein erlebter Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem vor, der in der Ausprägung eines Kausalzusammenhanges, der ja ebenfalls ein Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem ist, eine endlose Herausforderung der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung darstellte, wie Steiners Hinweis auf Kant und die Dogmatismen von Offenbarung und Erfahrung im Kapitel 14 der Grundlinien … zeigt. Die «an die Sache nie herankommen», wie es bei Steiner heißt (hier S. 82). So schreibt er dort: „Fassen wir einmal streng ins Auge, wie eine Behauptung der Wissenschaft zustande kommen kann. Sie verbindet zwei Dinge: entweder einen Begriff mit einer Wahrnehmung oder zwei Begriffe. Von letzterer Art ist z. B. Die Behauptung: Keine Wirkung ohne Ursache. Es können nun die sachlichen Gründe, warum die beiden Begriffe zusammenfließen, jenseits dessen liegen, was sie selbst enthalten, was mir daher auch allein gegeben ist. Ich mag dann noch immerhin irgend welche formelle Gründe haben (Widerspruchslosigkeit, bestimmte Axiome), welche mich auf eine bestimmte Gedankenverbindung leiten. Auf die Sache selbst aber haben diese keinen Einfluß. Die Behauptung stützt sich auf etwas, das ich sachlich nie erreichen kann. Es ist für mich daher eine wirkliche Einsicht in die Sache nicht möglich; ich weiß nur als Außenstehender von derselben. Hier ist das, was die Behauptung ausdrückt, in einer mir unbekannten Welt; die Behauptung allein in der meinigen. Dies ist der Charakter des Dogmas. Es gibt ein zweifaches Dogma. Das Dogma der Offenbarung und jenes der Erfahrung. Das erstere überliefert dem Menschen auf irgendwelche Weise Wahrheiten über Dinge, die seinem Gesichtskreise entzogen sind. Er hat keine Einsicht in die Welt, der die Behauptungen entspringen. Er muß an die Wahrheit derselben glauben, er kann an die Gründe nicht herankommen. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Dogma der Erfahrung. Ist jemand der Ansicht, daß man bei der bloßen, reinen Erfahrung stehen bleiben soll und nur deren Veränderungen beobachten kann, ohne zu den bewirkenden Kräften vorzudringen, so stellt er ebenfalls über die Welt Behauptungen auf, zu deren Gründen er keinen Zugang hat. Auch hier ist die Wahrheit nicht durch Einsicht in die innere Wirksamkeit der Sache gewonnen, sondern sie ist von einem der Sache selbst Äußerlichen aufgedrängt.“ - So Steiner im Kap. 14, und macht dabei gleich mit deutlich, daß es ihm dabei zugleich um die «bewirkenden Kräfte» geht, deren Erkenntnis anzustreben ist. Deren Erkenntnis aber ist in beiden dargelegten Formen des Dogmatismus ausgeschlossen. Mit Kant ist bei der Kausalerkenntnis also empirisch nichts zu holen, lautet sein Fazit. Weil er mit seinen Mitteln an die Sache nicht herankommt. Nicht herankommt an den Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem repektive an die «bewirkenden Kräfte». Was ja auch Kants persönlicher Auffassung entsprach wie Sie besonders prägnant seinen Prolegomena schon in der Vorrede (ab S. 6) entnehmen können. Das Erkennen und Erleben von wirkenden Kräften aber ist allein möglich bei der erlebten Erkenntnis des Denkens. Weil da laut Steiner bereits dieser Zusammenhang in der unmittelbaren Erfahrung vorliegt. Daß Steiner bei der im Kapitel 14 der Grundlinien … schon angedeuteten kantianistischen Misere der empirischen Naturwissenschaft dann in der 1894 nachfolgenden Philosophie der Freiheit die Beobachtung des Denkens zur Allerwichtigsten erklärt, die der Mensch machen kann, versteht sich angesichts der 1886 am Beispiel Kants behandelten empirischen Zwangslage mit ihrem Erklärungsnotstand des kritischen / skeptischen Empirismus weitgehend von selbst. Denn die «allerwichtigste Beobachtung» aus der Philosophie der Freiheit rekurriert ganz explizit auf den erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem im Denken. Etwas, was Kant als erklärter Metaphysiker der Naturwissenschaft zusammen mit Hume niemals fand. Als Ergänzung dazu noch der Hinweis, daß Steiner bereits in der frühen Auseinandersetzung mit Eduard von Hartmann (1887) von der «verursachenden Idee» spricht. Und damit im Zusammenhang den menschlichen Willen als «Idee» bezeichnet, „diese als Kraft aufgefaßt.“ (GA-1, Dornach, 1987, S. 196 ff). Ein Analogon dazu findet sich wiederum im später skizzierten anthroposophischen Schulungsweg, wo Steiner anlässlich der Gedankenübung von einer «Willenswirklichkeit» spricht, die «ihre Wirklichkeit in sich selbst trägt». (GA-35, S. 276 f) Für einen Ideenrealisten wie Steiner, für den die gesamte Natur einen organisierten Weisheitszusammenhang der «umfassenden Idee» darstellt, ist es natürlich naheliegend, die wirkenden Kräfte (Ideen) der Welt und ihres «Urgrundes» zuallererst mit ihrer Wirksamkeit in Form kraftender und wirkender Ideen im eigenen Denken zu suchen; - dort wo auch Ideen unmittelbar erlebbar schöpferisch hevorgebracht werden. Und dieses ideenrealistisch-naturwissenschaftliche Forschungsziel läßt sich bei Steiner von Anfang an eindeutig belegen. Insbesondere natürlich in den Grundlinien … von 1886. Ganz unmissverständlich dort ausgesprochen schon im Kapitel 8 mit seiner Aussage von der Denktätigkeit als «tätigem Gedankengehalt der Welt». (GA-2, S. 46 ff) Nun, Dogmatiker von Offenbarung und / oder Erfahrung sind neben Metaphysikern unter den Wissenschaftsphilosophen wie Kant auch alle naturwissenschaftlichen Physikalisten, weil sie «nie an die Sache herankommen», wenn sie einen Kausalzusammenhang behaupten, ohne eine wirkliche Einsicht in die sachlichen Gründe dieses Zusammenhangs zu haben. Und dann auf Kant oder Hume und deren gegenwärtige Abkömmlinge in Begründungsfragen setzen. - Was Steiner in jenem Kapitel 14 der Grundlinien… darlegte, gilt heute noch ganz genau so. Insofern ist es naturwissenschaftlich und werkgenetisch von besonderer Tragweite, wenn Steiner bei der Beobachtung des Denkens schon 1886 einen «erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» geltend macht, und davon 1897 in Goethes Weltanschauung (hier S. 70) schreibt, daß «der Beobachter des Denkens das Weltgeschehen durchschaut». Insofern muß man sich über das vorrangig induktiv naturwissenschaftliche Anliegen von Steiners früher Erkenntniswissenschaft, das in allen seinen damaligen Begründungswerken regelrecht in die Augen springt, wirklich nicht mehr streiten. Es geht in diesen Begründungsschriften um den empirischen Naturforschungs-Zugang zu einer Geist-Natur, wie er es in Anlehnung an Goethes Essay Die Natur im zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit ebenfalls formulierte. Was hinreichend verdeutlicht, dass der unmittelbar erlebte Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem, wie er von Steiner betont wird, von ausserordentlicher Bedeutung für die empirisch-naturwissenschaftliche Welterklärung ist. Weil er anderswo eben nicht zu erleben ist. Was wiederum verständlich macht, daß der Mensch als komplementärer Naturforscher laut Goethes Weltanschauung «bei der Beobachtung des Denkens das Weltgeschehen durchschaut», wie es 1897 (S. 70) hieß. Weil er bei der Beobachtung des Denkens eine unmittelbare Einsicht nicht nur in die logischen Verhältnisse, sondern, und das gilt ja für den Naturwissenschaftler vor allen Dingen und mit Vorrang: Vor allem in den Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem hat. Mit der Logik allein und ihren Prinzipen, das zeigt Steiners Kapitel 14 der Grundlinien …, kommt man beim Verständnis von Naturwirksamkeiten nicht weit. Dann kann man mit Kant auch gleich wie hier S. 6 ff Metaphysiker der Naturwissenschaft bleiben, ohne irgend etwas zu ihrem wirklichen empirischen Verständnis beitragen zu können. Und wie Kant mit seinen raffinierten logischen Zaubereien damit dann ganz zwangsläufig beim Irrealismus eines unerkennbaren Dinges an sich enden. - Den Prozeß des Denkens und ebenso sein Resultat, den Gedankeninhalt, habe ich in unmittelbarer Erfahrung vorliegen. - So Steiner bereits 1886 auf S. 56 der Grundlinien … . «Wir stehen innerhalb, nicht außerhalb jenes Prozesses, der aus den einzelnen Gedankenelementen Gedankenverbindungen schafft. Und infolgedessen ist uns nicht allein der vollendete Prozeß, das Bewirkte gegeben, sondern auch das Wirkende.» Eine Feststellung im Kapitel 15, die wahrlich nicht ganz zufällig gleich dem Kapitel mit der kritischen Betrachtung zu Kants Kausalitätsproblem und den beiden Dogmatismen nachfolgt. Diese Sachlage vom «erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» firmiert später in der Philosophie der Freiheit (hier S. 181, oder alternativ hier, S. 256) auch unter dem Terminus «intuitiv erlebtes Denken», als einer «Wahrnehmung, in der der Wahrnehmende selbst tätig ist. Und einer Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenommen wird.» Dort zwar in den Zusätzen von 1918 platziert, aber der Sache nach längst schon, wie der Leser sieht, in den Grundlinien … von 1886 vorhanden unter dem Stichwort «erlebter Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem.» Was 1886 bereits in den Grundlinien … zu lesen war, das wird dort in den Zusätzen von 1918 noch einmal aufgenommen und zusätzlich bekräftigt. - Man kann das gar nicht oft genug wiederholen wenn es um die Frage der Beobachtung des Denkens bei Steiner geht. Denn es wird schon 1886 klipp und klar gesagt, daß der Tätigkeitsprozeß des Denkens natürlich ebenfalls in der unmittelbaren Erfahrung als «Wirkendes» vorliegt und nicht nur das von ihm «Bewirkte». Was ja in Wahrheit und Wissenschaft im Kapitel IV hier S. 37 ausdrücklich noch einmal und neuerlich im Rückgriff und im Zusammenhang mit dem Begriff der Kausalität wiederholt wird. Desgleichen in der Philosophie der Freiheit. Und 1897 dann noch einmal in aller Dringlichkeit und Prägnanz in der Schrift Goethes Weltanschauung im Kapitel Die Metamorphose der Welterscheinungen (hier in der Erstauflage von 1897, S. 70; in der GA-06 von 1990 auf S. 85 ff). Wenn Sie sich jetzt noch einmal Steiners Auseinandersetzung mit dem Kausalitätsproblem Kants im Kapitel 14 S. 81 ff der Grundlinien … ansehen, dann wird Ihnen wie gesagt einiges noch weit klarer werden, was Steiner mit dem erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem und der Beobachtung des Denkens mit Blick auf das Weltgeschehen alles verbindet. Eine weit ausführlichere Betrachtung dazu finden Sie wie gesagt in meiner längeren Studie, Bildende Kräfte und Rudolf Steiners Philosophie der Freiheit, die der Frage der inneren Kausalität im Zusammenhang mit der Beobachtung des Denkens ausgedehnt auch philosophiegeschichtlich und im Zusammenhang mit dem Kausalitätsproblem von Hume und Kant nachgeht. Hier im vorliegenden Kapitel würde uns das jetzt zu weit führen. Weswegen ich hier 2022 nur einiges ergänze, was mir zur Präzisierung des seit circa 10 Jahren hier vorliegenden Kapitels sehr wichtig erschien. - Das Denken wird demnach, wenn man bei Steiners Ausdrucksweise bleibt, vom Denken "gesehen". In diese Richtung zielt auch sein Hinweis von Kap. IX, hier, S. 101 der Philosophie der Freiheit: "Im Betrachten des Denkens selbst fallen in eines zusammen, was sonst immer getrennt auftreten muß: Begriff und Wahrnehmung." Der unmittelbar vorangehende sachliche Kontext des Zitats ist der Frage gewidmet, womit oder wodurch das Denken zu erklären sei. Das Denken, so Steiner auf könne "unmittelbar angeschaut" werden und weist hirnphysiologische Erklärungen ebenso zurück wie Ansätze, die das Denken auf unbewußte Vorgänge zurückführen wollen. Das Zusammenfallen von Wahrnehmung und Begriff steht hier also im Konnex mit der Selbsterklärung beziehungsweise Erkenntnis des Denkens und bedeutet, daß der beschreibende Begriff, der mir bei der Beobachtung des Denkens aufgeht, gleichzusetzen ist mit der Anschauung des Denkens. Das Denken kann also nur durch Begriffe «angeschaut» oder «gesehen» werden. Oder wenn wir noch präziser sein wollen: begriffen werden! Denn darum geht es ja im vorliegenden Fall. Und zwar auf einer rein deskriptiven Ebene. Und wie es zum Begreifen bei Steiner allgemein notwendig ist, gehört dazu auch die Wahrnehmung der individuellen begreifenden Denktätigkeit, ohne welche das Denken gar nicht zu begreifen ist. Schon gar nicht induktiv auf empirischen Wege. Letzteres sage ich in ausdrücklicher Abgrenzung von Herbert Witzenmann, der im Kapitel Intuition und Beobachtung im gleichnamigen Band Nr. 1, Stuttgart 1977 auf S. 83 in der Anmerkung 83 seinem Leser erklärt: „Das Denken kann nicht, wie es die materialistischen Denker anstreben, »durch einen bloßen Beobachtungsprozeß« in derselben Art wie die anderen Gegenstände des Weltinhaltes gefunden werden. Vielmehr entzieht es sich der »normalen Beobachtung« und ist nur einem »Ausnahmezustand« des Beobachtens, nämlich der Intuition zugänglich.“ Was in mehrfacher Hinsicht irreführend ist. Zum einen, weil der von Steiner genannte «Ausnahmezustand» in der «gegenüberstellenden Betrachtung von Erfahrungen des Denkens» besteht, wie wir oben schon anläßlich von Steiners Grundlinien… erläutert haben. Diese gegenüberstellende Betrachtung findet sich auch in der Philosophie der Freiheit, wie wir sahen im dritten Kapitel. Und ein «Ausnahmezustand» ist das insofern, weil er etwas ungewöhnlich ist, und sich das Denken normalerweise eben nicht den eigenen Denkerfahrungen gegenüberstellt, um sie in Erkenntnisabsicht zu beobachten / zu betrachten. Steiner macht gar kein geheimnisvolles Gewese darum, sondern spricht Kap. III, hier S. 25 lediglich von «einer Art Ausnahmezustand», weil wir normalerweise nicht über unser Denken mit Erkenntnisabsicht nachdenken. Zum anderen ist Witzenmann da irreführend, weil natürlich die Erkenntnis von Wahrnehmungen jeglicher Art, seien sie äußerer oder innerer oder geistiger Natur, nur auf dem Wege des reinen Denkens und der Begriffsbildung via Intuitionen möglich ist, wie Steiner im Kapitel V. der Philosophie der Freiheit anlässlich der Einführung des Intuitionsbegriffs ausdrücklich hervorhebt. Siehe hier S. 65 ff. Alternativ GA-4, Dornach 1995, S. 94 ff: “Wir stehen einem beobachteten Dinge der Welt so lange fremd gegenüber, so lange wir in unserem Innern nicht die entsprechende Intuition haben, die uns das in der Wahrnehmung fehlende Stück der Wirklichkeit ergänzt. Wer nicht die Fähigkeit hat, die den Dingen entsprechenden Intuitionen zu finden, dem bleibt die volle Wirklichkeit verschlossen.“ Was gleichermaßen für äußere Wahrnehmungen gilt, als auch für innere und geistige. Denn, wie Steiner in Kap. VII schreibt: „Man wird aus dem schon Vorangehenden, aber noch mehr aus dem später Ausgeführten ersehen, daß hier alles sinnlich und geistig an den Menschen Herantretende als Wahrnehmung aufgefaßt wird, bevor es von dem tätig erarbeiteten Begriff erfaßt ist.“ Kap. VII, hier S. 94. Ein Sachverhalt der in den Zusätzen von 1918 eigens noch einmal bekräftigt wird durch Steiners Bemerkung über das «intuitiv erlebte Denken», „dem rein geistig erlebbaren intuitiven Denken, durch das eine jegliche Wahrnehmung in die Wirklichkeit erkennend hineingestellt wird.“ (Zweiter Zusatz von 1918 im Kapitel Die Konsequenzen des Monismus, hier S. 180.) Eine jegliche Wahrnehmung wird durch dieses intuitiv erlebte Denken in die Wirklichkeit erkennend hinein gestellt, - was selbstredend auch für die Erkenntnis des eigenen Denkens gilt. Aber auch für die Erkenntnis von Schnecken und Löwen, die nun einmal in das Feld von «jeglichen Wahrnehmungen» hinein gehören. Ohne Intuition gibt es keine reinen Begriffe bei Steiner und ebenso auch keinerlei Erkenntnis, die ja in der Zusammenführung von Wahrnehmungen und intuitiv gewonnenen reinen Begriffen besteht. Die Intuition ist folglich auch kein Alleinstellungsmerkmal für die Erkenntnis des Denkens, sondern sie ist vielmehr zu jeder Erkenntnis erforderlich, wie eben deutlich wurde. Damit von der anderen Seite gesehen: Auch für die Erkenntnis des Denkens gilt, daß sie in der Zusammenführung von Wahrnehmung und Begriff besteht. Und wer keine Wahrnehmungen seines tätigen Denkens hat, wie ganz explizit Herr Witzenmann, der kann dort auch nichts erkennend zusammenführen. Deswegen war natürlich auch Bühlers Frage nach den Wahrnehmungen des Denkens so wichtig – auch für Anthroposophen. Die Intuition ist es also nicht, die exklusiv nur bei einer Erkenntnis des eigenen Denkens infrage kommt, weil die Intuition für jede Erkenntnis benötigt wird. Was dagegen für die Erkenntnis des Denkens in besonderer Weise bei seiner Beobachtung in Betracht kommt, ist die Tatsache, daß dabei Wahrnehmung und Begriff zusammenfallen. Insofern nämlich, als der Denker nicht nur einen Begriff das eigene Denken betreffend tätig erarbeitet, sondern zugleich bei der tätigen Begriffserarbeitung den eigenen beobachtenden tätigen Denkprozeß, - das Wirkende, - auch unmittelbar als tätig erlebt - «ihn wahrnimmt». Was bei keiner einzigen äußeren Wahrnehmung jemals der Fall ist. Sie können so viel über vegetative schöpferische Prozesse und Kräfte in Blumen und Bäumen nachdenken wie Sie wollen. Die Pflanzen beobachten, so viel Sie wollen. Die wirkenden Kräfte in diesen Pflanzen erleben Sie nicht unmittelbar, sondern sie bleiben Ihnen ein Äußeres, wie Steiner schon in den Grundlinien …, Kap. 8 (hier S. 48 f) und besonders markant dann in Goethes Weltanschauung (hier S. 67-70) noch einmal hervorhebt. Was für alle übrigen Kräfte in gleicher Weise gilt. Der Mensch erlebt (schöpferische) Kräfte hingegen beim eigenen Denken und seiner Beobachtung unmittelbar. Weswegen man bei der Beobachtung des Denkens auch «das Weltgeschehen durchschaut», wie es an der betreffenden Stelle in Goethes Weltanschauung heißt. Weil man dabei die wirkenden Kräfte während der Beobachtung in Wahrnehmungsform auch unmittelbar erleben kann. Und insofern fallen Wahrnehmung und Begriff dort zusammen: - Die eigene Denkaktivität des beobachtenden Denkens als Wahrnehmung des Wirkenden. Und das Erkenntnisresultat dieses erkennenden Denkens als Bewirktes. Was Steiner wie gesagt eigens noch einmal in seiner Schrift Goethes Weltanschauung von 1897 auf S. 70 hervorhebt. Was, wie wir sahen, aber bereits 1886 zum fundamentalen Bestand der Grundlinien … gehörte. Nur beim Denken wird der Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem unmittelbar erlebt, wie es bereits in den Grundlinien … von 1886 hieß. Und das ist das entscheidende Alleinstellungsmerkmal bei der Erkenntnis des eigenen Denkens. Daß Wirkendes (der erlebte beobachtende Denkprozeß) und Bewirktes (der dabei erarbeitete und erkannte Begriff respektive die Erkenntnis) in ihrem Zusammenhang unmittelbar erlebt werden. Und das Weltgeschehen insofern auch durchschaut wird, weil hier ein schöpferischer «Naturprozeß» unmittelbar erlebt und erkannt wurde. Oder wie Steiner es ebenfalls in Goethes Weltanschauung (S. 69) in diesem Zusammenhang in kritischer Anlehnung an Goethes ausdrücklichen Verzicht auf die Beobachtung des Denkens skizziert: „Aber so wie die schöpferischen Naturkräfte «nach tausendfältigen Pflanzen» noch eine machen, worin «alle übrigen enthalten» sind, so bringen sie auch nach tausendfältigen Ideen noch eine hervor, worin die ganze Ideenwelt enthalten ist. Und diese Idee erfaßt der Mensch, wenn er zu der Anschauung der andern Dinge und Vorgänge auch diejenige des Denkens fügt.“ Die Intuition ist wie gesagt in allen Fällen von «Sinneserwahrnehmungen», äußeren wie inneren und geistigen, erforderlich, über die zur gegebenen Wahrnehmung der ergänzende Begriff hinzugefügt wird. Das eigene erlebte / wahrgenommene Denken macht dabei keine Ausnahme. Nur ist dieser Zusammenhang bei Witzenmann völlig verloren gegangen und abgeschafft worden, weil er meinte, von seiner Denktätigkeit kein unmittelbares Bewußtsein, - keine unmittelbare Wahrnehmung, - zu haben. Das auf der Basis eines ganz unverstandenen Beobachtungsbegriffs. Weswegen er in seiner Schrift Goethes universalästhetischer Impuls, Dornach 1987, (S. 356, S. 386, S. 397) die im Zusammenhang mit Steiners Frühschriften vollkommen absurde Frage, «Wie Unbeobachtbares zur Erinnerung werden kann?» zur «erkenntnistheoretischen Grundfrage» erklärte. Womit er jede gedankliche Verbindung mit Steiner und dessen erkenntniswissenschaftlichen Intentionen nachweislich abgeschnitten hat. Wie bereits gesagt, ohne jede weitere klärende Untersuchung des problematischen Sachverhalts an Steiners restlichen (Früh)-Werken. Was bis zur finalen Strukturphänomenologie Witzenmanns auch so bleiben wird, die von Witzenmanns Schülern vielfach hoch und heilig gehalten wird. Der Mann hat in Wirklichkeit gar nichts begriffen von dem, worum es Steiner mit seiner «inneren Naturwissenschaft» geht, und wie er das einlöst. Witzenmanns Anhängern geht es damit bis heute in genau gleicher Weise. Wohingegen Steiner in sämtlichen Begründungsschriften das genaue Gegenteil von dem darlegt, was Witzenmann darüber erzählt – nämlich die Bewußtheit des Denkprozesses in Form seiner unmittelbaren Erfahrung / Wahrnehmung. Respektive als «unmittelbare Gegebenheit» in Wahrheit und Wissenschaft, Kap. IV, S. 37: „Wir müssen uns vollständig klar darüber sein, dass wir dieses Hervorbringen in aller Unmittelbarkeit wieder gegeben haben müssen. Es dürfen nicht etwa Schlussfolgerungen nötig sein, um dasselbe zu erkennen.“ Oder eben als «erlebter Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» in den Grundlinien… . In der Philosophie der Freiheit war das also schon 1894 alles nichts Neues. - Werden wir abschließend in dieser Passage noch etwas konkreter und mit etwas Gegenwartsbezug durch ein bekanntes Beispiel. Die Tatsache, daß ich mich beim Denken nicht nach der Hirnphysiologie richte, sondern nach den Inhalten von Begriffen, ist an sich völlig trivial und leicht zu verifizieren. Der von Steiner diesbezüglich hergehobene Sachverhalt ist eine Erkenntnis über das Denken auf einer rein deskriptiven Ebene und an der unmittelbaren Erfahrung des Denkens gewonnen. Doch so trivial und einleuchtend er auch ist, gibt es genügend Blinde, die über die Farbe reden, weil sie nach wie vor glauben, dass es das Gehirn sei, welches denkt. Ohne einen einzigen Beweis an der unmittelbaren Erfahrung des Denkens dafür jemals vorlegen zu können. Das ist der regelmäßige Sachstand heute, wenn physikalistische Welterklärer und Ethiker mit unbelegbaren hirnphysiologischen Hypothesen und mit einem naturwissenschaftlichen Kausalitätsprinzip ganz rationalistisch über das Denken herfallen, von dem sie wegen ihrer Blindheit nicht die leiseste Vorstellung haben. «Der Rationalismus ... interpretiert in die Erscheinungswelt Ursachen und Zusammenhänge hinein, die nicht in derselben sind. Verliert damit den sicheren Boden unter seinen Füßen und verfällt der Willkür der Einbildungskraft und des subjektiven Einfalles.» So Steiner Goethe referierend dazu in GA-1, hier S. 188, anlässlich der Behandlung von Goethes «Urphänomen». Eine dogmatisch-fantastische Vorgehensweise, die er bereits im Kapitel 14 der Grundlinien … Kant vorgeworfen hatte, der «an die Sachen nie herankam» und an die Stelle der Tatsachen rationalitische Phantastereien setzte. Das geht im Prinzip seit mindestens Humes Zeiten schon so, und treibt zur Zeit unter dem globalfaschistischen und angeblich brillanten Vordenker des Herrn Schwab, Harari, auf einen nie dagewesenen totalitären Höhepunkt zu, wo ein materialistischer Blinder aus dem Weltwirtschaftsforum über die Farbe redet, gegen die menschliche Freiheit kämpft, und sich bei seinen menschenverachtenden ideologischen Exzessen auf die Naturwissenschaft, und unter anderem auf die Versuche von Libet beruft: „Geist ist für Harari in seinen ersten beiden Büchern etwas, das entsorgt werden sollte, zusammen mit Seele und Gott. Doch nun zeichnet sich ein Ernstnehmen von geistig-seelischen Phänomenen ab. Gleichwohl betrachtet Harari die Inhalte des Bewusstseinsflusses nach wie vor als reine Informationen und unterstellt, dass wir letztlich doch nur informationsverarbeitende Maschinen seien, die besser von maschinellen Algorithmen «gesteuert» werden sollten.“ So schreibt Gernot Böhme dazu in der neuen Züricher Zeitung vom 15.01.22. Begriffe wie Freiheit und Seele gehören für Harari entsorgt. Dass neben den von ihm vorgebrachten Algorithmen, die man dann gegen nutzlose Esser zur Anwendung bringt, vielleicht noch ganz andere Ideen im Kopf des Herrn Harari herum spuken, kann man einem längeren Hintergrundartikel über Transhumanismus und synthetische Spiritualität entnehmen. In solchen vorhersehbar perversen Exzessen des Materialismus, deren physiologische Wurzeln sich bereits in der physiologischen Psychologie seiner Zeit herausbildeten, lag auch ein engerer Anlass für Steiners Kapitel 14 in den Grundlinien… , wo er das Kausalitätsproblem zwar mit Blick auf Kant diskutiert. Doch dieser wiederum fußt in dieser Frage ganz explizit auf David Hume, wie Sie hier in Kants Prolegomena in der Vorrede S. 6 ff nachlesen können. Wonach Kausalität überhaupt nicht empirisch nachweisbar sei, weswegen wiederum Kant nach dieser Steilvorlage Humes die Flucht in die Metaphysik angetreten hat, wie er in den Prolegomena schreibt. Weder Kant noch Hume waren in Lage, Naturkausalität in der äußeren Natur empirisch zu finden, weil sie die «Natur» gar nicht kannten. Wohingegen wiederum Steiner in der Philosophie der Freiheit (Kap. II, hier S. 21) ausdrücklich betont: „Es kann nur ihr eigenes Wirken sein, das auch in uns lebt. ... Wir können die Natur außer uns nur finden, wenn wir sie in uns erst kennen.“ Das weist ganz unmissverständlich auf Steiners naturforschenden Weg nach innen, wie er ihn dort auch verfolgt hat. Wer nun aber nach dem Vorbild der Naturwissenschaft materialistische / hirnphysiologische Kausalität im menschlichen Denken rationalistisch geltend macht, aber gemäß Kant und Hume erkenntnistheoretisch Kausalität gar nicht empirisch belegen kann, und nachfolgend nur fantastische naturwissenschaftliche Hypothesen darüber und die Kausalbestimmtheit des menschlichen Denkens ausspinnt ohne auch letzteres zu kennen, der kann auch über Freiheitsfragen, das Menschenbild und künftige soziale Verhältnisse anhand einer pseudodarwinistischen Ethik und mit einem rationalistischen Kausalitätsprinzip bewaffnet nur fantastisch substanzloses und mörderisches Zeug ausspinnen. Wie es Steiner schon den Maschinendenkern des zeitgenössischen Sozialismus und Bolschewismus attestierte. Deren psychologische Hilfstruppen, wie etwa der physiologische Psychologe Theodor Ziehen, damals dieselbe Spur legten, der heute ein Herr Harari in seinen tödlichen transhumanistischen Phantastereien folgt, dem alles Menschliche völlig fern liegt. (Siehe Steiner etwa in GA-174, S. 298 ff; siehe dazu auch GA-174 b, Dornach 1994, S. 301 ff) Laut Steiner legte als namhafter zeitgenössischer Vordenker für den Bolschewismus Theodor Ziehen, seines Zeichens physiologischer Psychologe und ebenso Kant- und mehr noch Hume-Anhänger, damals mit diese Spur, wie sie heutzutage etwa Libet für den Primitiv-Darwinisten, Vulgär-Historiker, Techno-Phantasten und «Schwab-Berater» Harari legt, der mit großem Tamtam in die Öffentlichkeit gedrückt wird. An dieser lebensbedrohlichen Perspektive einer Menschheit, die «die Natur gar nicht kennt, da sie sie in sich selbst nie gefunden hat», hat sich seit Steiners Zeit nicht viel geändert, sondern seither noch erheblich verschärft, weil angeblich famose Geister über das Denken immer noch wie die Blinden über Farben reden, wie im ausgehenden 19. Jahrhundert schon. Und infolgedessen drauf und dran sind, die ganze Menschheit physikalistisch zu ruinieren. Wir stehen gegenwärtig buchstäblich mitten im menschlichen Überlebenskampf gegen Maschinendenker wie Schwab, Harari und ihresgleichen. (Siehe dazu auch Prof. Dr. Peter Cullen im Corona-Ausschuß Nr. 109 ab Std 3:05. ) - Und mit Blick auf die Erkenntnis von Denken und Freiheit ist diesbezüglich zu konstatieren: Von Herrn Witzenmann und dessen exegetischen Entgleisungen und philosophischen Verballhornungen Steiners ist dabei keinerlei Hilfe zu erwarten. Da ist in dieser Frage mit Witzenmanns «Erzeugungsproblem» und seiner «Paradoxie der Selbstgebung» aus der Strukturphänomenologie zur Rettung wirklich nichts zu holen. Ganz im Gegenteil. - Nun, was vor der eigentlichen Anschauung des Denkens durch empirisch gewonnene Begriffe aus innerer Beobachtung liegt, ist seine begriffslose "reine Erfahrung". Wer nichts über das Denken weiß, der kann zwar erfolgreich und bisweilen sehr brillant denken, hat aber auf der Ebene seines Begreifens nichts weiter als unbegriffene reine Erfahrungen davon. Und selbst das ist ihm als Tatsache in aller Regel alles andere als klar, so lange er sich nicht in den «Ausnahmezustand» der betrachtenden Gegenüberstellung begibt, um das Denken auch mittels des Denkens zu begreifen. Darauf beruht die sich selbst tragende Natur des Denkens, von der Steiner oben im Zusammenhang mit Hegel sprach, und bemerkte, daß diese sich selbst tragende Natur nicht einfach auf Begriffe und Ideen übertragen werden können, sondern nur für das Denken gilt, durch welches Begriffe und Ideen erst gewonnen werden. Man muß hinzufügen: Auch die moderne Physik kann sich natürlich nicht selbst tragen, sondern muß zugestehen, daß sie von ihrer Beobachtungsposition aus den unmittelbaren Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem niemals sicher feststellen wird, weil ihr die viel zu fern liegen. Die von ihr untersuchten äußeren Triebkräfte sind ihr schlechterdings nicht unmittelbar erreichbar, wie Steiner schon 1886 im Kapitel 8 und öfter schrieb. Diese Tatsache geht auch aus Steiners Auseinandersetzung mit Kants Kausalitätsproblem hervor, dem des Kapitel 14 der Grundlinien … gewidmet ist. Der einzige Ort, wo ein erlebter Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem sicher feststellbar ist, das ist laut Steiner das menschliche Denken. Was natürlich enorme Auswirkungen auf die Begründung der Naturwissenschaften haben muß. Man kann die äußere Natur nur finden, wenn man sie in sich erst kennt. Wie Steiner im zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit sagt. Was seinen Worten zufolge einschließt, dass man dort «mehr findet, als nur Ich». * Schauen wir uns jetzt im zweiten Durchgang sozusagen die Angelegenheit noch einmal etwas aus der Nähe an: Da Steiner auch in anderen Kontexten ein Zusammenfallen von Wahrnehmung und Begriff hervorhebt, und es hier beachtenswerte Differenzen gibt, sei der Klarstellung halber folgendes angemerkt: Leser, die mit Steiners philosophischen Grundschriften etwas vertraut sind, werden wissen, daß er dort dem Denken die Fähigkeit zuschreibt, Begriffe und Ideen wahrzunehmen - man könnte auch sagen: sie zu beobachten. Denn dahinter steht ja ebenfalls ein Erkenntnisinteresse, auf den spezifischen Charakter von Begriffen und Ideen hin orientiert. Jenen geistigen Wahrnehmungen die an den Menschen herantreten, und so lange als Wahrnehmung aufzufassen sind, bevor sie von dem tätig erarbeiteten Begriff erfaßt sind. Steiners Aussagen dazu sind so zahlreich, dass sie hier nicht alle angeführt werden können. Nur einige exemplarische Fälle: "Der Geist nimmt also den Gedankengehalt der Welt wahr, wie ein Auffassungsorgan. Es gibt nur einen Gedankeninhalt der Welt. Unser Bewußtsein ist nicht die Fähigkeit, Gedanken zu erzeugen und aufzubewahren, wie man so vielfach glaubt, sondern die Gedanken (Ideen) wahrzunehmen." (Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, GA-2, 2003, Kap. 13, S. 76 f) "Wer dem Denken seine über die Sinnesauffassung hinausgehende Wahrnehmungsfähigkeit zuerkennt, der muß ihm notgedrungen auch Objekte zuerkennen, die über die bloße sinnenfällige Wirklichkeit hinaus liegen. Die Objekte des Denkens sind aber die Ideen. Indem sich das Denken der Idee bemächtigt, verschmilzt es mit dem Urgrunde des Weltendaseins; das, was außen wirkt, tritt in den Geist des Menschen ein: er wird mit der objektiven Wirklichkeit auf ihrer höchsten Potenz eins. Das Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit ist die wahre Kommunion des Menschen. Das Denken hat den Ideen gegenüber dieselbe Bedeutung wie das Auge dem Lichte, das Ohr dem Ton gegenüber. Es ist Organ der Auffassung." (Einleitungen in Goethes Naturwissenschaftliche Schriften, GA-1, 1987, S. 125 f) "Das objektiv Gegebene deckt sich durchaus nicht mit dem sinnlich Gegebenen, wie die mechanische Weltauffassung glaubt. Das letztere ist nur die Hälfte des Gegebenen. Die andere Hälfte desselben sind die Ideen, die ebenso Gegenstand der Erfahrung sind, freilich einer höheren, deren Organ das Denken ist." (GA-1, 1987, S.125). "Der Ideengehalt der Welt ist auf sich selbst gebaut, in sich vollkommen. Wir erzeugen ihn nicht, wir suchen ihn nur zu erfassen. Das Denken erzeugt ihn nicht, sondern nimmt ihn wahr. Es ist nicht Produzent, sondern Organ der Auffassung." (GA-1, 1987, S. 164) „Das objektiv Gegebene deckt sich durchaus nicht mit dem sinnlich Gegebenen, wie die mechanische Weltauffassung glaubt. Das letztere ist nur die Hälfte des Gegebenen. Die andere Hälfte desselben sind die Ideen, die ebenso Gegenstand der Erfahrung sind, freilich einer höheren, deren Organ das Denken ist. Auch die Ideen sind für eine induktive Methode erreichbar.“ (GA-1, Dornach 1987, S. 126) Auch bei dieser ideellen Wahrnehmung fallen Wahrnehmung und Begriff zusammen, wie Steiner ausführt: "Im menschlichen Bewußtsein ist der Begriff selbst das Wahrnehmbare. Anschauung und Idee decken sich. Es ist eben das Ideelle, welches angeschaut wird." (GA-1, 1987, S. 284) Da scheint jetzt auch etwas zusammen zu fallen. Insofern, als sich Anschauung und Idee decken. Das Ideelle, Begriffliche ist bekanntlich bei Steiner ebenfalls ein «Wahrnehmungsgegenstand» für das menschliche Denken. In welchem Verhältnis steht jetzt dieses «sich Decken» von Wahrnehmung und Begriff zu jenem «Zusammenfallen», von dem in den Zusätzen der Philosophie der Freiheit von eingangs Kap. IX hier S. 101 die Rede ist?: “Im Betrachten des Denkens selbst fallen in eines zusammen, was sonst immer getrennt auftreten muß: Begriff und Wahrnehmung.“? Man könnte leicht zu der Auffassung gedrängt werden, es sei in all diesen oben aufgezählten Fällen jeweils vom selben Sachverhalt die Rede, wo der Begriff eben «wahrgenommen» wird. Das ist aber nicht der Fall. Das heißt: die Wahrnehmung oder Beobachtung von Begriffen und Ideen ist nicht per se dasselbe wie die Beobachtung des Denkens. Denn bei der Beobachtung des Denkens haben wir es vorrangig mit jenem begreifenden «Prozess zu tun, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden», um Steiners obige Differenz zu Hegel noch einmal aufzunehmen. Während es uns bei der Wahrnehmung von Begriffen und Ideen zunächst keineswegs vorrangig um den Prozeß geht, durch den sie erst gewonnen werden. Sondern Denkprozesse zielen vorrangig auf etwas Ideelles, Begriffliches. Der konkrete Prozeß des Denkens interessiert den Denker dabei in der Regel am allerwenigsten. Und wie Sie beim oben zitierten Karl Bühler, S. 297 lesen können, glaubten die meisten Philosophen und Psychologen seiner Zeit (um 1907 /08), dass es beim Denken ohnehin nichts zu erleben gab. Erst wenn der Denker sich in den oben behandelten «Ausnahmezustand» der gegenüberstellenden Betrachtung versetzt, was auch Bühler damals anhand von Versuchspersonen tat, wird der Prozeß des (eigenen) Denkens zum Thema und zum empirischen Untersuchungsgegenstand für ihn, wie es das dritte Kapitel der Philosophie der Freiheit darlegt. Womit Steiner seiner Zeit schon in den Grundlinien … von 1886 um rund 20 Jahre voraus voraus war. Es gibt in Steiners Frühschriften zwei Formen des Zusammenfallens von Wahrnehmung und Begriff, die man miteinander folgenreich verwechseln könnte. Nämlich dann, wenn man aus sprachlichen Gründen die eben zitierten «begrifflichen Wahrnehmungen» mit der «Wahrnehmung der Aktivität des Denkens» verwechselt, von der Steiner ebenfalls seit 1886 regelmäßig spricht. Und die er in der Ergänzung von 1918 zu Beginn des IX Kapitels der Philosophie der Freiheit im Zusammenhang mit der Beobachtung des Denkens dahingehend thematisiert, daß bei der Beobachtung des Denkens zusammenfällt, was sonst immer getrennt auftreten muß – nämlich Begriff und Wahrnehmung. Bei der Beobachtung des Denkens liegen diese dagegen ungetrennt vor. Nämlich die Wahrnehmung des Denkens und der Begriff des Denkens, der uns bei der Beobachtung des Denkens im Rahmen der Untersuchung aufgeht. Was eigentlich nicht schwer zu verstehen sein sollte, da der Denker ja bei der Beobachtung des Denkens sein beobachtendes Denken ebenfall erlebt, respektive wahrnimmt. Die Präzisierungen Steiners im IX Kapitel der Philosophie der Freiheit von 1918 fallen im Vergleich zu ihrer Erstauflage von 1894, – damals war es das X. Kapitel, - ganz besonders ins Auge. Während der Denker, der Begriffe und Ideen für sich beobachtet, natürlich ebenfalls von seiner Aktivität eine Wahrnehmung haben kann, denn ohne diese Aktivität würde er gar keine Begriffe wahrnehmend bilden können, wie es Steiner im Zusammenhang mit dem intuitiv erlebten Denken in den späteren Zusätzen noch einmal präzisierend formuliert (hier S. 181). Man kann sich den Unterschied zwischen einer rein ideellen Wahrnehmung und einer Wahrnehmung der Denk-Aktivität mit Blick auf das Zusammenfallen von Wahrnehmung und Begriff für`s erste auf folgendem Wege verdeutlichen: Jeder Denker, der dem Inhalt von Begriffen und Ideen nachspürt, nimmt sie nach Steiners Auffassung genau genommen wahr. Bei ihm kommen Wahrnehmung und Begriff in dem vorhin genannten Sinne zur Deckung, insofern Begriffe und Ideen eben «wahrgenommen» werden. Nur: - der Denker weiß in der Regel nichts davon. Er kann sein Leben lang weitläufig und gewissenhaft mit diesen Entitäten Umgang pflegen und kommt doch nie dahinter, daß er unabhängiges Ideelles wahrnimmt, sondern glaubt womöglich, es sei sein subjektives Erzeugnis, eine Konstruktion oder dergleichen. Vielleicht gar ein kausales Ereignis seiner Hirnphyiologie, wie damals und heute regelmäßig von den Materialisten behauptet wird. Und nicht eine eigenständige, auf seinen eigenen Gesetzen beruhende Wesenheit, die er da handhabt. Oder er ist vielleicht erst auf dem Wege zu dieser Einsicht, wie der renommierte britische Mathematiker, Physiker und Kosmologe Roger Penrose, der die von Steiner betonte Wahrnehmbarkeit zumindest für mathematische Ideen in seinem Buch Computerdenken (Heidelberg 1991, S 92 ff; S. 418) öffentlich anerkennt. Der Schritt Steiners über Penrose hinaus geht dahin, beispielsweise für die Idee der Freiheit dieselbe Eigenständigkeit einzuräumen, wie sie Penrose auf S. 93 für die Mandelbrot-Menge konzediert. 107b Der Beobachter von Begriffen und Ideen kann also den Inhalten dieser Entitäten erfolgreich nachgehen, ohne auch nur die geringste Ahnung davon zu haben, was er da eigentlich tut und in welchem Verhältnis diese Gegenstände zu ihm als Denker stehen, weil sein Erkenntnisinteresse restlos auf die Inhalte des Denkens hinorientiert ist und nicht auf die spezifischen Bedingungen oder Umstände ihres Daseins. Oder um Steiners Hegelbemerkung noch einmal präzisierend anzuführen: Nicht auf den Prozeß, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden. Nun ist eben laut den Zusätzen von 1918 zur Philosophie der Freiheit mit den darin enthaltenen Erweiterungen des Wahrnehmungsbegriffs im Kap. VII (hier S. 133; alternativ hier S. 94) die Sachlage die, „daß hier alles sinnlich und geistig an den Menschen Herantretende als Wahrnehmung aufgefaßt wird, bevor es von dem tätig erarbeiteten Begriff erfaßt ist.“ Jeder Begriff ist zugleich auch eine geistige Wahrnehmung. Was aus dieser Perspektive trivial, weil per definitionem selbstverständlich ist. Wer also «Begriffe und Ideen mit dem Denken wahrnimmt, wie das Auge das Licht», wie oben dargetan, der hat es laut Steiner mit geistigen «Wahrnehmungen» zu tun. Denn nichts anderes sind Begriff und Ideen, aus Steiners Sicht. Begriffe und Ideen, die an den Denker bewusstseinsphänomenologisch betrachtet als geistige Wahrnehmungen herantreten, «bevor sie vom tätig erfaßten Begriff erarbeitet worden sind». Der Begriff fällt zunächst dem Menschen seinem Inhalt nach als «Wahrnehmung» oder «reine Erfahrung» ins denkende Bewußtsein. Was dem gewöhnlichen Denker dabei natürlich nicht zugleich und unmittelbar neben dem Begriffsinhalt ins Bewußtsein fällt, ist der Wahrnehmungscharakter von Begriffen und Ideen, oder der Charakter seiner «Denktätigkeit als tätigem Gedankengehalt der Welt» und so weiter und so fort. Das muss er sich natürlich alles erst gesondert klar machen, wie jeder verstehen wird. Er muß also alles, was ihm über das tätige Denken zunächst als bloßer Begriffsinhalt bewußt wird, zum Gegenstand neuerlicher Denkarbeit machen, um zu weitergehenden Auffassungen darüber zu gelangen: Dass Begriffe und Ideen wiederum rezeptiv und doch tätig gewonnene «Wahrnehmungen» des Denkens sind und keine mechanistischen Ausschwitzungen des Hirns, muß ich mir schließlich auch erst klar machen auf dem Wege der empirischen Selbstbeobachtung meines Denkens. Dann kann ich dazu die entsprechenden empirischen Belege vorweisen. Wie ich mir ebenso erst klar machen muß, daß die menschliche Denktätigkeit der «kraftende Gedankengehalt der Welt» ist, wie es im Kap. 8 der Grundlinien … heißt. Oder dass „der menschliche Wille die «Idee selbst ist, diese als Kraft aufgefaßt», (Einleitungen Goethes Naturwissenschaftliche Schriften, hier S. XLV; alternativ hier in GA-1, Dornach 1987, S. 197) - Auf der einen Seite haben wir also den Wahrnehmungscharakter von Begriffen und Ideen bei Steiner ausgesprochen. Und insofern heißt es dann auch mit Recht: „Im menschlichen Bewußtsein ist der Begriff selbst das Wahrnehmbare. Anschauung und Idee decken sich. Es ist eben das Ideelle, welches angeschaut wird." (GA-1, 1987, S. 284) Hier fallen also Wahrnehmung (Anschauung) und Begriff zusammen, weil der Begriff selbst als eine geistige Wahrnehmungsgegebenheit betrachtet wird. Daß Wahrnehmung und Begriff zusammenfallen ist vor diesem Hintergrund selbstverständlich. Wie sollte es anders sein? Nun gibt es wie schon erwähnt bereits im Kapitel IV der Philosophie der Freiheit eine bemerkenswerte Klarstellung Steiners, die gegenüberstellende Betrachtung des Denkens betreffend. Insoweit, als er im Zusammenhang mit Hegel deutlich macht, daß es ihm (Steiner) nicht um Begriffe und Ideen geht, sondern um das Denken geht, durch welches Begriffe und Ideen erst gewonnen werden. Steiner geht erkenntnistheoretische bekanntlich ja nicht wie Hegel von Begriffen und Ideen aus, sondern vom Denken, durch welches Begriffe und Ideen erst gewonnen / wahrgenommen werden, wie er im Kapitel IV der Philosophie der Freiheit darlegt: „Ich muß einen besonderen Wert darauf legen, daß hier an dieser Stelle beachtet werde, daß ich als meinen Ausgangspunkt das Denken bezeichnet habe und nicht Begriffe und Ideen, die erst durch das Denken gewonnen werden. Diese setzen das Denken bereits voraus. Es kann daher, was ich in bezug auf die in sich selbst ruhende, durch nichts bestimmte Natur des Denkens gesagt habe, nicht einfach auf die Begriffe übertragen werden. (Ich bemerke das hier ausdrücklich, weil hier meine Differenz mit Hegel liegt. Dieser setzt den Begriff als Erstes und Ursprüngliches.)“ (hier S. 57 f ;alternativ hier S. 37). Bei der Beobachtung des Denkens geht es also nicht mehr darum, sich den Inhalt von Begriffen auf einer rein sematischen, logischen oder metaphysischen bzw. erkenntniswissenschaftlichen Ebene klar zu machen, sondern darum, sich die produktiv-schöpferischen Eigentümlichkeiten des Denkens selbst klarzumachen, durch welche Begriffe und Ideen erst gewonnen werden, wie Steiner kontrastierend zu Hegel ausführt. Wiederum kann „die in sich selbst ruhende, durch nichts bestimmte Natur des Denkens ... nicht einfach auf die Begriffe übertragen werden“, wie Steiner dort ausdrücklich bemerkt. Die in sich selbst ruhende Natur des Denkens liegt in der Selbsterklärungsfähigkeit jenes Prozesses, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden. Während Begriffe und Ideen als solche, so wie sie uns vorliegen, sich nicht selbst erklären können. Wie soll das auch gehen? - Sondern dabei von dem Prozess des Denkens abhängen, der sich selbst zu erklären vermag, und sie zur Erscheinung bringt. Wenn jetzt hier, bei der Beobachtung des Denkens, «Wahrnehmung und Begriff zusammenfallen», dann haben wir eine ganz andere Sachlage, als wenn wir nur Begriffe und Ideen als Wahrnehmungen betrachten. Denn wenn wir das Denken beobachten, dann beobachten wir insbesondere auch jenen Produktionsprozeß, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden, wie Steiner gegenüber Hegel geltend macht. Das hat natürlich auch Konsequenzen für Verständnis des Zusammenfallens von Begriff und Wahrnehmung bei der Beobachtung des Denkens. Es geht da nämlich nicht um sich selbst erklärende Begriffe und ihre Zusammenhänge, die sich laut Steiner aber gar nicht selbst erklären können, sondern um ein sich selbst erklärendes Denken. Also um jenen Produktionsprozeß, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden, wie es seitens Steiner gegenüber Hegel heißt. Dieser Produktionsprozeß, «durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden», soll sich jetzt selbst erklären. Und das geschieht erfolgreich, «weil Wahrnehmung und Begriff des Produktionsprozesses beim Betrachten des Denkens zusammenfallen». - Was heißt das jetzt wenn hier Wahrnehmung und Begriff zusammenfallen? - Es bedeutet, daß die Wahrnehmung und der Begriff jenes Produktionsprozesses zusammenfallen, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden. Das aber ist der Begriff des Denkens. Oder zurückhaltender und realistischer gesprochen: Dasjenige, was wir vom Denken jeweils begreifen, wenn wir die Erfahrungen des Denkens denkend betrachten. Hören wir noch einmal Steiner vom Beginn des Kapitels IX der Philosophie der Freiheit: „Der Begriff des Baumes ist für das Erkennen durch die Wahrnehmung des Baumes bedingt. Ich kann der bestimmten Wahrnehmung gegenüber nur einen ganz bestimmten Begriff aus dem allgemeinen Begriffssystem herausheben. Der Zusammenhang von Begriff und Wahrnehmung wird durch das Denken an der Wahrnehmung mittelbar und objektiv bestimmt Die Verbindung der Wahrnehmung mit ihrem Begriffe wird nach dem Wahrnehmungsakte erkannt; die Zusammengehörigkeit ist aber in der Sache selbst bestimmt. [] Anders stellt sich der Vorgang dar, wenn die Erkenntnis, wenn das in ihr auftretende Verhältnis des Menschen zur Welt betrachtet wird. In den vorangehenden Ausführungen ist der Versuch gemacht worden, zu zeigen, daß die Aufhellung dieses Verhältnisses durch eine auf dasselbe gehende unbefangene Beobachtung möglich ist. Ein richtiges Verständnis dieser Beobachtung kommt zu der Einsicht, daß das Denken als eine in sich beschlossene Wesenheit unmittelbar angeschaut werden kann. Wer nötig findet, zur Erklärung des Denkens als solchem etwas anderes herbeizuziehen, wie etwa physische Gehirnvorgänge, oder hinter dem beobachteten bewußten Denken liegende unbewußte geistige Vorgänge, der verkennt, was ihm die unbefangene Beobachtung des Denkens gibt. Wer das Denken beobachtet, lebt während der Beobachtung unmittelbar in einem geistigen, sich selbst tragenden Wesensweben darinnen. Ja, man kann sagen, wer die Wesenheit des Geistigen in der Gestalt, in der sie sich dem Menschen zunächst darbietet, erfassen will, kann dies in dem auf sich selbst beruhenden Denken. [] Im Betrachten des Denkens selbst fallen in eines zusammen, was sonst immer getrennt auftreten muß: Begriff und Wahrnehmung. Wer dies nicht durchschaut, der wird in an Wahrnehmungen erarbeiteten Begriffen nur schattenhafte Nachbildungen dieser Wahrnehmungen sehen können, und die Wahrnehmungen werden ihm die wahre Wirklichkeit vergegenwärtigen. Er wird auch eine metaphysische Welt nach dem Muster der wahrgenommenen Welt sich auferbauen; er wird diese Welt Atomenwelt, Willenswelt, unbewußte Geistwelt und so weiter nennen, je nach seiner Vorstellungsart. Und es wird ihm entgehen, daß er sich mit alledem nur eine metaphysische Welt hypothetisch nach dem Muster seiner Wahrnehmungswelt auferbaut hat. Wer aber durchschaut, was bezüglich des Denkens vorliegt, der wird erkennen, daß in der Wahrnehmung nur ein Teil der Wirklichkeit vorliegt und daß der andere zu ihr gehörige Teil, der sie erst als volle Wirklichkeit erscheinen läßt, in der denkenden Durchsetzung der Wahrnehmung erlebt wird. Er wird in demjenigen, das als Denken im Bewußtsein auftritt, nicht ein schattenhaftes Nachbild einer Wirklichkeit sehen, sondern eine auf sich ruhende geistige Wesenhaftigkeit. Und von dieser kann er sagen, daß sie ihm durch Intuition im Bewußtsein gegenwärtig wird. Intuition ist das im rein Geistigen verlaufende bewußte Erleben eines rein geistigen Inhaltes. Nur durch eine Intuition kann die Wesenheit des Denkens erfaßt werden.“ Vorläufiger Stand der Überarbeitung vom 27.04.22 Anthroposophischen Autoren scheint dies nicht immer hinreichend deutlich zu sein. Wenn Günter Röschert in seinem Buch (Anthroposophie als Aufklärung, München 1997, S. 41) mit Blick auf eine Textstelle des dritten Kapitels der Philosophie der Freiheit schreibt, das Denken sei "intim bekannt ohne Beobachtung", so ist diese Angabe sicherlich etwas irreführend oder zumindest nicht glücklich gewählt. Röschert schreibt dort : "Der wirklich herbeigeführte Ausnahmezustand macht aber mittelbar darauf aufmerksam, daß das Denken intim bekannt ist ohne Beobachtung, nämlich durch Intuition." Röschert verwechselt hier wie mancher andere Steinerinterpret das «Können» des Denkens mit seiner «intimen Bekanntheit». Und die Frage stellt sich in solchen Fällen natürlich, warum wir durch Beobachtung erst kennenlernen müssen, was angeblich längst intim bekannt ist. (Bei Jaap Sijmons stellt sich dieselbe Frage.) Ich meine das trifft in dem von Röschert genannten Sinne nicht zu. Die intime Bekanntheit kann gar nicht zutreffen, wenn er das Denken erst durch Beobachtung kennen lernen will, wie ausdrücklich ja im Kapitel Drei der Philosophie der Freiheit gesagt wird. Analoges gilt laut zeitgenössischen Denkpsychologen wie Bühler, die Vergleichbares berichten. (Siehe hier seine Untersuchung von 1907 f. Hier auch die Teile II und III bei Wilhelm Humerez) Weder für Steiners Begründungen selbst, noch für die zeitgenössische Denkpsychologie ist das Denken intim bekannt ohne Beobachtung. Wie gesagt: Nicht das Denken ist intim bekannt, sondern seine Inhalte! Und auch diese nur in ihrer bloßen Inhaltlichkeit, nicht aber in ihrem Verhältnis zum denktätigen Ich oder in sonstigen Eigenschaften, so daß von einer intimen Bekanntheit des Denkens gar keine Rede sein kann. Das selbe Mißverständnis scheint mir auch hinter einer Bemerkung Röscherts zu stecken, die er im Rahmen seiner Husemann-Kritik macht, wenn er dort schreibt, das heuristische Prinzip des sogenannten Ausnahmezustandes habe bei Steiner die Aufgabe, "auf die beobachtungsfrei mögliche Intuition des Denkens als Anschauung hinzuführen". (Siehe: Günter Röschert, Anthroposophische Gegenaufklärung, in Jahrbuch für anthroposophische Kritik, 2000, S. 176.) Auch hier soll nach Steiner angeblich das Denken beobachtungsfrei, durch Intuition angeschaut werden. - Nun Steiners «Ausnahmezustand» aus der Philosophie der Freiheit dient bei Steiner nur dem Begreifen des Denken, indem sich der Denker denkend den Erfahrungen seines Denkens gegenüberstellt. (Siehe dazu etwa unsere Studie hier ab S. 1206 ff.) Es scheint sich hier bei der Auffassung Röscherts um eines der hartnäckigsten Mißverständnisse von Anthroposophen bezüglich der Beobachtung des Denkens, beziehungsweise hinsichtlich der Interpretation des dritten Kapitels der Philosophie der Freiheit zu handeln. Bei Röschert wird wie gesagt die Bekanntheit der gedanklichen Inhalte (das unmittelbare Wissen im Sinne des dritten Kapitels der Philosophie der Freiheit, S. 44) mit der Bekanntheit des Denkens verwechselt. Bei Steiner heißt es auf S. 44 diesbezüglich: "Der Grund, der es uns unmöglich macht, das Denken in seinem jeweilig gegenwärtigen Verlauf zu beobachten, ist der gleiche wie der, der es uns unmittelbarer und intimer erkennen läßt als jeden andern Prozeß der Welt. Eben weil wir es selbst hervorbringen, kennen wir das Charakteristische seines Verlaufs, die Art, wie sich das dabei in Betracht kommende Geschehen vollzieht. Was in den übrigen Beobachtungssphären nur auf mittelbare Weise gefunden werden kann: der sachlich-entsprechende Zusammenhang und das Verhältnis der einzelnen Gegenstände, das wissen wir beim Denken auf ganz unmittelbare Weise. Warum für meine Beobachtung der Donner auf den Blitz folgt, weiß ich nicht ohne weiteres; warum mein Denken den Begriff Donner mit dem des Blitzes verbindet, weiß ich unmittelbar aus den Inhalten der beiden Begriffe." - Um das Denken zu können und zu wissen wie ich dabei verfahre, brauche ich es nicht zu beobachten, sondern ich kann es eben einfach. Und das ist ja für jeden denkenden Menschen der Normalzustand. (aktueller Stand 10.03.22) Steiner spricht an der von Günter Röschert angeführten Textstelle keineswegs davon, daß das Denken "intim bekannt sei ohne Beobachtung", sondern er sagt lediglich, daß wir das "Charakteristische seines Verlaufs" kennen - also einen ganz basalen, wesentlichen, typischen, aber vereinzelten Aspekt des Denkens, neben dem es eine endlose Zahl weiterer gibt, die wir noch nicht kennen. Es bedeutet nicht, daß wir damit schon über jedes denkpsychologische, bewußtseinsphänomenologische oder logische Detail des Denkverlaufs bescheid wissen. Ins Umgangssprachliche übersetzt: Wir wissen welche gedanklichen Wege zu beschreiten sind, um von einem Begriff zum nächsten zu kommen, wie es Steiner entsprechend am Beispiel von Blitz und Donner demonstriert. Diese Kenntnis des charakteristischen Denkverlaufs haben wir - und zwar notwendigerweise, denn sonst könnten wir gar nicht denken - "ganz unmittelbar" - das heißt: ohne vorangehende Beobachtung des Denkens. Läge sie nicht in dieser unmittelbaren Form vor, wir könnten sie der Beobachtung des Denkens ja niemals entnehmen, da wir dann eben auch über keine begrifflichen Inhalte verfügten. Noch einmal anders gewendet: Das Verfügen über begriffliche Inhalte überhaupt ist gleichbedeutend mit der Kenntnis der Gedankenwege, die bei ihrem Durchdenken zu gehen sind. Das Wissen um diese Inhalte ist dasselbe wie das Wissen um die Gedankenwege - oder wie Steiner sagt: den "charakteristischen Denkverlauf". Ein Begriff ist aus Steiners Perspektive zugleich eine mentale Handlungsanweisung, ein Verlaufsplan beziehungsweise eine Regel des Denkens. Und diese Kenntnis wiederum ist erst die Vorbedingung oder die Grundlage dazu, das Denken "intimer und unmittelbarer zu erkennen als jeden anderen Gegenstand". Von einer "intimen Bekanntheit" des Denkens ließe sich doch erst sprechen, wenn sich unser Wissen zumindest auf einen beträchtlichen Teil seiner noch unbekannten Seiten erstreckt. Also: - die Kenntnis der charakteristischen Seite des Denkverlaufs ist schon noch etwas anderes als eine "intime Bekanntheit des Denkens". Steiner zielt hier auf die unmittelbare Bekanntheit der gedanklichen Inhalte ab und das ursprüngliche - man könnte sagen: archaische - Wissen darum, was zu tun ist, um von Begriff A nach Begriff B zu kommen. Dieses Wissen ist so naturhaft-elementar, daß Schopenhauer der Auffassung war, es sei überhaupt sinnlos mit Hilfe der Logik richtiges Denken zu lernen oder jemandem beizubringen. Die Logik, schreibt er, sei "bloß das Wissen in abstracto dessen, was jeder in concreto weiß. Daher so wenig als man sie braucht, einem falschen Räsonnement nicht beizustimmen, so wenig ruft man ihre Regeln zu Hilfe, um ein richtiges zu machen, und selbst der gelehrteste Logiker setzt sie bei seinem wirklichen Denken ganz beiseite. ... Praktischen Gebrauch von der Logik machen wollen, hieße also das, was uns im einzelnen unmittelbar mit der größten Sicherheit bewußt ist, erst mit unsäglicher Mühe aus allgemeinen Regeln ableiten wollen: Es wäre gerade so, wie wenn man bei seinen Bewegungen erst die Mechanik und bei der Verdauung die Physiologie zu Rate ziehen wollte; und wer die Logik zu praktischen Zwecken erlernt, gleicht dem, der einen Biber zu seinem Bau abrichten will." (Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, Leipzig 1888, § 9, S. 53 f.) Richtig denken kann also im Prinzip jeder von Natur aus, weil er die Inhalte seiner Begriffe kennt. Deswegen ist er allerdings noch längst kein Logiker, der über die logischen Gesetze seines Denkens oder seine sonstigen Eigenschaften Auskunft geben könnte. Dieses natürlich-unmittelbare Wissen ist, um es noch einmal zu sagen, nach Steiner explizit erst die Voraussetzung dazu, um das Denken intimer zu erkennen als jeden anderen Gegenstand und nicht etwa schon die Erkenntnis selbst. Die Erkenntnis des Denkens hat erst noch stattzufinden. In einen vergleichbaren Fehlschluß wie Günter Röschert verfällt auch Jaap Sijmons in seiner anspruchsvollen Dissertation Phänomenologie und Idealismus, Utrecht 2004. Sijmons Arbeit könnte gleichermaßen Anlaß zur Bewunderung wie zur Verzweiflung sein. Zur Bewunderung wegen der enormen Fülle an Details, die er da so sorgsam und kenntnisreich zusammenträgt. Es ist nach meinem Verständnis eine der gediegendsten und ertragreichsten Arbeiten, die seit vielen Jahren zur Einbettung der Steinerschen Philosophie in ihren zeitgeschichtlichen philosophischen Kontext veröffentlicht wurde. Sie hat auf jeden Fall ihren Wert in sich, ganz unabhängig von der Kritik, die ich hier anbringe. Und zur Verzweiflung gibt sie Anlaß, weil offenkundig wird, daß auch das Anrufen aller Heiligen der Philosophiegeschichte kaum etwas nützt, das dritte Kapitel der Philosophie der Freiheit in seinem Kern - der Beobachtung des Denkens - und damit die entscheidende Verbindung zwischen Philosophie und Anthroposophie, aber auch die eigentliche Grundlage der Steinerschen Freiheitsphilosophie im sich selbst erkennenden und tragenden Denken zu begreifen. Gerade die beeindruckende Gründlichkeit, mit welcher der Autor vorgeht, rückt diese Tatsache in ein besonders grelles Licht. Es scheint manchmal so, als ob ihm durch die vorrangige Beschäftigung mit den Grundfragen der Philosophie die Sicht verstellt wird auf die einfachsten und alltäglichsten Tatbestände des gewöhnlichen Bewußtseins, von denen im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit ja die Rede ist. Manchen guten Faden hält er in der Hand, aber er bekommt sie noch nicht zusammen. Und am Ende haben sich die Dinge teilweise bis ins Absurde hinein verwickelt und verwirrt. Dazu nur ein Beispiel: Sijmons kommt ähnlich wie Günter Röschert auf S. 326 anhand der von Steiner betonten Tatsache, daß wir das Charakteristische des Denkverlaufs kennen, zu dem Schluß, das Denken sei "sich ... das best Bekannte überhaupt". Fügt dann hinzu: "Ohne dass wir das Denken kennten, gäbe es ja auch keine Erkenntnis (Denken) über etwas anderes. Wie sollte es nun unbekannt sein? Weil wir es hervorbringen, ist es uns bekannt." Das scheint bei diesem Text irgendwie naheliegend, aber es stimmt eben nicht, bzw. diese Interpretation greift daneben - und zwar gründlich. Der Autor setzt hier faktisch das Können des Denkens mit dem Kennen des Denkens gleich. Ein jeder, der denken kann, kennt auch das Denken, weil er es selbst hervorbringt. Und zwar unvergleichlich gut, sonst wäre es nicht das best Bekannte. Zudem wird hier die Bekanntheit des Denkens zur Voraussetzung von Erkenntnis überhaupt erhoben. Das heißt: Wer das Denken nicht erkannt hat, der erkennt auch nichts anderes. Und ich glaube, das alles liegt sehr weit abseits von dem, was Steiner in der Passage meint. Möglich, daß Sijmons selbst zwischen Bekanntheit und Erkenntnis des Denkens noch einmal differenziert. In der Philosophie wird ja gelegentlich etwas hintersinnig zwischen Kennen und Erkennen unterschieden. Ich sehe allerdings nicht, daß Steiners Erkenntnisbegriff Raum für eine solche Unterscheidung ließe. Man könnte vielleicht eine vereinzelte Passage Steiners aus dem Fichte-Kapitel von Wahrheit und Wissenschaft (S. 85) in diese Richtung deuten, vor dem Hintergrund, daß diese Schrift schon dem Titel und auch der Vorrede nach vorrangig dem wissenschaftlichen Erkennen gewidmet ist. So daß sich das vorwissenschaftlich Bekannte von einem wissenschaftlich Erkannten abgrenzen ließe. Wie sich das allerdings stringent Steiners Erkenntnistheorie eingliedern läßt, bleibt mir eine Frage. Denn was bekannt ist, muß in irgend einer Weise schon begrifflich durchdrungen sein, sonst wäre es nicht bekannt; und ein best Bekanntes gar muß dies mehr sein als alles andere sonst. Und in der Philosophie der Freiheit schließlich wird eine derartige explizite Fokussierung auf wissenschaftliches Erkennen - siehe die Vorrede von 1918 und das Ende von Kapitel II. - auch nicht mehr vorgenommen. Dort ist zwar die Untersuchungsmethode dem Geiste der Naturwissenschaft verpflichtet; untersucht aber wird das ganz alltägliche Bewußtsein "wie sich dasselbe stündlich darlebt." (S. 35) Bezogen auf die oben erwähnten begrifflichen Inhalte: Wer über Begriffe verfügt, und somit denken kann, der verfügt eben nur über Begriffe in ihrer inhaltlichen Form, aber er hat kein Metawissen über Begriffe, weil er sich damit noch nie gedanklich befaßt hat. Er kennt also keine Begriffe, - weiss nicht, was sie sind und welche allgemeinen Eigenschaften sie haben -, sondern er hat nur welche. Das ist ein entscheidender Unterschied, der in der Umgangssprache oft nivelliert wird. Und das läßt sich paradigmatisch auf alle Eigenarten des alltäglichen Denkens ausdehnen. Logische Gesetze z. B. kennt auch niemand, der sie nicht eigens studiert, obwohl jedes klare Denken eines logischen Laien sich daran orientiert. Steiner selbst ist in dieser Beziehung schriftstellerisch nicht gerade entgegenkommend, wenn er in sehr missverständlicher Weise vom bekannten charakteristischen Denkverlauf spricht. Den nämlich kennt auch nur jemand, der sich darüber schon seine Gedanken gemacht hat. Nur dann hat er ein echtes (Meta)-Wissen von seinem Denkverlauf. Vorher übt er sein Denken aus oder vollzieht es, während das Charakteristische dieses Verlaufs ihm unbekannt bleibt als eines der zahllosen unbeobachteten Details unseres gewöhnlichen Denkens. Das kann übrigens der Leser jederzeit an seinem eigenen Denken studieren, indem er sich zu einem beliebigen Denkvorgang fragt: Was ist denn das Charakteristische meines Denkverlaufs? So ein Versuch ist nicht schwierig und in Eigenregie oder mit jedem Partner oder Freund durchzuführen, aber er ist sehr erhellend. Wenn man sieben Personen nach dem Charakteristischen dieses Verlaufs fragt, dann wird man etwa fünf verschiedene Antworten bekommen. Oder auch fünfzehn, je nachdem, was den Befragten so an Sinnvollem dazu einfällt. Und: Man muß diese Dinge wirklich auch einmal tun, denn so eine Versuchserfahrung ist außerordentlich aufschlußreich. Weil daran erkennbar wird, wieviel Entscheidungen und Urteilsunsicherheiten eine solche Frage im konkreten Fall nach sich zieht. Klar gesagt: Kein Mensch kennt seinen charakteristischen Denkverlauf, es sei denn, er hat sich gründlich Gedanken dazu gemacht. Oder er bezieht sein diesbezügliches Wissen wo anders her, z. B. aus der philosophischen Tradition. Und letzteres wird leicht vergessen. Dem Laien ist der Ausdruck charakteristischer Denkverlauf nicht a priori verständlich, und auch dem Fachmann nur dadurch in relativ eindeutiger Weise, weil Steiner anschließend selbst den erläuternden Hinweis auf die begrifflichen Inhalte gibt. Ohne diesen spezifizierenden Fingerzeig hätte auch ein Experte für Denkverläufe mit ziemlicher Sicherheit mehrere Kandidaten im Gepäck mit Anspruch darauf, charakteristisch für den Denkverlauf zu sein. Wer vielleicht einmal Gelegenheit hatte die Denkuntersuchungen Karl Bühlers zu studieren (Vergl. Karl Bühler, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge I., Über Gedanken. In: Archiv für die gesamte Psychologie, 9, 1907), der wird feststellen, daß dort eine ganze Reihe charakteristischer Denkverläufe beschrieben werden. Vergleicht man diese mit Steiners Schilderung, dann kann man zunächst den Eindruck bekommen, beide berichten von völlig verschiedenen Dingen, obwohl jeweils von Denkprozessen die Rede ist. Das muß nicht zwangsläufig für oder gegen eine bestimmte Sichtweise sprechen. Es soll hier nur demonstrieren, daß es nicht selbstverständlich ist, was man unter einem charakteristischen Denkverlauf versteht. Zur Klärung dieser Frage ist eben sehr viel Denkarbeit erforderlich; das heißt: es gibt keinen Erkenntnisautomatismus in der Kennzeichnung bestimmter Bewußtseinserscheinungen als charakteristischer Denkverlauf. Und schon gar nicht kann man davon ausgehen, daß diese Verläufe dem Denker ohne weitere Untersuchung bekannt sind. Ich hoffe, daß es bald eine überarbeitete Ausgabe des erwähnten Buches für den deutschen Markt geben wird. Es wäre zu wünschen, daß der Autor diesen entscheidenden Part seiner Arbeit dann entsprechend überarbeitet hat. Ich werde zu gegebener Zeit ausführlicher darüber berichten. (Eine
kurze, aber sehr sachliche und lesenswerte Entgegnung auf die
hier von mir vorgebrachte Kritik gibt Jaap Sijmons im Internet
unter der Adresse
http://ibs.modulaware.com/a/?m=select&id=3796522637 Wäre das Denken tatsächlich "intim bekannt ohne Beobachtung" oder sich das "Best Bekannte überhaupt", wozu sollten wir es dann noch einmal erkennen? - "Wir müssen resolut darauf losdenken, um hinterher mittels der Beobachtung des Selbstgetanen zu seiner Erkenntnis zu kommen." heißt es entsprechend in der Philosophie der Freiheit. (S. 49) Warum sollten wir "durch Beobachtung erst kennenlernen" (PdF, S. 39), was längst klar ist? Wieso etwa sollten wir es dann erst begreifen müssen? (PdF, S. 53) Der von jeder Beobachtung des Denkens Unberührte weiß gar nicht, was Begriffe und Ideen sind, so wenig wie er sagen könnte, was Denken ist, eine Intuition oder ein charakteristischer Denkverlauf. Und dennoch vermag er richtig zu denken. Er kennt also das Denken nicht, obwohl er es richtig handzuhaben versteht und weiß nichts von Intuitionen, obwohl er sie ständig hat. Sinn und Zweck der Beobachtung des Denkens ist ja gerade, sich mit diesen speziellen Eigenarten und Eigenschaften des Denkens bekannt zu machen. (Siehe hierzu auch Kapitel 6.1 in diesem Aufsatz.) Wenn es irgend einen Sinn hat von einer Paradoxie des Denkens zu sprechen, dann besteht sie darin, daß der Denker etwas mit so großer Sicherheit und Selbstverständlichkeit handhabt, von dem er selbst so wenig weiß. (Siehe zu diesem Thema auch die sehr ausführliche und ertragreiche empirische Studie von Merijn Fagard hier auf dieser Internetseite.) Was hier in den letzten Abschnitten ausgeführt wurde, und, wie ich meine, einleuchtend ist: - Die Philosophie der Freiheit stellt, bezogen auf das Denken, erst den Beginn einer Erkenntnis des Denkens dar - wird auch von Steiner in einem Vortrag von 1921 hervorgehoben. Er führt dort am 05. September 1921 in Stuttgart (GA-78, Dornach 1968, S. 141 ff ) aus, daß man vom Denken in der Philosophie der Freiheit "bis zu einem gewissen Grade sich eine Vorstellung, eine empirische Vorstellung verschaffen kann" (S. 141) Und er fährt dann (S. 142) fort: " aber was es [das Denken, MM] seinem Wesen nach ist, das läßt sich erst erkennen, wenn die wirkliche Intuition auf dem höheren Erkenntniswege in der Seele auftritt. Dann durchschaut man gewissermaßen dieses eigene Denken; ..." . Man hat demnach zwischen verschiedenen Graden einer Erkenntnis des Denkens zu unterscheiden: Seiner mehr oder weniger anfänglichen Erkenntnis, etwa im Sinne der Philosophie der Freiheit, und seiner umfassenden Erkenntnis im Zuge der Ausbildung höherer Erkenntnisstufen. Das in der Wendung von Günter Röschert und Jaap Sijmons zutage tretende Mißverständnis mag vielleicht einer der Gründe dafür sein, warum sich Anthroposophen so wenig mit der Psychologie des Denkens befassen. Wer glaubens ist, das Denken sei ohne Beobachtung intim bekannt, dem ist gewiß schwerlich klar zu machen, daß er über das Denken eigentlich sehr wenig weiß. Schwerwiegender fast noch scheint mir an Röscherts Kennzeichnung zu sein, daß hier eine wesentliche Eigenschaft der Beobachtung des Denkens übersehen wird - die Tatsache nämlich, daß sich auch diese Beobachtung nur über Intuitionen vollziehen kann. Als Folge dieses Nicht-Bemerkens wird implizit eine substantielle Differenz zwischen Intuition und Beobachtung des Denkens unterstellt, die in Wirklichkeit nicht besteht. Tatsächlich sind beide wesensgleich, worauf sich nach Steiner überhaupt die Selbsterklärungsfähigkeit des Denkens gründet. Intuition ist nicht nur die Form, in der Begriffe und Ideen im allgemeinen wahrgenommen werden, sondern auch diejenige, in der das beobachtende Denken das Denken sieht. Da beobachtendes und beobachtetes Denken zwar zeitverschieden aber wesensgleich sind, ist es folglich diejenige Form, in der das Denken sich selber sieht. Steiner deutet bei seiner ersten Charakterisierung der Intuition (S. 95 PdF) schon auf diesen ihren Wahrnehmungscharakter hin, wenn er schreibt: "Sie [die Intuition] ist für das Denken, was die Beobachtung für die Wahrnehmung ist." Gemäß Steiners Kennzeichnung stehen Denken und Intuition in einem analogen Verhältnis wie Beobachtung und sinnliche Wahrnehmung. Intuition und (Sinnes) Beobachtung entsprechen damit einander in gewisser Weise in ihren Funktionen. Was die eine in bezug auf die sinnliche Welt leistet, das leistet die andere in bezug auf die ideelle Welt. In seinem Aufsatz Intuition und Beobachtung (Siehe Anmerkung 66) erläutert Herbert Witzenmann (S. 76), »Steiner nenne die besondere Art des Gegenüberstehens, in der [sinnliche] Wahrnehmungen einem Subjekt gegeben sind Beobachtung und die besondere Art des Gegenüberstehens, in der Begriffe und Ideen einem Subjekt gegeben sind Intuition.« Man kann Witzenmann hier - allerdings mit Einschränkungen - zustimmen. Mit Vorbehalt, weil seine Erläuterung zum Text der Philosophie der Freiheit nicht vollständig kompatibel ist. Das liegt aber in diesem Fall an Steiners Sprachgebrauch, der nach allem, was ich erkennen kann, in sich nicht konsistent ist. 107c Auf jeden Fall scheint mir Witzenmanns Lesart in bezug auf diese Textstelle bislang die plausibelste zu sein. Steiners Charakterisierung der Intuition läßt sich dahingehend paraphrasieren: »Die Intuition ist für die Wahrnehmung von Begriffen und Ideen, was die Beobachtung für die Wahrnehmung der sinnlichen Welt ist.« Nun gehört für Steiner das Denken der geistigen Welt an - es ist nämlich nichts anderes als kraftende, wirkende Idee. In den Grundlinien ... heißt es dazu: "Unsere Erkenntnistheorie führt zu dem positiven Ergebnis, daß das Denken das Wesen der Welt ist und daß das individuelle menschliche Denken die einzelne Erscheinungsform dieses Wesens ist." (GA-2, 1979 S. 79). Im selben Sinne etwas ausführlicher in der Schrift "Goethes Weltanschauung (GA-6, Taschenbuchausgabe Dornach 1979, S. 86): "Die eigene Natur der Ideenwelt kann also der Mensch nur erkennen, wenn er seine Tätigkeit anschaut. Bei jeder anderen Anschauung durchdringt er nur die wirkende Idee; das Ding, in dem gewirkt wird, bleibt als Wahrnehmung außerhalb seines Geistes. In der Anschauung der Idee ist Wirkendes und Bewirktes ganz in seinem Innern enthalten. Er hat den ganzen Prozeß restlos in seinem Innern gegenwärtig. Die Anschauung erscheint nicht mehr von der Idee hervorgebracht; denn die Anschauung ist jetzt selbst Idee. Diese Anschauung des sich selbst Hervorbringenden ist aber die Anschauung der Freiheit. Bei der Beobachtung des Denkens durchschaut der Mensch das Weltgeschehen. Er hat hier nicht nach einer Idee dieses Geschehens zu forschen, denn dieses Geschehen ist die Idee selbst." Wenn Ideen nur via Intuition wahrgenommen werden können, und das Denken selbst kraftende Idee ist, - genauer: die individuelle Erscheinungsform des Weltwesens -, so gilt diese intuitive Form der Auffassung konsequenterweise auch für das Denken. Wie auch könnte das geistige Wesen der Welt anders wahrgenommen werden als eben geistig? Es nimmt sich folglich bei seiner Selbstbeobachtung über Intuitionen wahr. Das heißt, das Nachdenken über Erfahrungen des Denkens (gleich Beobachtung oder Selbstbetrachtung des Denkens) führt zu Intuitionen des Denkens, das ist: zu seiner geistigen Wahrnehmung oder Anschauung. Das deckt sich übrigens mit einer Erläuterung, die Steiner in seiner Schrift Von Seelenrätseln (GA-21; Dornach 1976) zum Intuitionsbegriff der Philosophie der Freiheit macht, wenn er dort (S. 61) anläßlich einer Replik auf Max Dessoir schreibt: "Mir gilt eben Intuition nicht «bloß» als die «Form, in der ein Gedankeninhalt zunächst hervortritt», sondern als die Offenbarung eines Geistig-Wirklichen, wie die [sinnliche, MM] Wahrnehmung als diejenige des Stofflich Wirklichen." Das Denken, so läßt sich diese Erläuterung aufnehmen, offenbahrt sich dem betrachtenden oder beobachtenden Denken in seiner geistigen Wirklichkeit in Form von Intuitionen. Und zwar offenbahrt es sich hier nicht nur von seiner bloß ideell-inhaltlichen, sondern zugleich von seiner ideellen und kraftenden Seite als wirkende Idee, denn der gesamte Prozeß des Wirkens ist restlos im Innern gegenwärtig. Und in dieser seiner kraftenden Natur wird Ideelles sonst eben nicht wahrgenommen, wo uns das Ding, in dem gewirkt wird, ein Äußeres bleibt. (Man kommt übrigens, wenn man diesen kraftenden Aspekt der Idee weiterverfolgt auf den Begriff des Äther- oder Bildekräfteleibes, der die eigentlich wirkende Instanz für das Denken ist. Zu diesem Thema siehe meine Arbeit über Walter Johannes Stein auf dieser Homepage.) Analoges wie für Günter Röschert gilt auch für die Studie von Dietrich Rapp (Dietrich Rapp, Von der Intuition zur Erfahrung. Denkbeobachtungen über ihren inneren Zusammenhang. In: Karl-Martin Dietz (Hgr.), Rudolf Steiners "Philosophie der Freiheit", Stuttgart 1994, S. 223-256.) Auch bei ihm wird eigentlich nicht wirklich klar, was die Erkenntnis des Denkens ist und wie sie methodisch stattfindet. Rapp schreibt in enger Anlehnung an Steiners Darstellung unter anderem auf S. 232: "Mit einer weiteren Beobachtung vergewissert sich das Denken tiefer seines Wesens: Es macht sich nicht nur mit seiner Tätigkeit, sondern mit deren Ursprünglichkeit in seiner eigenen Wesenheit bekannt, indem es diese als einen «festen Grund» in sich ergreift, als «ein Prinzip, das durch sich selbst besteht» ... Das Denken entdeckt sich als ein «Weltgeschehen», «wo wir dabei sein müssen, wenn etwas zustande kommen soll» ... Indem das Denken sich selbst beobachtet, schließt es sich mit sich selbst zusammen: «Der beobachtete Gegenstand ist qualitativ derselbe wie die Tätigkeit, die sich auf ihn richtet.»" ... Dieser Vorgang kann mit dem Terminus <Denken des Denkens> beschrieben werden - wenn zugleich das Mißverständnis abgewehrt wird, als ob es sich dabei um eine nachträgliche Reflexion von Gedankenzusammenhängen, um eine Art von Meta-Denken handelte." Bei Rapp wird alles recht anschaulich und sicher zutreffend beschrieben, aber man hat den Eindruck, als lege sich etwas wie ein Nebel oder Schleier vor ein abschließendes Verständnis dessen, was die Beobachtung und Erkenntnis des Denkens der Sache nach ist. Schauen wir uns einmal die Ausdrücke an, mit denen Dietrich Rapp das Beobachten oder "Denken" des Denkens umschreibt: Da ist (S. 232) von einer "Vergewisserung" die Rede und von einem "Beobachten"; von einem "Sich Bekanntmachen" - es wird etwas "ergriffen" und etwas "entdeckt" - ein "Zusammenschluß findet statt" - etwas wird "durchdrungen" - das Denken "stößt auf etwas" - es "kommt etwas zur Erfahrung" - das Denken "identifiziert sich mit etwas" - und es "erfaßt sich selbst". Das alles sind gewiß hilfreiche und sachlich zutreffende Umschreibungen für die Tätigkeit des Sich-Selbst-Beobachtens und -Erkennens des Denkens. Aber wie macht das Denken das? Wie beobachtet es? Wie vergewissert es sich? Wie ergreift und entdeckt es? Wie stößt es auf etwas und durchdringt dieses? - Es ist interessant zu sehen, daß Dietrich Rapp den Begriff der «Erkenntnis des Denkens» an dieser Stelle nicht explizit bildet, obwohl er ihn in Form von Metaphern beständig indirekt handhabt. Ich meine, das liegt daran, daß ihm das methodische Verfahren der Beobachtung des Denkens noch nicht deutlich ist. Das wird vor allem auch beispielhaft an seiner Bemerkung sichtbar, das Mißverständnis solle abgewehrt werden, "als ob es sich dabei um eine nachträgliche Reflexion von Gedankenzusammenhängen, um eine Art von Meta-Denken handelte." Denn eben das ist es - ein Meta-Denken über Denk-Erfahrungen, zu denen selbstverständlich (nicht nur, aber auch) die genannten Gedankenzusammenhänge gehören. Denn auch über diese muß eigens weiter nachgedacht werden, wenn man zusätzlich zu ihrer bloßen Inhaltlichkeit mehr über sie wissen will. Renatus Ziegler liegt da näher an den Tatsachen, wenn er in seinem Buch (Renatus Ziegler, Selbstreflexion, Dornach 1991, S. 99) an einem ausgewählten Fallbeispiel hervorhebt: " ... das Gewahrwerden des Denkinhaltes (Gesetz) muß von der Gewahrwerdung seiner inneren Notwendigkeit sowie Widerständigkeit und Unveränderlichkeit unterschieden werden. Diese Erlebnisse treten alle im selben Wahrnehmungsfelde auf und offenbaren sich durch das anschauend tätige Denken, müssen jedoch als voneinander verschiedene Erfahrungsinhalte erkannt und in ihrer unterschiedlichen begrifflichen Bedeutung und Tragweite durchschaut werden." Deutlicher kann man es kaum sagen. Um sich dies klar zu machen, braucht man nur einen Menschen, der keinen spezifisch philosophischen Bildungsgang durchlaufen hat, nach den von Ziegler genannten Eigenschaften von Begriffen zu fragen. Er wird angesichts einer derartigen Aufforderung sprachlos sein, weil er natürlich darüber apriori nichts weiß, obwohl er, wie schon betont, in der Lage ist richtig zu denken. Er muß die verschiedenen Aspekte des Denkens erst allmählich erkennen. Zieglers Bemerkungen sind folglich von exemplarischer Geltung: Die verschiedenen Erfahrungsdetails des Denkens sind jeweils gesondert für sich zu beurteilen und zu durchschauen. Wobei es im Beispiel ausdrücklich um weitere Attribute von Gedankenzusammenhängen geht: Um das Gewahrwerden ihrer inneren Notwendigkeit sowie Widerständigkeit und Unveränderlichkeit - übrigens Eigenschaften, die wir zum Teil aus der Sphäre der seelischen Erlebnisse des Willens, sowie des Tastens und Berührens kennen, die jetzt auf die ideelle Wahrnehmung übertragen werden, so daß man hier durchaus von geistig-seelischen Tast- oder Berührungserlebnissen sprechen kann. Ein Bild, das Ziegler auf S. 92 f selbst auch gebraucht: "Dieses <tätig-tastende> Eintauchen muß so geschehen, daß die zur Erscheinung gebrachten Begriffsinhalte konsequent in sich selbst reflektiert werden. Nur so kann die auf sich selbst beruhende Struktur rein gedachter Grundgesetze erfaßt werden, nur so wird sich ihre innere Natur der Denkerfahrung erschließen. Vergleichsweise verhält sich dieses denkende <Ertasten> zu den dabei tätig zur Anschauung gebrachten Gesetzen wie das tastende Erfassen (tastende Anschauen) zur Gewahrwerdung des Reliefs einer Marmorstatue." Diese Eigenschaften ergeben sich aus dem denkenden Erleben von Gedankeninhalten, oder in Steiners Worten gesagt: aus einem intuitiven Erleben des Denkens. Sie müssen als seelische Erlebnisse bemerkt und begrifflich näher spezifiziert werden. Das alles - Ziegler sagt das nicht explizit, aber es ergibt sich zwingend aus seiner Bewertung des Sachverhaltes - geht nur auf dem Wege von separaten Intuitionen. Den erforderlichen gedanklichen Aufwand stellt er auf den Seiten 94 ff klar heraus. An vielen Stellen seiner Schrift spricht er ausdrücklich und mit Recht von "Denk-Experimenten" ( etwa S. 24; S. 99; S. 178), denen er ab S. 85 ein ganzes Kapitel gewidmet hat. Diese "Denk-Experimente" dienen dazu, sich mit subtilen Beschaffenheiten von Begriffen vertraut zu machen, die wir nicht ohne weiteres kennen, die auch ohne ein sorfältiges denkendes Probieren und Sondieren nicht hervortreten. Die von Ziegler erwähnten Qualitäten Notwendigkeit, Widerständigkeit und Unveränderlichkeit sind invariante Eigenschaften von Begriffen - mit anderen Worten: Gesetzmäßigkeiten, die über das nur Inhaltliche dieser Entitäten hinausgehen. Man könnte sagen, daß Begriffe neben dem rein Bedeutungshaften, das sie auszeichnet, noch so etwas wie eine morphologische oder gestalthafte Komponente an sich haben, die durch Denk-Experimente sichtbar wird. Zieglers Auffassung ist im Grundsatz ohne Einschränkungen zuzustimmen; man muß sie im Hinblick auf elementare Aspekte nur noch weiter verschärfen und erklären: Sämtliche sachhaltigen Aussagen, die wir über das selbsterlebte Denken machen, sind Resultate einer - zumeist unsystematisch durchgeführten und längst vergessenen - Denk-Beobachtung und entsprechender Intuitionen, in der spezifische Erfahrungen beurteilt und unterschieden werden müssen. Wenn Steiner daher im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit (S. 42) die simple Aussage "Ich denke über einen Tisch." bereits der Denk-Beobachtung zurechnet, so ist das sehr konsequent. Auf der anderen Seite muß man sagen, daß auch die meisten philosophischen oder denkpsychologischen Laien ihr Denken schon häufig wenigstens in anfänglicher Weise beobachtet haben, sofern sie nämlich zu bestimmten Begrifflichkeiten und Unterscheidungen bezüglich ihrer Denktätigkeit gekommen sind. Sie wissen nur nichts um diese Tatsache, weil oft genug hinter der Denk-Beobachtung etwas Geheimnisvolles und schwer Zugängliches vermutet wird. Zudem wird diese Art von Denk-Beobachtung zumeist ohne ein gebührendes methodisches Bewußtsein und entsprechende Zielstrebigkeit, sondern eher beiläufig gemacht, deswegen fehlt in der Regel auch die entsprechende Konsequenz sowie Übersicht ordnender Begriffe. Unstreitig gibt es also einen eklatanten Unterschied zwischen der spontanen Handhabung durchschaubarer gedanklicher Inhalte und der Einsicht in diese Angelegenheit via Intuition, und ebenso zwischen der bloßen Wahrnehmung von ideellen Entitäten und dem Wissen um diese Sachlage. Um ein Verständnis davon zu haben ist erforderlich, daß das Denken sich zuvor diesen Erfahrungen im Umgang mit Begriffen und Ideen zuwendet und sich damit gesondert auseinandersetzt. Und das Mittel dazu ist die Beobachtung oder Betrachtung des Denkens, die zu entsprechenden Intuitionen beziehungsweise einer Erkenntnis des Denkens führt. Das heißt, es muß über spezifische Erfahrungen des Denkens separat nachgedacht werden, erst dann wird begreiflich, daß Ideen nicht erzeugt sondern wahrgenommen werden. Kurz und prägnant kann man es auch so formulieren: Begriffe und Ideen im allgemeinen nimmt jeder wahr - oder sieht im Prinzip jeder -, der zu denken vermag. Das Denken im speziellen kann nur sehen, wer eigens über die Erfahrungen des Denkens nachdenkt. Nur dann ist er in der Lage sich das zu erwerben, was man einen Begriff oder eine Anschauung des Denkens nennen kann. Begriffe und Ideen sind zweifelsohne auch dann Inhalt oder Thema des Denkens, wenn dieses sich selbst betrachtet, denn sie gehören ja schließlich (mit) zu den Erfahrungen des Denkens, die betrachtet werden. Soweit sie also spezielle Betrachtungsgegenstände des Denkens im Zuge seiner Selbstaufklärung sind, ist es evident, daß sie dann auch wahrgenommen werden, und somit Wahrnehmung und Begriff bei der Betrachtung des Denkens zusammenfallen. Aber es gibt bei der Selbstbetrachtung des Denkens, die zu seiner Erkenntnis führt, noch eine weitere Dimension des Zusammenfallens, die sich nicht auf diese eben genannte Form reduzieren läßt, sondern darüber hinausreicht. Die Wahrnehmung des Denkens selbst ist ein ganz einzigartiger Typ dieses Zusammenfallens. In diesem Fall ist nämlich die lebendige oder kraftende Idee selbst Gegenstand der Wahrnehmung. Im Kapitel IV, Die Welt als Wahrnehmung seiner Philosophie der Freiheit, S. 62, sieht sich Steiner veranlaßt seinen Gebrauch des Ausdrucks Wahrnehmung zu klären. Als Wahrnehmung bezeichnet er hier nicht den Vorgang der Beobachtung, sondern das Objekt dieser Beobachtung. Und zwar einerseits die unmittelbaren Empfindungsobjekte, "... insoferne das bewußte Subjekt von ihnen durch Beobachtung Kenntnis nimmt...". Ferner die Gefühle: "Auch von meinem Gefühle erhalte ich dadurch Kenntnis, daß es Wahrnehmung für mich wird." Und schließlich das Denken selbst: " ... die Art, wie wir durch Beobachtung Kenntnis von unserem Denken erhalten, ist eine solche, daß wir auch das Denken in seinem ersten Auftreten für unser Bewußtsein Wahrnehmung nennen können." Man beachte, daß entsprechend dem dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit das Denken nur durch das Denken beobachtet werden kann. Und daß die Beobachtung nur in einem zweiten Denkakt erfolgen kann, der dem beobachteten Denkvorgang nachfolgt. Das Resultat dieser zeitversetzten Beobachtung oder denkenden Betrachtung wird hier im Zuge der Klärung des Sprachgebrauchs als Wahrnehmung bezeichnet. Das Interessante und für das Verständnis wichtige an dieser Formulierung ist, daß die Beobachtung des Denkens nicht nur zur Kenntnisnahme des Denkens führt, vergleichbar den Sinnes und Gefühlswahrnehmungen, sondern gleichzeitig auch zu seiner Erkenntnis. Kenntnisnahme und Erkenntnis fallen hier zusammen. Während Empfindungs- und Gefühlsobjekte als Wahrnehmungen lediglich zur Kenntnis genommen werden und der weiteren begrifflichen Ergänzung bedürftig sind, um auch erkannt zu werden, ist dieser zusätzliche Schritt bei der Wahrnehmung des Denkens nicht erforderlich, weil das Denken als Wahrnehmungsobjekt im Sinne und in der Konsequenz des Steinerschen Sprachgebrauchs bereits erkanntes Objekt ist. Das Wahrnehmen ist hier ein Erkennen. Wenngleich noch nicht in seinem vollen Umfang und in sämtlichen Aspekten. Wahrnehmen und Erkennen sind eines - und das hat die Beobachtung des Denkens mit der Wahrnehmung respektive Erkenntnis der übrigen Begriffe und Ideen gemeinsam. Siehe dazu das eingangs dieses Kapitels Ausgeführte. Das Denken tritt als Denken überhaupt erst für das Bewußtsein auf, wenn es vom Denken selbst beobachtet worden ist. Erst dann ist es im Sinne Steiners Wahrnehmungsobjekt für das Bewußtsein. Ein nur erlebtes Denken kann diesem Sprachgebrauch gemäß noch kein wahrgenommenes Denken sein, sondern zunächst nur ein geistig-seelisches Erlebnis. Das Geistige wird in einer Einheit mit diesem Seelischen erlebt. Und der geistige Charakter dieses Erlebnisses wird erst sichtbar, bewußt und zugleich erkannt in einer nachfolgenden denkenden Betrachtung. Deswegen Steiners Bemerkung von S. 256, im zweiten Zusatz zur Neuausgabe 1918, " ... daß richtig verstandenes Denk-Erleben schon Geist-Erleben ist." [Fettdruck MM] Nun läßt sich das Denken nur erkennen, indem man es beschreibt, das heißt, über die Erfahrungen des Denkens nachdenkt und diese auf beschreibende Begriffe bringt. Wenn wir jetzt dem eben erwähnten Sprachgebrauch Steiners und den Gedankengängen des dritten Kapitels der Philosophie der Freiheit folgen, dann haben wir auch in diesem Fall ein Zusammenfallen von Wahrnehmung und Begriff: Hier fällt die Wahrnehmung des Denkens mit seinem beschreibenden Begriff zusammen - was dasselbe ist wie seine Erkenntnis, oder besser gesagt, die Erkenntnis eines seiner vielfältigen Aspekte. Das Wahrnehmen ist hier ein Begreifen. Und das ist nach meiner Auffassung gemeint, wenn Steiner wie eingangs zitiert auf S. 146 der Philosophie der Freiheit sagt: "Im Betrachten des Denkens selbst fallen in eines zusammen, was sonst immer getrennt auftreten muß: Begriff und Wahrnehmung." Das Denken wird für den Betrachter oder Beobachter im eigentlichen Sinne erst sichtbar, wenn, indem, und so weit er es begreift. Das Begreifen des Denkens ist ein Wahrnehmen - ein aktives, tätiges, und oft mühevolles geistiges Wahrnehmen. Eine Wahrnehmung, " ... in der der Wahrnehmende selbst tätig ist, und es ist eine Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenommen wird." (GA-04, S. 256) Erlebt werden kann das Denken mit hinreichender Mühe und Aufmerksamkeit eigentlich immer - aber gesehen wird es nur, wenn man das Erlebte auf die richtigen Begriffe bringt und unterscheiden kann. Nehmen wir ein Beispiel: Ein philosophischer Laie weiß gewöhnlich nicht sehr genau was Begriffe sind, obwohl er den Ausdruck Begriff sicherlich häufiger gebraucht. Vielfach werden Begriffe deswegen auch mit Worten verwechselt, obwohl sie vom Wesen her etwas ganz anderes sind. Allmählich erst, in dem Maße, wie er sich gedanklich mit den Eigenschaften von Begriffen befaßt, bekommt er einen Eindruck davon, was sie eigentlich sind und was sie etwa von sprachlichen Gebilden unterscheidet. In dem Umfang, wie ihm das begrifflich klar wird, beginnt er jene Eigenarten oder Wesensmerkmale des Denkens zu sehen, die man als Begriff bezeichnet, ungeachtet dessen, daß er sie natürlich immer schon hatte und mit ihnen hantierte. Er wußte nur nichts von ihnen. Wer sich mit grundlegenden Fragen der Denk-Beobachtung beziehungsweise des Sehens des Denkens auf einer ganz pragmatischen Ebene auseinandersetzen will, dem sei das oben erwähnte Buch von Renatus Ziegler wärmstens empfohlen. Ziegler behandelt zwar über Strecken hin Probleme der Mathematik und reinen Logik, doch die Art seines Vorgehens macht auch dem Laien in paradigmatischer Form verständlich worum es geht. Dieser Prozeß des Sehenlernens des Denkens ist in etwa vergleichbar mit jenem, der sich abspielt, wenn wir uns das Bild eines großen Malers erschließen. Wenn wir nicht gerade Fachleute der Ästhetik sind, werden wir häufig auch nicht allzuviel entdecken, was über die triviale Wahrnehmung hinausgeht. Sobald wir jedoch beginnen uns in Kunstepochen, Stilrichtungen und künstlerische Ausdrucksmittel zu vertiefen, wird das Bild zunehmend reicher, obwohl es materialiter nichts anderes enthält, als wir beim ersten Mal schon gesehen haben. Für das Denken gilt nichts anderes: mit der Einsicht in seine Gebilde wächst scheinbar sein Gehalt an Eigenschaften, der gleichwohl immer schon da war. Seine innere Differenzierung nimmt dann für den Betrachter zu, so wie eine nur schemenhaft sichtbare Gestalt allmählich deutlichere und gegliedertere Formen annimmt, wenn wir uns ihr nähern. Nur spielt sich eben beim Denken alles auf der gedanklich-begrifflichen Ebene ab, während es in der Malerei auch um sinnlich Wahrnehmbares geht. Hinzu kommt, daß wir mit dem Prozeß des Denkens aufs Innigste verbunden sind, und daher unsere Beobachtungen prinzipiell immer an den Tatsachen prüfen und gegebenenfalls korrigieren können. Mit weit größerer Sicherheit als die Interpretation eines Kunstwerkes, die stets hypothetische Reste enthält, weil wir hierbei immer auf Außeninformationen angewiesen sind, deren Status fraglich sein kann. Die Einsicht in einen charakteristischen Aspekt des Denkens ist somit ein geistiges Analogon zu einem herkömmlichen Wahrnehmungsvorgang und geschieht auf dem Wege der Intuition. Was gegenüber sinnlichen Gegenständen deren Wahrnehmung ist, ist gegenüber dem Denken Einsicht. Auf keinem anderen Wege als auf dem der Intuition kann uns eine Einsicht zuteil werden - das Denken als Beobachtungs- und Erkenntnisgegenstand macht davon keine Ausnahme. Die Selbsterklärung des Denkens geschieht also dadurch, daß wir ihm gegenüber die entsprechenden Intuitionen ausbilden. Es wird folglich mittels Intuitionen gesehen, angeschaut, betrachtet oder wahrgenommen. Erst vor diesem Hintergrund bekommt die Wendung, daß das Denken vom Denken gesehen oder angeschaut werde, einen plausiblen Sinn. Die besondere Art, das Denken in dieser Weise zu beobachten oder anzuschauen, nennt Steiner intuitives Denken. Das intuitive Denken ist sowohl die Methode, das Denken zu beobachten, wie auch die Idee der Freiheit - zumindest ist es diejenige, auf die er sich in der Philosophie der Freiheit explizit beruft. Im Zusatz von 1918 auf S. 255 ff der Philosophie der Freiheit macht ihr Verfasser eine Angabe über die Forschungsmethode, welche diesem Buche zugrunde liegt, und bezeichnet sie als "intuitives Denken" : "Die Darstellung dieses Buches ist aufgebaut auf dem rein geistig erlebbaren intuitiven Denken, durch das eine jegliche Wahrnehmung in die Wirklichkeit erkennend hineingestellt wird." Das intuitive Denken hat es Steiners Charakterisierung zufolge primär mit Wahrnehmungen zu tun. Man beachte auch, daß hier von "einer jeglichen Wahrnehmung" gesprochen wird. Demnach geht es sowohl um sinnliche, wie seelische und geistige Wahrnehmungen. Es gibt keinen Wahrnehmungsbereich, den dieses Denken exclusiv für sich reserviert hätte - etwa nur den geistig-ideellen - sondern es operiert bereichsübergreifend. All diese sinnlichen, seelischen und geistigen Wahrnehmungen werden "in die Wirklichkeit erkennend hineingestellt", das heißt sie werden sowohl im Hinblick auf ihr Wesen oder Was untersucht, aber auch in ihrer Beziehung zueinander und zur Gesamtwirklichkeit. Im Ausdruck des Hineinstellens schwingt mit, daß es sich hierbei um einen produktiv-schöpferischen Vorgang handelt, durch den der Wirklichkeit etwas gegeben oder hinzugefügt wird. Exemplarisch sichtbar wird dieser gedankliche Umgang mit Fragen der Wahrnehmung vor allem in den Kapiteln III bis VIII der Schrift, die sich sehr ausgedehnt dieser Thematik widmen. Insgesamt läßt sich sagen, daß der Aktionsbereich des intuitiven Denkens entsprechend der Steinerschen Kennzeichnung ein sehr weiter ist. Diese Weite kommt auch zum Ausdruck wenn er auf S. 143 dafür alternativ die Wendung "intuitiv-denkerische Durchdringung des Daseins" gebraucht. So gesehen scheint dieses Denken also gar nichts Außergewöhnliches zu sein, sondern bedeutet in genereller Hinsicht, sich rein gedanklich mit dem Dasein auseinanderzusetzen, um dieses Dasein zu erkennen. Damit deckt es sich als Methode der Philosophie der Freiheit in bemerkenswertem Umfang mit der Methode einer rein gedanklich operierenden klassischen Philosophie, wie es die thematische Entfaltung der Philosophie der Freiheit ja auch zeigt und wie Steiner selbst ausdrücklich an anderer Stelle hervorhebt: "Wer diese meine früheren Schriften [«Wahrheit und Wissenschaft» und «Philosophie der Freiheit», MM] aber unbefangen liest, wird bemerken können, daß die in ihnen entwickelten Ergebnisse durch rein philosophische Forschung gewonnen sind, und daß deshalb die Zustimmung zu dem in ihnen geltend Gemachten nicht abhängig ist von der Stellung, die jemand zu der von mir vertretenen «Geisteswissenschaft» einnimmt. Ich habe mich bewußt in jenen Büchern der Denkmittel und der Methodik allein bedient, die man gewöhnt ist, in philosophischen Arbeiten zu finden." (Die Geisteswissenschaft als Anthroposophie und die zeitgenössische Erkenntnistheorie. Persönlich-Unpersönliches (1917). In: GA-35, 1984, S. 319). Soweit das intuitive Denken der Philosophie der Freiheit als Methode zugrunde liegt ist es folglich identisch mit den "Denkmitteln" und der "Methodik", "die man gewöhnt ist, in philosophischen Arbeiten zu finden". Es deckt sich aber nicht nur mit dem philosophischen Denken im speziellen, sondern überhaupt mit jenem Denken, das zu einer gegebenen Wahrnehmung den Begriff findet oder wahrnimmt, der dann in der Synthese mit der Wahrnehmung zur Erkenntnis des Wahrnehmungsgegenstandes, der Vereinigung von Wahrnehmung und Begriff führt. Jenem Denken, das zu jeder Wahrnehmung das zu ihr gehörige ideelle Gegenstück auf dem Wege der Intuition geistig wahrnimmt. Darauf deutet Steiner hin wenn er oben sagt, durch das intuitive Denken werde "eine jegliche Wahrnehmung in die Wirklichkeit erkennend hineingestellt". Und dann den Gedanken (Philosophie der Freiheit, S. 255) fortführt: "Und es [das intuitive Denken, MM] fordert, daß es im Erkenntnisvorgang als in sich ruhendes Erlebnis nicht verleugnet werde. Daß ihm die Fähigkeit nicht abgesprochen werde, zusammen mit der Wahrnehmung die Wirklichkeit zu erleben, statt diese erst zu suchen in einer außerhalb dieses Erlebens liegenden, zu erschließenden Welt, der gegenüber die menschliche Denkbetätigung nur ein Subjektives sei." Zusammenfassend formuliert: Das intuitive Denken ist eben jenes, von dem in den erkenntnistheoretischen Schriften Steiners im Zusammenhang mit der Erläuterung des Erkenntnisprozesses die Rede ist, und von dem dort gesagt wird, es nehme den Ideengehalt der Welt wahr. Über dieses Denken verfügt jeder normal organisierte Mensch und übt es bereits aus, wenn er versucht den Ideengehalt der Welt zu erfassen, und zwar schon dann wenn er zu einer herkömmlichen sinnlichen Wahrnehmung den Begriff sucht und findet. Denn auch der gehört selbstverständlich zum Ideengehalt der Welt, wie Steiner in seinen philosophischen Schriften eindringlich versucht klarzumachen. So daß vielleicht die grundlegendste Eigenschaft, die man dem intuitiven Denken beilegen kann, lautet: Es ist jenes Denken, das auf dem Wege von Intuitionen den Ideengehalt der Welt wahrnimmt. Die wohl elementarste und häufigste Frage, die sich das intuitive Denken stellen kann lautet daher: Was ist das? Es versucht dann vielleicht zu einer gegebenen Wahrnehmung den zugehörigen Begriff zu finden, den es dann aus der ideellen Sphäre schöpft und mit der Wahrnehmung zur Erkenntnis des Wahrnehmungsgegenstandes vereinigt. Das intuitive Denken kann sich daneben im einzelnen auch mit ausgesprochen erkenntnistheoretischen oder erkenntnisphänomenologischen Fragen befassen - etwa: Wie erkennen wir? Was ist eine Wahrnehmung? Welche Typen von Wahrnehmung gibt es? Aber auch mit solchen, die man eher zur Psychologie zählen würde - indem es etwa das Verhältnis von Denken, Fühlen und Wollen untersucht oder die nähere Natur oder Eigenschaften dieser speziellen Wahrnehmungen. Ein ganz besonderer Fall von Wahrnehmung, dem sich das intuitive Denken erkennend zuwenden kann, ist die Wahrnehmung des Denkens selbst. Es kann sich schließlich auch, wie die Programmatik der Steinerschen Schrift andeutet, einer einzelnen Idee widmen und sie beobachten, beziehungsweise sich mit der Wahrnehmung dieser Idee auseinandersetzen. In diesem speziellen Fall lautet die Frage: Freiheit - was ist das? Betrachtet man die Philosophie der Freiheit, wie ich es oben und in Anmerkung 107b angedeutet habe, als den Versuch, die Idee der Freiheit zu beobachten, dann heißt dies: Das intuitive Denken ist die Methode, mittels derer Steiner die Idee der Freiheit nach eigenen Angaben beobachtet hat. Etwas gemeinverständlicher formuliert: Er hat sich dieser Aufgabe zugewandt, indem er über die dafür relevanten Bereiche des Daseins gründlich nachgedacht hat, ganz speziell und ausdrücklich auch über die Erlebnisse, die man am Denken selbst haben kann - soviel sagt uns sein obiger Methodenhinweis. Für die Erlebnisse am Denken selbst, wie wir sie an Zieglers Beispiel oben musterhaft aufgezeigt haben, verwendet Steiner auch den Ausdruck intuitives Denk-Erleben. Nun schließt die Beobachtung der Freiheitsidee notwendigerweise eine Beobachtung des Denkens ein, denn ohne eine zumindest grundlegende Erkenntnis des Denkens ist nach Steiner auch keine Einsicht in die Idee der Freiheit möglich. Das heißt, wenn wir uns an den ausgesprochenen Wahrnehmungsbezug des intuitiven Denkens erinnern: Die wirklichkeitsgemäße Wahrnehmung der Freiheitsidee setzt die Wahrnehmung oder Beobachtung des Denkens voraus. Es kommt infolgedessen sehr viel darauf an, wie man das Denken wahrnimmt oder beobachtet. In der Vorrede von 1918 macht er auf diesen Umstand aufmerksam, wenn er (S. 7) darauf hinweist, daß die Lösung der Freiheitsfrage abhängig sei von der Lösung der Erkenntnisfrage. Im ähnlichen Sinne ein Zusatz von 1918 auf S. 203 f, und gegen Ende der Schrift auf S. 253 f dann wie eine Spiegelung der Vorrede noch einmal der eindringliche Hinweis, daß die Freiheit des Handelns auf der Freiheit des intuitiven Denkens basiert: "Im zweiten Teile dieses Buches wurde versucht, eine Begründung dafür zu geben, daß die Freiheit in der Wirklichkeit des menschlichen Handelns zu finden ist. Dazu war notwendig, aus dem Gesamtgebiete des menschlichen Handelns diejenigen Teile auszusondern, denen gegenüber bei unbefangener Selbstbeobachtung von Freiheit gesprochen werden kann. Es sind diejenigen Handlungen, die sich als Verwirklichungen ideeller Intuitionen darstellen. Andere Handlungen wird kein unbefangenes Betrachten als freie ansprechen. Aber der Mensch wird eben bei unbefangener Selbstbeobachtung sich für veranlagt halten müssen zum Fortschreiten auf der Bahn nach ethischen Intuitionen und deren Verwirklichung. Diese unbefangene Beobachtung des ethischen Wesens des Menschen kann aber für sich keine letzte Entscheidung über die Freiheit bringen. Denn wäre das intuitive Denken selbst aus irgendeiner andern Wesenheit entspringend, wäre seine Wesenheit nicht eine auf sich selbst ruhende, so erwiese sich das aus dem Ethischen fließende Freiheitsbewußtsein als ein Scheingebilde. Aber der zweite Teil dieses Buches findet seine naturgemäße Stütze in dem ersten. Dieser stellt das intuitive Denken als erlebte innere Geistbetätigung des Menschen hin. Diese Wesenheit des Denkens erlebend verstehen, kommt aber der Erkenntnis von der Freiheit des intuitiven Denkens gleich. Und weiß man, daß dieses Denken frei ist, dann sieht man auch den Umkreis des Wollens, dem die Freiheit zuzusprechen ist. Den handelnden Menschen wird für frei halten derjenige, welcher dem intuitiven Denkerleben eine in sich ruhende Wesenheit auf Grund der inneren Erfahrung zuschreiben darf. Wer solches nicht vermag, der wird wohl keinen irgendwie unanfechtbaren Weg zur Annahme der Freiheit finden können. " Die in der Schrift vorhandenen Passagen zum Thema Erkenntnis und Denken gehören damit, wie in ihrer Vorrede bereits angedeutet ist, zum unentbehrlichen sachlichen Umkreis des Freiheitsgedankens, obwohl die Philosophie der Freiheit im eigentlichen Sinne keine Erkenntnistheorie ist, sondern eben eine Freiheitsphilosophie. Aber als solche muß sie sich zu Erkenntnisfragen äußern, denn bevor man sagen kann, ob und unter welchen Umständen der Mensch frei ist, sind Fragen der Art zu klären: Was ist Erkenntnis? Gibt es ein sicheres Fundament der Erkenntnis? Wie erkennt man das Denken? Der gelegentlich aufkeimenden Diskussion darüber, ob die Philosophie der Freiheit eine Erkenntnistheorie sei oder nicht, läßt sich also mit einem "Nein - aber" begegnen. Sie ist eigentlich keine, aber ihr Untersuchungsgegenstand erfordert wegen der vorhandenen Abhängigkeitsbeziehungen, daß sie zu diesen Fragen Stellung bezieht. Ohne die entsprechenden Fundierungen wäre die Freiheitsphilosophie nicht ausführbar beziehungsweise: wäre die Idee der Freiheit nicht angemessen wahrnehmbar. Dieser Zusammenhang erklärt auch, warum Steiner selbst in seiner 1917 erschienenen Schrift Von Seelenrätseln (GA-21, 1976, S. 62) ausdrücklich auf den erkenntnistheoretischen Charakter der Philosophie der Freiheit hinweist: "Im Zusammenhange meiner Veröffentlichungen ist meine «Philosophie der Freiheit» die erkenntnistheoretische Grundlegung für die von mir vertretene anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft. Ich habe dies in einem besonderen Abschnitt meines Buches «Die Rätsel der Philosophie» dargelegt." Wenn nun Steiner ausdrücklich betont, er habe sich in seinen philosophischen Schriften "bewußt ... der Denkmittel und der Methodik allein bedient, die man gewöhnt ist, in philosophischen Arbeiten zu finden". Und wenn die Beobachtung der Freiheitsidee explizit auf der Methode des intuitiven Denkens basiert und eine fundamentale Erkenntnis des Denkens einschließt. Wenn ferner Steiners Methodenauskunft unmißverständlich für die Darstellung der gesamten Schrift gilt, dann liegt der Erkenntnis des Denkens verständlicherweise auch dieselbe Methode zugrunde - nämlich das intuitive Denken. Und wenn schließlich laut Steiners ausdrücklichem Hinweis im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit jeder normal organisierte Mensch mit einigem guten Willen in der Lage ist sein Denken zu beobachten, dann ist er damit auch prinzipiell imstande das intuitive Denken auszuüben, wenn er es nur will. Das intuitive Denken ist demnach alles andere als irgend ein rätselhaft-mystisches, geistig-seelisches Agens, über das man erst im Laufe langjähriger esoterischer Schulung verfügt. Es ist also auf gar keinen Fall zutreffend, was beispielsweise Michael Kirn in seinem Buch Das große Denk-Ereignis, Dornach 1998, auf S. 40 stellvertretend für manchen anderen anthroposophischen Autoren behauptet, wenn er dort sagt, Steiner meine mit dem intuitiven Denken "eine dem einzelnen erreichbare Geisteshaltung jenseits der Philosophie." Mit dieser Bemerkung macht Kirn das intuitive Denken für seinen Leser faktisch unsichtbar. Und was noch ärger ist: Entsprechend unzugänglich wird für diesen nachfolgend auch all dasjenige, was Steiner an freiheitsphilosophischen Überlegungen an dieses intuitive Denken knüpft, weil ihm der Verständniszugang dorthin blockiert ist. Denn wer keine Vorstellung davon hat was das intuitive Denken ist, der kann natürlich auch kaum eine davon entwickeln was die Freiheit des intuitiven Denkens ist. Und da für Steiner die Freiheit des Handelns in der Freiheit des intuitiven Denkens gründet, wird ihm folglich das Anliegen der Philosophie der Freiheit im wesentlichen ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Ein Leser, der dem Hinweis Kirns und seiner Geistesverwandten folgt, wird das intuitive Denken nicht mehr finden, weil er es jetzt an der falschen Stelle sucht. Was doppelt tragisch für ihn ist, da er nämlich über dieses Denken im Regelfall längst verfügt und es auch ausübt. Im Gegensatz zu Kirns Auffassung stützt sich jede Philosophie, die erkennend auf den ideellen Gehalt der Wirklichkeit abzielt, auf eben dieses Denken. Denn das intuitive Denken ist als Fähigkeit den ideellen Gehalt der Wirklichkeit wahrzunehmen integraler Bestandteil der Grundausstattung menschlichen Seelenvermögens. Es ist das Denk-Verfahren zu einer beliebigen Wahrnehmung den Begriff zu finden und ebenso das methodische Verfahren, mit dem neben anderen Ideen die Idee der Freiheit beobachtet respektive wahrgenommen oder erkannt wird, wie es die Methode der Selbstbeobachtung, der Selbsterklärung beziehungsweise Selbsterkenntnis oder Selbstwahrnehmung des Denkens ist. Wenn also ein Leser für sich das Stadium des intuitiven Denkens mit Sicherheit erreichen will, dann könnte er das exemplarisch zum Beispiel auf drei Wegen tun, die eng miteinander verwandt sind: Erstens könnte er sich einer ungewohnten Wahrnehmung aussetzen, etwa einer solchen, die er in einer Kükelhausausstellung machen kann, und sich fragen, was das jeweils ist, dem er sich da wahrnehmend aussetzt. Zweitens könnte er sich in irgend ein philosophisches Problem vertiefen und versuchen es zu lösen - beispielsweise in das Problem, was Kraft, Kausalität oder Güte ihrem Wesen nach sind und zu einem Begriff dieser Entitäten vorzustoßen. Drittens könnte er sich einmal mit der Frage befassen, wonach er sich beim Denken richtet und über die entsprechenden Erfahrungen seines Denkens nachdenken. Damit bekommt er nicht nur einen Einblick in die Natur des intuitiven Denkens, - letzteres ist auch der entscheidende Schritt zur Einsicht in die Freiheit des intuitiven Denkens. Erst wenn man durchschaut hat, daß das intuitive Denken frei ist, sieht man auch den Bereich, demgegenüber von freien Handlungen gesprochen werden kann. Die Einsicht in die Freiheit des intuitiven Denkens ist nach Steiner die Vorbedingung zur Einsicht eines freien Wollens überhaupt. Und die Freiheit des intuitiven Denkens wiederum gründet in der Selbstbeobachtungs- respektive Selbsterklärungsfähigkeit des Denkens - in der Tasache, daß seine Wesenheit eine auf sich selbst ruhende ist, sich selbst betrachten und beschreiben kann. Der Umstand, daß beobachtendes und beobachtetes Denken qualitativ gleichwertig sind, wie im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit betont wird, ist Fundament und Garantie für Freiheit überhaupt. Frei ist ein Denken, das sich an durchsichtigen begrifflich-logischen Zusammenhängen orientiert und nicht den Notwendigkeiten der Hirnphysiologie oder einer leiblich-seelischen Organisation folgen muß. (Eine Schlüsselaussage Steiners aus dem dritten Kapitel (S. 45) hierzu lautet: "Meine Beobachtung ergibt, daß mir für meine Gedankenverbindungen nichts vorliegt, nach dem ich mich richte, als der Inhalt meiner Gedanken; nicht nach den materiellen Vorgängen in meinem Gehirn richte ich mich." Eine philosophische Vertiefung dieses Aspektes der Philosophie der Freiheit führt auf die Frage der Beziehung zwischen Logik und Psychologie oder Physiologie, wie sie in der Psychologismusdebatte in der Logik um die Wende vom 19. zum 20. Jh. geführt wurde. Steiner macht in seiner Schrift Von Seelenrätseln [GA-21] 1976, unter anderem auf S. 31 f; S. 132 f; einige Bemerkungen in dieser Richtung. Ein entscheidender Gesichtspunkt hier ist, daß beim denkenden Suchen nach der Wahrheit sich das Wollen an begrifflich-logischen Bestimmungen ausrichtet. Diese können aber nicht zugleich physiologische Kausalbestimmungen sein, da sich sonst eine logische Vorstellungsverknüpfung nicht von einer unlogischen oder einer a-logischen respektive einer rein assoziativen unterscheiden ließe. Und ferner dann die logischen Gesetze mit den physiologischen zusammenfallen müßten, was grundsätzlich nicht möglich ist. Das Phänomen der Einsicht reicht also weit hinaus über dasjenige, was mit den Gesetzen der Hirnphysiologie zu erfassen ist. Man sieht auch wie sich hier die Forschungsfelder von Anthroposophie, Logik, Erkenntnistheorie, Psychologie und Physiologie mit äußerst spannenden und weitreichenden Fragestellungen begegnen - ein Grund, warum Steiner in dieser Schrift auf die Möglichkeit einer "wirklich fruchtbaren Verständigung" (S. 32) zwischen Anthroposophie und Anthropologie hinweist. Letzten Endes ist auch der unter Anmerkung 107 b erwähnte Roger Penrose mit seiner physikalischen Problemstellung hier anzusiedeln. Siehe aus nichtanthroposophisch-philosophischer Sicht auch: Palàgyi, Melchior, Der Streit der Psychologisten und Formalisten in der modernen Logik, Leipzig 1902.; Sowie: Moog, Willy, Logik, Psychologie und Psychologismus, Halle a. S., 1919; Sowie: Husserl, E. , Logische Untersuchungen. Textkritische Ausgabe von E. Holenstein. Bd. 1, Prolegomena zur reinen Logik, Den Haag, 1975. Nachtrag 28.11.03 zu Penrose: Wie sehr sich die Frage des freien Denkens mit physikalischen Problemen berührt dürfte offensichtlich sein. Denn der Nachweis des freien Denkens (und Handelns) hat natürlich physikalische Implikationen dahingehend, daß dieses freie Denkens und Handeln nicht mehr durch Naturkausalität bestimmt sein kann. Das Kausalitätsprinzip ist an dieser Stelle nicht mehr gültig. Physikalisch ist das von der allergrößten Tragweite, weil damit der Energieerhaltungssatz außer Kraft gesetzt wird. Diese physikalische Bedeutung des Denkens wird auch von Steiner klar gesehen und ausdrücklich hervorgehoben. In der Philosophie der Freiheit spricht er diesbezüglich (Kap. IX, S. 146 ff) von einer Zurückdrängung der leiblichen Organisation durch das Denken. Diese Zurückdrängung ist durchaus auch im Sinne einer physiologisch-physikalischen Wirksamkeit gemeint. Und auf diese Zurückdrängung bezogen sagt Steiner (GA-78, Dornach 1968, Vortrag vom 5.11.1921, S. 143): "Hier ist es, wo wir an der Grenze des Gesetzes von der Erhaltung der Materie und der Kraft stehen. Man muß den Ausdehnungsbereich dieses Gesetzes von Materie und Kraft erkennen, damit man den Mut fassen kann, ihm dann zu widersprechen, wenn es nötig ist." Vor diesem Hintergrund ist der Versuch von Roger Penrose, mittels einer Bewußtseinstheorie die moderne Physik zu revolutionieren, aus anthroposophischer Sicht überaus interessant und konsequent und sollte weiter beobachtet werden. Denn es sind nicht beliebige Bewußtseinsvorgänge, die Penrose bei seiner Auffassung geltend macht, sondern vor allem die Tätigkeit des Denkens und Erkennens. ) Daß sich die Einsicht in die Natur des Denkens nur auf dem Wege von Intuitionen ergeben kann, haben wir schon wiederholt erörtert. Mit diesem Sachverhalt decken sich auch Steiners Angaben hinsichtlich der von ihm angewandten Forschungsmethode des intuitiven Denkens. Somit läßt sich sagen, daß sein Ausdruck des intuitiven Denkens auf jeden Fall auf das sich selbst betrachtende Denken anzuwenden ist. Das heißt, ein Denken, daß sich im Zuge seiner Selbstaufklärung auf seine unmittelbaren Erfahrungen richtet und sich beobachtet respektive über diese Erfahrungen nachdenkt, ist notwendigerweise immer auch ein intuitives Denken. Sowohl sein Beobachtungsgegenstand ist in der Form der Intuition gegeben, als auch die Art der Beschäftigung mit ihm. Sowohl seine Verlaufsform als auch die Art seiner Wahrnehmung oder Erkenntnis, beziehungsweise seines Erfassens, hat den Charakter der Intuition wie Steiner anmerkt: Es ist eine "auf sich ruhende geistige Wesenhaftigkeit. Und von dieser kann er [der Denker] sagen, daß sie ihm durch Intuition im Bewußtsein gegenwärtig wird. Intuition ist das im rein Geistigen verlaufende bewußte Erleben eines rein geistigen Inhaltes. Nur durch eine Intuition kann die Wesenheit des Denkens erfaßt werden." (PdF, S. 146). Das intuitive Denken hat Steiners Schilderungen zufolge also einen ausgesprochenen geistigen Wahrnehmungcharakter: - Es nimmt Begriffe und Ideen wahr, und es nimmt sich selber wahr, wie er auf S. 256 hervorhebt: " ... darf aus dem Gesichtspunkte, der sich bloß aus dem intuitiv erlebten Denken ergibt, berechtigt erwartet werden, daß der Mensch außer dem Sinnlichen auch Geistiges wahrnehmen könne? Dies darf erwartet werden. Denn, wenn auch einerseits das intuitiv erlebte Denken ein im Menschengeiste sich vollziehender tätiger Vorgang ist, so ist es andererseits zugleich eine geistige, ohne sinnliches Organ erfaßte Wahrnehmung. Es ist eine Wahrnehmung, in der der Wahrnehmende selbst tätig ist, und es ist eine Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenommen wird. Im intuitiv erlebten Denken ist der Mensch in eine geistige Welt auch als Wahrnehmender versetzt. Was ihm innerhalb dieser Welt als Wahrnehmung so entgegentritt wie die geistige Welt seines eigenen Denkens, das erkennt der Mensch als geistige Wahrnehmungswelt. Zu dem Denken hätte diese Wahrnehmungswelt dasselbe Verhältnis wie nach der Sinnenseite hin die sinnliche Wahrnehmungswelt. Die geistige Wahrnehmungswelt kann dem Menschen, sobald er sie erlebt, nichts Fremdes sein, weil er im intuitiven Denken schon ein Erlebnis hat, das rein geistigen Charakter trägt". (Man beachte allerdings in diesem Zusammenhang auch den Unterschied zwischen intuitivem Denken und intuitiv erlebtem Denken. Weiteres dazu finden Sie hier. ) Eine Frage, die sich hier aufdrängt, aber an dieser Stelle nicht ausführlicher behandelt werden kann, ist die folgende: Hat dieses Anschauen oder Sehen des Denkens durch das Denken beziehungsweise durch beschreibende Begriffe nicht bereits den Charakter von Imaginationen? Denn die Beschreibungen des Denkens sind, wie man den von Steiner vielfach dargelegten Beispielen entnehmen kann, Veranschaulichungen oder Verbildlichungen des Denkens, die einerseits selbst der Sphäre des reinen Denkens angehören, damit auch zum übersinnlichen, "schauenden Bewußtsein" gerechnet werden. Andererseits sind sie von großer Exaktheit, deswegen werde ich sie weiter unten mit dem vergleichen, was man in der Wissenschaftsphilosophie "Basissätze" nennt. Zudem muß man sagen, daß die "anschauende" Erkenntnis des Denkens gegenüber der Erkenntnis durch das reine Denken, bei welcher das reine Denken selbst unerkannt bleibt, sachlich eine Steigerung der Erkenntnisform beziehungsweise eine höhere Stufe darstellt. Denn daß der Erkenntnis-Standort von dem aus das reine Denken als "reines Denken" erkannt wird, ein höherer sein muß als der Standort des reinen Denkens selbst, scheint einleuchtend. Die nächsthöhere Erkenntnisstufe über das reine Denken hinaus bezeichnet Steiner als "imaginative Erkenntnis". Man könnte folglich auch sagen, daß es sich - angesichts ihres veranschaulichenden Charakters, angesichts ihrer Zugehörigkeit zum schauenden Bewußtsein, angesichts auch ihres hohen Grades an Exaktheit und angesichts ihres Hinausgehens über das reine Denken - bei den Beschreibungen des Denkens, die wir auf der Grundlage seiner Beobachtung durchführen, genau genommen um Imaginationen des Denkens handelt. Es wäre demnach das, was ich in dieser Arbeit mehrfach als "deskriptive Intuition" bezeichnet habe - die Einsicht in spezifische Eigentümlichkeiten des Denkens - als eine, vielleicht noch elementare, Form der imaginativen Erkenntnis zu bezeichnen. (Auf das erkennende Erfassen des Denkens durch Imagination gibt Steiner einige Hinweise in einem Vortrag vom 3. September 1921 in Stuttgart. GA-78, Dornach 1968, S. 110 ff) 107d Der Gedankengang des letzten Absatzes scheint mir nicht nur sachlich stringent - er deckt sich auch mit dem, was Steiner anläßlich einer Erörterung des etwas problematischen Verhältnisses Denken über das Denken und Anschauung des Denkens sagt. Danach wird aus dem Denken über das Denken in der Tat etwas, das oberhalb des Denkens anzusiedeln ist. Vor diesem Hintergrund ist auch erklärlich, warum Steiner einmal im Denken über das Denken das erkenntnistheoretische Mittel erster Wahl sieht (Wahrheit und Wissenschaft GA-03, 1980, am Ende von Kapitel III, S. 48), und sich auch wiederholt explizit im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit darauf stützt, während er es an anderer Stelle ausdrücklich abzulehnen scheint, wie etwa in GA-322, 1981, S. 50, Vortr. v. 30.09.1920. Der Grund für diese scheinbare Ablehnung des Denkens über das Denken als Erkenntnismittel des Denkens liegt darin, daß aus dem das Denken betrachtenden Denken etwas qualitativ anderes wird als bloßes Denken, und von diesem Gesichtspunkt aus gesehen ist es eben kein Denken über das Denken mehr, das einer Beobachtung des Denkens methodisch zugrunde liegt. Der hier problematisierte Sachverhalt des Denkens über das Denken wird von Steiner relativ ausführlich in Berlin am 28. Februar 1918 über weite Strecken eines Vortrags hin erläutert. (GA-67, Dornach 1962, S. 68 ff) . Steiner erklärt dort etwa (S. 82 f) "Es handelt sich dabei ... darum, daß der Mensch das, was sonst bloß kombinierendes Denken ist, wie es dem zugrunde liegt, was man heute oftmals allein «Wissenschaft» nennt, zum innerlichen Denkleben erweckt. Dann ist das Denken ein Leben im Gedanken. Dann kann man auch nicht mehr über das Denken denken, sondern dann verwandelt es sich überhaupt in etwas anderes. Dann verwandelt sich das Denken über das Denken in eine geistige Anschauung des Denkens, dann hat man das Denken so vor sich, wie man sonst äußere Sinnesobjekte vor sich hat, nur daß man diese vor Augen und Ohren hat, während man das Denken vor der von geistiger Anschauung erfüllten Seele hat." Und weiter unten (S. 83 f): "Goethe wußte, daß, wenn man über das Denken denken will, man eigentlich ungefähr in derselben Lage ist, wie wenn man das Malen malen wollte. Man könnte sich ja denken, daß jemand das Malen malen will, daß er es sogar tut. Aber dann wird man sich wohl sagen, daß über das, was das eigentliche Malen ist, hinausgegangen wird. Ebenso muß über das Denken hinausgegangen werden, wenn es gegenständlich werden soll." Wie aber wird das Denken gegenständlich? Wie gewinnt es für seinen Erkenner Konturen, Formen und Gestalt? Ich schätze in einer analogen Weise wie dem operierten Blindgeborenen die visuelle Welt aus einem zusammenhanglosen Chaos von Farbflächen allmählich gegenständlich wird, und sich aus dem verwirrenden Tumult visueller Eindrücke zunehmend stabile und intellektuell handhabbare Formen und Gestalten herausschälen und heranreifen. Das heißt: Der Denker muß sich mit seinen Denkerlebnissen in analoger Weise gedanklich auseinandersetzen und sie ordnen, vertiefen usf, wie der operierte Blindgeborene sich mit seiner neugewonnenen Welt der rein visuellen Erfahrungen auseinandersetzen muß, damit aus diesen reinen Wahrnehmungen Anschauungen und Gegenstände werden, in denen er sich auch zurechtfindet. Das ist ein sehr subtiler und facettenreicher Vorgang. Der Anschauung des Denkens - so meine ich - liegt folglich zugrunde eine hinreichende Erlebnisgrundlage des Denkens, die nicht nur bloße Erfahrung des faktischen Denkens ist, sondern eine vielfältig gedanklich durchdrungene und nach zahlreichen Dimensionen hin gegliederte und begriffene Erfahrung des Denkens. So wie etwa beim Biologen die Anschauung von Bäumen und Kräutern wesentlich mehr ist als bloße Erfahrung von ihnen. Man könnte folgendes zusammenfassen: Will man das faktische Denken erkennen, dann muß man zunächst auch zu einem wirklichen Erleben des Denkens kommen. Was man aber dann vollbringt, indem man seine Denkfähigkeit auf das dergestalt erlebte Denken richtet und versucht es zu erkennen, ist im erkenntnispsychologischen Sinne schon kein Denken mehr, sondern etwas, das über das Denken hinausgeht - eine höhere Erkenntnisstufe als die des reinen Denkens. Die ist allerdings - wenn ich mich so ausdrücken darf - mit dem reinen Denken artverwandt. Und diese Anschauungen des Denkens sind im eigentlichen Sinne schon Imaginationen. Denn, wie Steiner im selben Vortrag (S. 92) erklärt: "Das Geistige kann nur bildhaft geschaut werden." Der erkenntnistheoretische Ausgangsstandort einer Erkenntnis des Denkens ist nun allerdings in hohem Maße ein analytisch-explikativer, der auf grundlegende Begriffe geht und sie klärt und durchleuchtet. In Wahrheit und Wissenschaft (GA-03, 1980), dem "Vorspiel" zu seiner Philosophie der Freiheit, erhebt Steiner am Ende von Kapitel III, (S. 48) das Denken über das Denken nachgerade zum methodischen Nonplusultra der Erkenntnistheorie: "Die Erkenntnistheorie kann aber nur eine kritische Wissenschaft sein. Ihr Objekt ist ja ein eminent subjektives Tun des Menschen: das Erkennen, und was sie darlegen will, ist die Gesetzmäßigkeit des Erkennens. Von dieser Wissenschaft muß also alle Naivität ausgeschlossen sein. Sie muß gerade darinnen ihre Stärke sehen, daß sie dasjenige vollzieht, von dem sich viele aufs Praktische gerichtete Geister rühmen, es nie getan zu haben, nämlich das «Denken über das Denken»." Was den Charakter dieses Denkens über das Denken angeht, so mag vielleicht als gewisse Orientierungshilfe dienen, was Steiner über das methodische Verfahren bei der Suche nach dem voraussetzungslosen Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie in derselben Schrift am Ende von Kapitel II ausführt, wonach diese in einer "rein didaktischen Verständigung über den Anfang einer Wissenschaft" bestehe, die in "rein selbstverständlichen analytischen Sätzen" zu verlaufen habe. Und um die Klärung von Grundsatzpositionen geht es, wenn auch in sehr anderer Art, vielfach im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit. Deswegen läßt sich hier, im engeren erkentnistheoretischen Umfeld bei der Klärung von Grundsatzfragen und -positionen, auch am ehesten von einem Denken über das Denken sprechen. Aber aus diesem analytisch-explikativen Denken der Erkenntnistheorie wird in dem Maße ein anschauendes Denken, wie es sich dem erlebten Denken zuwendet. Was sich schon in Wahrheit und Wissenschaft anbahnt, besonders aber im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit abzeichnet, wenn Steiner dort, und zwar in durchaus synonymer Weise, nicht nur von einem Denken über das Denken, sondern auch einer Beobachtung oder Betrachtung des Denkens spricht. Und was man betrachtet - so viel ist schon dem allgemeinen Sprachgebrauch zu entnehmen - das schaut man auch an. Ob und wie weit Steiner selbst erst im Laufe der Jahre nach Erstausgabe der Philosophie der Freiheit zu einer genaueren, erkenntnispsychologischen Klärung des Verhältnisses Denken über das Denken und Anschauung des Denkens kam, wäre eine interessante Frage, kann hier aber nicht weiter thematisiert werden. Dem normalen, bloß kombinierenden, Denken der Wissenschaft liegt ein naiver Gebrauch des Denkens zugrunde. Und zwar im doppelten Sinne naiv: Den Wissenschaftler interessiert ja nicht das Denken, sondern das Thema, worauf es sich richtet. Und in aller Regel ist er auch von erkenntniskritischen Fragen relativ unberührt. So daß er weder über das Denken, noch über erkenntniskritische Problemstellungen allzu viel weiß. In einer vergleichbaren, wenn auch erkenntniskritisch aufgeklärteren Lage, sind im Grundsatz auch Erkenntnistheoretiker, die - obgleich in erkenntnistheoretischen Kontexten - ebenfalls einen ganz naiven Gebrauch vom Denken pflegen, und letztlich nur dieses kombinierende Denken - diesmal auf alle möglichen erkenntniskritischen Grundlagenfragen von Wissenschaft und Erkenntnis - anwenden. Selbst dann, wenn sie dabei über das Denken denken. Sie kommen hinsichtlich des Denkens über diese naive Verwendungsstufe wenig oder gar nicht hinaus und lassen sich vorrangig von der logischen Struktur gewisser Problemstellungen leiten. Sie treiben zwar Erkenntniskritik, aber das Mittel, mit dem sie sie betreiben, verwenden sie selbst wiederum auf eine naive Weise dergestalt, daß sie es kaum wirklich kennen. Es ist gewissermaßen eine Naivität zweiten Grades. In bezug auf das Denken liefert also die Erkenntnistheorie - wenn sie denn überhaupt bis dahin gelangt - im wesentlichen Vorüberlegungen aber noch kaum Erkenntnis des Denkens im engeren und eigentlichen Sinne. Man könnte - von Steiner vielleicht einmal abgesehen - wahrscheinlich jede beliebige Erkenntnistheorie auf diese Sachlage hin durchsehen. Nicht so sehr im umfassenderen erkenntniswissenschaftlichen Zusamenhang, aber am Beispiel einer isolierten Fragestellung läßt sich das exemplarisch studieren bei Popper wenn er im Buch Das Ich und sein Gehirn, München 1982 dem Materialismus (S. 105 ff) zwar ein sehr schlagkräftiges Selbstwiderlegungsargument entgegenhält, aber über das Denken selbst - verkürzend gesagt - zu kaum einer brauchbaren Aussage kommt. (Ähnlich in Karl R. Popper, Objektive Erkenntnis, Hamburg 1984, S. 232 ff) So spricht er von Argumenten und Gründen. Er ist vorrangig am formalen Einwand und logischen Widersprüchen orientiert, aber das faktische Denken interessiert ihn in diesem Zusammenhang fast nicht. Er würde es als Gegenstand des Erkennens fraglos an die Denkpsychologie delegieren. (Siehe hierzu auch Poppers Logik der Forschung, 8. Aufl, Tübingen 1984, Kapitel I., Grundprobleme der Erkenntnislogik, S. 3 ff) Aus dem Blickwinkel der Erkenntnistheorie sogar mit einem gewissen Recht. Denn am Ausgangspunkt einer Erkenntnistheorie dürfen noch keine empirisch gehaltvollen Sachaussagen beigezogen werden, weil ja alles Empirische problematisch ist. Also im Prinzip auch das Denken. Die Wissenschaft - auch die des Denkens - findet in der Erkenntnistheorie ja erst ihre allgemeine Begründung, deswegen kann die Erkenntnistheorie selbst noch keine empirische Wissenschaft des Denkens im engeren Sinne sein, sondern bestenfalls eine Vorstufe dorthin. (Siehe hierzu etwa Rudolf Eisler, Einführung in die Erkenntnistheorie 2. Aufl. Leipzig 1925, S. 1 ff) Das wirkt in ihrer zugespitzten Form manchmal wie eine etwas paradoxe Forderung der Erkenntnistheorie; aber selbst Steiner hält sich wie eben gezeigt in Wahrheit und Wissenschaft zumindest programmatisch daran, wenn er am Ende von Kapitel 2 sagt, daß die Erkenntnistheorie in einer "rein didaktischen Verständigung über den Anfang einer Wissenschaft" bestehe, die in "rein selbstverständlichen analytischen Sätzen" zu verlaufen habe. Interessant ist allerdings in diesem Zusammenhang auch, daß er in den Vorbemerkungen zu dieser Schrift (S. 25), die Forderung nach Voraussetzungslosigkeit mit der hintersinnigen Bemerkung versieht: "... soweit das bei der Natur des menschlichen Erkenntnisvermögens möglich ist...". Also könnte man sagen: Das Denken über das Denken findet in Form eines weitgehend naiv getätigten, weil unbekannten, Denkens am ehesten auf dieser Ebene rein selbstverständlicher analytischer Sätze über den Anfang einer Wissenschaft statt. Und soweit dort das Denken thematisiert wird, handelt es sich vorzugsweise um Vorüberlegungen hinsichtlich seiner Erkenntnis. Rigide trennen zwischen einem Denken über das Denken und einer Anschauung des Denkens kann man streng genommen nicht. Denn immer muß ja eine gewisse Erfahrung des Denkens, und sei sie noch so dürftig, in das Denken über das Denken eingang finden, sonst ließe sich darüber höchstens in dem Sinne denken, wie ein Blinder über die farbige Welt denkt. Dann aber wird daraus etwas qualitativ anderes in dem Maße, wie das Denken sich selbst zum ausdrücklichen empirischen Erkenntnisgegenstand wird. Ich meine dies zeigt sich auch sehr deutlich in der Philosophie der Freiheit: Spannt man das dritte Kapitel der Philosophie der Freiheit zwischen den Marken Denken über das Denken und Anschauung des Denkens auf, so enthält es methodisch und sprachlich alle Kennzeichen einer Region des Übergangs vom einen zum andern. Es dürfte eine analoge Übergangsregion sein, wie sie sich anfangs im Bewußtsein desjenigen findet, der sich auf den Weg der Philosophie der Freiheit begibt. Denn daß es von diesem geistigen Anschauen des Denkens alle möglichen qualitativen Abstufungen und Reifegrade in Richtung Imagination gibt, die auch durch systematische Übungen in Richtung der oberhalb der Imagination liegenden Erkenntnisstufen weiter ausgebaut werden können und müssen, halte ich für selbstverständlich. Was bei Steiner augenfällig fehlt - und darin liegt der Anlaß zahlreicher Verständnisprobleme -, das ist eine systematische und eingehende denkpsychologische Aufarbeitung des Zwischenbereichs vor dem Eintritt in die eigentlichen höheren Erkenntnisstufen. Das heißt: der gesamte Bereich der gewöhnlichen Denkpsychologie. Steiner war dieser Mangel übrigens sehr bewußt. Denn eben aus diesem Anlaß äußert er in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21, Dornach 1976, S. 170 f) den Wunsch, in einem psychologischen Laboratorium arbeiten zu können, um zu zeigen, wie das menschliche Wesen zum Schauen veranlagt ist. Genauer spricht er da nicht nur von sich, sondern von einem jeden, der auf dem anthroposophischen Gesichtspunkt steht. So ein Wunsch scheint mir kaum verständlich und überflüssig, gesetzt den Fall, in der Philosophie der Freiheit und den anderen philosophischen Frühschriften wäre bereits alles enthalten, was diese Veranlagung zum Schauen hinreichend demonstrieren könnte. Seine Anknüpfung an die Psychologie macht vielmehr deutlich, daß die Philosophie allein diese Aufgabe kaum bewältigen kann. Vielleicht wäre von diesem fehlenden Teil mehr als Rudimentäres vorhanden, wenn es Steiner, wie ursprünglich einmal beabsichtigt, gelungen wäre, eine philosophisch-akademische Laufbahn einzuschlagen. Die Dinge haben sich anders entwickelt, und so bleibt diese Aufgabe seinen Nachfolgern überlassen. Damit das alles nicht nur abstrakt im Raum steht vielleicht noch ein pragmatischer Hinweis dazu, wie sich der Leser den Übergang zur Anschauung des Denkens plastisch verdeutlichen kann: Es gab vor einiger Zeit im Spiegel einen sehr bemerkenswerten Artikel über einen operierten Blindgeborenen, der das Sehen neu zu lernen hatte. Wenn man sich diesen Artikel vornimmt und sich die Frage vorlegt: Was muß der operierte Blinde tun, damit aus einer bloß visuellen Erfahrung eine visuelle Anschauung wird? dann erhält man eine gute Ausgangsbasis, indem man dieses Procedere auf das Denken überträgt und sich fragt: Was muß der Denker tun, damit aus einer bloßen Erfahrung des Denkens eine Anschauung des Denkens wird? - Ich meine nach dem Studium des Artikels müßte der aufmerksame Leser im Prinzip in der Lage sein diese Frage für sich selbst zu beantworten. Vielleicht wird in absehbarer Zeit der Artikel zu diesem Thema auf meiner Homepage erscheinen, den ich mir schon vor einiger Zeit vorgenommen hatte. Bislang fehlten mir Gelegenheit und Kraft dies zu tun. Bis es soweit ist, steht Ihnen als Navigationshilfe der Fragenkatalog der Vorschau zur Verfügung, an dem Sie sich orientieren können. Wenn Sie die dort aufgelisteten Fragestellungen abarbeiten, dann müßten Sie eigentlich mit dem Verständnis ziemlich genau dort ankommen, wo Sie hin wollen. Siehe: Der sehende Blinde, in, Der Spiegel, Nr. 47, 18.11.2002 S. 190 ff. (Wieder abgedruckt unter dem Titel: Wie ein Blinder versuchte, das Sehen zu lernen, in: SPIEGEL special 4/2003, S. 140 ff) Siehe zu diesem Thema auch meinen kritischen Briefwechsel mit Lutz Baar. Vor allem den Brief v. 02.12.02 ) Bei der Diskussion Peter Schneiders habe ich schon die These vertreten, daß Steiners Ausdruck der "unmittelbaren Anschauung" des Denkens nicht im zeitlichen Sinne zu verstehen ist, sondern im methodischen. Vor allem auch Steiners Hinweis: "Ein richtiges Verständnis dieser Beobachtung kommt zu der Einsicht, daß das Denken als eine in sich beschlossene Wesenheit unmittelbar angeschaut werden kann. Wer nötig findet, zur Erklärung des Denkens als solchem etwas anderes herbeizuziehen, wie etwa physische Gehirnvorgänge, oder hinter dem beobachteten bewußten Denken liegende unbewußte geistige Vorgänge, der verkennt, was ihm die unbefangene Beobachtung des Denkens gibt." (GA-4, S. 145), stützt diesen Gesichtspunkt. Die "Beobachtung" oder "Betrachtung" des Denkens und seine "unmittelbare Anschauung" stehen offensichtlich für denselben Sachverhalt. So, wie das Denken nur durch das Denken "unmittelbar" beobachtet oder betrachtet werden kann, und nicht durch ein zwischengeschaltetes, nur mittelbares methodisches Verfahren hirnphysiologischer oder neurobiologischer Art, so kann es auch nur durch das Denken "unmittelbar" angeschaut werden mit Hilfe beschreibender Begriffe, die sich ihm durch seine unmittelbare Betrachtung ergeben. So gesehen ist die Anschauung des Denkens etwa durch hirnphysiologische Begriffe lediglich eine mittelbare. Dieses unmittelbare "Anschauen" des Denkens mittels deskriptiver Begriffe ist auch nicht gleichzusetzen mit der "intellektuellen Anschauung" reiner Begriffe und Ideen". Wir haben auch diesen Punkt bereits oben bei der Diskussion der Schneiderschen Schrift erwähnt. Der Begriff der "intellektuellen Anschauung" steht bei Steiner im engeren Kontext einer philosophischen Kritik des Sensualismus, und ist Teil seiner Strategie, die Grundstruktur des Erkennens in wahrnehmliche und begriffliche Anteile freizulegen. Er kennzeichnet lediglich des Gegebensein gewisser gedanklicher Entitäten und heißt soviel wie: mit der Denkform ist zugleich der Inhalt des Denkens gegeben. Steiner bezieht sich dabei in "Wahrheit und Wissenschaft" (S. 60) auf das Gegebensein von reinen Begriffen und Ideen, und zwar in dezidierter Abgrenzung zur philosophischen Ansicht, das Denken könne aus sich selbst heraus zu keinen Inhalten kommen. Er richtet sich hier gegen einen von Kant und seinen zeitgenössischen Vertretern unterstellten Sensualismus, dem er mit seinem Hinweis auf die intellektuelle Anschauung begegnet. Es geht also dabei um die Frage: Woher kommen die reinen Begriffe und Ideen? Und dazu sagt Steiner: Es sind reine, und nicht sensorisch fundierte, Schöpfungen des Denkens. Steiner stellt hier zwar ein Beobachtungsresultat dar, insofern seine Einschätzung des Charakters von reinen Begriffen und Ideen auf der Beobachtung des Denkens basiert, aber er thematisiert nicht die Methode der Denk-Beobachtung. Es geht nicht um die methodische Frage: Wie beobachten beziehungsweise erkennen wir das Denken? Oder : Wie ist uns das Denken in der Beobachtung gegeben? An dieser Stelle sei eine erläuternde Bemerkung eingeflochten zu meiner Darstellung des Erinnerungsproblems, wie ich es im Jahrbuch 97 skizziert habe.108 Ich schrieb dort unter anderem (S. 226): "Alles was von Denkakten erinnerbar ist, muß einen Weg über das Denken genommen haben, da es ein weiteres Erkenntnisprinzip nicht gibt. Damit bleibt mir auch der Weg verschlossen, auf irgend einem anderen Wege von meiner Denktätigkeit unmittelbar Kenntnis zu erhalten als auf dem Wege des Denkens selbst. Ich muß also, während ich denke, mein Denken zugleich begrifflich, das heißt denkend, begleiten und diese Begleiterfahrung in eine erinnerbare Form bringen, anders bekäme ich lediglich Nachricht von den Denkinhalten, aber nicht von dem Tun selbst. Damit ist eine absolut "denkfreie" Erfahrung des Denkens keineswegs ausgeschlossen, vielleicht ist sie sogar die Regel, aber die Kompromißlosigkeit, mit der Rudolf Steiner den "Ausnahmezustand" skizziert, scheint mir etwas überzeichnet." Was die genannte Denkfreiheit der Denk-Erfahrung betrifft, so bin ich mir inzwischen in dieser Hinsicht wesentlich sicherer als seinerzeit, weil eine Klärung des Steinerschen Begriffes von Denk-Beobachtung damals noch nicht stattgefunden hatte. Indessen führt eine solche Klärung auf eben denselben Gesichtspunkt der Denkfreiheit der "reinen Erfahrung" des Denkens. Was das Wissen um das "Tun" des Denkens und die "Kenntnis um die Denktätigkeit" angeht, so war damit ein beschreibendes Wissen oder Beobachtungswissen von diesem Tun des Denkens gemeint. Weil mir aber der Steinersche Beobachtungsbegriff seinerzeit nicht deutlich war, konnte ich auch den Unterschied nicht klar erkennen zwischen dem unmittelbaren Wissen um das Denkgeschehen und seine inhaltlichen Bezüge und dem Beschreibungs- oder Beobachtungswissen - das ist das Wissen um einen Denkbegriff, das sich erst aus einer denkenden Betrachtung der Denk-Erfahrung ergibt. Diese Differenzierung hat sich erst aus der Analyse des Beobachtungsbegriffes ergeben. Wir werden das weiter unten noch näher untersuchen. Von daher stand ich vor dem Rätsel, wie Steiner, wenn er die aktuelle Beobachtung des Denkens ausschließt, überhaupt zu einem Begriff des Denkens kommen könne. Lorenzo Ravagli spricht (Jb 97, S. 88) von einer "Selbsterinnerung der eigenen Denktätigkeit" und ich meine, darin wäre ihm zuzustimmen, soweit unter dieser Erinnerung nicht das Bewußtsein der aktuellen Denktätigkeit zu verstehen ist, sondern jener Inhalt, auf den sich das beobachtende Denken richtet. Diese Erinnerungen sind insofern mit einer Erkenntnis verbunden, als ich weiß, es sind meine Erinnerungen und ich weiß auch ihren Inhalt anzugeben. Was aber mit dieser Erinnerung nicht gegeben ist, das ist ein Begriff des Denkens. Dieser läßt sich erst erwerben durch betrachtendes Denken über diese oder anhand dieser Erinnerungen oder "Erfahrungen des Denken", wie Steiner es nennt. Das, so glaube ich, ist aus dem bisher Dargelegten deutlich geworden und wird nachfolgend vielleicht noch etwas prägnanter werden. Man muß übrigens dieses Erinnern und Beobachten sich nicht zu statisch vorstellen, denn in der Realität laufen die Prozesse sehr dicht beieinander, das wird jeder anhand seiner eigenen Erfahrungen bestätigen. Das eine geht fließend in das andere über, so daß die zeitlichen Zäsuren zwischen Denken, Erinnerung und Beobachtung kaum auffallen und das "Danach" leicht übersehen wird. Eine labormäßige Beobachtung, wie sie etwa von Bühler vorgenommen wurde, ist ja eine hochkünstliche wissenschaftlich-experimentelle Ausnahmeveranstaltung, die wir im täglichen Leben in der Regel so nicht gegeben finden.
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