Studien zur Anthroposophie

Michael Muschalle


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Michael Muschalle

Methodische Probleme introspektiver

Intuitionsforschung.

Wundts Kritik an den Würzburger Denk-Experimenten

(Stand 29.08.01)

Im Jahre 1913 veröffentlichte John Broadus Watson eine kleine programmatische Schrift mit dem Titel «Psychology as the Behaviourist Views It», 1 in der er ein methodisches Programm entwirft, das für ganze Generationen von Psychologen prägend geworden ist. 2 Dieser Entwurf ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Zum einen markiert er einen historischen Wendepunkt der modernen Psychologie und zwar weg von der Psychologie der Bewußtseinsphänomene hin zu einer Psychologie des Verhaltens. Er indiziert zugleich das Versagen der bis dahin weithin üblichen Psychologie der Selbstbeobachtung, die sich ja insbesondere als Wissenschaft von den Bewußtseinsphänomenen verstand. Der Behaviou­rismus räumte auf mit deren fragwürdigen Untersuchungsmethoden, mit Forschungsresultaten, die sich nach dem Urteil der Kritiker im Kosmos der Beliebigkeit verloren. Der Behaviourist schaffte das Bewußtsein als Untersuchungsgegenstand ab, orientierte sich hart an der Vorgehenswei­se der Naturwissenschaften und operierte, solchermaßen ausgestattet, bis in die Gegenwart hinein überaus erfolgreich, wenn man bereit ist, die Begriffe "Erfolg" und "mainstream-Psychologie" gleichzusetzen.

Was hatten Watson und seine Gesinnungsgenossen der bis dahin vorherrschenden Bewußtseinspsychologie vorzuwerfen? Ihre Kritik zielte vor allen Dingen auf Fragen einer Methodologie, die offenbar so komplex und impraktikabel war, daß man sich weder über die beobachteten Tatbestände noch über den Weg der Beobachtung einig zu werden schien. "Psychologie, wie man sie sich im allgemeinen vorstellt, ist in ihren Methoden etwas esoterisch", schreibt Watson. "Wenn es dir nicht gelingt, meine Ergebnisse zu reproduzieren, liegt das nicht an einem Fehler in deiner Apparatur oder der Kontrolle deines Reizes, sondern daran, daß deine Introspektion ungeübt ist. Nicht die experimentelle Versuchsanlage wird kritisiert, sondern der Beobachter. In der Physik und Chemie richtet sich der Angriff auf die experimentellen Bedingungen: Das Instrument war nicht empfindlich genug, es wurden unreine Chemikalien verwendet usw. In diesen Wissenschaften führt eine bessere Technik zu reproduzierbaren Ergebnissen. Wenn du nicht drei bis neun Klarheitsgrade der Aufmerk­samkeit beobachten kannst, ist deine Introspektion unzureichend. Wenn dir andererseits ein Gefühl ziemlich klar zu sein scheint, ist deine Intro­spektion auch fehlerhaft. Du siehst zu viel; Gefühle sind nie klar." 3

Gemessen an der Vorgehensweise der Naturwissenschaften, gab es für die Methode der Selbstbeobachtung kaum Validierungskriterien. Weder Erfolg noch Mißerfolg einer Selbstbeobachtung waren extern mit hinreichender Sicherheit zu überprüfen. Anders gewendet: jeder beobachtete Sachverhalt bzw. dessen Deutung konnte nahezu unbegrenzt bezweifelt oder verteidigt werden. Entsprechend verwirrend stellte sich für Watson auch der Diskurs der Fachpsychologen untereinander dar. "Wir haben keine Garantie mehr, daß wir alle dasselbe meinen, wenn wir die jetzt in der Psychologie gebräuchlichen Begriffe verwenden" so Watson weiter. "Nehmen wir als Beispiel die Empfindung. Eine Empfindung wird in den Begriffen ihrer Attribute definiert. Der eine Psychologe wird sogleich feststellen, daß die Attribute einer visuellen Empfindung ihre Qualität, Ausdehnung, Dauer und Intensität sind. Ein anderer Psychologe fügt noch die Klarheit hinzu, wieder ein anderer das Attribut der Anordnung. Ich bezweifle, daß irgend ein Psychologe eine Gruppe von Aussagen aufstellen kann, die das beschreiben, was er unter Empfindung versteht, und der drei andere Psychologen verschiedener Herkunft zustimmen." 4

Watsons etwas hemdsärmelige Zustandsbeschreibung der Psychologie trifft doch in wesentlichen Stücken zu, wie William Lyons in seiner Monographie der introspektiven Psychologie bestätigt: "Introspectionism fashioned its own disrepute not only by so multiplying the conditions under which «introspective experiments» could be considered valid and by making them so intricate that the whole routine became bizarre but also because even trained «introspectors» from the same culture could not agree on any results from these «introspective experiments»." 5

In der vergleichsweise kurzen Zeit ihrer Existenz hatte sich die moderne Psychologie mit einer Vielzahl methodischer und theoretischer Fragen zu plagen, die etablierte Disziplinen längst hinter sich hatten.6 Entsprechend uneinheitlich war demzufolge ihr Methodenverständnis.7 Ein plastisches Beispiel dieser Verfassung bietet die Kontroverse zwischen Wilhelm Wundt und der sog. Würzburger Schule um Oswald Külpe hinsichtlich der Frage der psychologisch einwandfreien Beobachtung von Denkvorgängen.

Die Würzburger hatten sich insbesondere der Überprüfung der sensualis­tischen Annahme zugewendet, Gedanken seien letztendlich sensorischen Ursprungs und von daher müsse sich immer auch ein Rest dieser ur­sprünglichen Wahrnehmungsgegebenheit bei den Denkprozessen ausfin­dig machen lassen. 8 Die Überlegung der Würzburger war nun die fol­gende: wenn wir die sensualistische Theorie überprüfen wollen, dann müssen wir jene Erlebnisse beobachten, die ein ernstzunehmender Den­ker bei ebenso ernstzunehmender gedanklicher Arbeit hat, oder in der zu­rückhaltenderen Ausdrucksweise Karl Bühlers, der die Untersuchung lei­tete: "Was erleben wir, wenn wir denken?". 9 Aus diesem Grunde wur­den die Versuche mit Personen unternommen, deren Ruf, ernstzuneh­mende Denker zu sein, unbezweifelt war. Es waren die Mitar­beiter der Würzburger Schule selbst, u.a. deren spiritus rector Oswald Külpe, die als Versuchspersonen fungierten, Professoren und Doktoren der Philoso­phie und sie waren auf dem Gebiet der Selbstbeobachtung er­fahren, also keine psychologischen Laien. Man legte ihnen eine Vielzahl von recht schwierigen Fragen vor, die zu beantworten waren, wobei die Vpn zu­gleich auf die Erlebnisse zu achten hatten, die ihnen während des Denk­vorganges durch das Bewußtsein zogen. Für die Versuche kam es nicht darauf an, eine ausformulierte Antwort auf die gestellte Frage zu geben, sondern allein jene Phase der Problemlösung zu erfassen, die zwi­schen dem Stellen der Frage und dem ersten entschiedenen Aufblitzen ei­ner Antwort im Bewußtsein des Befragten verstrich. Wie die Lösung dann in Sprache gekleidet werden mochte, war für die Versuche unerheblich.

Daß hier tatsächlich gedacht wurde, geht aus der Natur der Fragen her­vor, die man beispielsweise Külpe vorlegte. Es handelte sich um Fragen des Typs:

"Bedeutet der Monismus wirklich die Verneinung der Persönlichkeit?".

"Wenn Eucken von einer weltgeschichtlichen Apperzeption spricht, wissen Sie, was er damit meint?"

"Hat Eucken recht, wenn er meint: Selbst die Schranken der Erkenntnis könnten nicht zum Bewußtsein kommen, wenn der Mensch nicht irgendwie über sie hinausreichte?"

"Können wir mit unserem Denken das Wesen des Denkens erfassen?" 10

Über die Durchführung der Versuche berichtet Karl Bühler in seiner Zu­sammenfassung: "Die Vp. saß am Tisch, der Versuchsleiter in der Nähe und bestimmte die Zeit von dem ersten Wort seiner Frage bis zum Ja oder Nein. Die Fragen wurden nach einigen Vorversuchen nicht auf ein Blatt Papier geschrieben zum Lesen vorgelegt, sondern von dem Ver­suchsleiter vorgelesen. Ausgesprochen wurden die Sätze, wie man eben solche Sätze sinnvoll spricht, ohne besondere Finessen, aber mit verstän­diger Betonung. Zur Vorsicht bat ich die Vp., mich während des Vorle­sens nicht anzusehen. Nach der Antwort bat ich um eine möglichst treue Beschreibung dessen, was die Vp. in der Versuchszeit erlebt hatte."11 Auf diese Weise wurden den Vpn in einer Reihe von Sitzungen mehrere Dutzend Fragen vorgelegt und die Erlebnisbeschreibungen nach jeder Frage zu Protokoll genommen. So beschreibt Oswald Külpe seine Erleb­nisse auf die Frage "Können wir mit dem Denken das Wesen des Den­kens erfassen?": "Ja (6"). - Die Frage berührte mich erst komisch; ich dachte es sei eine Vexierfrage. Dann fiel mir plötzlich ein, was Hegel Kant vorgeworfen, und dann sagte ich mit Entschiedenheit: ja. Der Ge­danke an Hegels Vorwurf war ziemlich reich, ich wußte momentan ge­nau, auf was es dabei ankommt, gesprochen hab ich nichts dabei, auch nichts vorgestellt, nur das Wort Hegel klang mir nachträglich an (akustisch-motorisch)"12

Was die Würzburger nun aus ihren Untersuchungen extrahierten war eine gründliche Absage an die sensualistischen Grundannahmen: "Als die we­sentlichen Bestandstücke unserer Denkerlebnisse können nur die Gedan­ken angesehen werden." (S. 317) "...etwas, was so fragmentarisch, so sporadisch, so durchaus zufällig auftritt im Bewußtsein, wie die Vor­stellungen in unseren Denkerlebnissen, kann nicht als Träger des festge­fügten und kontinuierlichen Denkgehaltes angesehen werden" (S. 317) "Es gibt Gedanken, ohne jede nachweisbare Spur einer Anschauungs­grundlage." (S. 318) so Bühler in der Zusammenfassung der Untersu­chungen 13 und an anderer Stelle: " Wir können die Gedanken nicht auf andere Erlebnisse zurückführen, das dürfte das Ergebnis unserer polemi­schen Erörterungen sein."14 Mit anderen Worten: Gedanken sind eine Kategorie sui generis. Sie werden nicht durch sensorische Erlebnisse fun­diert oder komponiert, auch nicht durch rudimentäre oder symbolartige Reste von Wahrnehmungsgegebenheiten, sondern sie stellen ein völlig eigenständiges Reich von Entitäten dar.

Auf die Veröffentlichungen der Würzburger reagierte Wilhelm Wundt überaus heftig mit dem Vorwurf methodischer Scharlatanerie.15 Er kon­zentrierte seine Polemik v.a. auf einige Grundregeln experimenteller Un­tersuchungen, die, wie von ihm zugestanden, zwar auch in den Naturwis­senschaften nicht immer idealtypisch zu realisieren seien, an denen sich aber im Prinzip jede experimentelle Vorgehenweise messen lassen müs­se, sei es in den Naturwissenschaften oder in der Psychologie. Diese Re­geln, so lautete Wundts Vorwurf, seien in den Würzburger Experimenten weitestgehend verfehlt worden:

"1) Der Beobachter muß womöglich in der Lage sein, den Eintritt des zu beobachtenden Vorganges selbst bestimmen zu können.

2) Der Beobachter muß, soweit möglich, im Zustand gespannter Aufmerksamkeit die Erscheinungen auffassen und in ihrem Verlauf verfolgen.

3) Jede Beobachtung muß zum Zweck der Sicherung der Ergebnisse unter den gleichen Umständen mehrmals wiederholt werden können."16

Im Hinblick auf die o.g. Maßstäbe psychologischen Experimentierens fiel Wundts Beurteilung der Würzburger Untersuchungen vernichtend aus. Die Würzburger Ausfrageexperimente "sind überhaupt keine Experi­mente im Sinne einer wissenschaftlichen Methodik, sondern sie sind Scheinexperimente, die bloß dadurch, daß sie in der Regel in einem psy­chologischen Laboratorium vorgenommen werden, daß sich in ihnen ein angeblicher Experimentator und eine Versuchsperson gegenüberstehen, planmäßig aussehen, während sie es in Wirklichkeit nicht im geringsten sind, da sie alle Kriterien vermissen lassen, nach denen sich überhaupt experimentelle psychologische Selbstbeobachtungen von gewöhnlichen Selbstbeobachtungen unterscheiden."17

Allenfalls als normale Selbstbeobachtungen "unter erschwerten Bedin­gungen" mochte Wundt sie gelten lassen, weil die Versuchsperson einer Situation strenger Prüfung unterworfen gewesen sei, ohne Einfluß auf die Art der Frage, einem stoppuhrbewehrten und antwortheischenden Ver­suchsleiter gegenüber. In dieser von Überraschung und Kontrolle gepräg­ten Situation war eine beträchtliche gedankliche Leistung nicht nur zu vollbringen, sondern auch auf das nicht minder unerwartete simultan sich vollziehende psychische Geschehen zu achten. Ein Geschehen, das, wie Wundt vermutete, ähnlich komplex sein mußte, wie die von den Ver­suchspersonen zu lösenden Fragen. Daher mußte ihm das Tempo der ein­zelnen Versuchssequenzen, die nach wenigen Sekunden bemessen waren, geradezu bizzarr vorkommen: "Hier wird dem Beobachter eine meist nicht unerhebliche geistige Arbeit zugemutet, eine Arbeit, die ihn unter normalen Verhältnissen...stundenlang beschäftigen könnte... Derartige Fragen sind...nicht nur unerwartet, sondern sie sind überdies außerordent­lich verwickelt, und dementsprechend werden natürlich auch die psychi­schen Vorgänge, die sie in dem Befragten anregen, so komplizierter Art sein, daß sich dadurch die Schwierigkeit der Beobachtung unerwarteter Vorgänge geradezu ins unabsehbare steigert."18

Für Wundt widersprach schon der Schwierigkeitsgrad der Frage allen Re­geln eines wissenschaftlichen Experiments, das auf ein Maximum an Überschaubarkeit anzulegen war. Da das eigentlich experimentelle Ge­schehen nicht im Labor, sondern im Innern der Versuchsperson vor sich ging, wäre dort der geforderte Grad der Überschaubarkeit einzurichten gewesen. Dem jedoch widersetzte sich die Natur des zu lösenden Pro­blems, an dem in vielen Fällen schon Generationen von Philosophen ge­feilt hatten. So war bereits die erste wesentliche Komponente der Experi­mentalbedingungen alles andere als durchsichtig, sondern unerwartet, vielschichtig und diffus und in diesem Zustand experimenteller Konfusi­on, hatte die Versuchsperson auch noch die womöglich ebenso verwi­ckelten psychologischen Begleitumstände der Problemlösung wahrzu­nehmen. Sie mußte ihre Aufmerksamkeit, von der anzunehmen war, daß sie bereits durch das Bemühen um Problemlösung völlig absorbiert war, nun auch noch teilen und dem zweiten Teil des Experiments zuwenden, der Wahrnehmung begleitender Innenerlebnisse.

Hierzu bemerkt Wundt: "Vermag der Beobachter bei den Ausfrageexpe­rimenten den Verlauf der Erscheinungen mit Aufmerksamkeit zu erfas­sen und zu verfolgen? - Diese Frage läuft im Grunde auf die andere hin­aus: kann es psychische Vorgänge, z.B. logische Denkakte, geben, zu de­ren Erzeugung die äußerste Spannung unserer Aufmerksamkeit erfordert wird, und die wir gleichzeitig unter Aufbietung einer eben solchen Spannung der Aufmerksamkeit beobachten?"19

Angenommen, die Würzburger Versuche seien unter methodologisch einwandfreien Bedingungen durchgeführt worden, dann hätten die Ver­suchspersonen nach Wundts Maßstäben in äußerster Konzentration si­multan denken, bzw. ein komplexes gedankliches Problem lösen und die Begleiterlebnisse, d.h. die "Erscheinung" der Lösung und ihre Begleitum­stände verfolgen müssen. Ein solches Vermögen der Aufmerksamkeits­spaltung hält Wundt für ausgeschlossen, dies umso mehr, je stärker die Aufmerksamkeit auf dem gedanklichen Problem des Experiments ruht: "Eine Verdoppelung der Persönlichkeit", schreibt er, "gibt es bekanntlich gelegentlich im Traum und in der Geistesstörung, in Zuständen, bei de­nen gerade die Funktionen der Aufmerksamkeit völlig darniederliegen. Eine Verdoppelung der Aufmerksamkeit in jenem Sinne, in welchem der Sprachgebrauch nicht bloß eine intensive Steigerung, sondern eine dop­pelte Richtung derselben bezeichnet, eine solche Verdoppelung gibt es weder im Traum, noch im wachen Bewußtsein, und in diesem um so we­niger, je gespannter die Aufmerksamkeit den psychischen Vorgängen, die wir beobachten sollen, zugewandt ist."20

Angesichts dieser Befunde ist Wundts Fassungslosigkeit über die Würz­burger Resultate wenig überraschend - einem naturwissenschaftlich aus­gebildeten Experimentalpsychologen glich diese Methode eher einer Ka­rikatur der Wissenschaft, als einem seriösen Verfahren der Psychologie.

Wundts Ansicht, eine Teilung der Aufmerksamkeit und simultanes Ver­folgen verschiedener psychischer Sachverhalte sei ausgeschlossen, war so sehr psychologisches Allgemeingut, daß nicht einmal die Würzburger sich darauf berufen mochten. In der Replik auf Wundts Kritik weist Karl Bühler die darauf anspielenden Vorwürfe Wundts energisch zurück.21 Aus der zeitlichen Distanz wird das nicht ohne weiteres einleuchten, denn selbst die von Bühler als Methode genannte mittelbare Beobachtung der seelischen Begleiterscheinungen auf dem Wege der Erinnerung muß sich ja auf einen ursprünglich simultan zum Denkakt gegebenen Sachver­halt beziehen, wie sollte er sonst erinnert und von nachträglicher Phanta­sieproduktion unterschieden werden? Wenn Oswald Külpe zu Protokoll gibt: "Die Frage berührte mich erst komisch; ich dachte es sei eine Ve­xierfrage. Dann fiel mir plötzlich ein, was Hegel Kant vorgeworfen, und dann sagte ich mit Entschiedenheit: ja. Der Gedanke an Hegels Vorwurf war ziemlich reich, ich wußte momentan genau, auf was es dabei an­kommt, gesprochen hab ich nichts dabei, auch nichts vorgestellt, nur das Wort Hegel klang mir nachträglich an (akustisch-motorisch)", dann ent­nimmt er die Erlebnisse zwar seiner Erinnerung, ursprünglich erlebt hat er sie aber während des Denkaktes - in den sechs Sekunden, die zwischen der Aufgabenstellung und dem Einfall der Lösung verstrichen. Dies war ja auch das explizite Ziel der Würzburger, nämlich zu untersuchen, was wir erleben, wenn wir denken. Eine Erklärung für diesen etwas ominösen Sprachgebrauch ist sicherlich im restriktiven Gebrauch des psychologi­schen Beobachtungsbegriffs zu suchen, den sowohl Wilhelm Wundt als auch Franz Brentano pflegten. Beide unterschieden ausdrücklich zwi­schen innerer Wahrnehmung und innerer Beobachtung. So konnten inne­re Phänomene zwar während sie sich ereigneten erlebt oder wahrgenom­men, nicht aber im streng methodologischen Sinne beobachtet werden. Waren sie wahrgenommen, so ließen sie sich aus der Retrospektive via Erinnerung beobachten. Wobei beobachten hieß: Sie wurden gedanklich geordnet und auf ihren jeweiligen Stellenwert im Gesamtkontext seelischer Erscheinungen hin befragt.

Ein weiteres Bedenken Wundts betrifft das nachträgliche Ausfragen der Vp hinsichtlich ihrer Erlebnisse. Allein in der Tatsache der Frage, so Wundt, liege ein doppelt suggestives Moment, das die Erinnerung des Befragten ungebührlich beeinflusse. "Sie lenkt die Aufmerksamkeit in eine bestimmte Richtung und bewirkt dadurch, daß alle Erinnerungsin­halte, die nicht in dieser Richtung liegen, und die vielleicht noch reprodu­ziert werden könnten, erst recht verschwinden. Außerdem suggeriert sie dem Beobachter, daß er in dieser Richtung etwas wahrgenommen habe, in der die Frage liegt, auch wenn er in Wirklichkeit nichts wahrgenom­men hat. Und nicht bloß der Befragte unterliegt der suggestiven Wir­kung, auch der Fragende steht notwendig unter dem Einfluß seiner aus früheren Erfahrungen oder Überlegungen oder auch aus theoretischen Überzeugungen entspringenden Vermutungen ... Das nachträgliche Ex­aminieren über den Inhalt vorangegangener Selbstbeobachtung ergibt also mit innerer Notwendigkeit das Resultat einer Art doppelter Suggesti­on, einer »Fremdsuggestion« des Beobachters durch die vorgelegte Fra­ge, und einer »Autosuggestion« des Versuchsleiters, der gewisse Erleb­nisse in das Bewußtsein der Versuchsperson hineindenkt, um sie dann wiederum aus dieser herauszufragen..."22

Das Risiko dieser Art von Suggestion ist nicht von der Hand zu weisen, insbesondere dort, wo mit unerfahrenen Beobachtern oder Versuchslei­tern gearbeitet wird, wie auch andere Psychologen immer wieder beton­ten. Im Falle der Würzburger mag das Gefahrenpotential von Wundt et­was polemisch überhöht worden sein, denn Külpe und seine Mitarbeiter waren alles andere als unerfahrene und unkritische Anfänger ihres Fa­ches. Analoges gilt für den Schwierigkeitsgrad der Fragen, die zum Denk-Experiment herangezogen wurden. Durchweg lagen sie innerhalb des Horizontes dessen, was die Versuchspersonen ohnehin beruflich oder sonstwie beschäftigte.

Die oben von Watson angesprochene Problematik der Selbstbeobach­tungspsychologie wird vollends deutlich, wenn man einen weiteren Ein­wand Wundts gegen die Würzburger Ergebnisse betrachtet: seine Ableh­nung des postulierten anschauungslosen Denkens stützt sich nicht zuletzt auf persönlich durchgeführte Denkbeobachtungen.

Die eigenen Beobachtungen, so Wundt, seien im Gegensatz zu den Würzburger Versuchen Resultat eines spontanen, in Ruhe sich entfalten­den Denkens und weder dem Zeitdruck noch den sonstigen Zwängen ei­ner Laborsituation ausgesetzt gewesen. Damit sei vorgesorgt, daß nicht eine Vielzahl von möglichen oder tatsächlichen Begleiterscheinungen des Denkens unterdrückt, übersehen oder schlicht vergessen worden sei.23 "Bei solchen Selbstbeobachtungen", schreibt Wundt, "wurde mir nun vollkommen klar, daß man einen Gedanken nicht erst bildet, während man den Satz ausspricht, sondern daß er, bevor wir nur zum ersten Worte ansetzen, als Ganzes schon in unserem Bewußtsein steht. Dabei findet sich allerdings zunächst keine einzige der Wort- oder sonstigen Vorstel­lungen, die sich bei dem Durchlaufen und dem sprachlichen Ausdrucke des Gedankens bilden, in dem Blickpunkte des Bewußtseins, sondern erst in dem Moment, wo wir den Gedanken entwickeln, werden seine einzel­nen Teile sukzessiv zu deutlichem Bewußtsein erhoben."24

Bis hierhin scheinen sich seine Beobachtungen wenigstens teilweise mit denen der Würzburger zu decken: Der Gedanke taucht weitgehend ohne Begleitvorstellungen - das heißt unanschaulich - im Blickpunkt des Be­wußtseins auf, bevor er sprachlich formuliert wird. Nun aber ändert Wundt die Experimentalbedingungen erneut: im Gegensatz zu den Würz­burgern wiederholt er die Gedankenproduktion und entdeckt weitere Ein­zelheiten. So fährt er fort: "Da jedoch der Beobachter, den ich vorausset­ze, keiner Examenspresse unterworfen ist und niemand mit der Uhr ne­ben ihm steht, um zu notieren, wie schnell er mit dem Gedanken fertig wird, sondern da er seine spontane Gedankenproduktion unbefangen, nachdem sie geschehen ist, in der Erinnerung erneuert, so würde ihm wahrscheinlich nicht entgehen, was den Gedankenexperimentatoren in Anbetracht der ungünstigen Bedingungen offenbar entgangen ist. Er wür­de bemerken, daß in jedem Augenblick, wo die Gesamtvorstellung im Bewußtsein steht, sie freilich nicht als eine in allen ihren Teilen klare Vorstellung apperzipiert wird, daß sie aber zunächst in ihrer Totalität eine Gefühlswirkung ausübt, die in ihrer Beschaffenheit dem Charakter des Gedankens adäquat ist ... Am deutlichsten tritt das bei solchen Ge­dankeninhalten hervor, denen selbst eine besonders lebhafte Gefühlsfär­bung zukommt. Einem poetischen Gedanken z.B. geht, ehe wir ihn uns klar vergegenwärtigen, ein ästhetisches Gefühl voraus, das seine Wir­kung auf unser Gemüt in ihrer vollen Qualität und Stärke vorausnehmen kann." 25

Diesen Befund um einige weitere aus der zeitgenössischen Psychologie ergänzend, kommt nun Wundt zu dem Fazit, daß die von den Würzbur­gern beschriebenen scheinbar anschauungslosen und eigenständigen Ge­danken nicht minder nach den Gesetzen der Assoziation hätten entstehen können. Die entscheidenden Begleitvorstellungen, z. B. jene von ihm be­merkten Gefühlsäußerungen, seien nur in Würzburg infolge ungeeigneter Versuchsbedingungen nicht bemerkt worden. Mit anderen Worten: Die Würzburger Befunde sind als empirische Resultate zu unvollständig um die basalen Annahmen des Sensualismus zu Fall zu bringen. Man hat dort nicht gründlich genug auf dem Wiederholungswege geprüft, ob es sich mit der Anschauungslosigkeit der aufgefundenen Entitäten tatsäch­lich so verhält wie zunächst gemeint.26

Man kann sich zunächst vor dem Hintergrund der Kontroverse der Wundtschen Ansicht durchaus anschließen, die Würzburger Untersu­chungen seien experimentell oberflächlich weil unter Zeitdruck und mit sonstigen gravierenden Schwächen behaftet, und von daher wenig aussa­gekräftig, was von den derart Gescholtenen entschieden zurückgewiesen wurde.27 Doch die Sachlage ist weit weniger eindeutig, als man auf den ersten Blick vielleicht meint. Insbesondere die von Wundt erhobene For­derung nach Wiederholung der Beobachtung identischer Gedankenpro­duktionen verdient in diesem Zusammenhang Beachtung. Nicht nur, weil sie unmittelbar dem naturwissenschaftlichen Methodenverständnis ent­lehnt ist, sondern weil sie sowohl das Problematische einer einfachen Übertragung dieses Methodenverständnisses auf die Selbstbeobachtung, als auch die Grenzen dieser Selbstbeobachtung an sich beleuchtet. Wil­helm Wundt trägt die Forderung nach Wiederholung mit dem Hinweis auf die Flüchtigkeit und Vagheit von Innenerlebnissen vor: "Nun ist es allerdings keinem Zweifel unterworfen, daß das rasche Vergessen vieler nur flüchtig durch das Bewußtsein eilender Vorgänge, namentlich wenn sie zu den dunkler bewußten gehören, alle Aussagen über das in der Selbstbeobachtung Erlebte zu Fragmenten der Wirklichkeit macht, die noch dazu sicherlich in vielen Fällen durch Erinnerungstäuschungen ge­fälscht sind. Gerade darum ist die Wiederholung der Beobachtung unter den gleichen Bedingungen bei diesen Versuchen ein unerläßliches Erfor­dernis, indem hier die in vorangegangenen Versuchen gemachten Beob­achtungen ergänzt und eventuell berichtigt werden können. Dazu ist frei­lich nötig, daß nicht bloß irgendwie ähnliche, sondern möglichst identi­sche psychische Inhalte erzeugt werden. Deshalb besteht auch einer der Hauptfehler der eigentlichen Ausfrageexperimente eben darin, daß sie eine solche identische Wiederholung ihrer Natur nach ausschließen."28

Gemäß der naturwissenschaftlichen Tradition verlangt Wundt idealtypi­scherweise identische Bedingungen bei der Versuchswiederholung, d.h. wiederholtes Durchdenken desselben Gedankens. Diese Forderung er­scheint den Würzburgern überzogen, wie Karl Bühler bemerkt: "Die «Identität», die zur Wiederholung einer Beobachtung erfordert wird, braucht doch selbstverständlich nur eine Gleichheit in der Hinsicht zu sein, in der die Beobachtung gemacht wird. Wenn der Assoziationsfor­scher die Klangassoziation «Himmel-Schimmel» erhält, so kann er die­selbe auch nicht wiederholen lassen; das braucht er aber auch gar nicht, denn die Assoziation «Leder-Feder» und viele andere sind ihm eben als Klangassoziation gleichartig mit der ersteren und ihm zur Wiederholung der Beobachtung über Klangassoziationen genügend."29. Für Bühler ist Bedingungsidentität schon dann gegeben, wenn die Gedankentypen gleichartig sind. Das zielt allerdings am Kern der Wundtschen Bedenken vorbei, denn diesem ging es vornehmlich um die qualitativen Aspekte der Beobachtung. Nicht darauf kommt es an, von der Typologie her ähnliche Gedanken nach demselben Verfahren zu beobachten, sondern denselben Gedanken wiederholt zu durchdenken, um jener Begleiterlebnisse teilhaf­tig zu werden, die sich bei einem einmaligen und raschen Versuchsge­schehen nicht haben erfassen lassen. Die Wiederholung mit nur analogen Bewußtseinsinhalten brächte verborgene Erlebnisse so wenig zur Er­scheinung wie der erste Versuch, da das entscheidende qualitative Manko in der Kürze der einzelnen Versuchssequenz liegt, die eine gründlichere Perzeption innerer Vorgänge verhindert.

Man braucht sich den Inhalt des Wundtschen Einwandes nur deutlich zu machen und ihn mit der Vorgehensweise der Würzburger zu kontrastie­ren, um seine Berechtigung einzusehen: für die prinzipielle Lösung des Problems, ob wir mit unserem Denken das Wesen des Denkens erfassen können, benötigt Oswald Külpe sechs Sekunden Zeit. Der Zeitbedarf bei anderen Fragen bewegt sich in ähnlichen Größenordnungen.30 In diesem kurzen Moment hat er einerseits ein recht schwieriges und komplexes ge­dankliches Problem gelöst und gleichzeitig die Erlebnisse registriert, die ihm dabei durch das Bewußtsein zogen, Erlebnisse, von denen Wundt nicht unbegründet annahm, sie seien ähnlich komplex wie das zu lösende Gedankenproblem. Man wird sich angesichts dieser Umstände kaum dem Wundtschen Einwand verschließen und zugestehen, daß selbst ein scharf­sinniger, in philosophischen Fragen außerordentlich bewanderter und in der Selbstbeobachtung geübter Psychologie wie Oswald Külpe in einer sechs oder zehn Sekunden währenden Beobachtungssequenz an Grenzen seiner Aufmerksamkeit und seines Wahrnehmungsvermögens stößt: er registriert vielleicht nicht alles, vielleicht nicht alle für die Fragestellung relevanten seelischen Erscheinungen. Vielleicht sind ihm besonders sub­tile Einzelheiten entgangen und vielleicht waren gerade sie die bedeutsa­men! Hier hätte eine Wiederholung vielleicht Klärung oder Korrektur gebracht.

Und dennoch: trotz dieser offenkundig prekären und unbefriedigenden Sachlage können wir das Argument auch umkehren und uns fragen, ob denn der neuartige oder überraschend geforderte und gedachte Gedanke - psychologisch gesehen - denselben Sachverhalt darstellt wie der mehr­fach wiederholte? So lautet beispielsweise eine These Hans Aeblis, der das Thema in letzter Zeit und in Anknüpfung an die Würzburger Arbei­ten erörterte: "Es sind immer die in Entdeckung begriffenen, die eben ge­rade gestifteten Beziehungen, die die amodale [unanschauliche] Kompo­nente des Denkens darstellen."31 Mit anderen Worten: die unanschauli­che Gegebenheit der Gedanken zeigt sich vor allem bei neuen und uner­warteten Gedankenbildungen, die noch nicht zu einer Gewöhnung und Verfestigung gelangt sind, bzw noch keine anschaulichen "Korrela­te" ausgebildet haben. Damit verwandelt sich ein von Wundt kritisierter Mangel der Bühlerschen Versuchsreihen - das Überraschungsmoment - tatsächlich in einen Vorzug um - nämlich in Realitätsnähe. Denn Überra­schung, Neuartigkeit und Vielschichtigkeit sind zumeist charakteristische Kennzeichen von Alltagssituationen, denen das Denken fast permanent gegenübersteht. Wenn man - mehr in Parenthese gesagt - in Anlehnung an Rudolf Steiners philosophischen Sprachgebrauch das Eintreten eines Gedanklichen ins Bewußtsein als Intuition bezeichnen will, so heißt dies, daß Intuitionen bei neuartigen oder überraschenden Gedankenbildungen unanschaulich (medienfrei bzw. amodal) verlaufen und ihre Veranschau­lichungen beziehungsweise Symbolisierungen erst in der Folge eintreten. Ins Praktische gewendet: die Versprachlichung folgt dann dem Begriff nach - sie schwimmt sozusagen im Kielwasser der Intuition. Ein anderer erwähnenswerter Aspekt ist die auch von Wundt konstatierte Ganzheit­lichkeit der Intuition, wenn er sagt: "daß man einen Gedanken nicht erst bildet, während man den Satz ausspricht, sondern daß er, bevor wir nur zum ersten Worte ansetzen, als Ganzes schon in unserem Bewußtsein steht." Was soviel heißt wie: die Intuition ist nicht nur unanschaulich oder medienfrei, sondern sie bezieht sich auf einen komplexeren Sach­verhalt oder eine größere strukturelle Einheit.

Anders gewendet könnten wir damit an Wilhelm Wundt die Frage rich­ten: hat denn das wiederholte Durchlaufen desselben Denkerlebnisses in diesem spezifischen Falle überhaupt ein argumentatives Gewicht? Kann es nicht sein, daß die von ihm beschriebenen Begleiterlebnisse und -ge­fühle erst als assoziative oder sonstige Folge der Gedankenwiederholung auftreten? Die begleitenden Erlebnisse hätten dann eben nicht den Ge­danken nach Assoziationsgesetzen ans Licht gezogen, wie Wundt offen­bar meint, sondern könnten ihrerseits von diesem nach assoziativen oder anderen Gesetzen aufgerufen worden sein. Was läge näher, als daß ein Gedanke, wiederholt und intensiv entwickelt und durchlebt, eine Fülle von Begleiterlebnissen nach sich zieht, die bei seinem einmaligen und unerwarteten Auftreten ausbleiben. Es hätten dann die Beobachtungen Wundts hinsichtlich der Frage nach der assoziativen Genese neuer oder unerwarteter Gedanken keinerlei Aussagewert. Methodisch gewendet: die Frage nach der Anschuungsgebundenheit neuartiger oder unerwarte­ter Gedankenverbindungen schließt das den Naturwissenschaften ent­lehnte Wiederholungsexperiment mit identischen psychischen Inhalten aus.

Der Selbstbeobachter steht, wie oben von John B. Watson beklagt, auf je­den Fall vor einem Dilemma: beobachtet er wie im Falle der Würzburger nichts, so beobachtet er möglicherweise korrekt, denn es gab vielleicht nichts weiter, das zu beobachten wäre; dennoch bleiben begründete Zweifel an der Tragfähigkeit seiner Aussagen, denn woher sollte er die Gewißheit nehmen, in den wenigen Sekunden, die zwischen Fragestel­lung und Antwort liegen, alle maßgeblichen Erlebnisse registriert zu ha­ben. Wiederholt er dagegen den Ablauf der Gedanken entsprechend der Vorgehensweise Wilhelm Wundts, so erlebt er u.U. etwas, das gerade in den entscheidenden Fällen gar nicht da ist und verstellt sich damit nicht nur den Blick, sondern, schlimmer noch, verkehrt das Verhältnis von Wirkung und Ursache. Nach wie vor wird die Fragestellung der Würz­burger unter den kognitiven Psychologen unter dem Stichwort: Medienproblem des Denkens kontrovers diskutiert.32

Für anthroposophische Leser sei hinzugefügt, daß es in der hier behan­delten Kontroverse genau genommen darum ging, in welcher bewußt­seinsphänomenologischen Form die Intuition beim Denken auftritt, des­wegen habe ich im Titel der Arbeit darauf bezug genommen. Was Bühler in seinen Untersuchungen betrieb, war nämlich aus anthroposophischer Sicht Intuitionsforschung. Das heißt, es ging ihm um eine Beschreibung desjenigen, was Rudolf Steiner in der Philosophie der Freiheit (GA-4, 1978, S. 95) als Intuition bezeichnet: »Die Form, in der ein Gedankenin­halt zunächst auftritt«. Bühler selbst verwendete zwar den Ausdruck In­tuition nicht, aber er untersuchte exakt den Augenblick des ersten Auftre­tens eines Gedankeninhaltes. Auch der ganze, von Wundt kritisierte Ver­suchsaufbau war darauf hinorientiert. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht überraschend, daß mit Massimo Scaligero ein anthroposophischer Autor zu sehr ähnlichen Resultaten hinsichtlich des anschauungslosen Denkens gelangt ist wie Bühler. (Siehe Massimo Scaligero, Die Logik als Widersacher des Menschen, Stuttgart, Urachhausverlag, 1991, insbeson­dere S. 305) Weiteres zu diesem Thema siehe hier.

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