Studien zur Anthroposophie

Michael Muschalle


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Michael Muschalle

Rudolf Steiners Philosophie der Freiheit. Eine Einführung

(Stand 23.08.02)

Anmerkungen

1 Zitiert wird die Philosophie der Freiheit nach der Gesamtausgabe (GA-4), Dornach 1962. Eine vollständige Internetausgabe der Schrift zum Download finden Sie in der Bibliothek bei http://www.anthroposophy.com/ Eine vollständige Internetausgabe in englischer Sprache finden Sie hier

2 In diesem Sinne siehe: Frank Teichmann, Die Philosophie der Freiheit als Übungs- und Schulungsbuch. In, Karl-Martin Dietz (Hgr.), Rudolf Steiners Philosophie der Freiheit. Eine Menschenkunde des höheren Selbst, Stuttgart 1994, S. 199.

Eine kritische Betrachtung zu Teichmann: Lorenzo Ravagli, Anthroposophischer Katholizismus - Kritische Anmerkungen zu Swassjan und Teichmann, In: Jahrbuch für anthroposophische Kritik, 1995, S. 60 ff.

In eine ähnlich abwegige und mystifizierende Richtung wie Teichmann bewegt sich auch das Buch von Florin Lowndes, Das Erwecken des Herz-Denkens, Stuttgart 1998. Hier wird aus sämtlichen Werkepochen Steiners und allen möglichen Sachzusammenhängen unterschiedlos und unbesonnen alles durcheinandergerührt, ohne daß die entscheidenden Begriffe irgendwie werkspezifisch geklärt oder die disparaten Kontexte entsprechend kritisch abwägend gewürdigt würden. Das Buch wird seinem Gegenstand infolge der konfusen Vorgehensweise seines Autors in gar keiner Weise gerecht und ist geeignet, bei seinem Leser Vorurteile, Befangenheiten und Illusionen zu erzeugen. Sein Verfasser gibt sich unter anderem der Selbsttäuschung hin, mittels einer Methode der Sprachuntersuchung darstellen zu können, wie Rudolf Steiner gedacht hat (etwa S.15 ff). Das einzige, was sich dabei herausfinden läßt, sind Eigentümlichkeiten der sprachlichen Veranschaulichung, die Steiner für die Resultate seines Denkens und Erkennens gewählt hat. Wie er aber zu ihnen gekommen ist, wie er konkret im Einzelfall gedacht und erkannt hat, darüber könnte nur einer etwas berichten, nämlich er selbst. Das aber hat er, von einigen seltenen Ausnahmen einmal abgesehen, entweder nur ganz im allgemeinen und nicht auf den Einzelfall bezogen, oder überhaupt nicht getan. Es existieren keine Ereignisprotokolle seiner Erkenntnis- und Denkprozesse, sondern lediglich - wenn man so will - Ergebnisprotokolle. Wofür er vermutlich gute Gründe hatte.

2a  Um ein Beispiel zu bringen: Was Prokofieff zu dem sagt, was Steiner im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit den Ausnahmezustand nennt, scheint mir ein schwer auflösbares und verworrenes Geflecht von kompletten Mißverständnissen und Teilverstandenem zu sein. Ich habe hier den Eindruck, daß der Autor sich entweder noch kaum selbst mit den entsprechenden Textpassagen befaßt hat, sondern manches zusammenfügt was er bei anderen möglicherweise gelesen hat. Oder aber es mangelt ihm an der Gabe einen Sachtext unvoreingenommen zu lesen und zu interpretieren. Daß man als Leser mit dem geschilderten Ausnahmezustand nicht ganz leicht in allen Details zurechtkommt ist nicht ungewöhnlich. Daß man ihn aber so umfassend und gründlich mißversteht wie Prokofieff, ist wohl eher selten.

Der Autor schreibt (S. 544 f): "In der Philosophie der Freiheit beschreibt Rudolf Steiner, wie der Mensch in seiner Seele jenen «Ausnahmezustand» herstellt (S. 40), bei dem sein Ich als Subjekt der Denktätigkeit mit dem Strom der von ihm selbst hergestellten Gedanken eins wird, das heißt mit dem Objekt seiner Wahrnehmung, und so einen Ausgangspunkt für ein intuitives Denken in sich schafft. In der Terminologie der Philosophie der Freiheit ist damit gesagt, dass ein rein geistiger Prozess in die Wege geleitet wird, bei dem Begriff und Wahrnehmung in ihrer ursprünglichen Einheit, die sie vor dem Sündenfall bildeten, erstmals wieder vom Bewusstsein erlebt werden. 6 Und an diesem Ausgangspunkt jeder wahren Erkenntnis kann der Mensch das Entstehen des intuitiven Denkens in sich erleben. Letzteres hängt von seinem Ursprung her weder von der Tätigkeit des physischen Gehirns noch von den Wahrnehmungen der äußeren Sinnesorgane ab und kann deshalb bei seiner weiteren Entwicklung unmittelbar in die geistige Welt eintreten und sich dort im Verlauf der bewusst errungenen geistigen Erkenntnis mit den übersinnlichen Wahrnehmungen verbinden. Auf dem Wege einer solchen geistigen, genauer gesagt geisteswissenschaftlichen Erkenntnis kann der Mensch heute in den höheren Welten Michael begegnen."

Was Prokofieff hier darstellt müßte in seinen verschlungenen Gedankengirlanden überhaupt erst einmal zu einem durchsichtigen und aussagefähigen Text gemacht werden. (Der Ausdruck "selbst hergestellte Gedanken" ist vielleicht ein Lapsus des Übersetzers.) Mit jener Phase des dritten Kapitels, in der sich das Denken beobachtend auf sich selbst richtet, scheint mir das teils überhaupt nichts und teils in nur schwer entwirrbaren und verzerrten Aspekten etwas zu tun zu haben. Es gibt eigentlich nicht einen einzigen Hinweis bei Prokofieff, der sachlich sauber an das anknüpft, was Steiner an den vier Textstellen des dritten Kapitels, in denen der Ausdruck "Ausnahmezustand" vorkommt, explizit sagt. Was vollständig fehlt ist der Gesichtspunkt der gegenüberstellenden Beobachtung und Erkenntnis des Denkens, was ja der Kern dieser ganzen Angelegenheit ist. Diese Textstelle ist in meinen Augen ein klares Indiz dafür, daß der Autor kaum ahnt wovon und worüber er spricht, was ihn allerdings nicht daran hindert annähernd 70 Seiten mit Worten über einen Gegenstand anzufüllen, über den er wenig weiß. Eine eingehendere und sicherlich notwendige Analyse der Passage muß ich mir hier sparen, da sie zu umfangreich wäre und nur Gegenstand eines eigenständigen Aufsatzes sein könnte. Denn man müßte die Darstellung Satz für Satz in den Einzelheiten durchgehen und dabei ziemlich weit ausholen.

3 So schreibt Steiner in einem Brief an Rosa Mayreder: "Sie sagen mir: das Buch ist zu kurz; es hätte aus jedem Kapitel ein Buch gemacht werden sollen. Ich kann dieser Bemerkung ... nicht widersprechen. Die Erklärung dafür ist aber in meiner Subjektivität gegeben. Ich lehre nicht; ich erzähle, was ich innerlich durchlebt habe. Ich erzähle es so, wie ich es gelebt habe. Es ist alles in meinem Buche persönlich gemeint. Auch die Form der Gedanken. Eine lehrhafte Natur könnte die Sache erweitern. Ich vielleicht auch zu seiner Zeit. Zunächst wollte ich die Biographie einer sich zur Freiheit emporringenden Seele zeigen. Man kann da nichts tun für jene, welche mit einem über Klippen und Abgründe wollen. Man muß selbst sehen, darüberzukommen. Stehenzubleiben und erst andern klar zu machen: wie sie am leichtesten darüberkommen, dazu brennt im Innern zu sehr die Sehnsucht nach dem Ziele. Ich glaube auch, ich wäre gestürzt: hätte ich versucht, die geeigneten Wege sogleich für andere zu suchen. " An Rosa Mayreder, 4. Nov. 1894. Zitiert nach Teichert, W./ Froböse, E., Rudolf Steiner. Briefe II, 1892-1902. Dornach, 1953, S. 177.

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