www.Studien zur Anthroposophie.de Michael Muschalle Ende zurück vorwärts Inhalt Anmerkung Gesamtinhalt Home Michael Muschalle Rudolf Steiners Begriff der Denk-Beobachtung (Kap. 9.1) Über das Zusammenfallen von Wahrnehmung und Begriff und intuitives Denken Das Kapitel wird derzeit überarbeitet. Stand 14. 10. 24; Kap. 40 Stand 13. 10. 24: Kap. 18+19+20+21+22+40
Inhaltsverzeichnis
1. Motive beim Denken und seiner Beobachtung……………………………… …………………………………..………………...…..………… ...….. S. 2
2. Die willentlich gehandhabte Methode der Beobachtung des Denkens und Fragen an das Denken……………………….…………… …..… ….…S. 5
3. Engere und weitergehende Fragen an das Denken: Vom einfachen Erleben des Denkens bis zum durchschauten Weltgeschehen..……. .…..….S. 7
4. Über die Betriebsblindheit von philosophischen Spezialisten und philosophischen Steinerinterpreten insbesondere...…… ………….….…..…..S. 12
5. Beschreibung des Denkens durch deskriptive Begriffe…………………………………………………………………………… ……………….......S. 21
6. Motiv versus Methode des Erkennens und der «Ausnahmezustand» der «gegenüberstellenden Betrachtung» des Denkens...…………… ....….S. 23
7. «Intuitives Denken» und «intellektuelle Anschauung» bei Steiner………………………………………………………………...…………… ....….S. 26
8. Der erlebte Prozeß, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden...……………………………………………………………………....….S. 29
9. Der erlebte Denkprozeß im Umfeld des Kausalitätsproblems..……………………………………………………………………………….… ….....S. 30
10. Der erlebte Denkprozeß im Kontext des Kausalitätsproblems und seine stiefmütterliche Behandlung in der Steinerforschung……...…… .....S. 34
11. Warum Witzenmann an die Sache nie heran kam……………………………………………………………………………………………….…....S. 38
12. Witzenmanns seltsame Entdeckung der Erinnerungslehre als erkenntniswissenschaftliche Fundamentalwissenschaft..…………………. .......S. 44
13. Witzenmanns Strukturphänomenologie und die Unkenntnis ihrer widersprüchlichen Verbindung zu Steiners Grundlagen …… … …….......S. 50
14. Witzenmanns Problem mit dem durchschauten Weltgeschehen…..………………………………………………………………………… …....... S. 68
15. Über einen fragwürdigen Sammelband aus der Alanushochschule zu den angeblichen Quellen der Anthroposophie……….……… … … ….S. 133
16. Scholastik in Steiners Grundlegungsschriften? Über das beredte Schweigen im Sammelband zu den «Quellen der Anthroposophie»….. … ..S. 135
17. Über Steiners psychologische Quelle Johannes Volkelt und dessen Unsichtbarkeit bei den Quellenforschern der Alanushochschule….. …. ...S. 156
18. Volkelt versus Fichte in Steiners Begründungsschriften………….………………………………………..…………………… …… …… …. …...S. 159
19. Fichtes «Tathandlung» und Volkelts «immanent-psychologische Erkenntnistheorie» in Steiners Grundlagen. Die Allgegenwart von«Humes Problem» in Steiners Grundlagenforschung und im damaligen philosophisch empiristischen Zeitgeist: Kausalitätsforschung via Psychologie …………………………………………………………………………………………………….….… .…...…...S. 163
20. Edith Stein über «Humes Problem» und psychologische Kausalitätsforschung….………………………………………………..…… ……..…..S. 164
21. Der «Kant-Überwinder» Steiner im Forschungsverband um das empirische Begründungsproblem der Naturwissenschaft….……… …...….S. 166
22. Bedeutung der Kausalität für die naturwissenschaftliche Welterklärung: Beispiel Hume………….…………………………………….. ….….S. 168
23. Kants philosophische Verbindung zu David Hume laut Kants eigenen Worten………………….…………………………………….…… ..…...S. 172
24. Steiners Kant-Überwindung durch die Lösung von Humes Problem……………..……………………………………………….…….……. .…...S. 173
25. Von der Psychologie des tätigen Geistes zum Universalienrealismus……….…………………………………………….………………….. ….…S. 175
26. «Psychologie» der Grundlinien, «seelische Beobachtung» der Philosophie der Freiheit und ihre methodische Grundlage der «betrachtenden Gegenüberstellung»……..…………………………………………………………………………………….……………………....…..S. 179
27. Steiners frühe Grundlagenforschung im damaligen empiristisch philosophischen Mainstream…………………………………………..… …...S. 182
28. Die Nähe der seelischen Erscheinungen und die Kluft zwischen innerer und äußerer Beobachtung………………………………………. …….S. 183
29. Von der Assoziationspsychologie Humes zur modernen Psychologie des Denkens……………………………… …….……………….……. .…..S. 188
30. Sozialphilosophische Folgen einer unzureichenden Kausalitätsforschung……………………………………………… ….………….……...… ...S. 191
31. Ungenügende Quellenforschung an der Alanushochschule zu Steiners Empirismus der Grundlagen………………….…………….…...… …..S. 193
32. Synthese von Wahrnehmung und Begriff und seelische versus introspektive Beobachtung……………………….……..….……...……...…… ..S. 194
33. Erlebte Denktätigkeit in «Wahrheit und Wissenschaft»……………………………………………………………….……………………...……....S. 199
34. «Intellektuelle Anschauung» aus Wahrheit und Wissenschaft und «intuitiv erlebtes Denken» in der Philosophie der Freiheit……….….....….S. 199
35. «Intellektuelle Anschauung» / «intuitiv erlebtes Denken» und der erlebte «Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem»……….….…..S. 201
36. Steiners anthroposophischer Schulungsweg und seine Verwechselung mit Steiners Grundlagenforschung………..…………………. ..…...….S. 202
37. Wie man die anthroposophische Grundlagenforschung blind durch die «Leitexegese» Witzenmanns ersetzte……...…………...……..… ..…..S. 203
38. Warum ein «induktiver» / empiristischer Weg zu den Ideen für die moderne Freiheitsphilosophie?………………..…………………… ……...S. 217
39. Analogie zwischen Schuldschein-Idealismus und Schuldschein-Materialismus….……………………………………..……… ……….…. ……..S. 219
40. «Man kann nicht zu etwas kommen, was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt.»……………...……….… .……...S. 224
41. Warum Witzenmann den Bereich des Denkens verläßt………………………………………………………………...…….…………...… ….…...S. 232
42. Von Nietzsche bis Cancle Culture……………………………………………………………………………………………….…..……….….……..S. 236
43. Freiheitsforschung als innere Naturforschung. Volkelts empiristische Nähe zu Steiner - und deren erkenntnistheoretische Voraussetzungslosigkeit……………………..…………………………………………………… ……….………….....……....S. 240
44. Angebliche intime Bekanntheit des Denkens «ohne», versus Erkenntnis des Denkens «durch» Beobachtung… ……… .…… …….…..……..S. 250
45. Philosophische und naturwissenschaftliche Befangenheiten und Denkverbote in der empirischen Grundlagenforschung des Denkens… ….S. 256
46. Erlebte Aktivität des Denkens und Steiners «erste Nebenübung»…………………………………………………………………………… ...…..S. 260
47. Steiners Brückenbau vom «naturwissenschaftlich Sicheren» zum Geistigen……………………………………………………………… ………S. 267
48. Hermeneutik ohne die Kunst des Verstehens als pseudowissenschaftliches Framing…………………………………………………… ...… …..S. 276
49. Die «reine Erfahrung» der Frühschriften als methodisch gehandhabter Übungsweg zur imaginativen Erkenntnis des späteren Schulungsweges…………………………………………………………………………………………………………………… ...…….…S. 283
50. Die Philosophie der Freiheit als «Partitur»………………….……………………………….… ……………………………………… …….……...S. 288
51. Ulrich Kaiser………………………………………………………………………………………………………………………...……….…………..S. 298
52. Wouter Hanegraaff………………………….……………………………………………………………………………………………….………….S. 299
53. Jost Schieren etc……………………………….………………………………………………………………………………………………….……..S. 300
54. Terje Sparby, Christian Clement und Steiners erkenntniswissenschaftliches Verhältnis zu Hegel………………….……………….…… .…….S. 301
55. Zunehmender illusionärer Materialismus der Gegenwart und die ethischen und politischen Folgen……..……………………….………… ….S. 326
55.1 Theodor Ziehen, das Problem der «Verantwortlichkeit» bei mechanistisch / deterministischen Bewußtseins- und Handlungsverläufen, und die Folgen………………………………………………………………………………………………………………….……….…………….……...S. 335
56. Rezeptionsprobleme bei Christian Clement und Terje Sparby……………………………………………………………..…………… ……..…...S. 346
57. Christian Clements Kommentare in der SKA1……………………....…………………………………………………………..………………...….S. 355
58. Schierens Vorwort zur SKA1……………………………..…………… ……………………………………………………..… …… … .……… ….S. 364
59. SKA 1: Nur Goethe-Deutung in den «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung»?……. … …………….… …..S. 365
60. Ulrich Kaiser………………………………………………………………………… ………………… ……… ………… … … … ….… ..… ……..S. 371
61. Nochmals Günther Röschert und die «intime Bekanntheit des Denkens ohne Beobachtung»……………… … ..… … … … ……… … … …...S. 386
Fortsetzung folgt
1. Motive beim Denken und seiner Beobachtung Das Denken wird bei der Beobachtung durch beschreibende Begriffe "angeschaut" - das heißt es schaut sich selbst an. "Der beobachtete Gegenstand ist qualitativ derselbe wie die Tätigkeit, die sich auf ihn richtet." sagt Steiner in Kap. III auf S. 48, (alternativ hier S. 30) der Philosophie der Freiheit. Es ist demnach eine denkende / erkennende Tätigkeit, die sich auf die Erfahrungen des Denkens richtet. Angeschaut wird vergangenes / exemplarisches Denken in der Absicht es unter deskriptive Begriffe zu bringen. Steiners elementarste Gliederung für Erkenntnisprozesse ist wiederum die nach Wahrnehmung und Begriff. In der Zweitauflage der Philosophie der Freiheit wird das am Ende von Kapitel VII in den Zusätzen von 1918 (hier auf S. 94; in der GA-4 von 1995 auf S. 133) eigens noch einmal hervorgehoben mit der Bemerkung: „Man wird aus dem schon Vorangehenden, aber noch mehr aus dem später Ausgeführten ersehen, daß hier alles sinnlich und geistig an den Menschen Herantretende als Wahrnehmung aufgefaßt wird, bevor es von dem tätig erarbeiteten Begriff erfaßt ist.“ Was natürlich auch für das unbegriffene Denken gilt, das in seiner Erscheinungsform von wirkender Denktätigkeit und bewirktem Denkinhalt zunächst einmal nur «Wahrnehmung ist, bevor es von dem tätig erarbeiteten Begriff erfaßt ist.» Ebenso selbstverständlich sollte es deswegen sein, daß die «qualitativ gleichwertige» denkende / erkennende Tätigkeit, die sich auf die Erfahrungen des Denkens beobachtend richtet, ebenfalls zugleich wahrgenommen wird. Denn andernfalls wüsste der Denker gar nicht, dass er in einem denkenden / erkennenden Tun begriffen ist. Letzteres müsste ihm automatenhaft unbewußt bleiben, wenn dem so wäre und er diese seine Aktivität nicht erlebte. Er muß infolgedessen von dieser aktuellen erkennenden / denkenden Aktivität eine unmittelbare Erfahrung / Wahrnehmung haben. Laut Steiner jedenfalls ist es über sämtliche Frühschriften hinweg in der Tat so, dass die denkende / erkennende Aktivität wahrgenommen wird. Desgleichen muß der Erkennende des Denkens auch von seinen Erkenntnismotiven ein Bewusstsein haben, die hinter seinem inneren Handeln stehen und seine Aktivität mobilisieren. Denn er erkennt das Denken nicht ohne Anlass aus dem Nichts heraus und ins Blaue hinein. Sondern es gibt stets einen konkreten Beweggrund dafür in Gestalt eines «Erkenntnis-Motivs» und einer «Triebfeder» seines erkennenden Handelns. Er muß sich auf der Grundlage eines gezielten und beobachtbaren Willensentschlusses dem eigenen Denken betrachtend / erkennend gegenüberstellen. Eines konkreten Erkenntnis-Entschlusses, der auch jederzeit feststellbar ist. Den man von seiner Entstehung zurückverfolgen kann bis in das ganz konkrete Beobachtungshandeln zwecks Erkenntnis des Denkens. Um mit der Philosophie der Freiheit zu sprechen: „Beobachtung und Denken sind die beiden Ausgangspunkte für alles geistige Streben des Menschen, insoferne er sich eines solchen bewußt ist.“ (GA-4, Kap. III, S. 38) Und an späterer Stelle, (ebd. Kap. IX, S. 149): „Für den einzelnen Willensakt kommt in Betracht: das Motiv und die Triebfeder. Das Motiv ist ein begrifflicher oder vorstellungsgemäßer Faktor; die Triebfeder ist der in der menschlichen Organisation unmittelbar bedingte Faktor des Wollens. Der begriffliche Faktor oder das Motiv ist der augenblickliche Bestimmungsgrund des Wollens; die Triebfeder der bleibende Bestimmungsgrund des Individuums. Motiv des Wollens kann ein reiner Begriff oder ein Begriff mit einem bestimmten Bezug auf das Wahrnehmen sein, das ist eine Vorstellung.“ So Steiner in der GA-4, Kap. IX (auch hier S. 103 f) zu den Motiven. Das gilt wie gesagt auch für jene inneren Willenshandlungen, die bei der Selbstbeobachtung, und ganz speziell bei der erkennenden Betrachtung des eigenen Denkens infrage kommen. Die dahinter stehende Frage- und Aufklärungsintention läßt sich als Motiv und Triebfeder nachweisen. Nicht nur beim selbsterkennenden Denker findet sich ein entsprechendes Forschungsmotiv, sondern auch bei organisierten Forschungsprojekten ist das so. Zumal es bei letzteren dazu gehört, die Ziele des forschenden Tuns sachlich begründet zu benennen, wie es ja auch in der Philosophie der Freiheit und in Steiners restlichen Begründungsschriften regelmäßig der Fall ist. - Und zwar sind sie wegen solcher Begründungen als Erkenntnis-Motive auch dann sichtbar, obwohl mancher Literat und Steinerinterpret bei Steiner erklärtermaßen erst gar keine Motive sucht, weil er das für gänzlich aussichtslos hält. Hier existiert noch zugänglich im Archiv die Version von 2014 (vom Stand 25. 08. 23) Wie Sie bei Christian Clement, von dem diese Auskunft um die ganz und gar unauffindbaren Motive Steiners stammt, sehen und wie Sie explizit von ihm hören werden, sind nicht nur Steiners Motive absolut unauffindbar, sondern auch seine eigenen nicht ganz ernst zu nehmen, weil sie von ihm selbst nicht wirklich sicher zu ermitteln seien. Sie könnten auch vollkommen illusionär, weil verschleiert sein. Und letzteres wäre ja im allgemeinen durchaus möglich. Wenn er nun schon Steiners Motive nicht finden kann, dann könnte Herr Clement aber doch bei den eigenen etwas glücklicher und zumindest in der Lage sein, bei diesen etwas mehr Stabilität zu erlangen, indem er beginnt, sein Denken zu beobachten. Denn das geht ohne einen forschungs-motivischen Hintergrund eben gar nicht. So wenig, wie man ernsthafte mathematische Probleme ohne Motiv und absichtslos, aber dennoch zielgerichtet und erfolgreich lösen kann. Was ein Widerspruch in sich selbst wäre. Beim Erkennen des Denkens sind die Voraussetzungen nicht anders. So daß auch hier eine motivlose, aber gleichwohl zielgerichtete Erkenntnishandlung nicht vorstellbar ist. Und Herr Clement zumindest dabei doch punktuell eine gewisse Klarheit und Übersicht zu seiner ganz persönlichen Motivationslage erlangt. Das kann ja auch schon hilfreich sein. Indem er sich einfach nur fragt: Warum er in den Ausnahmezustand zur Beobachtung des Denkens eintritt, nachdem er die Philosophie der Freiheit nebst anderen Begründungsschriften Steiners gründlich studiert hat. Zur Grundsatzorientierung kann das mitunter recht erhellend sein. Siehe dazu meinen längeren Exkurs hier, Kap. 14.1 auf derzeit S. 760 ff. Aber lassen wir es hier erst einmal bei diesem eingesprengten Aperçu um die Blütenträume einer manchmal ziellos herumschlingernden und schleiernden Steinerforschung, und versuchen Sie es stattdessen selbst. Was Sie jedenfalls als Beobachter Ihres Denkens bemerken werden, ist, dass Sie sich innerlich aufraffen müssen zwecks Beobachtung Ihres Denkens. Sie müssen dazu wissen was Sie tun wollen und warum. Daß und warum Sie gewissermaßen gegen den eigenen, permanenten Denkstrom anschwimmen, indem Sie ihn beobachten. Denn die Erkenntnis des Denkens gelingt nur, wenn man es auch ernstlich will im sogenannten «Ausnahmezustand», wie Steiner die Bewußtseinshaltung der Beobachtung des Denkens im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit nennt, den einzunehmen ohne ein entsprechendes Erkenntnismotiv niemandem in den Sinn käme. Und der daher als ganz bewußte Erkenntnishandlung nur motivisch geleitet und willentlich eingenommen werden kann, auch wenn er im übrigen nicht allzu schwierig einzunehmen ist, wie Steiner selbst sagt. Wer diesen Willen dazu allerdings nicht hat, sich in den beobachtenden Ausnahmezustand zu versetzen, der kommt nicht weit mit der Erkenntnis des Denkens. Oder um mit Steiner zu konstatieren: „Wer den guten Willen nicht hat, sich in diesen Standpunkt zu versetzen, mit dem könnte man über das Denken so wenig wie mit dem Blinden über die Farbe sprechen...“. (GA-04, hier S. 28 f) Anhand dieses als «Ausnahmezustand» bezeichneten Beobachtungsstandpunktes läßt sich dann allerdings die «allerwichtigste Beobachtung machen, die dem Menschen möglich ist.»: „Denn er beobachtet etwas, dessen Hervorbringer er selbst ist; er sieht sich nicht einem zunächst fremden Gegenstande, sondern seiner eigenen Tätigkeit gegenüber. Er weiß, wie das zustande kommt, was er beobachtet. Er durchschaut die Verhältnisse und Beziehungen. Es ist ein fester Punkt gewonnen, von dem aus man mit begründeter Hoffnung nach der Erklärung der übrigen Welterscheinungen suchen kann.“ So Steiner hier S. 29 dazu. Mit anderen Worten: Der Mensch «durchschaut dabei das Weltgeschehen», wie er es dann 1897 in Goethes Weltanschauung (S. 70) noch prägnanter ausführte: „Bei der Beobachtung des Denkens durchschaut der Mensch das Weltgeschehen. Er hat hier nicht nach einer Idee dieses Geschehens zu forschen, denn dieses Geschehen ist die Idee selbst.“ (Unverändert in der GA-06 von 1990, dort auf S. 86.) - Vergleichbares kann man aber bereits 1886 in den Grundlinien … dazu hören, wenn im Kapitel 13, hier S. 78 vom «Denken als Wesen der Welt» die Rede ist: „Unsere Erkenntnistheorie führt zu dem positiven Ergebnis, daß das Denken das Wesen der Welt ist und daß das individuelle menschliche Denken die einzelne Erscheinungsform dieses Wesens ist.“ Ein wirkungsloses Wesen der Welt wiederum ist für Steiner, der nach den geistig wirkenden Kräften der Welt sucht, schlechterdings nicht vorstellbar. Mit dem bekannten Resultat, daß er den beim Denken erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem schon 1886 ausdrücklich im Kapitel 8 und 15 hervorhebt (siehe weiter unten). So daß die Wendung «durchschautes Weltgeschehen» von 1897 neben der «allerwichtigsten Beobachtung» von 1894 dann wirklich keine Überraschung mehr war. Das Beobachten allerdings muß man wirklich auch ernstlich wollen und benötigt dazu selbstverständlich ein entsprechendes Erkenntnis-Motiv hinsichtlich dessen, was man da eigentlich will. Dieses Motiv, das dann zur Triebfeder des in diesem Fall inneren Handelns wird, kann wiederum auch nur aus den rein gedanklichen Überlegungen des (intuitiven) Denkens gewonnen werden. Denn anders als über das (intuitive) Denken kommt man zu keinen Forschungsmotiven, die auch noch klar formuliert und sachlich begründet sind, um mit Steiner zu sprechen. Denn wenn es laut Philosophie der Freiheit das intuitive Denken ist, «durch das eine jegliche Wahrnehmung in die Wirklichkeit erkennend hinein gestellt wird», wie er hier S. 180 sagt, dann erst recht jene inneren Wahrnehmungen, die methodisch anhand von Forschungsprojekten zum Denken in die Wirklichkeit erkennend hinein gestellt werden. 2. Die willentlich gehandhabte Methode der Beobachtung des Denkens und Fragen an das Denken Man muß sozusagen erst vom eigenen Denken zurücktreten wollen, um es sich in Erkenntnisabsicht im Ausnahmezustand «gegenüberzustellen», wie wir unten noch näher sehen werden. Dazu braucht man einen klar artikulierten Willensentschluß, um sein eigenes Denken dann im Ausnahmezustand zu erleben und zu beobachten. Und sei es, daß man überhaupt nur wissen will, «was wir erleben wenn wir denken», so wie es Karl Bühler 1907 seiner prominenten Untersuchung des Denkens als dezidierte Leitfrage hier auf S. 303 vorangestellt hat. Als ganz elementares Anliegen seiner methodischen Beobachtung des Denkens. - Die Menschheit, zumal die anthroposophischen Anhänger Steiners wären schon viel weiter, wenn sie sich in genügend großer Zahl und ebenso systematisch wie Karl Bühler so eine Frage in den zurückliegenden 120 Jahren ernsthaft in Erkenntnisabsicht vorgelegt hätten, wie es damals Bühler tat. Und wie es Steiner nicht nur ebenso ausdrücklich empfiehlt, sondern noch weit eindringlicher über viele Jahrzehnte hinweg. Abgesehen von Merijn Fagard, den sie auf meiner Website und in seinem Forschungsprojekt finden, haben sich da empirisch psychologisch noch wenige Anthroposophen hingewagt, wenn es gottseidank auch in den letzten Jahren zunehmend mehr geworden sind, die sich dem auch von akademischer Seite nähern. Bühlers Leitfrage, «Was erleben wir wenn wir denken?» mag vielleicht auch eine Hilfestellung geben, den Beobachtungsbegriff etwas näher zu charakterisieren, wenn man ihn mit dem von Steiner genannten Erkenntnismotiv in Verbindung bringt. Dem Wissen um das eigene geistige Streben, das sich im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit zu Beginn anläßlich der grundlegenden Einführung von Beobachtung und Denken findet. Dort mit den Worten vorgebracht: „Beobachtung und Denken sind die beiden Ausgangspunkte für alles geistige Streben des Menschen, insoferne er sich eines solchen bewußt ist ....“ (Hier S. 23.) Der Mensch ist sich seines geistigen Strebens bewußt. Das ist sozusagen der Grundcharakter, meinetwegen auch Grundvoraussetzung von Beobachtung und Denken an dieser Stelle dort. Was soviel heißt wie: Ich muß meine Forschungsmotive bei der Beobachtung des Denkens natürlich auch kennen, denn sonst wäre ich mir meines geistigen Strebens darin nämlich nicht bewußt. Was trivial ist und für jedes bewußte Forschungsprozedere gilt, das ja ganz gezielt auf Erkenntnisgewinn hinorientiert ist. Die von Bühler genannte Leitfrage «Was erleben wir wenn wir denken?» ist so ziemlich die elementarste, die man auf dem empirischen Beobachtungsweg über das Denken beantworten kann. Im simpelsten Fall mit «Ja!» oder «Nein!»: «Es gibt dort Erlebnisse oder auch keine.» In der Mehrheit der Fälle aber solche mit ziemlich differenzierten Einzelheiten des Denkgeschehens, die den Versuchspersonen Bühlers noch erinnerlich waren. Sofern sie als Psychologen der selben Leitfrage folgten wie Bühler, und das war ja in der Regel der Fall, haben sie mit ihrer Antwort auch ein implizites Urteil mit Blick auf Bühlers Frage abgegeben. Insofern, als sie seine Leitfrage positiv und oft auch vielschichtiger beantworten konnten. Und damit konnten sie sich ein qualifiziertes Urteil zu jenen Annahmen von zahlreichen Fachphilosophen erlauben, die seinerzeit glaubten, daß es beim Denken gar nichts zu erleben gäbe, wie Bühler eingangs ausführt. Das Urteil wiederum, «Ja, da ist doch eine Menge zu erleben!» ist natürlich das Resultat einer einfachen Begriffsbildung auf der Grundlage von Erfahrung des Denkens. Meinetwegen ein Wahrnehmungsurteil, um an Steiners Kapitel 11, hier S. 64 der Grundlinien… anzuknüpfen: „Durch das Wahrnehmungsurteil wird erkannt, daß ein bestimmter sinnenfälliger Gegenstand seiner Wesenheit nach mit einem bestimmten Begriffe zusammenfällt.“ Ein Wahrnehmungsurteil, diesmal bezogen auf Wahrnehmungen des «inneren Sinnes», von denen in den Grundlinien … im Kapitel 7 auch die Rede ist. Im einfachsten Fall ist es ein Existenzialurteil dahingehend, daß da überhaupt etwas beim Denken als innere Wahrnehmung existiert, was wie gesagt von vielen Zeitgenossen laut Bühler bestritten wurde. Wie leicht zu erkennen ist, bewegt sich die Leitfrage Bühlers, «was erleben wir, wenn wir denken?» ganz in der Nähe oder im unmittelbaren Umkreis dessen, was Steiner in der Philosophie der Freiheit dahingehend ausführt, wenn er sagt, „daß hier alles sinnlich und geistig an den Menschen Herantretende als Wahrnehmung aufgefaßt wird, bevor es von dem tätig erarbeiteten Begriff erfaßt ist.“ (hier, Kap. VII, S. 94). Bezogen auf Steiner untersuchte Bühler anhand seiner Leitfrage, ob es beim Denken überhaupt «Wahrnehmungen» gibt oder nicht. Erst wenn man so eine Frage beantwortet hat, läßt sich weitergehend darüber reden, ob und wie man sie mit einem tätig erarbeiteten Begriff erfasst. Was dabei als «Wahrnehmung überhaupt» auftritt, das entspricht zunächst dem, was Steiner in den Grundlinien … und in Anlehnung an Johannes Volkelt die «reine Erfahrung» nennt. Solche reinen Erfahrungen sind aus Steiners Sicht zunächst einmal als Wahrnehmungen zu betrachten. Wahrnehmungen, die so lange als «Wahrnehmungen» zu betrachten sind, bis sie vom tätig erarbeiteten Begriff erfasst worden sind. Das wissenschaftlich psychologische Beobachtungsprojekt zwecks Erkenntnis des Denkens beginnt faktisch allerdings bereits in dem Moment, wo man die eigene begründete Erkenntnisabsicht in die Tat umsetzt, und sich dann wie Bühler fragt, ob und was dabei überhaupt zu erleben ist. Man sucht dann eben anhand eines speziell organisierten experimentellen Vorgehens ganz ausdrücklich nach inneren Wahrnehmungen; oder «reinen Erfahrungen», um mit Johannes Volkelt zu sprechen. Das grundlegendste Urteil, das man dann aussprechen kann, betrifft lediglich die Existenz oder Nicht-Existenz von Wahrnehmungen beim Denken. Ob die elementarsten Wahrnehmungen der Würzburger bereits solche Existentialurteile enthielten oder nicht, darüber läßt sich eigentlich nicht streiten. Denn ausgesprochen wird das Urteil ja erst in dem Augenblick, wenn die Existenz ausdrücklich bejaht oder verneint wird. Oder wenn man beginnt, die Wahrnehmungen näher zu charakterisieren, was regelmäßig hinterher in Berichtsform der Fall war. An der Reihenfolge jedenfalls, - erst die Erfahrung und dann das Urteil darüber, - ist ja nicht zu rütteln. So lange nur etwas erlebt wird ist das nicht der Fall und wird darüber nicht geurteilt. Das geschieht erst, wenn ich meine unmittelbaren Erfahrungen respektive die «reinen Erfahrungen» des Denkens zum Gegenstand weiteren Denkens und Urteilens mache. Und zwar umso sicherer, je mehr man sich auf die Beantwortung jener Denkaufgabe konzentriert hat, die dazu als Denkexperiment vorgelegt wird. Obwohl man sich formell natürlich in dem Moment schon im Beobachtungsprojekt befindet, das ja willentlich und wohlorganisiert unternommen wurde. Die Frage, was solche erlebten Wahrnehmungen eigentlich sind, auf die man dabei gestoßen ist, ist vom elementaren Wahrnehmungsurteil noch ganz unberührt. Und ebenso unberührt sind sie von der Frage, was sie im Denkzusammenhang eigentlich zu bedeuten haben, und welche Rolle sie für einen empirischen Begriff des Denkens spielen. Was ja einen großen und auch den theoretisch anspruchsvolleren Teil von Bühlers Habilitationsarbeit ausmachte. (Deren Teile 2 und 3 Sie auch hier finden.) Da gilt dann auch Steiners Feststellung aus der Philosophie der Freiheit, wonach „alles sinnlich und geistig an den Menschen Herantretende als Wahrnehmung aufgefaßt wird, bevor es von dem tätig erarbeiteten Begriff erfaßt ist.“ Die Frage ist dann weiter: Was heißt das im vorliegenden Bühlerschen Fall der Frage nach der Existenz von Wahrnehmungen überhaupt? Und sind diese schon vom tätig erarbeiteten Begriff erfaßt, wenn überhaupt nur ihr Vorhandensein festgestellt wird, ohne auf deren «Was» näher eingehen zu können. Oder gar auf ihre Rolle im gesamten Denkprozess. Immerhin war bei den Würzburgern das Bemerken von Wahrnehmungen sogar ein maßgeblicher Teil von Bühlers Fragestellung, wenn man dessen Abhandlung folgt und sich seine programmatischen und methodischen Eingangserläuterungen ansieht: „Es gibt wohl kaum eine andere einzelwissenschaftliche Frage, auf die man so viele verschiedene Antworten erhalten kann als auf die: was ist Denken? Denken ist Verknüpfung, Denken ist Zerlegung. Denken ist Urteilen. Denken heißt Apperzipieren. Das Wesen des Denkens liegt in der Abstraktion. Denken ist Beziehen. Denken ist Aktivität, ist ein Willensvorgang. Fragt man aber spezieller nach den Inhalten der Denkerlebnisse, dann lautet die Antwort sehr einmütig, spezifische Denkinhalte gebe es nicht. Es gibt nur ganz wenige Forscher, die diesen Satz nicht anerkennen würden. Und gerade das, was die meisten eint, ist nun die folgende Untersuchung bestimmt, zu bestreiten, ...“ So Bühler dort. Was «die meisten Forscher einte», war die Annahme, dass es spezifische Denkerlebnisse gar nicht gäbe. Und das wollte er leitmotivisch mit seiner Untersuchung klären, ob dem überhaupt so ist. Klar ist zunächst auch hier, dass so ein Urteil über die Existenz oder Nichtexistenz von Denkwahrnehmungen zeitlich der Wahrnehmung nur nachfolgen kann, denn die muß als Wahrnehmung ja erst einmal da sein, bevor ich über deren Existenz urteilen kann. Die Erlebnisse des Denkens sind also schon da, bevor ich in einem zweiten Schritt darüber urteile und gar weitergehende Begriffe bilde. Anders geht es ja nicht. Daß es wiederum bei einfachsten Wahrnehmungsurteilen nicht bleibt und die Verhältnisse zunehmend komplexer werden, können Sie ebenfalls bereits den ausführlichen Untersuchungen Bühlers entnehmen. 3. Engere und weitergehende Fragen an das Denken: Vom einfachen Erleben des Denkens bis zum durchschauten Weltgeschehen Und hier gibt es einen weiteren großen Unterschied zwischen dem Denkpsychologen Bühler und dem «philosophischen Beobachter» Steiner (siehe auch nachfolgend). Dem letzteren nämlich ging es von Anbeginn nicht nur um rein denkpsychologische und engere Fragestellungen, sondern auch um idealistisch-naturwissenschaftliche, insofern, daß er als Goetheforscher und auch unabhängig von Goethe explizit nach den wirkenden Kräften der Natur im Inneren suchte. Wie Sie nicht nur den Grundlinien … von 1886 ablesen können, und nicht nur seinem Kommentar zu Goethes Essay Die Natur in der Kürschnerausgabe von 1887 auf S. 6, wo es heißt: „Sinnenfällig wahrnehmbar sind nur die Geschöpfe der Natur, nicht ihre schaffende Kraft. Die letztere (die Mutter) wird uns erst in der Wissenschaft vermittelt, wenn wir uns von der Natur als einer Mannichfaltigkeit von Produkten zu ihr als der Produzentin erheben. Wir müssen von den gegebenen Dingen zu den Kräften der Natur vorschreiten, von der Wirkung zu dem Wirkenden.“ Sondern Vergleichbares auch dem zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit hier S. 20 f: „So wahr es ist, daß wir uns der Natur entfremdet haben, so wahr ist es, daß wir fühlen: wir sind in ihr und gehören zu ihr. Es kann nur ihr eigenes Wirken sein, das auch in uns lebt. [] Wir müssen den Weg zu ihr zurück wieder finden. Eine einfache Überlegung kann uns diesen Weg weisen. Wir haben uns zwar losgerissen von der Natur; aber wir müssen doch etwas mit herübergenommen haben in unser eigenes Wesen. Dieses Naturwesen in uns müssen wir aufsuchen, dann werden wir den Zusammenhang auch wieder finden.“ Und noch klarer im Buch Goethes Weltanschauung von 1897 im Kapitel Die Metamorphose der Weltanschauung ab S. 61, wo dann das Weltgeschehen ganz explizit bei der Beobachtung des Denkens durchschaut wird. Der Forschungshorizont Steiners war sehr viel weiter als derjenige Bühlers. Um das Weltgeschehen ging es Bühler (noch) nicht. Aber Steiner insofern, als er mit seinen denkpsychologischen Beobachtungen nach einer erkenntnistheoretischen Grundlage für die Welterklärung suchte. Das betrifft natürlich auch die wirkenden Kräfte der Natur, die nach seiner Auffassung nur geistig sein konnten – so viel geht bereits aus den Grundlinien … hervor. Und so viel geht auch aus seinem Kommentar zu Goethes Naturhymnus hervor. Desgleichen wie bereits gesagt aus der Philosophie der Freiheit Kap. II, und auch aus Goethes Weltanschauung (Ausgabe von 1897 und später) wonach (1897, S. 69 f) «der Beobachter des Denkens das Weltgeschehen durchschaut». Weil er dabei die (wirkende) Idee selbst durchschaut. Desgleichen ebenso klar wenige Seiten zuvor (S. 67 f) in seinen Goethe kommentierenden Worten: „Goethe macht einmal die Bemerkung: «Wer sie [meine Schriften] und mein Wesen überhaupt verstehen gelernt, wird doch bekennen müssen, daß er eine gewisse innere Freiheit gewonnen.» (Unterhaltungen mit dem Kanzler von Müller, 5. Jan. 1831.) Damit hat er auf die wirkende Kraft hingedeutet, die sich in allem menschlichen Erkenntnisstreben geltend macht. Solange der Mensch dabei stehen bleibt, die Gegenstände um sich her wahrzunehmen und ihre Gesetze als ihnen eingepflanzte Prinzipien zu betrachten, von denen sie beherrscht werden, hat er das Gefühl, daß sie ihm als unbekannte Mächte gegenüberstehen, die auf ihn wirken und ihm die Gedanken ihrer Gesetze aufdrängen. Er fühlt sich den Dingen gegenüber unfrei; er empfindet die Gesetzmäßigkeit der Natur als starre Notwendigkeit, der er sich zu fügen hat. Erst wenn der Mensch gewahr wird, daß die Naturkräfte nichts anderes sind als Formen desselben Geistes, der auch in ihm selbst wirkt, geht ihm die Einsicht auf, daß er der Freiheit teilhaftig ist. Die Naturgesetzlichkeit wird nur so lange als Zwang empfunden, so lange man sie als fremde Gewalt ansieht. Lebt man sich in ihre Wesenheit ein, so empfindet man sie als Kraft, die man auch selbst in seinem Innern betätigt; man empfindet sich als produktiv mitwirkendes Element beim Werden und Wesen der Dinge. Man ist Du und Du mit aller Werdekraft. Man hat in sein eigenes Tun das aufgenommen, was man sonst nur als äußeren Antrieb empfindet. Dies ist der Befreiungs-Prozeß, den im Sinne der Goetheschen Weltanschauung der Erkenntnisakt bewirkt.“ - Das ist mit Blick auf Steiners vorangehende Schriften alles nichts Neues in dieser Schrift von 1897. Die Suche nach, und die Erforschung von (geistigen) Naturwirksamkeiten im eigenen Inneren zieht sich, wie der Leser sieht, leitmotivisch durch sämtliche Frühschriften Steiners. Auch in Wahrheit und Wissenschaft ist das so, wenn dort auch der Akzent etwas anders gesetzt ist auf den voraussetzungslosen Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie, finden Sie darin eine analoge Hervorhebung der eigenen inneren Wirksamkeit. Besonders prägnant im Kapitel IV, mit Blick auf die eigene Aktivität beim begrifflichen Denken. (Etwa hier S. 37.) Oder wie Steiner bereits 1886 an die Dichterin M. E. delle Grazie schrieb: „Oh, wir sollten doch endlich zugeben, daß ein Wesen, das sich selbst erkennt, nicht unfrei sein kann! Indem wir die ewige Gesetzlichkeit der Natur erforschen, lösen wir jene Substanz aus ihr los, die ihren Äußerungen zugrunde liegt. Wir sehen das Gewebe der Gesetze über den Dingen walten, und das bewirkt die Notwendigkeit. Wir besitzen in unserem Erkennen die Macht, die Gesetzlichkeit der Naturdinge aus ihnen loszulösen und sollten dennoch die willenlosen Sklaven dieser Gesetze sein? Die Naturdinge sind unfrei, weil sie die Gesetze nicht erkennen, weil sie, ohne von ihnen zu wissen, durch sie beherrscht werden. Wer sollte sie uns aufdrängen, da wir sie geistig durchdringen? Ein erkennendes Wesen kann nicht unfrei sein.“ (GA-30, Dornach 1989, S. 238 f) Erkenntnistheorie (und Freiheitsforschung) auch als Naturforschung von Innen. In allen seinen Frühschriften. Das war ausdrückliches Programm nicht nur der Philosophie der Freiheit laut zweitem Kapitel, sondern bereits der Grundlinien … . Worauf wir gleich noch kommen werden. Vielleicht hilft es, um den Unterschied zwischen Bühler, dessen Versuchspersonen und Steiner etwas zu charakterisieren, auch Steiners Unterscheidung von Verstand und Vernunft aus dem Kapitel 12 der Grundlinien … (hier S. 67 ff) etwas zu bemühen: „Unser Denken hat eine zweifache Aufgabe zu vollbringen: erstens, Begriffe mit scharf umrissenen Konturen zu schaffen; zweitens, die so geschaffenen Einzelbegriffe zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufassen. Im ersten Falle handelt es sich um die unterscheidende Tätigkeit, im zweiten um die verbindende.“ Die Einzelerkenntnisse des Verstandes zu höheren Einheiten zusammen zu fassen, sei, so sagt er dort, Sache der Vernunft. Und zwar wird der Horizont der Beobachtung immer weiter, je mehr versucht wird, die größeren Zusammenhänge in den Blick zu bekommen. Das geistige Weltgeschehen und seine ethischen Implikationen gehören zusammen mit den Auseinandersetzungen zwischen Materialismus, Monismus, Spiritualismus und Freiheit des Menschen sicherlich mit zu den höchsten Fragestellungen, die man sich als psychologisch / philosophischer Beobachter stellen kann. Was beim Anthroposophen Steiner dann ja noch ganz andere Formen der Untersuchung annimmt. Aber es ist klar, daß derjenige, der nach dem durchschauten Weltgeschehen fahndet, vor allem Wert legt auf sicher erlebte Wirksamkeiten und ihre Zusammenhänge in der Welt, und, – im Falle Steiners, – als empirischer Erkenntniswissenschaftler ebenso natürlich in seinem Inneren. Wir werden das unten in Verbindung mit Kants Kausalitätsproblem noch etwas näher ausführen. Was bei Bühler ersichtlich alles keine vorrangige Rolle spielte, denn der war mit seiner Habilitationsarbeit wesentlich als Denkpsychologe unterwegs. Zu Beginn einer Wissenschaft auch noch, die sich soeben (Institutsgründung 1896; weitere Einzelheiten hier) nach der Jahrhundertwende erst in Deutschland als sogenannte «Würzburger Schule» etabliert hatte. Die es als wissenschaftliche Spezialdisziplin in Steiners Frühzeit also noch gar nicht gab. Weswegen sich Steiner in seinen Grundlegungsschriften in dieser Beziehung auch mehr Freiheiten gestatten konnte als Karl Bühler. Letzterer mußte seine Zeitgenossen überhaupt erst einmal davon überzeugen, dass seine Fragestellungen relevant sind, und sich mit einer damals neuen Methode auch angemessen würden klären lassen. Was übrigens schwer genug wurde. Von daher war es naheliegend für ihn, nicht gleich als Weltbeobachter mit den höchsten Fragen in Erscheinung zu treten, sondern erst einmal ganz pragmatisch den Nachweis zu führen, dass es im Bereich des Denkens sehr viel unmittelbar zu erleben und mittels dieser neuen Disziplin «empirische Psychologie des Denkens» zu beobachten gab, was vorher nicht systematisch beobachtet werden konnte. So daß die Zeitgenossen eben weitgehend abhängig waren von etablierten Fehlurteilen hinsichtlich der Erlebnisse des Denkens, und diese Irrtümer einfach nur weiter transportierten, ohne sie auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen. - Da ist dann eher der Fach-Psychologe gefragt, und nicht so sehr der Weltbeobachter, der mit psychologischen Mitteln nach wirkenden Kräften im Inneren zwecks Welterklärung und zwecks Überwindung des Kantschen Illusionismus suchte. Beim Würzburger Institutsleiter Oswald Külpe war das schon merklich etwas anders als bei Bühler, wie Sie an seinem Artikel über die Psychologie des Denkens hier ab S. 297 ff nachlesen können. Der dort ganz explizit von inneren Wirksamkeiten spricht, die bei den psychologischen Versuchen gefunden wurden. So daß er in diesem Artikel S. 312 ff von der «monarchischen Struktur des Seelenlebens» spricht. Und die enorme philosophische Bedeutung solcher empirisch psychologischen Befunde ausdrücklich hervorhebt. Während andere Zeitgenossen wie F. A. Lange seinen Worten zufolge den Geisteswissenschaften «nur Steine statt Brot» auftischten, wie er S. 311 f hervorhebt. Vergleichbares können Sie bereits dem Psychologiekapitel 18 aus Steiners Grundlinien... entnehmen. Bei Külpe lesen Sie ähnlich und seine kritische Passage abschließend: daß Zeitgenossen wie F. A. Lange an den Außenwerken der Psychologie stehen bleiben und sich „mit dem Hallerschen Spruche trösten: ins Innre der Natur dringt kein erschaffner Geist.“ Naturforschung von Innen also nicht nur bei Steiner, sondern ganz ausdrücklich auch bei Külpe. Obwohl Steiner sich an seinem unausgegorenen erkenntnistheoretischen Subjektivismus heftig stößt, wie man in GA-60, S. 213 ff nachlesen kann. Analog freilich, wie auf anderer Ebene an Goethe, der zu keinem Begriff der Freiheit kam, dazu allerdings auch nicht den Weg der Beobachtung des Denkens beschritt wie Steiner und Külpe. - Man kann sich in mancher Hinsicht wirklich sehr nahe sein, und in anderer wiederum unendlich fern, wie man daran sieht. Was ja auch für Steiners relative Nähe zu Eduard von Hartmann galt. - Kommen wir zurück zur Frage der Beobachtung. Prinzipiell beginnt das Beobachtungsvorhaben dann, wenn das Erkenntnismotiv methodisch verwirklicht wird. Das Motiv muß ja vorhanden sein, wenn jemand auf der Grundlage spezifischer Forschungsüberlegungen etwas über das Denken wissen will. Was natürlich auch für Versuchspersonen, zumal für fachliche gilt, die sich so eine Fragestellung zu eigen gemacht haben wie die, «Was wir erleben wenn wir denken?» So daß die Erkenntnisintention als bewußtes Motiv bei allen Beteiligten, mehr oder weniger speziell ausgeprägt vorhanden ist, sonst würden sie sich zumal als fachpsychologische Versuchspersonen auf so etwas ja nicht einlassen. Die nächste Frage lautet dann: Wann beginnt eigentlich die Erkenntnis des Denkens, wo über die Erfahrungen des Denkens nachgedacht wird und man zur anspruchsvolleren Begriffsbildung darüber gelangt? Das Wahrnehmungsurteil: «Es gibt Denkerlebnisse! / oder auch nicht!» kann die Versuchsperson gegebenenfalls schon fällen, unmittelbar nachdem sie etwas erlebt hat. Das kann, entsprechendes Interesse vorausgesetzt, als einfache Urteilskonstatierung unter Umständen, und zumal in Phasen der Stockung oder des Innehaltens während des Experimentes ziemlich schnell gehen, ohne den experimentellen Denkfluß entscheidend zu unterbrechen. Sie sind dann vielleicht auch verblüfft oder überrascht über das bislang Erlebte, und so weiter. Bühlers «Aha-Erlebnis», ist ja als geflügeltes Wort in die Geistesgeschichte eingegangen. Innerlich ausgesprochen übrigens häufiger von seiner Versuchsperson K. (Külpe), wie Sie etwa auf S. 305 und öfter in Bühlers Studien nachlesen können wie etwa an folgender Stelle in seinen Protokollen: „Da kam mir pötzlich mit einem Aha! der Gedanke: das ist die bekannte Anschauung, daß Grenzen nur von Überragendem aus festgestellt werden können.“ Das «Aha!» der Versuchsperson Külpe begleitete in diesem Fall dessen Denken und war lediglich Ausdruck einer für die Problemlösung der experimentellen Denkaufgabe wichtigen Entdeckung. Er fand etwas unerwartet einen Lösungsweg und begleitete das mit diesem inneren Kommentar. Wie weit das erlebte «Aha!» wiederum schon ein Wahrnehmungs-Urteil war und nicht bloß ein prägnant durchlaufener Überraschungsreflex, der sich dann lediglich in einer vorbegrifflichen Interjektion als Ausdruck des Erstaunens in einem entscheidenden Denkstadium niederschlägt, wie «Ach!», «Oh!» und «Hui!», oder das dem Archimedes nachgesagte «Eureka!» als Ausdruck der Freude über eine gefundene bedeutende Einsicht, ist eine weitere Frage. Nachgedacht wurde über die Funktion des «Aha!» jedenfalls den Protokollen zufolge erst später. Zur denkpsychologischen Bewertung dieses «Aha!» siehe auch Bühler im Teil 2 seiner Untersuchung etwa auf S.17. Es mag sein, daß in einzelnen Fällen den denkpsychologisch erfahrenen Versuchspersonen auch während des Versuchs klar wurde, daß das Erlebnis zur Klärung ihres expliziten Forschungsvorhabens selbst gehörte. Was bei grundlegend einfachen Fragestellungen dieser Art ja näher liegt, wo überhaupt nur nach der Anwesenheit oder Absenz von inneren Wahrnehmungen gefragt wird. Dann hätten sie sozusagen zwischendurch einen Abstecher vom Experiment zum Forschungsprogramm und seiner Lösung in Urteilsform gemacht. Die Hauptarbeit der Beobachtung allerdings, wie man insbesondere schon bei solchen Bewertungsfragen wie um das berühmte «Aha» sieht, nämlich die psychologisch / philosophische Beurteilung der mitgeteilten Denk-Erlebnisse, worin die eigentliche Erkenntnisarbeit liegt, nimmt den weitaus größten Teil der Bühlerschen Habilitationsstudie ein. Der sich dabei mit einem nennenswerten Teil der zeitgenössischen Fachliteratur und ihren Problemstellungen kritisch auseinandersetzt. Was selbstredend auch zur Beobachtung des Denkens gehört. Nämlich zu einer angemessenen Begriffsbildung über das Denken zu gelangen, denn erst diese macht aus einer bloßen Wahrnehmung des Denkens eine Erkenntnis des Denkens. Dazu wiederum muß man das Für und Wider gewisser Standpunkte und Sichtweisen des Denkens gründlich bedenken und sich damit kritisch auseinandersetzen, weil man sonst zu keiner fundierten begrifflichen Klärung bezüglich des Denkens kommt. Eine Versuchsperson kann das natürlich nicht während des Versuchs. Selbst wenn sie nur feststellen will, was sie während des Denkens erlebt, sind ausgreifende Überlegungen zu Lage und Streitfragen der Forschung und zur Einordnung des Erlebten oder nicht Erlebten in diese Forschung während des Denk-Experiments natürlich nicht möglich. Denken Sie nur einmal an Bühlers Eingangsbemerkungen zu seiner psychologischen Studie von 1907: „Es gibt wohl kaum eine andere einzelwissenschaftliche Frage, auf die man so viele verschiedene Antworten erhalten kann als auf die: was ist Denken? Denken ist Verknüpfung, Denken ist Zerlegung. Denken ist Urteilen. Denken heißt Apperzipieren. Das Wesen des Denkens liegt in der Abstraktion. Denken ist Beziehen. Denken ist Aktivität, ist ein Willensvorgang. Fragt man aber spezieller nach den Inhalten der Denkerlebnisse, dann lautet die Antwort sehr einmütig, spezifische Denkinhalte gebe es nicht. Es gibt nur ganz wenige Forscher, die diesen Satz nicht anerkennen würden.“ Da ist noch nicht einmal von Kausalitätsfragen und gar der «Weltwesenheit Denken» die Rede. Sondern zunächst geht es schwerpunktmäßig lediglich darum, ob es beim Denken überhaupt etwas zu erleben gibt oder nicht. Letztlich eine Frage nach der empirischen Grundlage eines damals allgemein verwendeten Denkbegriffs, der, wie von Bühler dargelegt, nicht nur in so unterschiedlichen Variationen vorlag. Sondern von dem die allermeisten Fachleute zudem noch glaubten, daß er gar keine unmittelbare empirische Grundlage habe, weil es dabei nämlich angeblich nichts zu erleben gab. Wenn die Versuchsperson als «philosophischer Beobachter» (Steiner) ihre Denkerlebnisse schließlich auch noch mit Kants Kausalitätsproblem sachgemäß in Verbindung bringen wollte, dann müsste sie den basalen Versuch überhaupt abbrechen, der lediglich etwas über das Vorhandensein von speziellen Erlebnissen während des Denkens aussagt. Und sich für mindestens einige Wochen oder Monate, vielleicht auch Jahre oder ein ganzes Leben lang, je nach Bildungs-, Wissens,- und Interessenstand zurückziehen, um die Frage zu beantworten, was das Erlebte alles mit diesem Problem Kants zu tun hat. Erst damit, wenn sie das ganze Pro und Kontra um die Erkenntnis von Kausalzusammenhängen erfolgreich auf ihr Versuchsprozedere und dessen Erlebnistatsachen übertragen hätte, wäre ihr Beobachtungsprojekt abgeschlossen. Und die Wahrnehmung mit dem «tätig erarbeiteten Begriff erfaßt», um mit Steiner zu sprechen. Dahingehend etwa, daß sie «bei der Beobachtung des Denkens das Weltgeschehen durchschaut», wie es Steiner 1897 hier S. 70 bemerkte. Und «ein erkennendes Wesen nicht unfrei sein kann», wie Steiner bereits 1886 gegenüber der Dichterin M. E. delle Grazie versicherte (GA-30, S. 238 ff). Es ist übrigens bezeichnend für Steiner und die damalige wissenschaftliche Zeitlage, dass Steiner 1917 in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21, S. 170 f) den dringenden Wunsch äußerte, in einem psychologischen Laboratorium zu arbeiten, um dort «beste Grundlagen» zu legen. Also jene Fragen noch einmal in so einem Institut auf empirische Grundlagen zu stellen, die er bereits in seinen Frühschriften psychologisch behandelt hatte, als es solche etablierten Einrichtungen mit vorzeigbaren Resultaten noch nicht gab. 4. Über die Betriebsblindheit von philosophischen Spezialisten und philosophischen Steinerinterpreten insbesondere Wenn man sich Steiner Sendschreiben an die Dichterin delle Grazie, oder seine Bemerkungen über das durchschaute Weltgeschehen anhand der Beobachtung des Denkens in Goethes Weltanschauung (Erstauflage 1897, S. 69 ff) vor Augen hält, dann sieht man daran, welche außerordentliche Weite und Bedeutung die empirische Beobachtung des Denkens für die Behandlung und Einschätzung der Naturkausalität einnehmen kann. Und damit auch für die Freiheitsfrage. Denn dabei geht es selbstredend um den Geltungsbereich der Naturkausalität. Und heißt, ein erkennendes Wesen kann nicht vollständig den Zwängen der Naturnotwendigkeit unterworfen sein. Was folglich sehr ernste einschränkende Folgen für das Verständnis einer generalisierten Naturkausalität hat. In diesem Fall schwerste Folgen für das Verständnis, die hier ihren Ausgang nehmen von der Forschung einer «empirischen Naturwissenschaft von Innen». Hier gilt auch, was Steiner mit dem programmatischen Satz aus dem zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit bereits vorwegnimmt: „Wir können die Natur außer uns nur finden, wenn wir sie in uns erst kennen.“ (Hier S. 20.) Was im Fall der Denk-Beobachtung über einen der allerwichtigsten Naturaspekte aufklären kann. Nämlich, daß das allgemein der materiellen Welt unterstellte Kausalitätsprinzip nicht uneingeschränkt gilt, und bereits bei menschlichem Erkennen außer Kraft gesetzt ist. Denn das Denken und Erkennen ist nicht blind von den Gesetzen einer Naturkausalität getrieben, sondern macht sich davon unabhängig, indem es sich aktiv und keineswegs passiv von Fragstellungen und Begriffen nach logischen Gesichtspunkten leiten läßt. Und vor diesem Hintergrund seine Erkenntnisurteile fällt. Im Denkexperiment mit nachfolgender Bezugnahme auf das Kausalitätsproblem gegebenenfalls mit dem Resultat, daß das menschliche Erkenntnisvermögen in gar keiner Weise einem analogen Naturmechanismus zwanghaft folgt, wie er vergleichsweise für Steine und chemische Vorgänge gelten mag, - und selbst für letztere hat das massive Folgen, wenn sich die Brüchigkeit des Kausalitätsprinzips an nur einer Stelle herausstellt, die jedermann leicht zugänglich ist. Wer indessen nur Steine und chemische Vorgänge untersucht, und den Menschen analogisierend bloß als Naturmechanismus betrachtet, wird das freilich nie begreifen, und die Natur infolgedessen nie in diesem entscheidenden Aspekt der Naturkausalität, wo ihre Reichweite durch die empirische Beobachtung des Denkens dramatisch eingeschränkt wird, kennen lernen. Wer wiederum überhaupt nie nach dem tieferen Grund der Weltphänomene fragt, sondern nur nach Nutzanwendungen, wie sie Alexander Unzicker hier dem anglo-amerikanischen Utilitarismus zuschreibt, der wird ebenfalls nicht weit kommen mit der Erkenntnis des Denkens und jener Kräfte, die die Welt von innen treiben. Wer zudem über die erkenntnistheoretische Gebrechlichkeit eines von Kant und Hume problematisierten Kausalitätsprinzips gar nichts weiß, so daß er es mit der Beobachtung des Denkens auch nicht in Verbindung bringen kann, der kommt ebenfalls nicht weit damit und dem «Durchschauen des Weltgeschehens» im Sinne Steiners. Bei allen Beobachtungen, die er mit seinem Denken sonst noch vornehmen mag. Wie der Leser daran sieht, kann das Beobachtungsunterfangen zur philosophischen / begrifflichen Klärung einer Wahrnehmung des Denkens unter Umständen viele lange Jahre in Anspruch nehmen. Beispielsweise wenn man erlebt, daß die Gedanken und Erkenntnisse aktiv hervorgebracht werden, und darauf aufbauend solche weit gesteckten, aber für das Weltverständnis folgenreichen Problemstellungen in den Blick nimmt. Johannes Volkelt benötigte mehr als 30 Jahre dazu, wenn man seine Ausgangsfrage nach der erlebten Kausalität von 1886 (S. 82 f) mit der Antwort seiner 1918 (hier S. 140 ff letzten Fassung seiner Erkenntniswissenschaft vergleicht. Mit Denkprozessen hatte sich Volkelt bereits 1886 sehr eingehend beschäftig. Und die Antwort von 1918 sieht sehr anders aus als 1886. Das lag einerseits an Methodenfragen der inneren Beobachtung, an denen Volkelt selbst regen Anteil hatte. Und liegt auch an der dabei allmählich erst gewonnenen philosophischen Überzeugung in psychologischer, naturwissenschaftlicher und ethischer Hinsicht. Das alles dauert schon wegen der Tatsache, daß man sich so ungeheuer breit und eingehend über jene oft fachfremden Problemstellungen aufklären muß, die damit verbunden sind. Was im Zeitalter des blinden Spezialistentums, das zwar im eigenen winzigen Metier in ungeahnte Tiefen dringt, aber im übrigen über seinen mikroskopisch kleinen Tellerrand nie hinauskommt, und schon die Fragen von gleich nebenan weder kennt, noch beantworten kann, umso schwieriger wird. Es ist ja das, was Steiner im Kapitel 12 der Grundlinien … der bloßen «Verstandeserkenntnis» zuschreibt, die eine große Scheu davor habe, solche Verbindungen zu anderen und umfassenderen philosophisch-naturwissenschaftlichen Problemkreisen in den Blick zu nehmen und die Verständnisfäden dorthin zu ziehen. Das ist eine Eigenart der wissenschaftlichen Perspektivenverengung, die nicht nur für den gewöhnlichen Wissenschaftsbetrieb gilt, sondern vielfach auch für den anthroposophischen, wie man exemplarisch am Beispiel der Denk-Beobachtung und ihrer Übertragung auf Kants Kausalitätsproblem studieren kann. Die eigentlich, obwohl eine Schlüsselstelle von Steiners Grundlegungsschriften, von solchen Rezipienten nie dort vorgenommen wird, obwohl Steiner selbst in diesen Frühschriften mehr als genug erklärten und unübersehbaren Anlaß dazu gegeben hat, die empirische Beobachtung des Denkens mit dem Kausalitätsproblem zu verknüpfen. Was ja schon über Steiners Eingangsfrage im ersten Kapitel der Philosophie der Freiheit klipp und klar gemacht wird. Daneben über den Ausdruck des «Zusammenhangs von Wirkendem und Bewirktem», der sich bereits aus akutem philosophischem Anlass in den Grundlinien …. von 1886 gleich nach dem Kant-Kapitel im Folgekapitel 15 findet. In Goethes Weltanschauung (S. 69 ff) sieht es nicht anders aus. Gleichwohl wurde das so gut wie nie zur Interpretation von Steiners Grundschriften beigezogen. Was vorrangig auch für idealistisch orientierte Philosophen wie Hartmut Traub, Eckhart Förster, Jaap Sijmons und andere gilt, die sich mit oder gerade wegen ihrem eingegrenzt-spezialisierten philosophischen Sachverstand auf einem engen akademischen Fachgebiet, - sogar des Idealismus meinetwegen, - hartnäckig weigern, die empirische Psychologie des Denkens zur Klärung grundlegender Fragen bei Steiner, in der Naturphilosophie und der Geisteswissenschaft, sowie der Kausalitätsproblematik der Naturwissenschaften allgemein einzubeziehen, weil sie davon als Spezialisten ihres beschränkten (philosophischen) Metiers schon nichts mehr verstehen. Oder gerade so viel wie ein Robbenfänger der Inuit vom Ananas-Anbau. Was als wissenschaftlicher Perspektivenreduktionismus ein leidiges Dauer-Thema nicht nur bei den Anthroposophen ist. Man muß darüber nicht erstaunt sein, dass solche Philosophen Steiners Empirismus nie begreifen werden. Schon wegen ihrer abwertend philosophischen Haltung gegen jeden Empirismus des Denkens, von dem sie dann auch sachlich nichts verstehen, aber gleichwohl ihre eigene kognitive Mängellage blind auf Steiner übertragen, ihm dasselbe unterstellen und damit lauter abstruse Interpretationsresultate zu Steiners Frühwerk generieren. - Mancher wird darüber auch zum wortmächtigen anthroposophischen Ikarus à la Swasssjan, nur weil er offenbar bei seinen intellektuellen Stratosphärenflügen den Höhenmesser vergaß und die Bodenstation nicht kontaktierte. So daß man dann auf ca 370 Seiten kaum ein klärendes Wort zum Gedankengang von Steiners Grundlagen hört. Dafür aber in der Auseinandersetzung mit Thomas Meyer auf S. 364 ff so verstiegene Scholastizismen, ob ich von Rudolf Steiner gedacht werde, und ob Rudolf Steiner der einzige Mensch ist, der die Weltschöpfung vollendet. (Die Diskussion ist im Online-Archiv des Europäers Jahrgang 2006 noch zu lesen.) Da taucht dann zwar (S. 350 ff) die an sich sehr vernünftige Frage auf nach der seelischen Beobachtung in Steiners Philosophie der Freiheit, freilich ohne einen Blick in die Grundlinien … zu werfen, wo sie 1886 schon längst beantwortet wurde, und sogar im Nachgang von 1924 (S. 142) noch einmal erweiternd und präzisierend auf die Anthroposophie bezogen. So daß man schon den Eindruck hat, Swassjan redet da über einen entscheidenden psychologischen Aspekt von Steiners Grundlagen, den er nicht nur nicht besonders gut kennt, sondern der ihn auch nicht wirklich erwärmen kann, obwohl es ein Kernaspekt von Steiners Begründungsschrifttum ist. Was gleichermaßen für Steiners induktive Vorgehensweise gilt, die Swassjan auf diesen Seiten (351 ff) ebenso abzulehnen scheint, obwohl Steiner ausdrücklich (GA-1, S. 126) betont, daß die Ideen einer induktiven Methode zugänglich seien. (In der Kürschnerausgabe von 1887 auf S. IV f): „Das objektiv Gegebene deckt sich durchaus nicht mit dem sinnlich Gegebenen, wie die mechanische Weltauffassung glaubt. Das letztere ist nur die Hälfte des Gegebenen. Die andere Hälfte desselben sind die Ideen, die ebenso Gegenstand der Erfahrung sind, freilich einer höheren, deren Organ das Denken ist. Auch die Ideen sind für eine induktive Methode erreichbar.“ So Steiner dort. - Was denn nun? Induktiv oder nicht? Mit dem von Steiner vorgelegten Lösungsansatz zum Kant-Humeschen Kausalitätsproblem scheint Swassjan auch nichts am sprichwörtlichen Hut zu haben, obwohl es bei Steiner bei sämtliche Begründungsschriften in Gestalt eines erlebten Zusammenhangs von Wirkendem und Bewirktem grell herausleuchtet. Mehr als im Kapitel 14 der Grundlinien… kann man es kaum noch betonen. Man hat damit natürlich auch Steiners induktiven Weg zu den Ideen vor sich, der in dieser Schrift ebenso eindrucksvoll beschritten wird. Da scheinen einige empirische / psychologische Zusammenhänge über Steiners Vorgehensweise bei Swassjan noch einer Klärung gar sehr bedürftig. Was auf der anderen Seite wiederum zu den scholastischen Entgleisungen passt, die Swassjan da gelegentlich zum Besten gibt. Wäre es anders, dann hätte Swassjan sich nämlich weit mehr über die Psychologie in Steiners Grundschriften ausgebreitet, und täte nicht so erstaunt über eine seelische Beobachtung, die gar nicht zu übersehen ist und nicht nur in sämtlichen Grundschriften Steiners regelrecht in die Augen springt, sondern wo auch von Steiner lang und breit dargelegt wird, warum das so ist. Darüber allerdings, warum das überhaupt dort auftaucht, wundert sich Swassjan nun etwas. Darüber, warum in der Philosophie der Freiheit von «seelischer Beobachtung» die Rede ist. Woran man eben sieht, die seelische Beobachtung gehört nicht wirklich zu Swassjans Spezialgebieten und Lieblingsprojekten, sonst würde er solche isolierten Fragen nicht stellen, sondern als Thema so ausführlich entfalten, wie es angemessen wäre. Und damit wäre sein Buch auf über 370 Seiten längst voll gewesen, und seine verschrobenen und für das Verständnis nutzlosen scholastischen Exkurse über die Person Steiners hätte er sich schenken können. Irgendwie erinnert das auch ein wenig an den Eskimo und den Ananas-Anbau. - Nun, mancher weiß noch nicht so recht, daß Steiner gar nicht wie ein Gott verehrt und geliebt, sondern verstanden werden wollte. Wo es wiederum bei den Anthroposophen gewaltig hapert, das ist nicht mangelnde Steiner-Verehrung, sondern Verständnis für seine wissenschaftlichen Grundlagen. Da helfen erfahrungsgemäß sämtliche Husarenritte durch die Jahrtausende der Philosophiegeschichte und altehrwürdige okkulte Strömungen nicht weiter, wenn man noch nicht einmal weiß, was der Mann in seinen Frühschriften mit der empirischen Aktpsychologie seiner Zeit eigentlich vorlegt, wo er sein Begründungs-Vorhaben doch so gut wie nirgends an diese Jahrtausende der Philosophiegeschichte anbindet. Abgesehen vom Idealismus Goethes, den er mit dieser empirischen Aktpsychologie seiner Zeit engstens erkenntniswissenschaftlich verknüpft. Beim Verständnis dieser Verknüpfung allerdings, das werden wir dann bei Witzenmann neuerlich in unserer anthroposophischen Debakelsammlung erleben, klemmt es bei den Anthroposophen bis hin zum eigenen vernichtenden Untergang. So viel auch zum Thema Steinerverehrung. Mit dieser Verehrung, ob von Steiner oder etwa sogar Witzenmanns, zumal wenn sie auch noch hoch suggestiv daherkommt, ist kein Blumentopf zu gewinnen. Damit kann man vielleicht opportunistische anthroposophische Beziehungen knüpfen, aber keine Verbindungen zur Wahrheit. Aus lauter Verehrung für diese Vorbilder, anstatt selbst zu denken, hat man schließlich in seiner Verständnislosigkeit alles kraftvoll vor die Wand gefahren. Wo dann die blinde Steiner-Verehrung inzwischen teils durch die noch weit tumbere Witzenmann-Verehrung ersetzt wurde, und die Leute mit ihren Witzenmann-Kappen auf dem Kopf (siehe weiter unten) schließlich allen Ernstes öffentlich behaupten, Witzenmann habe Steiner weiter entwickelt, obwohl sie Steiner erklärtermaßen gar nicht kennen. - So etwas gehört dann eher doch ins philosophische Gruselkabinett und die Sammlung «Konditionierung» und «Gehirnwäsche» aber nicht zur Kategorie der Aufklärung. Mit Swassjans Unterstützung werden die Schwärmer dann Steiner noch mehr verehren, und verstehen werden sie ihn immer noch ebenso wenig wie vorher schon. Mit seiner psychologischen Abstinenz folgt Swassjan leider nur einem weithin üblichen eingefahrenen Rezeptionsmuster von zahllosen anderen Anthroposophen, die das Psychologische ebenso wenig sehen können und sich dafür ebenso wenig interessieren wie offensichtlich Swassjan. Denn: Bereits in den Grundlinien ... nimmt die seelische Beobachtung eine erklärte Spitzenposition ein in der Erfassung des Geistes: „Die erste Wissenschaft, in der es der Geist mit sich selbst zu tun hat, ist die Psychologie. Der Geist steht sich betrachtend selbst gegenüber.“ So Steiner nämlich dort gleich eröffnend im Psychologiekapitel 18 in der Erstausgabe von 1886 auf S. 79. Ich bitte meinen Leser, dies besonders zu beachten: Nicht die Philosophie, sondern die Psychologie ist hier für Steiner die erste Wissenschaft, in der es "der Geist mit sich selbst zu tun hat". Nun, möchte man sagen, die Philosophie hat es vorrangig nur noch mit theoretischen Geist-Konstrukten und toten Begriffen darüber zu tun. So weit zumindest bin ich mir wahrscheinlich mit Swassjan einig. Während die Erfahrungswissenschaft «Psychologie» nach wie vor in der Lage ist, sich zum real wirksamen Geist ins Verhältnis zu setzen, was die Philosophie schon seit langer Zeit verlernt hat. Daß «die Seele als Tatsache nicht da war», wie Swassjan (S. 362) von der Philosophie der Freiheit schreibt, läßt sich für 1886 und aus dem Gesamtzusammenhang der Grundschriften also schlecht behaupten. Wo war sie also in der Zwischenzeit? Wo doch alle Frühschriften laut Steiners Erklärung aus der Schrift Von Seelenrätseln (S. 58 f) in einem ausdrücklichen Gesamtzusammenhang stehen, also eine Einheit in der Grundlagenforschung bilden, und die Sache seiner Auffassung nach so liegt: „daß alle in meiner «Philosophie der Freiheit» vorgebrachten Grundanschauungen bereits in meinen früheren Schriften ausgesprochen und in dem genannten Buche nur in einer zusammenfassenden und sich mit den philosophisch-erkenntnistheoretischen Ansichten vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts auseinandersetzenden Art vorgetragen sind. Ich wollte in dieser «Philosophie der Freiheit» in systematisch-organischer Gliederung zur Darstellung bringen, was ich in den früheren, fast ein ganzes Jahrzehnt umfassenden Veröffentlichungen an erkenntnistheoretischer Grundlegung und an ethisch-philosophischen Folgerungen für eine auf die Erfassung der geistigen Welt zielende Anschauung niedergelegt hatte.“ Danach wäre freilich die «allerwichtigste Beobachtung» aus der Philosophie der Freiheit auch problemlos im Psychologiekapitel der Grundlinien … unterzubringen gewesen, wonach man „eine wahrhafte Psychologie nur gewinnen kann, wenn man auf die Beschaffenheit des Geistes als eines Tätigen eingeht.“ Man hätte das Kapitel nur entsprechend erweitern müssen, und schon wäre man im Kapitel Drei der Philosophie der Freiheit gewesen. Schon so gesehen war der Untertitel Seelische Beobachtungsresultate von 1918 ausgesprochen passend. Er wäre auch ebenso passend gewesen in den restlichen Grundschriften. Daß Steiner sich 1894 wohlweislich nicht an der Fachpsychologie orientierte, erklärte er 1894 in der Philosophie der Freiheit bereits im Kapitel Drei auf S. 29 f. Das «alltägliche Bewußtsein», auf das er sich dort, und 1918 immer noch im Kapitel Zwei (hier S. 21) beruft, kennt die scharfen Unterscheidungen der Fachwissenschaft nicht. Und kennt natürlich auch nicht die hinfälligen Hypothesenbildungen, so möchte man ergänzen, die regelmäßig in solchen fachwissenschaftlichen Unterscheidungen stecken. Die morgen schon nichts mehr gelten, wieder vergessen und durch andere ersetzt sind. Was Steiner eben nicht hindert, möglichst unbelastet von solchen vergänglichen Fachtheorien und -hypothesen mit kurzer Halbwertszeit, an den grundlegenden psychologischen Tatsachen anzusetzen. Samt und sonders in allen Frühschriften. Die ersichtlich empirisch-psychologisch operierende Erkenntnistheorie Steiners wirkt nicht zufällig und seit Anbeginn der Psychologie so nahestehend. Wie es in jener Zeit übrigens ausserordentlich häufig der Fall war, wie der Leser in meiner längeren Studie nachlesen kann. Verbunden ist das auch mit prominenteren Namen wie Johannes Volkelt, Wilhelm Dilthey, Franz Brentano und vielen anderen. Daß Steiner wegen der Voraussetzungslosigkeit in der Philosophie der Freiheit keine Seele kennt, wird man schlecht belegen können, denn die Voraussetzungslosigkeit wird in Philosophie der Freiheit nicht mehr explizit in Anspruch genommen. Während man aber die seelische Beobachtung der Sache nach doch wegen ihrer psychologischen Vorgehensweise so kennzeichnen könnte: Voraussetzungslos, wie es Steiners methodisches Vorbild Volkelt in dieser Angelegenheit getan hat, der noch 1918, S. 38 f von «immanent psychologischer Erkenntnistheorie» spricht, «die ebenso gut ein Psychologe durchführen könnte». Die er aber gleichwohl als «voraussetzungslos» verstand. Als Erkenntnistheoretiker der reinen Erfahrung freilich ohne dabei die etablierten Auffassungen einer fachwissenschaftlichen Psychologie vorauszusetzen. Denn das darf er natürlich nicht bei einer voraussetzungslosen Erkenntnistheorie. Weswegen ihn aber auch niemand hindern kann, seelische Tasachen voraussetzungslos zu untersuchen. Dasselbe wie bei Volkelt geschieht bei Steiner seit mindestens 1886. Dessen Untersuchungen kann ohne weiteres auch ein Fachpsychologe in Angriff nehmen. Während der Erkenntniswissenschaftler mit Anspruch auf Voraussetzungslosigkeit niemals an die Fachwissenschaft und ihre dort verkündeten Wahrheiten appellieren bzw. diese voraussetzen darf. Was aber einen nachträglichen Vergleich zwecks Prüfung der jeweiligen Forschungsresultate ohne weiteres möglich macht – wie es bei Volkelt auch regelmäßig über die Jahrzehnte hin und mit teils gravierenden Folgen der Fall war. So ausgestattet untersucht auch der «immanent psychologisch» operierende Steiner den Zustand «vor dem Erkennen», und baut insbesondere auf der Beobachtung eines rein erfahrenen Denkens auf. In sämtlichen Grundschriften. - In Wahrheit und Wissenschaft wiederum wird Voraussetzungslosigkeit nur in dem Maße in Anspruch genommen, «so weit das bei der Natur des menschlichen Erkenntnisvermögens möglich ist» - wie es eingangs (Vorbemerkungen) hier S. 13 heißt. Im Rahmen dieser voraussetzungslosen Untersuchung kann er selbstredend auch kein geltendes Kausalitätsprinzip voraussetzen. Das übrigens damals «und heute» ohnehin einen mehr als fragwürdigen bis starkwindigen erkenntnistheoretischen Status hatte. Das ist wichtig zu wissen, bei Steiners Suche nach den «wirkenden Kräften im eigenen Inneren». Ebenso bei seiner Betonung der Tatsache, daß das Hervorbringen von Gedanken «unmittelbar gegeben» sein muß, und diesbezüglich «keinerlei Schlußfolgerungen erlaubt» sind, wie es im Kapitel Vier von Wahrheit und Wissenschaft auf hier S. 37 heißt. Steiners immanent psychologisierendes Vorbild Johannes Volkelt wiederum, bei dem er sich in Wahrheit und Wissenschaft (hier in der Einleitung S. 7) sogar mit Nachdruck für seine wertvolle Vorarbeit bedankt hat, spricht bei aller betonten Voraussetzungslosigkeit aus gutem Grund und analog wie Steiner, (ebenfalls noch im Jahre 1918) auf S. 38 f von einer «immanent psychologischen Erkenntnistheorie». Die Volkelt in dieser Form bereits seit den 1870er Jahren pflegte. Und darin von Steiner bereits in den Einleitungen in Goethes Naturwissenschaftliche Schriften (Kap. Goethes Erkenntnistheorie) ebenso aufmerksam wahrgenommen wurde wie in den Grundlinien … von 1886. Während Steiner (1918) in der Zweitauflage der Philosophie der Freiheit ihre seelische Beobachtung nachdrücklich noch einmal hervorhebt, die selbstredend 1894 ebenso wie in den Grundlinien … von 1886 als immanent psychologische Methode längst vorhanden war. Wo also Volkelts immanent-psychologisch operierende, und voraussetzungslose Erkenntnistheorie dieser Jahre, schon herausleuchtet. Diese immanent psychologische Orientierung in der Erkenntnistheorie findet man aus sachlichen Notwendigkeiten in sämtlichen Grundlegungswerken Steiners genau so wie beispielsweise bei Johannes Volkelt. Auch als «voraussetzungslose» kann also so eine Erkenntnistheorie empirisch psychologisch operieren, indem sie etwa wie in Wahrheit und Wissenschaft erklärtermaßen, nach dem Bewußtseinszustand «vor dem Erkennen des Denkens», also nach seiner «reinen Erfahrung» respektive dem «unmittelbar Gegebenen des Denkens» fragt. Und in den Grundlinien … nach dessen «reiner Erfahrung», was sachlich dasselbe bedeutet. Was wiederum beim Denken auch am allerleichtesten möglich ist, weil ich es vor jeder Beobachtung des Denkens mit so einem Zustand «vor jedem Erkennen des Denkens», also mit seiner reinen Erfahrung zu tun habe, wie der Leser leicht nachprüfen kann. Es mag zudem auch gut sein, daß Steiner 1918 die Seele mit besonderer Betonung in den Untertitel der Philosophie der Freiheit aufgenommen hat, weil seine dreißigjährige Forschung, die auch «anthropologischer» Natur war, ihm das noch einmal besonders nahe gelegt hat. Insbesondere die Tatsache, dass er dem «rein Seelischen» in der 1917 erschienenen Schrift Von Seelenrätseln einige wissenschaftliche Aufmerksamkeit gewidmet hat. Dieses «rein Seelische» zeigt sich wiederum und insbesondere (nicht nur, aber auch) im «denkenden Suchen nach der Wahrheit». Bei einem Wollen, das sich an den Gesetzen der Logik orientiert und nicht an denen des Leibeslebens. GA-21, S. 132: „Man sieht: im gewöhnlichen Bewußtsein verschläft man das Wollen, wenn man durch den Leib ein Wollen nach außen entwickelt; man verträumt das Wollen, wenn man im Denken nach Überzeugungen sucht. Doch erkennt man, daß in letzterem Falle dasjenige, wovon man träumt, kein Leibliches sein kann, denn sonst müßten die logischen Gesetze mit den physiologischen zusammenfallen. Faßt man den Begriff des im denkenden Suchen nach der Wahrheit lebenden Wollens, so ist dieser Begriff der eines seelisch Wesenhaften.“ - So beschreibt Steiner die Verhältnisse um das «rein Seelische» und das wollende Suchen nach Wahrheit in dieser Schrift. Das wäre 1. bereits ein sehr guter Grund, die seelische Beobachtung in den Untertitel der Philosophie der Freiheit aufzunehmen, die in zweiter Auflage ein Jahr später, 1918 erschien. Denn darum, um das denkende und wollende Suchen nach der Wahrheit, geht es dort ja von Anfang bis Ende. Das 2. anläßlich der Suche nach dem Ursprung des Denkens und den wirkenden Kräften der Natur im eigenen Inneren. Auch das rechtfertigt die ausdrückliche Betonung einer seelischen Beobachtung. Mit dem 3. übergeordneten freiheitsphilosophischen Ziel, die Frage zu klären: „Ist der Mensch in seinem Denken und Handeln ein geistig freies Wesen oder steht er unter dem Zwange einer rein naturgesetzlichen ehernen Notwendigkeit?“ Diese gewollte Suche im Inneren wiederum basiert 4., und das scheint mir fast das Interessanteste zu sein, bezeichnenderweise auf einer erkenntniswissenschaftlichen Methode, die bei Steiner seit spätestens 1886 zu Anwendung kam, von Johannes Volkelt entlehnt war, und von letzterem 1918, S. 38 f dann als «immanent psychologische» Methode der Erkenntnistheorie bezeichnet wurde. Dieser Methode bediente sich auch Steiner in den Begründungsschriften. Also sehr viele Gründe für Steiner, - mindestens vier hier aufgezählt, - in der Zweitauflage der Philosophie der Freiheit von seelischer Beobachtung zu sprechen, nachdem ihm nach dreißigjähriger Forschung auch die seelischen Verhältnisse weit klarer waren als 1894, wo der Untertitel in dieser Beziehung viel zurückhaltender war. Davon wird unten in einem Extrakapitel (17.) auf S. 153 ff im Zusammenhang mit Johannes Volkelt und der Schrift Wahrheit und Wissenschaft noch etwas zu reden sein. Doch wie gesagt: Schon 1886 war die Seele längst da. Methodisch findet sich das Psychologische als Forschungsmittel und Gegenstand in sämtlichen Frühschriften. Steiners Wunsch von 1917 (GA-21, S. 171) nach einem «profanen» psychologischen Laboratorium als «Wunsch eines jeden, der auf dem anthroposophischen Gesichtspunkt steht», zu erwähnen und zu bedenken, wäre also in jedem Fall sehr hilfreich gewesen, um etwas mehr Stabilität unter das Flugwerk Swassjans zu bekommen. Was folglich will Steiner da, um «beste Grundlagen» zu legen, wie er S. 170 f sagt? Und warum? Und wie? Und warum jemand, der wie Steiner 1917 in diesem Buche (GA-21, S. 150) schreibt: „Ich darf wohl sagen, daß ich damit die Ergebnisse einer dreißig Jahre währenden geisteswissenschaftlichen Forschung verzeichne.“ Warum also nimmt er 1917, - um «beste Grundlagen» im Labor zu legen, - so eindrucksvoll den Faden zur Psychologie wieder auf, den er 1886 schon ohne Labor in der Hand hielt? Trotz dreißigjähriger Geistesforschung. Ich könnte es ja nie begreifen, wenn ich nur Swassjans Flugakrobatik folge. Treten wir dazu der Sache nur einmal etwas näher, indem wir Steiners Aussage aus den Einleitungen in Goethes Naturwissenschaftliche Schriften folgen (GA-1, S. 126 f), wonach einerseits «die Ideen einer induktiven Methode zugänglich» seien. Und ferner der Mensch «bei der Beobachtung des Denkens das Weltgeschehen durchschaut», wie es in Goethes Weltanschauung von 1897 S. 70 heißt. Das «Geschehen», das er dabei durchschaut, ist wiederum «die Idee selbst, weswegen er keine anderen suchen muß». Da scheint doch der induktive Weg zu den Ideen bereits zur Anwendung gelangt sein, so daß er jetzt nicht nur das Ideengeschehen, sondern sogar das Weltgeschehen durchschaut. Warum aber möchte jetzt der Anthroposoph und induktive Idealist / Anthroposoph Steiner dazu 1917 am liebsten in ein psychologisches Labor gehen? Was hat dieser Laborwunsch mit dem induktiven Zugang zu den Ideen und zum durchschauten Weltgeschehen zu tun? Wobei ja unübersehbar ins Auge fällt, wie sehr Steiner in der Schrift Goethes Weltanschauung S. 61 ff bei aller Gemeinsamkeit mit Goethes Anliegen auch seine methodisch / erkenntniswissenschaftlichen Differenzen zu Goethe herausstellt, nachdem er bereits in Wahrheit und Wissenschaft seine gedankliche Unabhängigkeit von Goethe erklärt hatte, die sich selbstverständlich bereits in den Grundlinien … bemerkbar macht, so weit Steiner dort auf der Beobachtung des Denkens aufbaut und dazu auf zeitgenössische Philosophen wie Volkelt und andere rekurriert. Ich frage mich vor solchen Hintergründen auch, warum bei Swassjan nicht von Steiners allerwichtigster Beobachtung aus der Philosophie der Freiheit die Rede ist. Desgleichen auch nicht von der Unbeobachtbarkeit des gegenwärtigen Denkens, die vor allem Witzenmann und seinem Anhang, aber nicht nur diesen, sondern ganzen Generationen anthroposophischer Steinerinterpreten so ungeheure Verständnisprobleme bereitet. Oder habe ich das bei Swassjan übersehen? Dann bitte ich um entsprechende Hinweise. - Ich traue Karen Swassjan übrigens durchaus zu, daß er ein Anliegen wie Steiners Laborwunsch beantworten kann, wenn er sich denn dafür erwärmen könnte. Ob er sich allerdings auch faktisch so ein Labor wünscht, und was er damit will, wird nicht geklärt. Ist folglich doch eine Frage wert, wenn Steiner so eindringlich dorthin will, um beste Grundlagen zu legen. Und andererseits Swassjan Steiner so ungeheuer und über alle Maßen schätzt, so daß man unbeding den Eindruck bekommen muß, ihn dränge es mindestens ebenso mächtig dorthin wie den verehrten Steiner selbst. Der Mann ist mir ja nicht unsympathisch, trotz allem abwegigen und für das Verständnis nutzlosen Zinnober, den er da bisweilen um die Person Steiners veranstaltet. Wie gesagt, viel Flugtalent hat er, aber der Kontakt zur Bodenstation ist doch sichtlich abhanden gekommen. Die Schrift Von Seelenrätseln wird zwar freudig begrüßt und wortreich umarmt, nur das Laboratorium nicht, von dem dort auf S. 170 f als Forschungsstätte für beste Grundlagen zu lesen ist. Swassjan ist literarisch und philosophisch einerseits anspruchsvoll, scheut aber ersichtlich den Abstieg von der intellektuellen Hochatmosphäre ins irdisch Konkrete, weil er scheinbar gar nicht weiß, wie er von dort oben wieder herunter kommen soll. Und verliert in dieser essayistischen Stratosphären-Raserei sogar den Menschen aus dem Beisitz, von dem er S. 369 sagt, nur Rudolf Steiner sei einer, und wir erst auf dem Wege dahin. So was gibt`s bei den Anthroposophen! Und viel literarisches Gedüse von hier nach dort und wieder ganz woanders hin. Wie ein Derwisch. Nie Ruhe. Als wäre ihm der Widerwille gegen das «Verweile doch, du bist so schön» in Mark und Bein gefahren: „Heute hier, morgen dort. Bin kaum da, muß ich fort. Hab mich niemals … “; - ohne zu bedenken, daß das lange Verweilen auf dem Gedanken ein Kernmerkmal der Meditation und ebenso des Verstehens von Steiners Gedankengängen der Grundlagen ist. Da gilt doch eher: «Das Was bedenke. Mehr bedenke wie.» Das «Warum» sei noch hinzugefügt. Dazu braucht es betrachtende Ruhe, aber keine philosophischen Derwischtänze in der Luft. Dazu müsste man beispielsweise das Handwerk dieser psychologischen Laboratoriumsforschung einschließlich Steiners Zielen damit kennen, und nicht nur literarische Schnappschüsse aus der Psychologiegeschichte machen, die darüber nichts hergeben. Doch statt ruhiger Betrachtung stroboskopartiges Geflitze durch die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte, und nichts wirklich im handgreiflichen Zusammenhang, so daß jemand Steiners Grundwerke auch verstehen könnte. Beeindruckend schon irgendwie. Aber niemand wird anhand dieser philosophischen Geistes-Show die ganz konkreten Gedanken Rudolf Steiners in ihrem Begründungszusammenhang begreifen. So daß man dann am Ende auch nicht mehr recht weiß, ob Swassjans Resümee von S. 372, Rudolf Steiners Erkennen sei ein Mysterium, Ausdruck von Steiner-Überhebung in überbordendem Personenkult, oder von schierer Verzweiflung am fragwürdigen Erfolg einer literarischen Selbstinszenierung Swassjans, inklusive Strömungsabriss ist. Und nur noch die Resteverwertung von in der Sonne geschmolzenem Fluggerät ohne Fallschirm, Landeklappen und Navigation? - Schade eigentlich, denn es hätte wirklich mehr daraus werden können, als nur eine beeindruckende und nicht ganz unberechtigte gesellschaftkritische Donner-Schau mit allerlei scholastischen Sturzflugeinlagen, Stroboskopeffekten, logischen Loopings und qualmenden Flügeln. (Karen Swassjan, Rudolf Steiner ein Kommender, Neuausgabe 2017) - Kehren wir wieder auf den Boden der ganz profanen Tatsachen zurück. Ohne spezielle philosophische Problemkenntnis der Naturerklärung und ohne empirisch psychologische Fach- und Problemkenntnis ist so eine Beobachtung wie die oben genannte: - «Was hat das Denk-Erlebnis des Hervorbringens von Gedanken und Erkenntnissen mit Kants und Humes Kausalitätsproblem zu tun?» - nicht möglich. Das einfache Wahrnehmungsurteil «Es gibt Erlebnisse beim Denken!» reicht dazu jedenfalls nicht aus, wie der Leser leicht verstehen wird. Und selbst die einfache Beobachtung «Es gibt auch erlebte Wirksamkeitszusammenhänge im Denken!», was philosophisch bereits sehr anspruchsvoll ist, kann mit ihrer abschliessenden Bewertung unter Umständen jahrelang weiter gehen. Bei Johannes Volkelt, der 1886 in der Schrift Erfahrung und Denken etwa S. 81 auch nach Kausalzusammenhängen in den Innenerlebnissen suchte, dauerte es wie gesagt mehr als dreißig Jahre, bis er mit der Beobachtung in eine gewisse Nähe dessen gelangte, wie Sie seiner Schrift Gewißheit und Wahrheit von 1918 ab S. 141 ff entnehmen können. Als erlebtes inneres Tun wird das Denken und seine Erkenntnis von Steiner auch in sämtlichen Frühschriften dargetan. Einschließlich Goethes Weltanschauung von 1897 in ihrem dortigen Kapitel Die Metamorphose der Welterscheinungen (hier S. 69 ff ). Wenn er in der Philosophie der Freiheit im Kapitel Die Konsequenzen des Monismus, im zweiten Zusatz von 1918 vom intuitiv erlebten Denken hier auf S. 181 schreibt, es ist «eine Wahrnehmung, in der der Wahrnehmende selbst tätig ist, und es ist eine Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenommen wird», so kann man dasselbe als Sachauskunft bereits 32 Jahre zuvor in Steiners Originalausgabe der Grundlinien… von 1886 im Rückblick von Kap. 15 (hier S. 56) respektive im Kap 8 (hier S. 24 ff) nachlesen. Desgleichen in Wahrheit und Wissenschaft, Kap. 4., hier S. 37. Die späteren Zusätze von 1918 zur Philosophie der Freiheit werden zwar gern von ihren Interpreten infolge ungenügender Werkkenntnis, und deswegen unberechtigt der späteren Anthroposophie zugeschlagen; die allerdings in diesem Begründungsbuche laut Steiners Vorrede zu GA-4 hier S. 5 und seiner dezidierten Auskunft in der späteren Geheimwissenschaft (GA-13) hier S. 343 f gar nicht zu finden ist. Von wenigen Ausblicken darauf abgesehen, die er in der Zweitauflage der Philosophie der Freiheit in der Tat ja gibt. Davon abgesehen aber findet sich die Passage mit der wahrgenommenen Selbstbetätigung wie gesagt sachlich bereits 32 Jahre früher in Steiners Grundlinien … von 1886, dahingehend, daß Wirkendes und Bewirktes beim Denkprozeß unmittelbar zu erleben sei. Auch eine sehr frühe kausalitätsphilosophische Feststellung Steiners, über den Zusammenhang von erlebter Denktätigkeit und dabei erwirktem Resultat. So daß wirklich niemand auf die spätere Anthroposophie «hinschielen» (Steiner) muß, um die Philosophie der Freiheit und ihre Darstellungen zur erlebten Denkbetätigung zu verstehen und annehmbar zu finden. In der Regel aber werden Steiners Vorgängerschriften oder Goethes Weltanschauung leider kaum oder gar nicht zur wissenschaftlichen Analyse solcher Fragen um die Beobachtung des Denkens herangezogen. Obwohl Steiner den für jeden nachvollziehbaren Gesamt-Zusammenhang aller Grundschriften in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21, S. 58 f) selbst ausdrücklich dargelegt hat. 5. Beschreibung des Denkens durch deskriptive Begriffe Die zum Begreifen des Denkens notwendigen beschreibenden Begriffe wiederum werden zumeist überhaupt erst gesucht, ganz analog wie man in der Biologie lange Zeit nach charakteristischen morphologischen Kriterien gesucht hat, um Bauprinzipien und Verwandtschaftsbeziehungen von Lebewesen zu eruieren. Um Ihnen nur ein Beispiel von vielen möglichen zu geben: Ein solcher deskriptiver Begriff ist etwa der von Bühler verwendete des «Beziehungsbewußtseins (hier S. 343), Regelbewußtsein (hier S. 334 ff)» und ähnliche. Was eben heißt, ich habe während des problemlösenden Denkens ein unmittelbares Wissen von begrifflichen und anderen Zusammenhängen verschiedenster Art. Wobei diese Bewußtheiten sich überwiegend ganz unanschaulich präsentierten. Gewonnen wurde das auf der Grundlage von zahlreichen Erlebnisbeschreibungen seiner Versuchspersonen dazu, die der Leser in Bühlers Publikation gleich mit in Augenschein nehmen kann. Wenn Steiner wiederum bereits in den Grundlinien von 1886 im Kapitel 15 rückblickend (hier S. 86) vom «erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» beim Denken spricht, dann haben Sie ebenfalls eine rein deskriptive Behandlung von unmittelbaren Erfahrungen des Denkens vorliegen. Wie er nachfolgend in Wahrheit und Wissenschaft im Kapitel V (hier S. 40 f) ebenfalls in dem Sinne betont, daß «die Wissenschaft des Denkens in einer Beschreibung des Denkens bestehe». Eine Sicht, die damals weit verbreitet war und besagte, dass eine Erkenntnis des Denkens nur anhand seiner unmittelbaren Erfahrung zu gewinnen sei, und keine Außenerklärungen herangezogen werden dürfen. Was natürlich auch für Kausalerklärungen des Denkens gilt, die inzwischen regelmäßig unter dem Stichwort «denkendes Gehirn» von außen über das Denken gestülpt werden. Sie haben dort freilich nichts zu suchen, da sie erstens nicht aus der unmittelbaren Erfahrung des Denkens stammen, und sich zum anderen aus logischen und erkenntniswissenschaftlichen Gründen selbst desavouieren – zu letzterem aber später ausführlicher im Kapitel 40 und den vorangehenden 38 ff. Das dritte Kapitel der Philosophie der Freiheit wiederum geht wesentlich solchen Fragen nach, und wendet sich demonstrativ am Ende auch noch (hier S. 36 f) gegen Außenerklärungen Eduard von Hartmanns, mit dem Hinweis, „Die unbefangene Beobachtung ergibt, daß nichts zum Wesen des Denkens gerechnet werden kann, was nicht im Denken selbst gefunden wird. Man kann nicht zu etwas kommen, was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Denkens verläßt.“ (Wir werden das wie gesagt im längeren Kapitel 40 auf S. 219 ff und den vorangehenden noch etwas eingehender betrachten.) Eine unmißverständliche Ablehnung jeder Außenerklärung des Denkens und damit zugleich das Kernargument für seine rein deskriptive Behandlung auf dem Wege von unmittelbaren Erfahrungen des Denkens. Was der Leser wiederum in Diltheys Vortrag von 1894 S. 1309 ff weitläufiger erkenntniswissenschaftlich dargelegt findet unter dem Stichwort «erklärende und beschreibende Psychologie». Die Nähe Diltheys zu Steiner ist in dieser Frage unübersehbar. Dieses "Anschauen" des Denkens unter beschreibenden Kategorien ist nicht etwa bloß metaphorisch zu nehmen. Es handelt sich hier zwar um eine metaphorische Übertragung aus der Sphäre der gegenständlichen Beobachtung in die der Denk-Beobachtung, aber wenn wir uns klar machen, unter welchen erkenntnistheoretischen Bedingungen wir einen herkömmlichen Gegenstand überhaupt erkennend "anschauen" können, dann müssen wir doch zugestehen, daß zu dieser erkennenden Sinnes-Anschauung deskriptive Begriffe / individualisierte Vorstellungen erforderlich sind, die sich in diesem Fall eben auf normales Sinnliches beziehen. (Zur Beachtung: Es geht um Anschauung und nicht lediglich um reine visuelle Erfahrungen, die völlig frei von Begriffen ist. Siehe dazu etwa: Der sehende Blinde, in, Der Spiegel, Nr. 47, 18.11.2002 S. 190 ff). Wenn uns die Tatsachen der sinnlichen Wahrnehmung etwas sagen sollen, dann benötigen wir dafür nicht nur ihre reine Wahrnehmung, sondern auch die dazu geltenden Begriffe. Beim unmittelbar erfahrenen / wahrgenommenen Denken verhält es sich nicht anders. Zum Begreifen des Denkens benötigt man ebenfalls Begriffe, die anhand konkreter Erfahrungen des Denkens gewonnen sind. Mit einem wesentlichen Unterschied. Bei der gewöhnlichen Sinneswahrnehmung und ihrer Erkenntnis ist der naive Realismus auch von Steiner nicht zugelassen. Bei der Erkenntnis des Denkens ist er es gleichwohl (GA-4, Kap. V, hier, S. 71). - Dazu weiter unten S. 57 f noch. Wenn wir das Denken "anschauen" oder "betrachten" wollen, dann benötigen wir verständlicherweise auch dazu beschreibende Begriffe, die sich entsprechend auf das Denken beziehen. Will man sich anhand konkreter Beispiele dieses "Anschauen" des Denkens verdeutlichen, dann kann man ohne weiteres auf Steiners epistemologisch-psychologische Beschreibungen des Denkens zurückgreifen. Beispiele dieser Art wurden in dieser Arbeit schon exemplarisch angeführt, und das ließe sich natürlich fortführen und über Steiners Darstellungen hinaus erweitern. Wenn er beispielsweise in den «seelischen Beobachtungsresultaten» der Philosophie der Freiheit ausführt, daß sich das Denken nach Begriffen richtet und nicht nach den Zuständen der Hirnphysiologie, dann ist das eine exemplarische Beschreibung von Denkprozessen, die nur als seelisches Beobachtungsresultat an faktischen Denkprozessen gewonnen werden kann. Ein physikalistischer Hirnphysiologe wird so etwas nicht sagen, aber der beobachtet auch nicht sein Denken, selbst wenn er so etwas womöglich glauben sollte. Sondern der redet dann lediglich wie ein Blinder über die Farbe, wie Steiner bemerkt. Steiner verwendet für die Beschreibungen des erlebten Denkens auch den Ausdruck ideelles Gegenbild. Etwa hier, S. 99 der Philosophie der Freiheit, Kapitel VIII, Zusatz von 1918. Alternativ in GA-04, Dornach 1995, S. 142 f. Wobei der Ausdruck «Gegenbild» verschiedene semantische Variationen in der Schrift annimmt. So spricht Steiner im Kapitel IX, hier S. 102 etwa auch von einem «leiblichen Gegenbild». Und in besonders bemerkenswerter Form in Kap. VII, von den ideellen Gegenbildern für die Wahrnehmungen, hier auf S. 85. An jener Stelle insofern nicht nur bemerkenswert, da «die Individuen kommen und gehen, während das scheinbar nichtssagende und unwirkliche ideelle Gegenbild der Tulpengattung sich als bleibend behauptet.» Bemerkenswert ist diese Passage Steiners vor allem auch, da er im Kapitel V (hier auf S. 71) im Gegensatz zu allen anderen Wahrnehmungsgegebenheiten ausdrücklich den naiven Realismus gegenüber dem Denken gelten läßt. Was er übrigens schon in Wahrheit und Wissenschaft bemerkte (Kap. V, hier S. 40) alternativ die Dissertation Kap. V, hier S. 29 f, wonach «die Wissenschaft des Denkens in einer Beschreibung des Denkens bestehe» – also einen rein deskriptiven Charakter habe. Was ja bereits einen naiven Realismus des Denkens signalisiert. Schon 1892 / 93 ist folglich der naive Realismus des Denkens die Basis und deskriptive Standardorientierung zwecks Erkenntnis des Denkens. Das aber ist auch 1892 f alles nicht neu, sondern läßt sich bereits 1886 für die Grundlinien … aufzeigen. Die Metaphorik des "Sehens" findet sich überdies so eng verbunden mit Steiners Begriff der Denk-Beobachtung, daß man sicherlich von einer weitreichenden Überschneidung der Ausdrücke "Beobachtung", Betrachtung" und "Anschauung" des Denkens ausgehen kann. - Am Rande gesagt wird diese Metaphorik des Sehens von Steiner auch in spezifisch übersinnlichen Zusammenhängen, zwar nicht durchgängig, aber sicherlich auch nicht zufällig beibehalten in Ausdrücken wie "Hellsehen" oder "Geist-Anschauung" usw. . Und das reine Denken selbst wird von ihm, wie er etwa in GA-35, 1984, S. 321 ausführt, ausdrücklich dem übersinnlichen, schauenden Bewußtsein zugerechnet: "Meine früheren Schriften behandeln das reine Denken so, daß ersichtlich ist, ich zähle dieses durchaus zu den Verrichtungen des «schauenden Bewußtseins». Ich sehe in diesem reinen Denken die erste, noch schattenhafte Offenbarung der geistigen Erkenntnisstufen." Steiner spricht im Zusammenhang mit dem Spaltungsargument des dritten Kapitels der Philosophie der Freiheit von einem "Zusehen" beim gegenwärtigen Denken, das nicht gleichzeitig möglich sein soll. Ferner verwendet er die Ausdrücke "Beobachtung des Denkens" und «denkende Betrachtung des Denkens» - wie wir in Anmerkung 54 gezeigt haben - weitgehend synonym. Daher spricht einiges dafür, daß dieses "Zusehen", das "Anschauen", die "Betrachtung" und die "Beobachtung" des Denkens voneinander nicht allzu verschieden sind, sondern sachlich in etwa dasselbe meinen. - Auch in der englischen Übersetzung der Philosophie der Freiheit von Michael Wilson werden die Unterschiede der Ausdrück "Zusehen" und "Beobachten" weitgehend aufgehoben. 107a - Anders gesagt: der Begriff der "Beobachtung" des Denkens rückt auch in eine deutliche Nähe zum "Anschauen" des Denkens und ist zu erheblichen Teilen deckungsgleich zu ihm. Ein Unterschied mag darin liegen, daß der Beobachtungsbegriff einen klaren wissenschaftlich-methodischen Akzent hat und der Anschauungsbegriff nicht. 6. Motiv versus Methode des Erkennens, und der «Ausnahmezustand» der «gegenüberstellenden Betrachtung» des Denkens Erinnern wir uns noch einmal: „Beobachtung und Denken sind die beiden Ausgangspunkte für alles geistige Streben des Menschen, insoferne er sich eines solchen bewußt ist.“ So erläutert Steiner (hier in der älteren Ausgabe der Philosophie der Freiheit von 1958 auf S. 23) die Grundbegriffe von Beobachtung und Denken. Hinter dem Beobachten steht erklärtermaßen ein spezifisches Erkenntnisinteresse. Bei Steiner ein "bewußtes geistiges Streben". Wohlgemerkt: ein geistiges Streben, „insoferne er sich eines solchen bewußt ist.“ Also steht dahinter eine bestimmte Erkenntnisabsicht bzw. eine Fragehaltung als Motiv des geistigen Strebens, um das der Beobachter auch genau weiß. Was natürlich ebenso für jeden Beobachter des Denkens gilt, der das Denken erkennen will. Es wird dabei vorausgesetzt, daß der Beobachter des Denkens seine eigenen Erkenntnismotive auch kennt. Er muß demnach wissen, was er tut und warum er es tut. Was, wie wir eingangs schon im Zusammenhang mit Christian Clement bemerkten, eben im Umkehrschluss heißt, daß man ohne bewusstes Erkenntnismotiv bei der Beobachtung des Denkens nicht weit kommt, da man ohne so ein klares Motiv gar nicht darauf verfiele, eine Erkenntnis des eigenen Denkens via Beobachtung überhaupt zu erstreben. Eine vollkommen motivlose, aber zielgerichtete wissenschaftliche Beobachtung, zumal des Denkens, ist schlechterdings nicht möglich, sondern so realistisch wie eine Taschenuhr ohne Zeiger, Uhrwerk und Gehäuse. Wie gesagt: Prüfen Sie das selbst, lieber Leser, ob dem so ist. Oder ob es möglich ist, ohne jedes Motiv das eigene Denken erkennen zu wollen. Ohne Motiv kommt man also nicht weit mit der Beobachtung des Denkens. Eine andere Frage ist, ob man ohne eine adäquate Methode weit kommt. Das Erkenntnismotiv ist eine Sache und die Methode eine andere. Wenn man den Autoren der Würzburger Schule folgt, die ja am Beginn des 20. Jahrhunderts als erste in Deutschland die systematische experimentelle Beobachtung Denkens akademisch etablierten, dann war die Lage um die beobachtende Erkenntnis des Denkens die, daß man es schon gern Wollen wollte. Nur Können konnte man nicht. Weil es bis dahin keine adaequate empirische Methode dafür gab. Nachzulesen ist das bei Karl Bühler in seiner umfangreichen Habilitationsarbeit von 1907 / 08 gleich zu Beginn, S. 297 ff. Desgleichen bei Oswald Külpe, dem damaligen Leiter des Würzburger Instituts, in einem historischen Überblick über die Genese der modernen Denkpsychologie im Anhang seiner Vorlesungen über Psychologie, ab S. 297 ff. Um nur exemplarisch diese zwei zu nennen. Was beide, Bühler und Külpe zusammen mit den anderen Beteiligten des Würzburger Instituts methodisch vorschlugen und in dieser Zeit etablierten, entsprach dem, was Rudolf Steiner schon 1886, also mehr als 20 Jahre vor ihnen die «gegenüberstellende Betrachtung» oder Beobachtung von Erfahrungen des Denkens nannte. Mit dem wesentlichen Unterschied, daß die Würzburger als erfahrene akademische Psychologen zur experimentellen Untersuchung im Labor vor allem mit professionellen Versuchspersonen arbeiteten. Mit ausgebildeten Psychologen, die in der Selbstbeobachtung sehr erfahren waren. Ein Vorschlag, den man dann ähnlich auch 1917 von Steiner in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21) vorgelegt bekam, auf S. 170 f. Zwar nicht als ausschließlich möglichen methodischen Ansatz, aber gleichwohl mit sehr großer Dringlichkeit vorgebracht, und in Anlehnung an die parallelen, aber erfolglosen Bemühungen Franz Brentanos um ein psychologisches Labor. So daß Steiner dort vom Wunsch nach einem echten psychologischen Laboratorium spricht, «bei jedem, der auf dem anthroposophischen Gesichtspunkt steht.» Was wohl hinreichend für sich selbst spricht. - Steiners Sprachgebrauch erscheint ja mitunter den Nachgeborenen etwas vage, insbesondere mit Blick auf den Anschauungsbegriff, wie wir in früheren Abschnitten schon bemerkt haben. Richtig spannend und sehr viel klarer wird es aber auf jeden Fall dann, wenn es um die eben genannte «gegenüberstellende Betrachtung» = Beobachtung des Denkens geht. Hochinteressant und erhellend, weil sich das entsprechende methodische Verfahren seit 1886 unverändert und ganz explizit in Steiners Grundschriften findet. Wonach es natürlich das Denken selbst ist, das sich denkend zwecks Erkenntnis betrachtet und sich dazu seinen eigenen Denk-Erfahrungen «gegenüberstellt». Genauer, der Denker stellt sich zwecks Erkenntnis denkend den eigenen Denk-Erfahrungen gegenüber. Das kann auch gar nicht anders sein. Dazu kommen wir nachfolgend. Vorab aber noch ein illustrierender Ausblick mittels späteren Ausführungen des «Anthroposophen» Steiner dazu, was ein wenig die ausgesprochene Kontinuität seines frühen Beobachtungsprozederes beleuchtet. Am 15. Februar 1917 führte Steiner in Berlin mit ausdrücklichem Blick auf das «gegenüberstellenende Betrachten und Erkennen des Denkens» und im Zusammenhang mit der Behandlung des Psychologie-Pioniers Fechner in GA-66, Dornach 1988, S. 16 f folgendes aus: „Wer nicht nur in flüchtigem Rückblick auf den Erkenntnisakt auf das Denken hinschaut, sondern sich in die Lage versetzt, gewissermaßen von dem Denkakt zurückzutreten, aber so, daß das Denken, das er im Erkennen pflegt, wie eine Art Erinnerungsvorstellung so, daß sie genau beobachtet werden kann, vor der Seele steht; wer also nicht verharrt im Denken, wo man es nicht erkennen kann, sondern wer gewissermaßen vom Denken zurücktritt, der erkennt, daß er, indem er denkt, so in diesem Denken lebt, wie - um diesen Vergleich, den ich hier schon öfter brauchte, noch einmal zu brauchen - man in sich lebt, wenn man vor einer Spiegelfläche steht.“ - Mit seiner Spiegelmetapher werden wir uns hier nicht befassen, sondern nur mit dem Erkenntnisprozedere, welches auf die Erkenntnis des Denkens gerichtet ist. Dieses Erkenntnisprozedere, und so viel geht aus der Passage von 1917 hervor, benötigt zwei Denkschritte in Form einer gegenüberstellenden Betrachtung. - Wobei nicht zu vergessen ist, daß es das Denken selbst ist, mit dem sich der Denker einem vergangenen Denken gegenüberstellt, um es zu erkennen. Er hat es hier folglich nicht nur mit einem vergangenen Denken zu tun, das er betrachtet. Sondern natürlich auch mit dem erlebten gegenwärtigen, mit dem er diese erkennende Betrachtung vornimmt. Wenn man nur im Denken verharrt, so Steiner, dann kann man es nicht erkennen. Sondern man muß vom Denken zurücktreten, so daß man es wie eine Art Erinnerungsvorstellung vor sich hat. Dann erst ist diese Erkenntnis möglich. - «Betrachtende oder denkende Gegenüberstellung» lautet das entsprechende methodische Erkenntnisprinzip, das sachlich seit 1886 in den Frühschriften Steiners zur Erkenntnis des Denkens ausgeführt wird. Was sich 1917 immer noch bei Steiner findet. (Sehr viel ausführlicher siehe dazu hier auf derzeit S. 1237-1243.) Beginnend aber bereits mit den Grundlinien … von 1886, im vierten Kapitel hier auf S. 11 f. Es ist das Denken, das sich den eigenen Denkerfahrungen betrachtend gegenüberstellen muß, um sich selbst zu erkennen. Oder unverfänglicher gesprochen, und weil das Erkennen ja seine ganz persönliche Erkenntnis-Angelegenheit ist: Der Denker stellt sich denkend den Erfahrungen des eigenen Denkens gegenüber, um es zu erkennen. Man darf ergänzen, daß es sich hier um eine begründende erkenntniswissenschaftliche Methode handelt, die laut Steiners häufigen Erläuterungen den empirischen Nachweis des schauenden Bewußtseins und der Leibfreiheit des begrifflichen Denkens, - was beides zusammengehört, - erbringen sollte. So wird auch sein Laborwunsch von 1917 in der Schrift Von Seelenrätseln vorgebracht, wo es um die «Veranlagung zum Schauen» geht. Und die Veranlagung zum schauenden Bewußtsein liegt nun einmal im begrifflichen Denken einschließlich jener inneren Produktivität, ohne die es kein begriffliches menschliches Denken bei Steiner gibt. In der spezifisch anthroposophischen Methode, die auf der frühen Forschung aufbaut, wie Sie hier in GA 255b ab S. 295 ff anschaulich lesen können, werden die Verhältnisse noch wesentlich komplexer. «Ausnahmezustand» nennt Steiner das Forschungsverhalten der Beobachtung des Denkens wiederholt in der Philosophie der Freiheit, was sachlich dasselbe bedeutet: Nämlich sich in Erkenntnisabsicht den (eigenen) Denkerfahrungen betrachtend gegenüber zu stellen, um es zu begreifen. Und dabei kommt es zu einer einzigartigen erkenntniswissenschaftlichen Sachlage, die es nirgendwo sonst gibt. Wahrnehmung und Begriff fallen bei der Erkenntnis des Denkens zusammen, wie Steiner in der Philosophie der Freiheit am Beginn des 9. Kapitels, hier Seite 101 f ausführt. Und nicht nur das, sondern der Mensch erlebt dabei laut Steiner auch einen Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem, der ebenfalls in dieser Form und Sicherheit einzigartig ist im menschlichen Erkenntnisleben. Weswegen Steiner darauf im dritten Kapitel das Fundament der Welterklärung gründet. 7. Intuitives Denken und intellektuelle Anschauung bei Steiner Zwei Dinge sind nun zu beachten, wenn es um das «Zusammenfallen von Wahrnehmung und Begriff» geht: Zunächst einmal ist da die Tatsache zu beachten, dass auch Begriffe und Ideen für Steiner geistige Wahrnehmungsgegebenheiten sind. Das Denken als tätiges Auffassungsorgan nimmt bekanntlich Ideen wahr «wie das Auge das Licht», wie der Leser in GA-1 nachlesen kann. Das alles darf inzwischen als bekannt vorausgesetzt werden. Näheres und ausführlicher dazu auch hier. Die Wahrnehmung ist inhaltlich in diesem Fall etwas rein Begriffliches, Ideelles. Meinetwegen der reine Begriff der «Kausalität», der ja des öfteren in Steiners Grundschriften einer Betrachtung unterzogen wird, wie in den Grundlinien (Kap 14), oder in Wahrheit und Wissenschaft. Und insofern ist es selbstverständlich zu sagen, daß Wahrnehmung und Begriff zusammenfallen. Insofern der reine Begriff eben als ideelle Wahrnehmung / Inhalt des wahrnehmenden Denkens («intellektuelle Anschauung» laut GA-3, Kap. IV, S. 37) auftritt, und wahrgenommen wird. Wo aber in diesem Frühwerk (Wahrheit und Wissenschaft) die simultane Wahrnehmung der eigenen Denktätigkeit ebenfalls als selbstverständliche und unerlässliche Tatsache mit genannt wird. Mit jedem reinen Begriff tritt gleichzeitig die eigene erwirkende Denktätigkeit auf, und der dadurch «wahrgenommene» reine Begriff nicht ohne diese. Was wiederum ein definitorisches Kennzeichen für die intellektuelle Anschauung dort ist. Wobei wir es hier im vorliegenden literarischen Zusammenhang von Wahrheit und Wissenschaft auch mit einem Spezialfall zu tun haben, insofern natürlich der reine Begriff der «Verursachung» oder «Kausalität» ebenfalls durch eine erlebte innere Aktivität wahrgenommen wird. Auf die er dann auch sogleich angewendet werden und eingehend diskutiert könnte, dahingehend, um welche Form von Kausalität respektive Verursachung es sich hierbei eigentlich handelt, wenn reine Begriffe «tätig» wahrgenommen werden. (Eine exemplarische Übersicht der großen Vielfalt von Verursachungsformen finden Sie von Robert Reininger in dessen Schrift Locke, Berkeley, Hume von 1922 auf S. 168 - 170 wiederholt am Beispiel von David Hume erläutert. Siehe dazu auch meine längere Studie etwa auf S. 1259 ff.) An der Sachlage der tätigen Wahrnehmung reiner Begriffe ändert sich erkenntnistheoretisch nichts. Wird in den späteren Zusätzen der Philosophie der Freiheit von 1918 noch einmal eigens betont. Nur ist die «intellektuelle Anschauung» aus Wahrheit und Wissenschaft im Jahre 1918 sprachlich zwischenzeitlich zum «intuitiv erlebten Denken» geworden. Wobei hinzuzufügen ist, daß beide Wendungen (intellektuelle Anschauung und Intuition) in jener Zeit eine spirituell / idealistische / esoterische Konnotation hatten. Sie standen sich von der Bedeutung her ausgesprochen nahe. Während wiederum die mehr am damaligen akademischen Sprachgebrauch orientierte Schrift Wahrheit und Wissenschaft, die etwas überarbeitete veröffentlichte Dissertation Steiners war, die sich im vorliegenden Fall speziell auf Kant und seinen Anhang bezog. Wo, das ist zu erwähnen, der Sprachgebrauch schon bei Kant allein alles andere als einheitlich war, so daß sich in dessen Kritik der Urteilskraft die verschiedensten Termini dafür, für die «übersinnliche Wahrnehmung», fanden. So neben dem Ausdruck «höherer» (§77), «intuitiver» (§ 77) oder «urbildlicher» (§ 77) Verstand auch das Vorbild des von Goethe verwendeten Ausdrucks der «anschauenden Urteilskraft», der sich wiederum an Kants intellectus archetypus oder urbildlichen anlehnte. Siehe dazu hier auf derzeit S. 13 ff in den Einzelheiten ausführlicher. Ebenso bei Karl Vorländers Ausgabe dieser Schrift Kants, der diese Zusammenhänge auf S. xxviii erläutert. Steiner, dem die verschiedensten Ausdrücke für übersinnliche Wahrnehmungen auf Grund seiner Goetheforschung natürlich nicht fremd waren, hat es ab 1894 vorgezogen, für sein eigenes Werk dauerhaft den bedeutungsnahen Intuitionsausdruck zu verwenden. So daß aus der «intellektuellen Anschauung» von GA-3 terminologisch 1918 dann das «intuitiv erlebte Denken» geworden ist. Was es der Sache nach in der Philosophie der Freiheit aber bereits 1894 war, wo ja der Intuitionsbegriff im damaligen Kapitel VI, S. 94 bereits als erkenntniswissenschaftlicher Terminus eingeführt und verwendet wurde, nach dem er sich in den Grundlinien… von 1886 im Kapitel 16 über die organische Natur schon fand. Und desgleichen in den Einleitungen in Goethes Naturwissenschaftliche Schriften. Siehe Steiner dort über Goethes Organik in Anlehnung an Spinoza und nachfolgend Kants «intuitiven Verstand» bzw. «intellectus archetypus» aus der Kritik der Urteilskraft in GA-1, S. 76 ff, im Kapitel IV, Über das Wesen und die Bedeutung von Goethes Schriften über organische Bildung, das bereits 1884 erschienen war. Was bei Goethe mit spirituellem Hintergrund als «anschauende Urteilskraft» respektive «intuitiver Verstand» teils auf Kant und Spinoza historisch zurückgehend, und von Steiner zunächst noch für die Organik reserviert war, das wird als «Intuition» von Steiner mindestens ab 1894 für jede Form von ideeller Wahrnehmung des begrifflich-erkennenden Denkens reserviert. Und zwar als erkenntniswissenschaftlicher Ausdruck der frühen Jahre noch fern von jeder später publizierten Esoterik des Anthroposophen Steiner. Sondern in den Frühschriften des Idealisten und Goetheanisten von Steiner verwendet als Term für aktive ideelle Wahrnehmungen. Von Steiner als einem goetheanistischen Weltbeobachter, der laut dortiger Programmatik des zweiten Kapitels hier S. 20 f der Zweitauflage / bzw. des dritten Kapitels der Erstauflage S. 28, und in Anlehnung an Goethes Aufsatz Die Natur, die (geistig) wirkenden Kräfte der Natur im Inneren erforscht. Was später dann zur Anthroposophie geworden ist, die wiederum auf der Vorläuferstufe des Hellsehens, nämlich dem reinen oder intuitiven Denken aufbaut, wie es Steiner nicht selten, und besonders eindrücklich 1921 in GA-255b ab S. 295 ff darlegte. Erkenntniswissenschaftlich verwendet wird der Intuitionsbegriff in den Begründungswerken Steiners nicht nur in den späteren Zusätzen von 1918 dahingehend, daß «durch das intuitive Denken eine jegliche Wahrnehmung in die Wirklichkeit erkennend hineingestellt wird», wie es im 2. Zusatz von 1918 (hier S. 180) hieß. Sondern bereits im vierten Kapitel, wo es bei seiner Einführung heißt, „Intuition und Beobachtung sind die Quellen unserer Erkenntnis. Wir stehen einem beobachteten Dinge der Welt so lange fremd gegenüber, so lange wir in unserem Innern nicht die entsprechende Intuition haben, die uns das in der Wahrnehmung fehlende Stück der Wirklichkeit ergänzt. Wer nicht die Fähigkeit hat, die den Dingen entsprechenden Intuitionen zu finden, dem bleibt die volle Wirklichkeit verschlossen. Wie der Farbenblinde nur Helligkeitsunterschiede ohne Farbenqualitäten sieht, so kann der Intuitionslose nur unzusammenhängende Wahrnehmungsfragmente beobachten.“ (In der Erstausgabe von 1894, Kap. VI, S. 94 f; in der Zweitausgabe von 1918, Kap. V, S. 66). So daß er in der späteren Theosophie (GA-9, hier S. 29 f) ebenfalls ausdrücklich betont, «daß der einfachste Gedanke bereits Intuition enthält.» So heißt es dann schließlich 1918 in der Zweitauflage der Philosophie der Freiheit, das intuitiv erlebte Denken sei «eine geistige Wahrnehmung, in der der Wahrnehmende selbst tätig ist, und eine Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenommen wird.» (hier S. 181) Die reinen Begriffe treten dort wie schon in den frühen Vorgängerschriften nie unabhängig von der erlebten Aktivität des Denkens auf. So daß wir da schon, und zwar ausdrücklich dort von Steiner auch eingefordert, zweierlei gleichzeitige Wahrnehmungen beim reinen Denken vorliegen haben. Einerseits den begrifflichen Inhalt, und andererseits das eigene denkende Hervorbringen dieses begrifflichen Inhalts. «Wirkendes und Bewirktes», die dort simultan auftreten, wie es Steiner bereits 1886 schreibt. Steiner ist da auch ganz und gar unmissverständlich im nachfolgenden Frühwerk von 1892 / 93, seinem laut GA-21, S. 58 „grundlegenden“ Werk Wahrheit und Wissenschaft. Und - das ist eben hervorzuheben: Das war er bereits 1886 schon, rund sechs Jahre zuvor. Ist es 1894 in der Philosophie der Freiheit immer noch. Wird es auch 1897 in Goethes Weltanschauung bleiben. Wird es in den späteren Zusätzen zur Philosophie der Freiheit ebenso bleiben. Und für den späteren Anthroposophen gilt nichts anderes, wenn der auch die Verhältnisse dann im Rahmen der anthroposophischen Geistesforschung sehr viel komplexer darlegt als in seinem Frühwerk. Und der Intuition dort noch eine andere Dimension in Gestalt der höchsten geistigen Wahrnehmung beilegt, die erst auf dem anthroposophischen Übungswege erreicht wird, wie Steiner nicht müde wird in seinen späteren Schulungsschriften zu betonen. Während die Intuition der erkenntniswissenschaftlichen Frühschriften bei jedem vorliegt, «der eine beliebige Wahrnehmung in die Wirklichkeit erkennend hineinstellt», wie es in den Zusätzen von 1918 zur Philosophie der Freiheit hieß. Deswegen ist jeder begrifflich denkende Mensch von Natur aus und ohne daß er das extra einüben müsste, im Prinzip schon ein Hellseher, wie Steiner nicht nur im eben erwähnten Vortrag GA-255b ab S. 295 ff darlegte: „Wer dasjenige, was ich als Forschungsmethode meiner anthroposophischen Geisteswissenschaft zugrunde lege, Hellsehen nennt, der muß auch schon das gewöhnliche reine Denken, das durchaus aus dem Alltagsleben heraufströmt in das menschliche Bewußtsein, das hineinströmt in das menschliche Handeln, Hellsehen nennen. Ich selber sehe qualitativ keinen Unterschied zwischen dem reinen Denken und demjenigen, was ich als Hellsehen bezeichne. Ich sehe die Sache so, daß der Mensch sich zuerst an dem Vorgang des reinen Denkens eine Praxis heranbilden kann, wie man in seinen inneren Vorgängen unabhängig wird von seiner Leibesorganisation, wie man in dem reinen Denken etwas vollführt, woran der Leib keinen Anteil hat." (Siehe dort S. 298 ff). Man muß also schon in die Niederungen, - wenn man so will, - des alltäglichen begrifflichen Denkens eintauchen um das zu verstehen, was Steiner «übersinnliche Wahrnehmung» nennt, und dann systematisch vom reinen Denken ausgehend als Anthroposophie fortentwickelt hat. Wo dann die Begriffe infolge des Übungsweges nicht nur als vom Denker unabhängige Entitäten, sondern auch als unabhängig wirkende und kraftende Wesenheiten erlebt werden. Während sie im gewöhnlichen reinen Denken in toter und abgelähmter Form, aber gleichwohl unabhängig vom denkenden Subjekt auftreten. Immer aber verbunden mit der erlebten Aktivität des Denkens. Der «erlebte Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» beim Denken und Erkennen, das will ich deswegen noch einmal betonen, durchzieht kontinuierlich und mit fundamentaler Bedeutung Steiners sämtliche Frühwerke. Sie werden schlichtweg keins finden, wo das nicht mit allem Nachdruck von Steiner hervorgehoben wird. Natürlich auch in den späteren Überarbeitungen dieses Frühwerkes, wo Steiner das wie in der Philosophie der Freiheit in aller Klarheit und Entschiedenheit noch einmal akzentuiert und nachhaltig verstärkt. Etwa dahingehend: „Mag es das Wesen des Denkens immerhin notwendig machen, daß dieses gewollt wird: es kommt darauf an, daß nichts gewollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eigene, von ihm überschaubare Tätigkeit erscheint. Man muß sogar sagen, wegen der hier geltend gemachten Wesenheit des Denkens erscheint dieses dem Beobachter als durch und durch gewollt.“ So heißt es dazu präzisierend in der Überarbeitung am Ende des dritten Kapitels der Philosophie der Freiheit. Es ist wohl überhaupt das Kernproblem insbesondere von akademisch orientierten Anthroposophen, vor allem wenn diese aus dem einflussreichen philosophischen Umfeld Herbert Witzenmanns stammen, dass dieser «erlebte Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» und dessen natur- und geisteswissenschaftliche Schlüsselbedeutung für Rudolf Steiner vor allem unter dem maßgeblichen Einfluß Herbert Witzenmanns vollständig verloren gegangen ist. Wir werden das einige Seiten später anhand der Besprechung einer Übersetzung der Strukturphänomenologie durch Johannes Wagemann wieder ganz eindrücklich vor Augen haben. - Die spätere Erkenntnismethode der Anthroposophie reift ja erst heran auf der Grundlage der Frühschriften, wie Steiner immer wieder beteuert. Für die Idee des Erkennens wiederum hat er in den Anmerkungen von 1924 der Grundlinien … eigens (hier auf S. 136 ff) hervorgehoben, daß diese Idee des Erkennens prinzipiell auch für die anthroposophische Form des Erkennens gilt: „Ein Unterschied tritt nur insofern auf, als die Sinneswahrnehmung durch den Gedanken gewissermaßen nach oben zum Anfang des Geistigen hin in Wirklichkeit vollendet, die geistige Anschauung von diesem Anfang an nach unten hin in ihrer wahren Wesenheit erlebt wird. Daß das Erleben der Sinneswahrnehmung durch die von der Natur gebildeten Sinne, das der Anschauung des Geistigen durch die erst auf seelische Art ausgebildeten geistigen Wahrnehmungsorgane geschieht, macht nicht einen prinzipiellen Unterschied. [] In Wahrheit ist in meinen späteren Veröffentlichungen kein Verlassen der Idee des Erkennens vorhanden, die ich in dieser Schrift ausgebildet habe, sondern nur die Anwendung dieser Idee auf die geistige Erfahrung.“ Vom letzten Hinweis Steiners jetzt abgesehen: Es ist auf jeden Fall der Umstand zu beachten, daß das individuelle Denken als Erkenntnishandlung und inneres Tun selbst eine Wahrnehmungsgegebenheit für sich ist. Wahrnehmungsgegebenheiten sind sowohl das begriffliche Element, als auch die eigene Aktivität, die dabei zum Einsatz kommt. Auch dazu ausführlicher hier. Insofern bedeutet die Wahrnehmung des Denkens erkenntnistheoretisch und mit Blick auf Steiners Grundlagen eben nicht lediglich dasselbe wie die Wahrnehmung von tätig hervorgebrachten Begriffen und Ideen. Sondern die innere Tätigkeit als solche tritt als weitere aktuelle und unmittelbare Wahrnehmung jenes Tätigkeitsprozesses hinzu, durch welchen Begriffe und Ideen erst gewonnen werden. Worauf Steiner ausdrücklich auch hinweist mit der Bemerkung hinsichtlich seiner Differenz zu Hegel, eingangs von Kapitel IV der Philosophie der Freiheit, (hier S. 57 f; alternativ hier, S. 38). 8. Der erlebte Prozeß, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden So schreibt er dort bezüglich seiner Differenz zu Hegel: „Ich muß einen besonderen Wert darauf legen, daß hier an dieser Stelle beachtet werde, daß ich als meinen Ausgangspunkt das Denken bezeichnet habe und nicht Begriffe und Ideen, die erst durch das Denken gewonnen werden. Diese setzen das Denken bereits voraus. Es kann daher, was ich in bezug auf die in sich selbst ruhende, durch nichts bestimmte Natur des Denkens gesagt habe, nicht einfach auf die Begriffe übertragen werden. (Ich bemerke das hier ausdrücklich, weil hier meine Differenz mit Hegel liegt. Dieser setzt den Begriff als Erstes und Ursprüngliches.)“. - So Steiner dazu. Nur das Denken ist in sich selbst ruhend und durch nichts bestimmt. Begriffe und Ideen, die erst durch das Denken gewonnen werden müssen, sind es nicht. Damit verschiebt sich bei Steiner im Vergleich zu Hegel der empirische Fokus des Erkenntnisinteresses auf jenen «Prozess», durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden. Das aber ist bereits 1886 in den Grundlinien … der Fall. Nachzulesen dort in Kapitel 8, im Kapitel 16 und im Psychologiekapitel 18. Der erlebte Prozess wiederum, durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden, ist aber «auch derselbe erlebte Prozess, durch welchen das Denken selbst beobachtet, erkannt und begriffen wird», wenn es in Erkenntnisabsicht auf sich selbst gerichtet wird. - Nachdrücklich hervorgehoben im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit. Es ist dies ein ganz maßgebliches Unterscheidungsmerkmal Steiners gegenüber Hegel. Der Untersuchungsstandort Steiners ist damit ausgesprochen empirisch, induktiv und sehr viel basaler als derjenige Hegels. Wer nämlich den Produktionsprozess von Begriffen und Ideen untersucht, der untersucht natürlich nicht vornehmlich Begriffe und Ideen meinetwegen auf ihren logischen Zusammenhang oder ihre Reichweite und Geltung hin, sondern vor allem induktiv auf empirischem Wege die Art, wie sie im menschlichen Bewusstsein erscheinen / zur Erscheinung gebracht werden. Und wie in diesem Fall «Wirkendes», - das ist der Prozess, - und «Bewirktes», - das ist das Resultat dieses wirkenden (Erkenntnis) - Prozesses miteinander zusammenhängen. Das aber ist für Steiner vorrangig auch eine Angelegenheit einer komplementären Naturforschung, die sich durch sämtliche seiner Begründungsschriften hinzieht. Wozu natürlich auch gehört, daß Begriffe und Ideen bei aller Wahrnehmungsabhängigkeit vom tätigen Denker geichwohl unabhängig von ihm und seiner wahrnehmenden Tätigkeit sind. Ohne meine Denktätigkeit erscheinen sie mir zwar nicht. Aber dennoch sind sie inhaltlich nicht von dieser Tätigkeit abhängig, sondern lediglich ihrer Erscheinungsweise nach. So daß sie demzufolge nicht lediglich subjektive, sondern objektive Entitäten darstellen. Ein Dreieck behält seine mathematische Gesetzmäßigkeit ganz unabhängig davon, ob ich sie produktiv denkend wahrnehme und zur Erscheinung bringe. Sie sind in ihrer Gesetzmäßigkeit also nicht meine subjektiven Erzeugnisse. Das ist ja ein Punkt, der von den Interpreten Steiners in der Regel auch richtig verstanden wird. 9. Der erlebte Denkprozeß im Umfeld des Kausalitätsproblems Wiederum der «Prozess», durch den Begriffe und Ideen erst gewonnen werden, bzw. - der erlebte Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem, - gehört zu einer genuin naturwissenschaftlichen Fragestellung, die Steiner als solche bereits in den Grundlinien … im Zusammenhang mit Kant im Kapitel 14 behandelt. (Siehe gleich nachfolgend.) Wobei wiederum das Prozedere des individuellen Denkens als innere Aktivität oder «Wirkendes» ein psychologisches ist, wie wir in den Grundlinien ... auch schon gehört haben. Dort im Kapitel 18 über das psychologische Erkennen. Wonach es vor allem darauf ankäme den Menschen als einen Tätigen zu begreifen. Oder wie Steiner dort auch (S. 120) sagt: „Die einheitliche Seele ist uns ebenso erfahrungsgemäß gegeben wie ihre einzelnen Handlungen. Jedermann ist sich dessen bewußt, daß sein Denken, Fühlen und Wollen von seinem «Ich» ausgeht. Jede Tätigkeit unserer Persönlichkeit ist mit diesem Zentrum unseres Wesens verbunden. Sieht man bei einer Handlung von dieser Verbindung mit der Persönlichkeit ab, dann hört sie überhaupt auf, eine Seelenerscheinung zu sein. Sie fällt entweder unter den Begriff der unorganischen oder der organischen Natur. Liegen zwei Kugeln auf dem Tische, und ich stoße die eine an die andere, so löst sich alles, wenn man von meiner Absicht und meinem Wollen absieht, in physikalisches oder physiologisches Geschehen auf. Bei allen Manifestationen des Geistes: Denken, Fühlen, Wollen, kommt es darauf an, sie in ihrer Wesenheit als Äußerungen der Persönlichkeit zu erkennen. Darauf beruht die Psychologie.“ Auf der anderen Seite ist dort (S. 118) wiederum die Psychologie «die erste Wissenschaft, in der es der Geist mit sich selbst zu tun hat». Wenn Steiner in den Anmerkungen von 1924 (hier S. 142) darauf hinweist, daß er sich seinerzeit unter der «Psychologie» sehr viel Weiteres vorgestellt habe, was später Thema seiner anthroposophischen Forschung wurde, dann mindert das natürlich nicht den Wert seiner frühen psychologisch orientierten Grundlagenforschung, sondern zeigt nur, wo sie hin führt. Zudem gibt es da ja auch die schon erwähnte Tatsache, daß sich Steiner 1917 in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21, S. 171 f) eindringlich ein psychologisches Laboratorium wünschte, um dort die «Veranlagung zum Schauen» gründlich weiter zu erarbeiten. Was natürlich ganz unmissverständlich nicht nur die Kontinuität seines psychologisch / geistigen Anliegens von 1886 demonstriert, sondern insbesondere das Faktum, welche Rolle er dabei einer ganz normalen empirischen Psychologie der inneren Beobachtung beilegte, die es 1886 freilich in der von ihm 1917 gedachten institutionalisierten Form «nach dem Vorbild der Wünsche Brentanos» noch gar nicht gab. Die «in sich selbst ruhende Tatsache des Denkens» hat etwas mit dem Produktionsprozess von Begriffen und Ideen zu tun. Was wie gesagt bereits ein Thema der Grundlinien … von 1886 im Kapitel 8 ff ist. Das, um es noch einmal zu betonen, hat wie gesagt eine psychologische Dimension, die von Steiner genauso, und zwar im Psychologiekapitel 18. der Grundlinien ..., (hier S. 118 ff) erläutert wird. Dahingehend, daß «die Psychologie die erste Wissenschaft sei, in der es der Geist mit sich selbst zu tun habe». Und man nur eine «wahrhafte Psychologie gewinnen könne, wenn man auf die Beschaffenheit des Geistes als eines Tätigen eingeht» (S. 120). Wenn die Philosophie der Freiheit später als «seelische Beobachtungsresultate» gekennzeichnet wird, dann ist das nicht nur aus sachlichen Gründen zu verstehen, sondern auch aus der werk-genetischen Perspektive. Und ebenso ist es zu verstehen, wenn Steiner im zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit die Naturwirksamkeit im menschlichen Inneren sucht. (Siehe hier S. 20 f.) Auch das ist ein grundlegendes Anliegen seiner komplementär-naturwissenschaftlichen Erkenntniswissenschaft. Das Denken und Erkennen nur als Vorgang und Prozess betrachtet, hat eine psychologische Dimension, eine geistige, eine naturwissenschaftliche, und natürlich eine ethische und freiheitsphilosophische. Fragen des Erkennens und der damit verbundenen «Naturwirksamkeit» hängen insofern als grundlegende Erkenntnisfragen im eminentesten Sinne mit einander zusammen. Dahingehend: Wer oder was erwirkt eigentlich mein Erkennen? Ist das bereits ein kausal naturdeterminierter Prozess? Einer, der sich mit zwanghafter Naturnotwendigkeit vollziehen muß? Wie es gleich im ersten Kapitel der Philosophie der Freiheit dazu fragend heißt. - Eine Frage nach den Naturwirksamkeiten, die ich gar nicht beantworten könnte, wenn ich nicht in der Lage wäre, meine eigene Erkenntnis- und Denkaktivität unmittelbar zu erleben. Denn von außen kann ich sie als Naturwirksamkeit nicht erleben. Sondern ich muß dazu im Prozeß des Denkens und Erkennens «mitten drin stehen», wie Steiner das regelmäßig seit mindestens 1886 betont. Während ich im Prozeß der von außen gegebenen Naturtatsachen und unterstellten Wirksamkeiten «nie drin stehe», wie er ebenso regelmäßig seit mindestens 1886 hervorhebt. Ein entscheidender naturwissenschaftlicher Hintergrund, der zu berücksichtigen ist, angesichts der Existenz eines primitiven Physikalismus, der zwar im Brustton der Gewißheit alles Denken und Erkennen auf rein physikalische Naturwirksamkeiten bzw. auf die Hirnphysiologie zurückführen möchte, aber um plausible empirische Begründungen dafür im höchsten Maße verlegen ist. Weil er nie in den wirkenden Naturtatsachen und ihren Kräften drin steht. Und insofern auf das Denken und Erkennen ein physikalistisches Kausalitätskonzept zur Anwendung bringt, das er als solches an den Tatsachen nie sicher belegen, sondern ohne jede Einsicht in die Verhältnisse lediglich dogmatisch behaupten kann, wie Steiner bereits im Kapitel 14 der Grundlinien ... im Zusammenhang mit Kant erläutert. Während einzig im Denken der Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem unmittelbar und sicher erkenntniswissenschaftlich greifbar ist: „Wir erinnern uns, warum eigentlich das Denken in unmittelbarer Erfahrung bereits sein Wesen enthält. Weil wir innerhalb, nicht außerhalb jenes Prozesses stehen, der aus den einzelnen Gedankenelementen Gedankenverbindungen schafft. Dadurch ist uns nicht allein der vollendete Prozeß, das Bewirkte gegeben, sondern das Wirkende.“ So heißt es gleich im Folgekapitel 15 der Grundlinien …, im Anschluß an die Auseinandersetzung mit Kant. Wer das Denken beobachtet, der beobachtet also nicht nur Begriffe und Ideen für sich genommen, sondern vor allem auch den Prozeß des Denkens selbst. Und damit in diesem Fall den Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem. Der von Steiner schon im Kapitel III der Philosophie der Freiheit zur allerwichtigsten Beobachtung erklärt wird, die der Mensch machen kann. Es ist die Beobachtung der produktiven Art und Weise, wie Begriffe und Ideen gewonnen werden, um bei Steiners Hegel-Bemerkung von oben zu bleiben. Und das wiederum ist jener seelisch / geistige Prozess, der schon 1886 in den Grundlinien … besonders nachdrücklich im Kapitel 15 von Steiner in Erinnerung gerufen wird. Weil nämlich in diesem Prozess Wirkendes und Bewirktes in ihrem erlebten Zusammenhang vorliegen: „Wir erinnern uns, warum eigentlich das Denken in unmittelbarer Erfahrung bereits sein Wesen enthält. Weil wir innerhalb, nicht außerhalb jenes Prozesses stehen, der aus den einzelnen Gedankenelementen Gedankenverbindungen schafft. Dadurch ist uns nicht allein der vollendete Prozeß, das Bewirkte gegeben, sondern das Wirkende.“ So Steiner im Kapitel 15 hier auf S. 86. Wohlgemerkt, auch das Wirkende ist bereits 1886 «gegeben». Der dem Skeptizismus Kants und Humes innewohnende Befund, daß ich unmittelbar an das Wirkende und seine Verbindung mit dem Bewirktem ja nie herankomme, gilt damit nicht mehr. Andererseits kann sich die äußere Naturwissenschaft erfahrungswissenschaftlich unter solchen Voraussetzungen wie von Kant und Hume unterstellt, natürlich nie selbst tragen, sondern ist stets auf eine empirische Grundlage im Menscheninneren angewiesen, die den Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem sicher und exemplarisch zeigen kann. Was ja auch der Anlaß für Steiners Bemerkung im zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit ist, daß wir „die Natur außer uns nur finden, wenn wir sie in uns erst kennen, ...“. Was jenen kausalitätsphilosophischen Hintergrund hat, der in den Grundlinien … bereits formuliert und dort prinzipiell auch gelöst wurde. - Man muß zuerst «die treibenden Gewalten sehen, die ihn vom Mittelpunkte des Weltganzen heraus an die Peripherie bringen», wie es dazu im Kapitel 15 der Grundlinien … (S. 86) heißt. In ihrer Unmittelbarkeit sind diese und ihr Zusammenhang mit dem Bewirkten nur im Inneren des Menschen zu finden. Die begründende innere Naturwissenschaft und die äußere stehen somit komplementär zueinander. Während die äußere ihre basalen Gewissheiten nur aus der inneren ziehen kann, wie Steiner nicht müde wird in den Frühschriften zu betonen. Und besonders anschaulich in seiner theosophischen Zeit noch einmal hervorhob im Aufsatz Theosophie und gegenwärtige Geistesströmungen von 1908. Wo er mit Blick auf die Philosophie der Freiheit in der Zeitschrift Lucifer Gnosis, GA-34, auf S. 296 f ausdrücklich das Unvermögen seiner philosophischen Zeitgenossen aufspiesst, sich dieser Tatsache zu stellen: „Unsere Philosophie ist unfruchtbar in bezug auf ein freies Denken, das den Tatsachen der sinnlichen Erfahrung mit souveräner Urteilskraft entgegentreten könnte. Sie ist von einer den Philosophen unbewußten Ängstlichkeit belastet, den sicheren Boden unter den Füßen zu verlieren. Sie sieht sich überall nach Stützen und Unterlagen für ihre Aussagen um, nur nicht da, wo sie zu finden sind, in gewissen inneren Tatsachen des sich selbst produzierenden und sich selbst seine Gewißheit gebenden Denkens.“ Was dort keinesfalls abstrakt philosophisch und rationalistisch, sondern empirisch zu nehmen ist, wie in seinen Frühschriften bereits. Siehe dazu sehr viel ausführlicher hier auf derzeit S. 232 ff. Dass so etwas, - die empirische Fundierung der Naturwissenschaft anhand der inneren Erfahrung von zusammenhängenden Wirksamkeiten, - aus naheliegenden Gründen nicht nur Steiners, sondern überhaupt auch ein mächtiges Thema der «Psychologie von Bewußtseinsakten» im ausgehenden 19. Jahrhunderts und darüber hinaus war, will ich hier nur mehr andeuten. Wir werden weiter unten noch einmal am Beispiel Edith Steins die Lage noch näher betrachten. Weit ausführlicher finden Sie das in meiner längeren Studie dargelegt. Im Zusammenhang mit Oswald Külpe, der solche inneren Wirksamkeiten suchte und beobachtete, haben wir es ja weiter oben auch schon kurz zum Ausdruck gebracht. Auch Wilhelm Dilthey kann man als einen namhaften Zeitgenossen Steiners dazu gesellen, der 1894 in erstaunlicher Nähe zu Steiner einen langen Vortrag zur Psychologie und zu erkenntnistheoretischen Grundfragen gehalten hat. Wilhelm Dilthey, - Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie. Hier im Original ab S. 1309 und hier auf der Webseite von Wilhelm Humerez in verschiedenen besser lesbaren Formaten abzurufen. Für den von Steiner geschätzten Johannes Volkelt, dessen Schriften Sie ebenfalls bei Humerez aufrufen können, gilt dasselbe. Und damit haben wir nur am prominenteren und in Steiners Nähe liegenden Rande dieser Strömung etwas gezupft. In dieser philosophisch-psychologischen Tradition, die nach erlebten inneren, zusammenhängenden Wirksamkeiten sucht, ist Steiner als Vertreter des naturwissenschaftlichen Idealismus natürlich ebenfalls anzusiedeln. Und zwar nicht nur via Fichte, wie der Leser ebenfalls in einer längeren Untersuchung hier auf meiner Webseite ausführlich studieren kann. Als expliziter Vertreter einer Psychologie / Philosophie der Bewußtseinsakte spielt Fichte eine weitgehend untergeordnete Rolle, wie Sie selbst dort nachlesen können. Einzig in der Dissertation bzw. in Wahrheit und Wissenschaft hat Steiner ihm auf respektablen ca 11 Seiten das Kapitel VI gewidmet (hier ab S. 46). Und ihn dabei auch noch in entscheidenden Fragen kritisch korrigiert. Danach und vor dieser Schrift taucht Fichte freilich in den Begründungsschriften selten auf, und das fast nur in Gestalt eines Kritisierten. Steiner war in der Epoche der neu aufgekommenen empirischen Psychologie, die es in der Ära Goethes, Fichtes und Kants ja noch nicht gab, mit seinem empirisch psychologischen Begründungsvorhaben respektive als «induktiver Idealist» weit mehr als bei Fichte auch eingebettet in eine philosophische / seelenwissenschaftliche Strömung des Empirismus, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, das seit Kant und Hume als empirisch uneinlösbar geltende Kausalitätsprinzip / besser wohl: das Kausalitätsproblem von Kant und Hume auf dem Wege der inneren Beobachtung zu bewältigen. Mit anderen Worten das Grundlegungsproblem der Naturwissenschaft. Wo Kant an Stelle einer empirischen Antwort auf dieses Grundlegungs-Problem aller Naturwissenschaften eine lediglich metaphysische gab, wie er hier in seinen Prolegomena in der Vorrede ab S. 6 eigens im Zusammenhang mit David Hume erläutert. Das wiederum war für viele Empiristen, und eben auch für den idealistischen Empiristen Steiner ein völlig unmöglicher Lösungsweg für die empirische Erkenntnis der Welt. Nämlich ihr fundamentales Prinzip der naturwissenschaftlichen Kausalerkenntnis lediglich metaphysisch und dogmatisch scheinbegründen, aber nicht empirisch und sachlich begründen zu können. Wovon das Kapitel 14 der Grundlinien … bereits besonders deutlich zeugt, mit seinem kritischen Hinweis auf den Dogmatismus der Offenbarung und der Erfahrung, «die an die Sache nie herankommen». Deswegen bei Steiner die regelmäßige Betonung des erlebten Zusammenhangs von Wirkendem und Bewirktem respektive der erlebten inneren Aktivität des Denkens seit 1886, was ja dann im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit zur «allerwichtigsten Beobachtung wird, die der Mensch machen kann.» „Denn er beobachtet etwas, dessen Hervorbringer er selbst ist; er sieht sich nicht einem zunächst fremden Gegenstande, sondern seiner eigenen Tätigkeit gegenüber. Er weiß, wie das zustande kommt, was er beobachtet. Er durchschaut die Verhältnisse und Beziehungen. Es ist ein fester Punkt gewonnen, von dem aus man mit begründeter Hoffnung nach der Erklärung der übrigen Welterscheinungen suchen kann.“ (Hier S. 31 f) - 10. Der erlebte Denkprozeß im Zusammenhang mit dem Kausalitätsproblem und seine stiefmütterliche Behandlung in der Steinerforschung Man möchte angesichts der Rezeptionslage um Steiners Begründungswerk ergänzend hinzufügen: Zur allerwichtigsten Beobachtung des Menschen wird, sofern er sich auch dieses Problems von Kant und Hume bewußt ist! Was eben bei den anthroposophischen Interpreten in den allerseltensten Fällen zutrifft. Wie besonders eindrucksvoll auch bei Jaap Sijmons deutlich wird, der als relativ sehr junger und mit viel Aufwand arbeitender Interpret von Steiners diesbezüglichen naturwissenschaftlichen Intentionen und seinem psychologisch / erkenntniswissenschaftlich eingelösten kausalitätsphilosophischen Anliegen nicht den allergeringsten Schimmer hatte. So daß sich in der reichhaltigen Inhaltsangabe seiner Dissertation von 2008 kein einziges Stichwort auf das von Steiner andauernd implizit und explizit thematisierte Kausalitätsproblem und den erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem findet. Und, - das ist noch viel erstaunlicher: Noch weniger zur Frage, wie weit die Freiheits- und Erkenntnisfrage überhaupt etwas mit diesem Kausalitätsproblem zu tun haben könnten, obwohl Steiner mit dieser Frage gleich im ersten Kapitel der Philosophie der Freiheit startet: „Ist der Mensch in seinem Denken und Handeln ein geistig freies Wesen oder steht er unter dem Zwange einer rein naturgesetzlichen ehernen Notwendigkeit?“ Schon diese einleitenden Bemerkungen Steiners, hätten jeden akademisch orientierten Steinerinterpreten dazu motivieren müssen, sich mit Vorrang das von Steiner behandelte Kausalitätsproblem vorzunehmen, anstatt es gar noch durchgängig zu ignorieren. - So ist es kein Wunder, daß so ein junger und hoch engagierter Interpret wie Sijmons unter solchen Voraussetzungen dann Schiffbruch erleidet, indem er (S. 328) behauptet, «das Denken sei für jeden das Best-Bekannte überhaupt», („weil wir es selbst hervorbringen ist es uns immer schon bekannt“). Während Steiner mit Mühe und Not und mit psychologischen Mitteln seinen Anhängern überhaupt erst einmal beizubringen sucht, wie man nur die allerersten Schritte zu seiner Erkenntnis zurücklegt, obwohl wir es selbst hervorbringen. Obwohl wir es selbst hervorbringen kennen wir es nicht, sondern müssen es durch Beobachtung erst kennenlernen. Und selbst das letztere, das Hervorbringen, liegt für viele, wie man an Witzenmann und seinem Anhang sieht, noch tief im Eiskeller eines vermeintlichen «Erzeugungsproblems» verborgen, das nichts anderes ist, als das Kausalitätsproblem Kants und Humes, wie wir unten noch sehen werden. Wie ich an anderer Stelle S. 291 ff in der Anmerkung 209 schon dargelegt habe, verwechselt Sijmons in fataler Weise das Können des Denkens mit dem Kennen des Denkens. - Ein folgenschwerer Irrtum. Bei all dem steht jeder Gedanke Steiners an eine «Naturwissenschaft von innen» wie sie etwa im zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit ausgesprochen wird, auf einsam verlorenem Posten. Es sind, wie man an so etwas sieht, eben auch bei den Anthroposophen viele ausgewiesene Experten bildlich gesprochen als polare Robbenfänger unterwegs, während Steiner ihnen etwas über den tropischen Ananas-Anbau vorträgt. Weswegen die «allerwichtigste Beobachtung» der Philosophie der Freiheit inzwischen ein regelrechtes Mauerblümchendasein fristet, und oft auch schon gar nicht mehr von den Interpreten der Anthroposophen erwähnt wird, wie etwa von Heusser oder Wagemann, Förster (letzterer auch hier) und anderen, die von Steiners Grundlagen, und speziell von solchen Zusammenhängen der «allerwichtigsten Beobachtung» mit Humes und Kants Kausalitätsproblem herzlich wenig verstehen. Auch Christian Clement kann in den Kommentaren der historisch kritischen Ausgabe (Bd. 2; S. 294) nichts naturwissenschaftlich Sinnhaltiges mit Steiners innerem Naturforschungsprojekt des zweiten Kapitels beginnen. Naturwissenschaftliche Intentionen Steiners liegen auch dem historisch kritischen Herausgeber und Kommentator Steiners in seinen dortigen Anmerkungen völlig fern, obwohl Steiner in diesem zweiten Kapitel direkt an Goethes Essay Die Natur anknüpft. Was, und warum das dort geschieht, Clement gänzlich fremd zu sein scheint. Und zu Steiners «allerwichtigster Beobachtung, die der Mensch machen kann», aus dem dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit, wo ausdrücklich der erlebte Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem im Mittelpunkt des Ganzen steht, ist ihm schlicht kein einziger sinnhaltiger Gedanke eingefallen. Da gähnt nur noch eine kolossale, grosse Leere. The great void of scientific anthroposophical interpretation. Tabula rasa allerorten, wie man sieht, wenn es um den erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem und Steiners inneres Naturforschungsprojekt geht. Darin scheinen sich die meisten Interpreten einig zu sein: Sie können damit schlicht nichts anfangen, weil sie die entsprechenden Zusammenhänge mit Steiners Frühwerk gar nicht kennen. Und demgemäß auch weitestgehend entleert sind von Steiners eigenen zum Verständnis unerlässlichen Grundlagen, trotz aller mitunter hochtönenden Ankündigungen diesbezüglich. - Es stellt sich die Frage: ob und wie weit Steiners Frühschriften überhaupt der Philosophie zuzurechnen sind? Da halte ich es durchaus mit dem oben kritisch betrachteten Swassjan, der diese Frage nach der Philosophie Steiners in seiner Schrift Rudolf Steiner ein Kommender, Neuausgabe 2017, auf S. 65 ff mit einem gewissen Recht abschlägig behandelt. Daß Steiner als komplementärer Naturforscher und «philosophischer Beobachter», aber nicht als akademischer Fachphilosoph der traditionellen Art bereits in den begründenden Frühschriften in Erscheinung tritt, sagt Swassjan so weit ich sehe noch nicht. Da ließe sich aber sicherlich eine Brücke bauen, die über Goethes «Geist-Natur» führt, die man laut Steiner bekanntlich «im Äußeren nur dann finden kann, wenn man sie in sich bereits kennt». Und die Philosophie über den Menschen kann, so berichtet es Steiner in der Schrift Von Seelenrätseln, (S. 29 – 33) nicht am Anfang, sondern erst am Ende respektive als Resultat solcher komplementären Naturforschungen stehen. Für eine Erkenntnistheorie wiederum, die für alles Erkennen gilt, wie diejenige Steiners, ist es allerdings leicht nachvollziehbar, daß Steiner sich bereits im Kapitel 14 der Grundlinien … von 1886 (hier S. 81 ff) mit Blick auf Kant das Kausalitätsproblem vorgenommen hat. Da geht es nämlich nicht minder um den erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem. Folglich hatte Steiner sehr gute Gründe dafür, einen kritischen Blick in dieser Frage auf Kant zu werfen. Siehe dazu auch meine längere Studie. Dort etwas kürzer gefasst speziell auch im Exkurs ab derzeit S. 1219 ff. - Eine zusätzliche Bemerkung noch zu diesem zurückliegenden Abschnitt: Für den gewöhnlichen Beobachter des Denkens dürfte es nicht allzu schwierig sein, Steiners grundlegende Gedankengänge zur methodischen Beobachtung des Denkens in Form der «gegenüberstellenden Betrachtung» nachzuvollziehen, wenn er dessen Frühwerk hinreichend sorgfältig studiert. - Steiners «Ausnahmezustand», der an sich gar nichts Besonderes ist, wie Steiner selbst sagt, sondern nur darin besteht, das Denken auf die Erfahrungen des Denkens zu richten, um es zu erkennen. Im Prinzip ist das nämlich simpel, auch in Steiners eigener Ausdrucksweise. - Etwas anders ist, wie wir sehen, die Sachlage, wenn es um Steiners philosophisch – naturwissenschaftliche Hintergründe und Konklusionen seiner Beobachtungen geht. Hier ist die Haupt-Sache eben die, daß man schon «philosophischer Beobachter» sein muß, wie Steiner das in GA-30, S. 69 ff; insbes. auch S. 83 f speziell mit Blick auf Goethe nannte. Man muß die Beobachtung auch mit entsprechenden philosophischen Kernfragen in Verbindung bringen können und wollen. Und das gilt natürlich auch für Steiner selbst, der seine «philosophischen» Begründungsschriften niemals ohne den naturwissenschaftlichen Blick auf die Begründungs-Schwachstellen des Empirismus verfasste, wie man an seiner Behandlung Kants nicht nur im Kapitel 14 der Grundlinien ... sieht. Was man am Projekt der «Kant-Überwindung» in der Schrift Wahrheit und Wissenschaft ebenso sieht. Desgleichen an den «seelischen Beobachtungsresultaten nach naturwissenschaftlicher Methode» in der Philosophie der Freiheit, wo das im Untertitel von 1918 eigens noch einmal hervorgehoben wurde. Wo ja zudem die «allerwichtigste Beobachtung» des dritten Kapitels den erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem eigens thematisiert, und auf dieser Basis Steiners archimedischer Hebel der Welterklärung veranlagt wird in Form der Selbsterklärungsfähigkeit des menschlichen Denkens. In welchem der erlebte Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem wiederum die Schlüsselrolle spielt, die wir hier behandeln. - Also bei näherer Betrachtung als «allerwichtigste Beobachtung» die erkenntnistheoretische Lösung von Kants und Humes Problem mit der Kausalität darstellt. Das insofern auch das «naturwissenschaftliche Sichere als Brücke zum Geistigen» bildet, von dem Steiner am 25. Mai 1921 in Stuttgart (GA-255b, Dornach 2003, S. 295 ff, dort speziell auf S. 298 f) ausdrücklich noch einmal sprach, - als Voraussetzung seiner geisteswissenschaftlichen Veröffentlichungen. «Nur vom naturwissenschaftlich Sicheren aus, so sagt er dort, sei es ihm möglich gewesen, die Brücke zum Geistigen zu finden». Wo er zugleich damit den Einstieg in eine komplementäre Naturwissenschaft eröffnet, die der Geist-Natur und ihren wirkenden geistigen Kräften im Inneren nachgeht, wie es in der Philosophie der Freiheit im Kapitel II wortwörtlich auch erklärt und programmatisch projektiert wird. - Übrigens alles Vorhaben, die inzwischen in großer Einmütigkeit von anthroposophischen Forschern zur Philosophie der Freiheit und anderen Steinerschen Frühschriften so gut wie nie thematisiert werden. Was ja schon hinreichend signalisiert, welche Lichter dort inzwischen leuchten. Eins der besten Beispiele dafür ist der gemeinsam von Lorenzo Ravagli und Günter Röschert herausgegebene Band Kontinuität und Wandel, Stuttgart 2003, wo kein Wort zu diesen Dingen zu lesen ist. Und gar die Behauptung aufgestellt wird, die Kapitel 1 und 2 der Philosophie der Freiheit seien eigenständig und verbindungslos. (Röschert dort auf S. 171. Siehe dazu ausführlicher hier derzeit S. 1054 ff; ebenso S. 1200, Anm 396) Da fehlt jedes Verständnis für die naturwissenschaftliche Problemlage, die von Steiner in dieser Schrift behandelt wird. Die ganze komplementärwissenschaftliche Konzeption und Programmatik dieser Schrift liegt den beiden Autoren weitestgehend fern; die zudem beide aus der philosophischen Region Herbert Witzenmanns stammen. Was kein Zufall ist. Desgleichen bei den zahlreichen anderen nicht, die um dasselbe goldene Kalb Witzenmanns tanzen. (Siehe dazu ebenfalls hier auf derzeit S. 593 ff.) Der «gewöhnliche» Beobachter des Denkens kommt ohne wissenschaftsgeschichtliche Kenntnis der Kernprobleme des Empirismus natürlich nicht so ohne weiteres auf jene fundamentalen naturwissenschaftlichen Konfliktfelder, die sich um die Kausalerklärung ranken, wenn er keine entsprechenden wissenschaftsgeschichtlichen Erfahrungen mitbringt. Er sieht dann die Verbindungen zwischen der erlebten Denk,- und Erkenntnistätigkeit, Steiners «allerwichtigster Beobachtung», und der Lösung des Kausalproblems nicht, obwohl es in beiden Fällen um den Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem geht. Beim Denken und Erkennen ebenso wie in der Naturwissenschaft. So daß der wissenschaftshistorisch Unerfahrene folglich nicht erkennt, daß das naturwissenschaftliche Kausalproblem Kants auch ein unmittelbar zu beantwortendes jener empirisch psychologisch orientierten Erkenntnistheorie Steiners ist, die auf der inneren Tätigkeit des Denkens und Erkennens aufbaut. Wo sich ganz naturgemäß die Frage nach dem erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem stellt: Dahingehend: Wer oder was erwirkt eigentlich mein Denken und Erkennen? Eine Frage, die besonders dringlich auch im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit aufgeworfen wird. Und erst recht nicht kommt der Unerfahrene darauf, daß die genannte Problemzone des Empirismus in der Steinerzeit regelmäßig, und nicht nur von Steiner aufgegriffen wurden. Und dann ebenfalls konstruktiv mit empirisch psychologischen Mitteln. Das alles liegt auch den heutigen Anhängern Steiners in der Regel völlig fern, selbst wenn sie vielleicht akademisch wie etwa Eckart Förster noch so sehr als Spezialisten aus dem deutschen Idealismus stammen. Ein anthroposophischer Interpret arbeitet sich dann auch wie Reto Savoldelli 2019 oder Jaap Sijmons hoffnungslos an solchen Grundwerken Steiners ab, ohne die leiseste Impression davon zu haben, worum es da überhaupt in empiristisch / naturwissenschaftlicher Hinsicht geht. Inzwischen hat Savoldelli seinen Artikel zwar mit Stand vom 19. April 2020 wohl neuerlich aktualisiert. Verstanden davon hat er aber immer noch nichts, sonst würde er seine abstrusen Hymnen auf die paradoxe Verbindung zu Witzenmanns Strukturphänomenologie nicht singen. (Siehe dazu ausführlicher auf unserer Webseite auch hier ab S. 771.) Und so krebst Savoldelli dann in seinem Artikel mit marginalen Interpretations- und Plausibilisierungsversuchen von mikroskopischen Dimensionen herum, die zum Wesentlichen gar nicht vorstoßen: der Tatsache nämlich, daß das gegenwärtige Denken in der Philosophie der Freiheit zwar nicht zu beobachten ist. Weil das grundsätzlich nicht geht, wie Steiner sagt. Aber gleichwohl unmittelbar zu erleben ist, wie es durchgängig dazu auch in sämtlichen weiteren Frühschriften Steiners heißt. Es liegt als «reine Erfahrung» unmittelbar vor. Und das ist doch die entscheidende Tatsache für den Empiristen; den des Denkens zumal. Entscheidend ist doch, daß die eigene Wirksamkeit der Denkaktivität unmittelbar in der Erfahrung vorliegt. Und deswegen Wirkendes und Bewirktes beim Denken in ihrem Zusammenhang unmittelbar erlebt werden. Solche Ausdrücke wie «erlebter Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» sind Savoldelli, - wie Witzenmann seit 1948 auch schon, - in Jahrzehnten nie über den Weg gekommen. Bei Sijmons verhält sich das nicht anders. Obwohl das überall bei Steiner steht, und in sämtlichen Frühschriften Steiners einschließlich Goethes Weltanschauung von 1897 der Sache nach hoch plakativ zu finden ist. Und so wirkt Savoldelli ebenso schockgefroren wie ein sibirisches Mammut wie sein Meister Witzenmann schon, der in dieser Angelegenheit über das Stadium eines Proseminaristen bis in die 1980er Jahre einschließlich seiner Strukturphänomenologie nie hinaus gekommen ist, und wie Savoldelli und Kant «an die Sache nie heran», wie es im Kapitel 14 der Grundlinien … heißt. Da ist für die Sache Steiners nichts zu gewinnen. 11. Warum Witzenmann an die Sache nie heran kam So ein Interpret kommt dann eben auch als Anthroposoph nicht darauf, daß und warum Steiner die Beobachtung des eigenen Denkens die «allerwichtigste» nennt, «die der Mensch machen kann». Er versteht auch nicht, warum Steiner bei der Beobachtung des Denkens nicht nur «das Weltgeschehen beobachtet», sondern es sogar «durchschaut», wie es in Goethes Weltanschauung (1897, S. 69 f) heißt. Dem Interpreten ist einfach nicht klar, daß derjenige das Weltgeschehen grundsätzlich nie durchschauen kann, wer «an die Sache gar nicht herankommt», sprich: an den erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem, wie es Steiner im Kapitel 14 der Grundlinien… gegenüber Kant geltend machte. Was auch für Witzenmann galt, der seinerseits und erklärtermaßen «an die Sache nie heran kam». Denn wer den erlebten Zusammenhang zwischen Wirkendem und Bewirktem beim Denken grundsätzlich nicht auf der unmittelbaren Erfahrungsebene erreicht, sondern ihn sogar wissenschaftsphilosophisch in Abrede stellt, und obendrein auch noch die verschrobene Frage, «Wie kann Unbeobachtbares zur Erinnerung werden?» zur «erkenntnistheoretischen Grundfrage» erklärt (Witzenmann, Goethes universalästhetischer Impuls, Dornach 1987, hier, S. 356, S. 386, S. 397), der hat im Kern und speziell an dieser erkenntniswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Schlüsselstelle jede Verbindung mit Steiner verloren. Da fehlt jeder Durchblick und jeder Einblick in Steiners Anliegen. Als Interpret Steiners hat er nicht einmal Steiners Grundfrage der Erkenntnistheorie gefaßt, die da lautet: «Was ist Erkennen?» (Siehe GA-1, S. 143; GA-1, S. 157 f; S. 195 f ; GA-2, S. 137 f) Wie wir sehen, hat im Falle Witzenmanns die aus einem Interpretationsirrtum der Denkbeobachtung erwachsene Entgleisung seiner «erkenntnistheoretischen Grundfrage» weder mit Steiner sachlich irgend etwas zu tun, noch weiß Witzenmann überhaupt worum es diesem in den Frühschriften mit der Beobachtung des Denkens ging. Nicht zuletzt, weil schon das ganze Prozedere dieser Beobachtung im «Ausnahmezustand» ihm ein Buch mit sieben Siegeln geblieben ist, wie insbesondere aus dem engeren Kontext von Witzenmanns Goethebuch ersichtlich wird, aus dem heraus er seine verstiegene «Grundfrage» entwickelt hat. Das, da erstmals 1987 erschienen, mehr eine verspätete, aber ausgesprochen wichtige Dokumentation seiner Verschrobenheit und der Abwege seiner erkenntniswissenschaftlichen Interpretationen in Richtung Strukturphänomenologie darstellt. Wo sich im Kapitel 12 zum Thema Unerinnerbarkeit allgemeiner Begriffe, S. 366 ff; auf S. 368 auch seine psychologisch unbelegte, abenteuerliche Behauptung von der Unerinnerbarkeit der Allgemeinbegriffe findet, die in nichts mit dem zusammenstimmt, was Steiner etwa in GA-35, S. 279 zu diesem Thema gesagt hat. Mit etwas Wohlwollen könnte man hier vermuten, daß Witzenmann Steiners spätere Anthroposophie, die ja in GA – 35 ab S. 276 von den unerinnerbaren lebendigen Begriffen; genauer: der geistigen Wirklichkeit; «Willenswirklichkeit» (S. 277) respektive auf S. 288 ff vom «lebendigen Denken» spricht, von Witzenmann in höchst unangemessener Weise und grässlicher Anthroposophentradition mit Steiners früher Erkenntnistheorie zusammengestaucht und verschnitten wurde. Für die als empirisch erkenntnistheoretische Grundlage natürlich ganz andere Voraussetzungen und Tatsachen gelten, da sie ja erst die Grundlagen für die höhere Geistesforschung erarbeiten soll, aber doch nicht deren Ergebnisse. Die Resultate der höheren Forschung lassen sich nun einmal nicht unbesehen mit ihren Grundlagen vermengen, ohne für kolossale Verwirrung zu sorgen, was zudem logisch natürlich ein Unsinn ist. Denn ich kann die Resultate einer späteren (Geistes)forschung, für die Steiner nach eigenen Angaben in der Schrift Von Seelenrätseln, (S. 150), teils mehr als dreißig Forschungsjahre benötigte, aus jenen Grundlagen ja nicht logisch ableiten oder in sie hineinschieben, respektive das Spätere zur Verständnisvoraussetzung jener Grundlagen machen, die doch die methodischen Verfahren erst eröffnen sollen, aber nicht die nachfolgenden Inhalte und Forschungsergebnisse bereits vorweg nehmen können, die auf dieser begründeten Forschungsmethode erst basieren. Das verständnislos verworrene Verschneiden und Zusammenstauchen von Anthroposophie und ihren Grundlagen hat bei den Anthroposophen allerdings große Tradition, und ragt nachweislich sogar bis in Eckart Försters Vorwort von Clements historisch kritischer Ausgabe der Philosophie der Freiheit hinein, wie der Leser hier auf S. 1232 ff eingehender studieren kann. Das ist dort eng verbunden mit den Namen Frank Teichmann und Karl Martin Dietz. Ein derart verworrenes Verständnis wie Teichmann scheint indes auch Witzenmann umgetrieben zu haben, wie wir noch weiter unten sehen werden. Jedenfalls ist Witzenmanns Behauptung von der Unerinnerbarkeit von Allgemeinbegriffen nicht nur mit Steiner vollkommen inkompatibel, sondern auch nicht mit dem zusammenzubringen, was der Denkpsychologe Karl Bühler, und zwar ganz im Einvernehmen mit Rudolf Steiners Auffassung zur Erinnerbarkeit von Begriffen des gewöhnlichen Bewußtseins gesagt hat. Dies in seiner o. g. Untersuchung im Teil III (alternativ der Teil III hier bei Humerez). Was Witzenmanns Schüler freilich nicht davon abgehalten hat, Witzenmanns Mär von der Unerinnerbarkeit von Allgemeinbegriffen während vieler Jahre in schöner Regelmäßigkeit durchzureichen. Wenn man sich wiederum an Steiners Grundlinien … hält, wo Steiner bereits am Ende von Kapitel 8 (hier S. 47) „die Tätigkeit unseres Bewußtseins“ als «tätigen Gedankengehalt der Welt» bezeichnet, dann ist die gegenwärtig erlebte Denktätigkeit gewissermassen die verdünnteste Form, in welcher der «Gedankengehalt der Welt» oder die «allumfassende Idee» in seiner / ihrer Wirksamkeit unmittelbar erfahrbar ist. Oder wie es dort später (Kap. 13, S. 77) heißt: „Unsere Erkenntnistheorie führt zu dem positiven Ergebnis, daß das Denken das Wesen der Welt ist und daß das individuelle menschliche Denken die einzelne Erscheinungsform dieses Wesens ist.“ Ergänzend dazu als Resümee aus Steiners kurzer Kontroverse mit Eduard von Hartmann: „Die Kraft kann uns nur da entgegentreten, wo die Idee zuerst an einem Wahrnehmungsobjekte erscheint und erst unter dieser Form auf ein anderes Objekt wirkt. Der Gegensatz hierzu ist, wenn diese Vermittlung wegfällt, wenn die Idee unmittelbar an die Sinnenwelt herantritt. Da erscheint die Idee selbst verursachend. Und hier ist es, wo wir vom Willen sprechen. Wille ist also die Idee selbst als Kraft aufgefaßt. Von einem selbständigen Willen zu sprechen ist völlig unstatthaft.“ (GA-1, Dornach 1987, hier S. 197; im Original der Kürschnerausgabe, Bd. 34 von 1887, und dort bereits kursiv gesetzt auf S. XLV) – Da wo menschlicher Wille wirkt, wirkt die Idee, «diese als Kraft aufgefaßt». So die frühe idealistische Sicht der Dinge. Die Frage ist dann nur noch und ganz pragmatisch gesehen, wie man diese extrem verdünnte individualisierte Form des Weltwesens in Gestalt der willentlich ausgeübten und erlebten Denktätigkeit in eine verdichtete methodisch dergestalt überführen kann, so daß sie wesentlich besser zu beobachten ist. Was ja dann durch den anthroposophischen Schulungsweg geschieht auf den Steiner im genannten Aufsatz von GA-35 rekurriert, nachdem er ab S. 269 die Bedarfslage einer solchen qualitativen Verdichtung und Beobachtungsverbesserung am Beispiel der zeitgenössischen Psychologie erörtert hat. Was sich vergleichbar auch im Skizzenhaften Ausblick von GA-18 (S. 594 ff) findet. Wonach es eben «nicht ausreicht, nur nach dem Inneren zu schauen». Siehe dort S. 602 ff. Wenn ich freilich selbst die «verdünnte» Form der Ideen-Wirksamkeit gar nicht vorliegen habe, sei es, weil ich meine aktuelle Denktätigkeit nicht zu erfahren glaube, oder weil ich wie der Ideen- und Willensdualist Eduard von Hartmann nur kraftlose Ideen kenne, und andererseits wie Husserl und Brentano gar nicht zum Begriff des ursächlich wirkenden und erlebten Willens als «Ideenkraft» durchgedrungen bin, dann bleibt es aussichtslos, der «wirkenden und kraftenden Idee» an dieser Stelle weiter empirisch nachzugehen, da ich sie schon aus konzeptionellen Gründen nicht in meinem Denken als kraftende Wirksamkeit finden werde. Siehe Steiner diesbezüglich in GA-21, S. 78 ff, sowie die entsprechenden Ergänzungskapitel über Brentanos Unvermögen, in seiner Psychologie so etwas wie den menschlichen Willen anzuerkennen. Vergleichbares galt für Husserl bis in die 1920er Jahre, wie Sie hier bei Christopher Gutland, Denkerfahrung, München 2018, S. 403 nachlesen können. Analog dazu verhält es sich auch bei Witzenmann. Während es bei Steiner von Anfang an um den «erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» geht, auf dem er seine Weltanschauung nebst «allerwichtigster Beobachtung» erkenntniswissenschaftlich gründet. Das ganze Desaster der «Witzenmanngemeinde» mit Witzenmanns Interpretationen wurde jüngst wieder in der englischen Übersetzung von Witzenmanns Strukturphänomenologie durch Johannes Wagemann offenbar, wo Witzenmanns «Erzeugungsproblem» letztlich als Kausalitätsproblem zutage tritt, ohne daß dem Übersetzer und Kommentator Wagemann auch nur von ferne klar geworden wäre, daß Steiner in sämtlichen Frühschriften die Lösung dieses Problems um den Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem anhand der Beobachtung des Denkens präsentiert. Siehe dazu nachfolgend einige Seiten später. - Wichtig für den Erkenntniswissenschaftler ist doch vor allem, daß die Denktätigkeit überhaupt in ihrer «verdünnten» Form und Wirksamkeit jederzeit unmittelbar zu erleben ist. Worauf Steiner in seinen sämtlichen Frühschriften ausnahmslos hinweist, weil darauf sein empiristischer Ansatz des «induktiven Idealismus» fußt: Auf dem unmittelbar erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem beim Denken. Ich kann jedem Leser nur dringend raten, wenn er Steiners Erkenntniswissenschaft ernstlich studieren will, sich an Steiners Originalschriften und -aufsätze zu halten, anstatt sich von dem heillos verworrenen Verschnitt Witzenmanns und seiner Schüler pausenlos in die Irre führen zu lassen. Wir werden später unten im Zusammenhang mit dem Intuitionsbegriff noch mehr solcher verschnittenen Verworrenheiten Witzenmanns betrachten, durch die jedes Verständnis von Steiners Grundlagen konterkariert wird. Das erwähnte Goethebuch Witzenmanns, Goethes universalästhetischer Impuls von 1987 ist ein skurriler Report des gedanklichen Werdegangs von Witzenmann, in dem ja der unverstandene Steinersche Begriff der «Denkbeobachtung» den philosophischen Nährboden dieser «Grundfrage», - «Wie kann Unbeobachtbares zur Erinnerung werden?», - bildet. Anstatt daß der Mann bei Steiner dem Begriff und der Tatsache der «reinen Erfahrung des Denkens» nachgegangen wäre, die er nie behandelt hat. Was sich in seinen gedanklichen Konsequenzen in Witzenmanns Goetheschrift ab S. 354 über annähernd 60 Seiten hinzieht, und auf S. 402 auch noch zur Grundlage seiner eigenen sozialwissenschaftlichen Konzeption gemacht wird, die auf einer weitgehend unverstandenen Erkenntniswissenschaft Steiners aufbaut, und als «Goetheanismus» dem Leser angepriesen wird. Witzenmann ist schlechterdings nicht klar geworden, daß die unmittelbare Erfahrung der eigenen Denktätigkeit ja die Wahrnehmung eines vom Denkenden selbst initiierten aktuellen Geschehens ist bzw impliziert, einschließlich seiner Initiierung durch einen Denk-Entschluß, wie wir eingangs schon bemerkten, wo das unmittelbare Prozessgeschehen doch nicht erinnert wird, sondern als unmittelbare Gegebenheit der eigenen Tätigkeit vorliegt, wie es Steiner seit 1886 beschreibt. «Ich stehe mitten drin im Prozess», wie Steiner regelmäßig in den Frühschriften betont. Was in der Schrift Wahrheit und Wissenschaft ausdrücklich auch eingefordert wird, dahingehend, dass «das eigene Hervorbringen unmittelbar gegeben sein müsse». (GA-3, Kap. IV, S. 37) Da wird nicht an Erinnerungen an ein vergangenes Geschehen appelliert, sondern an den erlebten gegenwärtigen, selbstinitiierten Prozess des Denkens und Erkennens, der sich als solcher auch nur in der Gegenwart vollzieht, - wo sonst? Wer etwas anderes behauptet, der verläßt das Gebiet des unmittelbar erfahrenen Denkens und betritt auf der Suche nach anderen Erklärungsgründen das der empirisch uneinlösbaren Hypothesenspekulationen, wie es bei Eduard von Hartmann der Fall war. Wie es Steiner ihm am Ende von Kapitel III der Philosophie der Freiheit auch attestierte. Was natürlich auch für alle Physikalisten gilt, die beim Denken einzig kausale Hirnprozesse geltend machen. Eine «erkenntnistheoretische Grundfrage», «Wie kann Unbeobachtbares zur Erinnerung werden?», mit der sich Witzenmann in seiner Goetheschrift de facto ersatzweise selbst als «führender Anthroposophenphilosoph» an Steiners Stelle setzte. Und zwar ohne daß beim Verfasser Witzenmann über mehr als 30 Jahre das Bemühen erkennbar wäre, auch nur einen Funken Problemlösungs-Recherche in Steiners restliche Frühschriften zu investieren, um das von Steiner Gemeinte zu begreifen. Über den Schlüsselbegriff der «reinen Erfahrung des Denkens» werden Sie bei Witzenmann kein Sterbenswort zu lesen bekommen. Dazu gesellt sich der «erlebte Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem», - eine weitere unverzichtbare Schlüsselbegrifflichkeit in Steiners sämtlichen Frühschriften, - über die Sie bei Witzenmann und seinen Schülern ebenfalls nichts erfahren werden – siehe weiter unten Wagemann. Auch bei seinen Schülern werden sie bei all dem ins Leere greifen. Witzenmann hatte ebenso wie seine Schüler schlicht keine Vorstellung davon und auch keinerlei Interesse daran. Seit annähernd siebzig Jahren – nämlich mindestens seit Februar 1948 - philosophische Allotria, die mit Steiners Grundlagen dort anhaltend getrieben werden. Weil Witzenmann das alles nie verstanden hat, sich auch nachweislich nie dafür und für ein gründliches Literaturstudium in Steiners Grundlagenschrifttum interessierte, aber über ein hinreichend ausgeprägtes Potential zur Selbstblendung über die eigene intellektuelle Grösse verfügte, hielt er sich für berufen, anlässlich seines persönlichen Denk-Beobachtungsproblems und vollkommen fern von jeder gründlichen quellenbasierten Problemrecherche, die auch Steiners restliche Grundwerke sorgsam einbezieht, eine eigene «erkenntnistheoretische Grundfrage, Wie kann Unbeobachtbares zur Erinnerung werden?» vor seinen anthroposophischen Anhängern aufzubauen, die im Verhältnis zu Steiner, zu dessen Vorhaben und zu dessen Begründungen entlegener, einfältiger und destruktiver kaum sein könnte. Siehe dazu Herbert Witzenmann, Methodische Konsequenzen der Goetheschen Metamorphosenidee, in: Goethes universalästhetischer Impuls, Dornach 1987, S. 397: "Die Möglichkeit des Erinnerns aus Unbeobachtbarem, worin die erkenntniswissenschaftliche Grundfrage zu erblicken ist, wurde durch die vorausgehenden Ausführungen anhand seelischer Beobachtungen zum Verständnis gebracht. Sie erklärt sich daraus, daß der nicht beobachtbare Grundvorgang der Strukturbildung seine Spuren in den erinnerungbildenden Konditionen und Dispositionen hinterläßt." Entsprechend lautet der Untertitel seiner diesbezüglichen Arbeit auch konsequenterweise: Die erkenntniswissenschaftliche Fundamentalbedeutung der Erinnerungskunde. - Ein haarsträubender Blödsinn im Vergleich zu Steiners eigenen Gedankengängen der Frühschriften. Der Mann platzierte sich damit, - und noch weit früher mit analogem unverstandenen Nonsense bereits im Heft 1 von Die Drei, 1948, - philosophisch selbst an Steiners Stelle, hatte aber schlicht kein Verständnis für Steiners Kerngedanken zur empirisch-idealistischen Begründung einer komplementären Naturwissenschaft. Und auch nicht den Willen, das alles gründlich bei Steiner zu untersuchen. Obwohl es überall in Steiners Frühschriften zu lesen ist, wie wir sehen. Konstruierte statt dessen seit 1948 seinen eigenen philosophischen Hokuspokus, den er bis zu seiner Strukturphänomenologie der 1980er Jahre konsequent weiter verfolgt hat, und zwar weiterhin ohne jeden hermeneutischen Klärungsversuch an Steiners Frühwerk. Dem «neuen Platzhalter» hat man bei solchen katastrophalen gedanklichen Irrläufen dann ausgerechnet auch noch das Geistesstreben der (anthroposophischen) Jugend anvertraut: Ein einzigartiges Debakel der anthroposophischen Bewegung, der Steiner-Interpretation und der Steiner-Rezeption! Die letztlich dann auch noch im politischen Mißbrauch der Anthroposophie endete. Ausgelöst von einem einflussreichen intellektuellen Grossgimpel in dieser Bewegung, der es in seiner Selbstblendung schlichtweg nicht für nötig hielt, Steiners Frühschriften einmal sorgsam zu studieren, um hermeneutische Klarheit zu seinen persönlichen Verständnisproblemen zu erlangen. Wie wir es heute auch weithin vergleichbar sehen, wenn sich akademische Welterklärer über Steiners Werk hermachen. Äusserst fatal, daß man so einem gründlich entgleisten und in seiner Selbstüberhebung abgestürzten Steiner-Interpreten wie Witzenmann zu allem Überfluß dann auch noch das Geistesstreben der Jugend und die Sozialwissenschaften anvertraute: «„Drei Jahre lang leitete er die Zeitschrift Die Drei (1948-51). 1963 wurde er durch Albert Steffen in den Vorstand der AAG berufen, wo er die Leitung der „Sektion für das Geistesstreben der Jugend“ und der „Sektion für Sozialwissenschaften“ übernahm. Da konnte er zahlreiche Interessierte für seine eigene „Erkenntniswissenschaft“ und „Sozialästhetik“ um sich sammeln, wobei die Mehrzahl seiner Gefolgsleute zur gehobenen intellektuellen Schicht zu rechnen war. So entstand eine Ansammlung von – zum Teil aus reichen Familien kommenden – Akademikern.» So heißt es dazu in einem Artikel des Lochmann-Verlages vom 10. 02. 22, der jetzt so weit erkennbar nur noch über die wayback-machine bei Archchive.org frei einsehbar ist. Auch im Anthrowoki ist zu lesen, daß Witzenmann von 1948-1951 die Zeitschrift Die Drei «geleitet» habe. „Von 1948 bis 1951 leitete er die Zeitschrift Die Drei,“ so heisst es noch am 24.07.22 im Anthrowiki. Von einer «Herausgeberschaft» oder «Leitung» der Zeitschrift Die Drei steht in der ausführlichen Biographie von Klaus Hartmann Bd. 1, in der Übersicht S. 393, (siehe nachfolgend) zunächst nichts, sondern nur von einer «Wirksamkeit» für diese Zeitschrift, die damals unter der Herausgeberschaft von Dr. Erich Schwebsch stand. Und 1951 immer noch. Das kann man auch den Heften dieser Jahre entnehmen, die heute noch bezogen werden können. In Witzenmanns Autobiographie Lichtmaschen ist auf S. 121 zu lesen, «er habe mit Schwebsch eine Zeit lang gemeinsam die Drei herausgegeben», ohne das näher zu spezifizieren. Eine ausführliche Behandlung von Witzenmanns Wirksamkeit als «Redaktionsmitglied» für Die Drei unter der Leitung von Schwebsch findet sich dann in Hartmanns Witzenmannbiographie Bd. 1, S. 255 ff; und S. 270 ff in einem eigenen Kapitel. Hartmann schreibt auf S. 270 dazu: „Erster Redaktor der vom Verlag Freies Geistesleben herausgegebenen Zeitschrift wurde nach dem Krieg Erich Schwebsch. Er hatte zwar mit Witzenmann eine gemeinsame Schriftleitung vereinbart, diese konnte aber im Impressum erst aufscheinen, nachdem alle Schwierigkeiten und Formalitäten mit der über Veröffentlichungen wachenden amerikanischen Militärbehörde geklärt waren.“ Im weiteren S. 290 ff Erhellendes über die Krise der Zeitschrift. In der Anmerkung 4 auf S. 334 schreibt Hartmann dann präzisierend: „In den Heften von 1949 und 1950 hatten Erich Schwebsch und Herbert Witzenmann (gemäß Impressum) gemeinsam die Schriftleitung der im Auftrag der anthroposophischen Gesellschaft herausgegebenen Zeitschrift.“ Das klärt die Verhältnisse einigermassen präzise und nachprüfbar. Danach verlief Witzenmanns Herausgeberschaft mit Schwebsch zusammen und offiziell über annähernd zwei Jahre. Bleibt noch Witzenmanns eigene, knappe Auskunft aus den Lichtmaschen, S. 121, über eine vorübergehende gemeinsame Herausgeberschaft mit Schwebsch. Übrigens steht der im Lochmann-Artikel genannte, und diesmal mit gutem Grund dort in der Anmerkung 4 infrage gestellte Hinweis, Witzenmann sei von Steiner persönlich das Studium der Philosophie anempfohlen worden, immer noch im Anthrowiki mit Stand vom 20. September 2024. („Steiner, den er in Stuttgart trifft, rät ihm, sich mit philosophischen Fragen zu beschäftigen“ - so das Anthrowiki immer noch am 20. 09. 24) Und zwar dort nach wie vor ohne jeden Beleg, also völlig frei aus der Luft gegriffen. - Was abwegiger nicht sein könnte, wenn man Witzenmanns eigene Darstellung aus den Lichtmaschen und Hartmanns Biographie dazu betrachtet. Während die vom Lochmann-Artikel genannte Witzenmann-Biographie von Klaus Hartmann im ersten Band, (Herbert Witzenmann, Bd. 1, 2010, S. 65 ff), und zwar gestützt auf Witzenmanns persönliche Darstellungen, uns dazu ab S. 67 eine ganz andere Geschichte über diese «Stuttgarter Begegnung» erzählt, nämlich das genaue Gegenteil vom Anthrowiki: „Witzenmann fragte Rudolf Steiner nach Lebensorientierung, Studium und Beruf. Bei der Rückfrage, womit er sich denn bisher beschäftigt habe, verblüffte ihn Witzenmanns Antwort: «Mit nichts.» Als er dann aber nach genauer Rückfrage sein Bemühen um schriftstellerische Formulierung nicht verschwieg, sagte ihm Rudolf Steiner: «Sie müssen immer mit der Literatur in Verbindung bleiben.» Bedeutete diese Antwort, dass er ein Dichter werden könne oder solle? Witzenmann hat Rudolf Steiners offen lassende Antwort geschätzt: «Er hatte auf meine innigste Seelenfrage weder bejahend noch verneinend geantwortet. In dem Einen hätte sich ein Mangel an Vertrauen, in dem Anderen eine erleichternde Ermunterung ohne tiefen Ernst ausgesprochen. Dagegen war Rudolf Steiners Antwort eine völlig freilassende. Sie wandte sich an meine Aktivität und gab mir eine Lebensregel, deren Gehalt ich nur selbst erschließen konnte. Sie wandte sich an die meditative Kraft meiner Seele. Sie empfahl mir die Grundmeditation meines Lebens: «Im Anfang war das Wort.» Musik- und Kunstgeschichte nannte Rudolf Steiner als Studienfächer, nicht aber Philosophie. Bibliothekar oder Direktor einer Musikhochschule oder Gemäldegalerie könne er werden. Von Dichtung, Philosophie und praktischer Tätigkeit sprach Rudolf Steiner zu Witzenmanns Enttäuschung nicht. «Sonst kann ich nicht viel hinter Ihnen finden», bemerkte Rudolf Steiner «mit deutlicher Ironie» zum Abschluss ihres Gespräches. «Mein Urteil war gesprochen. Ich war begabt für Literatur, Kunst und Musik und sonst für nichts. Damit hatte ich nun zu leben», kommentiert Witzenmann humorvoll das Fazit seines Gesprächs mit Rudolf Steiner.“ - So weit Klaus Hartmann auf S. 67 zu diesem Beratungsgespräch zwischen Steiner und dem jungen Herbert Witzenmann. Die entsprechende Episode findet sich genau so auch dargestellt in Witzenmanns kurzer, von Jutta Knobel-Weitz 2005 herausgegebener Autobiographie, Lichtmaschen, auf den Seiten 89 ff. Zur Literatur hat Steiner ihm geraten. Zu Musik- und Kunstgeschichte. Zur Philosophie leider nicht. Was von Witzenmann (laut Eigendarstellung) und laut Hartmann mit einiger Enttäuschung aufgenommen, wenn auch mit einer gewissen Selbstironie humorvoll wiedergegeben wurde. - Wem da mehr Glaubwürdigkeit zukommt, Klaus Hartmann oder dem unbelegten Anthrowiki, fällt jedenfalls schon infolge der Quellenlage eindeutig zugunsten Hartmanns aus. Während das Anthrowiki in diesem Fall der von Steiner angeblich persönlich angeratenen Philosophie nur mit einer frei herbeifantasierten Behauptung aufwartet. Obwohl das Anthrowiki jederzeit leicht bei Klaus Hartmann hätte nachprüfen können. Oder noch früher bei Jutta Knobel-Weitz. Denn Hartmanns ungewöhnlich ausführliche Witzenmannbiographie existiert ja schon seit 2010. Und die Autobiographie Witzenmanns, auf die sich Hartmann dabei bezieht, sogar seit 2005. - Frage: Warum ist das bei so einem krassen Gegensatz in diesem angeblichen Anthroposophie-Lexikon bis zum Sommer 2024 nie geschehen? Obwohl sie Witzenmanns Autobiographie Lichtmaschen im Literaturverzeichnis ihres Witzenmannartikels ebenfalls noch aktuell stehen haben. Sie hätten also nur hineinschauen müssen. Und so lang ist sie auch wieder nicht, sondern nur 156 Seiten. Die entsprechenden Passagen sind im Inhaltsverzeichnis auch auf Anhieb zu finden. (Einen ähnlich dubiosen Fall aus Info3, bei dem sogar Klaus Hartmann selbst beteiligt war, habe ich vor einigen Jahren in meiner längeren Studie ab derzeit S. 487 ff ausführlich auf mehreren Seiten analysiert.) Aber obwohl das heute noch unbelegt behauptet wird: Es gab für Witzenmann von Steiner direkt weder eine Studienempfehlung zur Philosophie, noch gar zu Husserl, laut Witzenmanns eigener Auskunft. Witzenmann hatte laut Autobiographie in dieser Frage ersichtlich gar kein Interesse daran, seine Beziehung zur Philosophie durch den Ratgeber Steiner ebenso so hoch zu stilisieren und mit Mythen über angebliche philosophieorientierte Ratschläge Steiners zu adeln wie mancher spätere Berichterstatter und Lexikonartikel-Schreiber. Wo doch das vollständige Fehlen solcher Empfehlungen zur Beschäftigung mit Philosophie und philosophische Ratschläge durch Steiner genau das war, was Witzenmann laut Selbstauskunft am meisten betroffen gemacht hat: Es kam in dieser augenfällig erhofften Richtung nichts von Steiner, sondern Witzenmann wurde vollkommen enttäuscht: «Mein Urteil war gesprochen. Ich war begabt für Literatur, Kunst und Musik und sonst für nichts. Damit hatte ich nun zu leben». (Lichtmaschen, S. 97) - Was Witzenmann als Menschen ja durchaus ehrt, wenn er diese für ihn enttäuschenden Verhältnisse so ungeschminkt offen später darlegt, ohne den Hauch einer Selbstbeweihräucherung durch Begegnungen mit und Ratschläge von Steiner, die Beschäftigung mit der Philosophie betreffend. Man muß Witzenmann offensichtlich auch vor seinen eigenen Schülern und Anhängern bewahren, weil sie den 1988 Verstorbenen ja mit erfundenen Legenden sogar noch im Nachhinein und über den Tod hinaus schädigen. 12. Witzenmanns seltsame Entdeckung der Erinnerungslehre als erkenntniswissenschaftliche Fundamentalwissenschaft Witzenmanns Autobiographie Lichtmaschen, und das scheint mir zum Verständnis nicht unerheblich zu sein, könnte zudem schon in ihren ersten Kapiteln einen deutlichen Hinweis darauf geben, warum er die Frage «Wie Unbeobachtbares zu Erinnerung werden kann?» später in der Schrift Goethes universalästhetischer Impuls zur «erkenntnistheoretischen Grundfrage» erklärte. Und die «Erinnerungskunde» zur «erkenntniswissenschaftlichen Fundamentalwissenschaft». Es scheint einen biographischen Hintergrund für Witzenmanns ausuferndes Interesse an Erinnerungsfragen zu geben, der in seiner Autobiographie auch klar dargelegt wird. Witzenmann wurde nämlich von Erinnerungsfragen und -problemen heftig umgetrieben. Denn er war laut autobiographischer Darstellung bereits in frühester Kindheit von intensiven Erlebnissen, und teils albtraumartigen Erinnerungen «an seine Geburt», wie er dort S. 11 ff schreibt, überwältigt oder förmlich auch heimgesucht. So daß ihn das Erinnerungsgebiet nachvollziehbar außerordentlich fesselte, und auch seine erkenntniswissenschaftlichen Intentionen nachhaltig prägte. Was ja in der Tat ein hochinteressantes psychologisches Gebiet sein kann, quälende oder tief beeindruckende frühkindliche Erinnerungen zu haben, von denen man nicht weiß, wo sie herkommen. Und dann nach aufklärerischen / therapeutischen Lösungswegen dafür zu suchen, dahingehend, was das alles zu bedeuten hat. Was also an sich keine schlechte Sache ist. Denn stellen Sie sich vor, Sie werden als Kind ständig von «Erinnerungen» bedrängt, für die Sie keine Erklärung finden. Es könnten ja auch (spontane) Erinnerungen an ein vergangenes Leben sein, wie Steiner sie in Vortragsform wiederholt unserer und der entfernteren nachfolgenden Zeit prognostiziert hat wie in GA-152, S. 117 ff. Zum Teil in den dortigen Christusvorträgen auch in relativ jüngeren vergangenen Zeiten angesiedelt. Wo in den Menschen dann «erinnerungsartige» Erlebnisse auftauchten, die sie sich durch den bisherigen Lebensverlauf nicht plausibilisieren konnten, sondern auf das Christusereignis in Palästina bezogen, an dem sie achtlos vorüber gangangen waren. Es könnten aber auch Zukunftsprojektionen für das derzeitige Leben sein, die aus dem Inneren eines Kleinst-Kindes aufsteigen. Siehe zu zwei Formen (Vergangenheitsrückschau nach dem Tode und Zukunftsvision vor der Geburt), Rudolf Steiner in 93a, Dornach 1987, Vortrag Berlin 18.10.1905, S. 158 f. Schauen wir nur kurz und zur Illustration auf folgende Schilderungen Steiners hin: „Der Mensch würde sich viel mehr an seine Erlebnisse gedächtnismäßig erinnern können, wenn nicht die Außenwelt fortwährend seine Erlebnisse auslöschte. Der Mensch hat seine Vorstellungen nur nicht immer vor sich, weil er seine Aufmerksamkeit nach außen richtet. Wo er aufhört, das zu tun, nimmt er wahr, was in seinem Ätherkörper aufgespeichert ist. Alles was der Mensch von der Außenwelt aufgenommen hat, das ist in seinem Ätherleib eingegraben. Er richtet zunächst seine Aufmerksamkeit nach außen und nimmt die Eindrücke in seinen Ätherleib auf. Das vergißt er aber zum Teil wieder. Wenn nun im Tode der physische Leib abgelegt wird, nimmt er in dem Augenblicke alles das wahr, was in seinem Ätherleib aufgespeichert ist. Das ist der Fall, nachdem sein Ich mit dem Astralleib und dem Ätherleib sich vom physischen Leib getrennt hat. Gleich nach dem Tode also ist Gelegenheit geboten zur vollkommenen Erinnerung an das vergangene Leben. [ ] Nun müssen wir noch einen ähnlichen Moment zu verstehen suchen, nämlich den Moment der Geburt, wo der Mensch in eine neue Inkarnation hineinkommt. Da tritt etwas anderes ein. Da bringt er alles dasjenige mit, was er auf dem Devachanplan sich erarbeitet hat. Wie Glocken schwirren die sich verkörpernwollenden Astralleiber an den Lebensäther heran und bilden nun einen neuen Ätherleib. Wenn nun der Mensch mit seinem zukünftigen Ätherleib sich verbindet, dann tritt ein Moment der Schau ein, geradeso wie er vorher beim Tode auf sein vergangenes Leben zurückschaute. Das drückt sich aber nun ganz anders aus, nämlich als ein Vorausschauen in die Zukunft, ein Vorauswissen. Bei etwas psychisch veranlagten Kindern kann man manchmal in der frühesten Zeit solche Erzählungen hören, solange noch nicht die materialistische Kultur auf die Kinder gewirkt hat. Ein Vorausschauen des Daseins ist das. [ ] Das sind zwei wichtige, wesentliche Momente, denn sie zeigen uns, was der Mensch, wenn er herunterkommt, um sich zu inkarnieren, mit sich bringt. Wenn er gestorben ist, ist das Wesentliche eine Erinnerung. Wenn er sich reinkarniert, ist das Wesentliche eine Zukunftsvision. Diese beiden verhalten sich zueinander wie Ursache und Wirkung. Alles was der Mensch im letzten Moment des Todes erlebt, ist die Zusammenfassung aller vorhergehenden Leben. Diese werden im Devachan aus einer Vergangenheitssache in eine Zukunftssache umgearbeitet. Diese beiden Momente können einen wichtigen Fingerzeig geben für ganz bestimmte Zusammenhänge in zwei oder mehreren aufeinanderfolgenden Inkarnationen.“ Steiner berichtet hier, „bei etwas psychisch veranlagten Kindern kann man manchmal in der frühesten Zeit solche Erzählungen hören, solange noch nicht die materialistische Kultur auf die Kinder gewirkt hat. Ein Vorausschauen des Daseins ist das.“ Von seiner eigenen «psychischen Veranlagung» spricht auch Witzenmann in seiner Autobiographie, und illustriert das in den Eingangskapiteln auch entsprechend. Wie soll so ein hilfloses Kind von wenigen Monaten oder Tagen das nun beurteilen, was in ihm an Erlebnissen in allerfrühester Zeit, bei der Geburt sogar, aufsteigt? Witzenmann schreibt dazu in den Lichtmaschen und auf das Deutungsproblem hinweisend (S. 15): „Meine Geburt habe ich auf zweifache Weise wachend geträumt. Einmal als ernste Feier, nicht ohne Drohung, doch voll der Erlösung, als Herrlichkeit. Davon vermag ich jetzt nicht zu sprechen. Das andere Mal als Gebrest, das sich so lange wiederholte, bis ich es wenigstens im Empfinden begriff, wonach es zerging. Mit dem deutenden Vorstellen verstand ich es freilich erst sehr viel später.“ Danach folgen unter anderem allerlei verklärende literarische Gedankensplitter über die «bleibenden Spuren der menschlichen Geburt». Was natürlich als hypothetische Konklusion zunächst einmal alles zu hinterfragen wäre, ob das so überhaupt zutrifft, und woran er sein psychologisches Verständnis dessen jeweils fest macht. Nicht nur das der unmittelbaren Geburtserlebnisse, sondern auch ihre späteren Deutungen, die ja nicht aus dem Nichts kommen, und aus der unmittelbaren Geburtserfahrung können die Deutungen auch nicht kommen, - wie er selbst sagt. Sondern seinen eigenen Worten zufolge begriff er das Erlebte erst viel später. Philosophisch und biographisch interessanter noch scheint mir an dieser Stelle zu sein, daß er sich in jenem Kapitel faktisch auf die schicksalhafte «reine Erfahrung seiner Geburt» beruft, ohne, daß ihm seinen eigenen Worten zufolge damals ein angemessener Deutungsrahmen zur Verfügung gestanden hätte. Was ja viel Anlass hätte geben können, sich mit der Frage der reinen Erfahrung vor allem des Denkens intensiver auseinanderzusetzen. Doch ist es so, daß wir mit Witzenmann einen sehr namhaften Anthroposophen vor uns haben, der als empirische Illustration für die «reine Erfahrung» regelmäßig in seinem Schrifttum auf die «Schrecksekunde» verweist, aber nie wie Steiner schwerpunktmäßig auf das unmittelbar erlebte, das «rein erfahrene» Denken, wo die Sachlage auch viel angemessener und unendlich viel leichter zu überprüfen wäre. (Siehe zur Schreckskunde und reiner Erfahrung bei Witzenmann u. a. Strukturphänomenologie, S. 42; Goethes universalästhetischer Impuls, S. 354; ausführlicher behandelt hier, S. 213 ff .) Was in dieser Gegensätzlichkeit schon erstaunlich ist, weil die reine Erfahrung des Denkens vor allen anderen eine so fundamentale Rolle in Steiners Begründungsschriften spielt. Es somit also mehr als kurios ist, wenn Witzenmann sich zwar auf die prägende reine Erfahrung seiner Geburt und auf Schrecksekunden beruft, aber nie wie Steiner in den Grundschriften auf das philosophische «Schlüsselerlebnis des rein erfahrenen Denkens», das bei Witzenmann schlechterdings nicht zu finden ist. Weder im Rahmen seiner Steinerinterpretationen, noch im Rahmen der eigenen Philosophie-Entwürfe. So daß Witzenmann an die Stelle dieser erkenntniswissenschaftlichen Schlüsselerfahrung Steiners schließlich dann in der Strukturphänomenologie sein «Erzeugungsproblem» setzt. Das hinlänglich bekannte Kausalitätsproblem Kants und Humes, dessen Lösung in Steiners Frühschriften längst gezeichnet war, wie wir nachfolgend noch weiter sehen werden. Aber nur so viel dazu an dieser Stelle, denn all das wäre im biographischen Kontext um Witzenmann schon ein längeres und spannendes Thema für sich. Die Frage wäre auf jeden Fall: Wenn, wie er selbst sagt, der «Deutungsrahmen fehlt» im Fall der unmittelbaren, reinen Erfahrung der Geburt, was als Erklärung noch übrig bleibt, wenn man nicht in der Lage ist, einen Hintergrund wie den anthroposophischen zur Verfügung zu haben, der sie verständlich machen könnte durch den Reinkarnationsaspekt oder anderes, was in die Lebens-Zukunft weist. Sind solche Projektionen in die Vergangenheit oder Zukunft dann wiederum realistisch, oder nur symbolisch zu nehmen? Es gäbe aus anthroposophischer Sicht dafür grundsätzlich mindestens zwei mögliche Denkansätze, wenn es sich um vermeintliche Erinnerungen handelt. Es könnte etwas Vergangenes sein, was dahinter steht, oder auch um die Vorschau auf etwas Künftiges. Was im Falle Witzenmanns ja auch vorstellbar ist, wenn man bedenkt, wie verzweifelt die Familie Witzenmann sich durch den erstickenden Tunnel der Nazizeit ringen musste. Wo Witzenmann wegen Rüstungssabotage denunziert, und ihm die Enteignung der Firma und ein möglicher mörderischer Einsatz an der Ostfront ins Aussicht gestellt wurde, wie Klaus Hartmann in der Witzenmannbiographie schreibt (siehe unten). Das sind ja absolut tödliche Bedrohungsszenarien und Vernichtungsperpektiven, wie sie ähnlich ein Kind durchleben mag, das sich dem Ersticken nahe durch den engen Geburtskanal seiner Mutter quält. Daß er mit seiner anthroposophischen Wirksamkeit nicht immer segensreich agierte, wäre bei Träumen und Zukunftsprojektionen dieser Art ja auch noch zu bedenken. Das alles möchte ich allerdings hier nur mehr als Arbeitshypothese und nebenbei erwähnen. Nur hat das Erinnerungsproblem, und darauf kommt es mir an, mit Steiners Erkenntnistheorie und einer erkenntnistheoretischen Grundfrage rein gar nichts zu tun. Sondern das Erinnerungsproblem ist bei Witzenmann erkenntnistheoretisch laut seiner Goetheschrift erwachsen aus einem unverstandenen Beobachtungsbegriff der Philosophie der Freiheit, der sich mit hermeneutischen Mitteln leicht und ohne weiteres klären läßt. Im Rückgriff auch auf Steiners restliche Frühschriften. Was aber bei Witzenmann nie stattgefunden hat. Das Problem daran im Falle Witzenmanns ist, daß er ohne solche Klärungsbemühungen mit diesem unübersehbaren und biographisch basierten Eigeninteresse an der Frage der Erinnerung, woher sie immer stammen und letztlich zu bedeuten haben mochten, einen fundamentalen, aber gänzlich unverstandenen Teil der Erkenntniswissenschaft Steiners vermengte. Und damit sein Leben lang Steiners Begründungswerk in paradoxer und extremer Weise überformte, verunstaltete, seinen eigenen Erinnerungs-Interessen opferte und dabei ihrer erkenntniswissenschaftlichen Substanz beraubte. Indem er sein persönliches Erinnerungsproblem faktisch zur «erkenntnistheoretischen Grundfrage» machte, - dahingehend, «Wie kann Unbeobachtbares zur Erinnerung werden?» Was angesichts von Steiners eigenen Grundfragen und seiner systematischen Vorgehensweise vollständig abstrus ist. Aber eben quälende Erinnerungen eines Menschen betreffen mag, der solche hatte wie Witzenmann, ohne ihren sachlichen Auslöser zu kennen. Und dann so etwas als Grundfrage an die Spitze der Steinerschen Erkenntnistheorie setzt, ohne den Erkenntnis-Intentionen Steiners jemals gründlich nachzugehen und ihnen nahe zu kommen, so daß er ihn in den Sachfragen verstanden hätte. Er führte Steiners Erkenntniswissenschaft infolge der sinnfreien Überlagerung von massiven Interpretationsirrtümern und -zerrbildern mit seinen erinnerungstheoretischen Eigenambitionen vollkommen ad absurdum, gelangte nie zum Begreifen von Steiners Intentionen und Begründungswegen. Sondern formte aus seinen Mißverständnissen heraus, und verbunden mit der hohen Anteilnahme an der Frage der Erinnerung eine eigene Philosophie. Die er zudem nicht nur höchst unangemessen mit der späteren Anthroposophie, sondern auch noch mit der Philosophie Husserls verschnitt, und dann entsprechend Strukturphänomenologie nannte. Die mit Steiners erkenntnistheoretischer Programmatik, ihren idealistischen Grundlagen und Grundfragen definitiv nichts zu tun hat. Während diese bei Steiner ja den wirkenden (geistigen) Kräften der Natur im eigenen Inneren nachgeht, wie er das bereits in der Philosophie der Freiheit programmatisch im Kapitel II zum Ausdruck bringt. Und an anderer Stelle in den Einleitungen zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften (GA-1, Dornach 1987, S. 126) «induktiven Idealismus» nannte: „Auch die Ideen sind für eine induktive Methode erreichbar." Um nur dies hier anzuführen. Wobei wiederum zu beachten ist, daß schon die eigene Denktätigkeit bei Steiner in den Grundlinien …, (Kap 8, hier S. 47) als «tätiger Gedankengehalt der Welt» aufgefaßt wird: „Das eine Mal erscheint er als Tätigkeit unseres Bewußtseins, das andere Mal als unmittelbare Erscheinung einer in sich vollendeten Gesetzmäßigkeit, ein in sich bestimmter ideeller Inhalt.“ Wo also der empirisch / induktive erkenntniswissenschaftliche Eingangsschlüssel zu diesem Kräfteverständnis die unmittelbar erlebte und beobachtete eigene Aktivität des Denkens ist. Erkenntniswissenschaftlich von Steiner dargelegt als erlebter Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem. Was ja dann in Goethes Weltanschauung von 1897 (S. 70) als «durchschautes Weltgeschehen» bezeichnet wird. Das, was er bereits in der Philosophie der Freiheit im Kapitel Drei die «allerwichtigste Beobachtung» nannte. Wie es eben bei Steiner besonders unmissverständlich klar und prägnant schon in den Grundlinien... von 1886, sowie im Kommentar zum Goetheschen Essay Die Natur S. 6 der Kürschnerausgabe von 1887, darüber hinaus im zweiten Kapitel der Philosophie der Freiheit, sowie in der Schrift Goethes Weltanschauung im Kapitel Die Metamorphose der Welterscheinungen zutage tritt. Vom großen Rest seines Frühwerkes gar nicht weiter zu reden. Wo es letztlich in der späteren anthroposophischen Forschung etwa darum geht, anhand der Beobachtung der eigenen Denkaktivität zur Beobachtung wirkender unabhängiger und lebendiger Geistkräfte zu gelangen, wie es Steiner in GA-35, S. 269 ff darlegt. Daß dies von der unmittelbar erlebten eigenen Denkaktivität bei Steiner seinen Ausgang nahm, dem «erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem», das alles ist Witzenmann nie klar geworden. Sondern das alles wirft er aus Steiners Erkenntniswissenschaft hinaus und setzt an dessen Stelle sein eigenes Erinnerungsanliegen inklusive «Erzeugungsproblem» und «Paradoxie der Selbstgebung», was mit Steiners Intentionen und Begründungen definitiv nichts zu tun hat, sondern weit jenseits dessen liegt und im vollendeten Gegensatz dazu. So daß mit Witzenmanns Strukturphänomenologie dann faktisch auf der Grundlage von Irrtümern, Fehlinterpretationen und massiver Fahrlässigkeit der Forschung der Ruin von Steiners Anliegen besiegelt wird. Von Witzenmanns Anhängern und Siegelbewahrern freilich wider jede Vernunft und ohne jeden prüfenden Vergleich mit Steiners eigenem Werk enthusiastisch behütet, besungen und kultiviert. Und als «neues Evangelium der Anthroposophie» inzwischen in englischer Sprache in alle Welt hinaus posaunt. Siehe nachfolgend. Witzenmanns Schüler folgen insofern jetzt erkenntnistheoretisch, - etwas sarkastisch überzeichnet, - nicht Steiners induktivem Idealismus eines Goetheanisten, dem «erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» und seiner «allerwichtigsten Beobachtung, die der Mensch machen kann», sondern Witzenmanns Erinnerungsalbträumen aus frühester Kindheit, die er infolge seiner Missverständnisse zur abstrusen «erkenntnistheoretischen Grundfrage» nobilitiert hat «Wie Unbeobachtbares zur Erinnerung werden kann?» (Goethes universalästhetischer Impuls, S. 356, S. 386, S. 397). «Bereichert» um eine «zur erkenntniswissenschaftlichen Fundamentalwissenschaft» hochstilisierte «Erinnerungskunde» ebd. S. 334 ff; S. 397 ff, und dem nachfolgend daraus erwachsenen philosophischen Konzept der Strukturphänomenologie. Einem Verschnitt von gründlich missverstandener, zusammengerührter Steinerscher Erkenntnistheorie und Anthroposophie mit den Erinnerungsfragen und Albträumen, quellend aus Witzenmanns frühester Kindheit. Sowie Husserlschen Philosophemen, die mit Steiner nicht zur Deckung zu bringen sind, da sich Husserl, anders als Steiner, für wirkende Kräfte im Menscheninneren, für das Kausalitätsproblem und die Geist-Natur im Inneren des Menschen nie interessierte. Diesem verworrenen Verschnitt folgen jetzt Witzenmanns Schüler, anstatt den nüchtern dargelegten geistig-welterkennenden und anthroposophischen Intentionen Steiners, die er als systematisches Forschungsanliegen unverkennbar über sämtliche Frühschriften hinweg vorgelegt hat. Die sich dort auch leicht auffinden lassen, sobald man nur einigermassen gründlich liest. Während uns sein Interpret Herbert Witzenmann in seinem Buch über Goethes universalästhetischen Impuls ab S. 334 etwas unterbreitet von der «erkenntniswissenschaftlichen Fundamentalbedeutung der Erinnerungskunde.» Was zwar mit Witzenmanns kindlichen Albträumen viel zu tun haben mag, aber mit Steiners Erkenntniswissenschaft und Zielen definitiv nichts. Genauer: gerade so viel, daß vollkommen unverstandene Gedankengänge Steiners von Witzenmann benutzt wurden, um seine seit frühester Kindheit vorhandenen Erinnerungsfragen und -fesseln zum erkenntnistheoretischen Hauptanliegen der anthroposophischen Grundlagen Steiners zu machen, von denen er nichts begriff. Was man als Satiriker wohl auch als philosophische Kaperfahrt bezeichnen kann. Oder wenn man nicht ganz so grob sein möchte, als einen philosophischen Eklektizismus von unverstandenen Philosophemen im Dienste eines Eigeninteresses. Thomas Kuhn würde vielleicht dazu sagen, daß hier inkommensurable Theorieteile mit einander verwoben wurden, die sachlich und logisch zwangsläufig miteinander kollidieren müssen und auf lauter Widersprüche führen. So ist es bei Witzenmann auch. Man muß sich nur klar machen, was es bedeutet, wenn Rudolf Steiner 1921 im Rückblick auf seine Philosophie der Freiheit erläutert, «aus dem vollen Erleben der Aktivität des Denkens» seien die Worte geschrieben, „Im Denken haben wir das Weltgeschehen selber an einem Zipfel erfaßt!“ (GA-78,Dornach 1968, [1986] S. 41 f. Vortrag vom 30. August 1921). Eine Tatsache, die ja bereits im Rückblick der Erstauflage der Grundlinien … im Kapitel 15, S. 56 philosophisch ausgesprochen wurde in den Worten: „Wir erinnern uns, warum eigentlich das Denken in unmittelbarer Erfahrung bereits sein Wesen enthält. Weil wir innerhalb, nicht außerhalb jenes Prozesses stehen, der aus den einzelnen Gedankenelementen Gedankenverbindungen schafft. Dadurch ist uns nicht allein der vollendete Prozeß, das Bewirkte gegeben, sondern das Wirkende.“ - Wohlgemerkt: Das «Wirkende ist gegeben» und nicht etwa mittelbar erschlossen. Die von Steiner im Vortrag von 1921 vertretene Auffassung vom «vollen Erleben der Aktivität des Denkens» hat durchgängig Bestand im veröffentlichten Frühwerk seit mindestens 1886. Geht aber noch viel weiter zurück. Nämlich bis mindestens zu Steiners Fichterezeption am Beginn seiner Wiener Studienzeit 1882, als er damit begann «Fichte umzuschreiben». (Siehe weiter unten.) Man muß sich vor diesem Hintergrund wirklich eindringlich verdeutlichen, was es bedeutet, wenn dann Herbert Witzenmann an die Stelle Steiners seine eigene «erkenntnistheoretische Grundfage» setzt. Dahingehend, «Wie kann Unbeobachtbares zur Erinnerung werden?» (Goethes universalästhetischer Impuls, Dornach 1987, S. 356, S. 386, S.397 und öfter). - Der Gegensatz und die damit wie an einer Litfaßsäule plakatierte Verständnislosigkeit Witzenmanns könnte krasser kaum ausfallen. Witzenmann hat nachweislich niemals begriffen, was Steiner mit der Beobachtung / Erkenntnis des Denkens überhaupt meinte. Setzt demgemäß an die Stelle Steiners eine eigene abstruse «erkenntnistheoretische Grundfrage», «Wie Unbeobachtbares zur Erinnerung werden kann?». Wo schon im sprachlichen Ausdruck die verständnislose Genese seines Elaborats eingepreist ist. Was nachfolgend bis in die späte Strukturphänomenologie von 1983 bei Witzenmann Bestand hat, und als Sammelsurium von konzentriertem Unverstand dort unter dem Terminus «Grundstruktur», «Erzeugungsproblem» und «entscheidende Schwierigkeit» als «neues wissenschaftstheoretisches Konzept» vorgelegt wird, dem jetzt Witzenmanns blinde Anhänger zu Füßen liegen, und diesen zerstörerischen Widersinn auch noch mit großem Einsatz in der ganzen Welt verbreiten. Witzenmann hat also aus seinem eigenen Unverstand ein philosophisches Konzept gemacht, dem seine Anhänger bis heute kritiklos folgen. Was eigentlich bei diesen Anhängern nur Erfolg haben kann, wenn genügend einfältige und interesselos / opportunistische Helfer da sind, die so eine ahnungslose Persönlichkeit nebst ihren abstrusen Exegesen nach oben schieben, zum Leitinterpreten für Steiners Werk verklären, und das in ihrer abgeschotteten Echokammer jahrzehntelang auch entsprechend bis heute kultivieren. Bis hin zur Behauptung, Witzenmann sei die Beschäftigung mit der Philosophie «von Steiner persönlich angeraten» worden. Letzteres völlig frei erfunden, während in Wirklichkeit und zur Enttäuschung Witzenmanns das genaue Gegenteil der Fall war, wenn man Witzenmanns eigene Darstellung dazu liest. (Siehe Witzenmanns Autobiographie Lichtmaschen, S. 89 ff, sowie die Witzenmannbiographie von Klaus Hartmann, Bd 1, S. 65 ff.) 13. Witzenmanns «Strukturphänomenologie» und die Unkenntnis über ihre kontradiktorische gedankliche Verbindung zu Steiners Erkenntniswissenschaft Inzwischen gibt es, wie seit Jahren bereits angekündigt, Witzenmanns abenteuerliches Rezeptionsresultat «Strukturphänomenologie» unter dem Titel Structure Phenomenology in der Übersetzung von Johannes Wagemann auch auf Englisch. Als Erscheinungsdatum wird der 22. September 2022 genannt. Als PdF hier zu bekommen. Lesenswert ist vor allem die relativ lange Einleitung respektive Einführung Wagemanns (S. VIII ff) - die wenig preis gibt vom Verhältnis Witzenmanns zu Steiner. Die uns allerlei darüber berichtet, was Witzenmann mit Husserl zu tun hatte und mit Brentano. Nur was er mit Steiner selbst zu tun hatte, wo er ihn vollkommen verfehlte, und welches Hauptinteresse im Kontrast dazu der innere Naturwissenschaftler Steiner auf welchem Wege verfolgt hat, darüber hört man erwartungsgemäß fast nichts. Es existiert bei den Vertretern Witzenmanns bislang keinerlei ernst zu nehmende Vergleichsbasis, um Steiners erkenntniswissenschaftliche Positionen mit dem zu kontrastieren, was Witzenmann als angeblicher Leitexeget von Steiners Erkenntniswissenschaft daraus geformt hat. Sie wissen es schlichtweg nicht. Unabhängig davon, ob sie zum inneren Kern einer glühenden Anhängerschaft Witzenmanns gehören, oder sich lediglich als Seilschafter und Opportunisten aus Eigeninteresse an diese drangehängt haben, und für Witzenmann die Trommel rühren. Um die Wahrheit und um Steinerverständnis geht es in all diesen Fällen nicht. Wäre es nämlich so, dann hätten sie den Beweis dafür längst anhand einer seriösen Steinerforschung nebst kontrastierendem Vergleich mit Witzenmann geliefert, denn Zeit gab es dafür in den zurückliegenden fünf Jahrzehnten wahrlich genug. Dem jedoch ist nicht so: Diese Grundlagenforschung steht nicht auf ihrer Agenda, sondern davon sind sie inzwischen meilenweit entfernt. Sie wissen über das erkenntniswissenschaftliche Verhältnis Witzenmanns zu Steiner nichts Belastbares, obwohl das die unerlässliche Voraussetzung nicht nur für eine seriöse Steinervertretung durch Witzenmanns Steinerdeutungen wäre, sondern vor allem für eine legitime und sachlich berechtigte Übersetzungsförderung. Wo diese sachliche Berechtigung nur auf einem geklärten Verhältnis zwischen Witzenmann und Steiner basieren kann. Dazu nämlich müssten sie Steiners philosophisch-naturforschende und frühe idealistische Programmatik erst einmal selbst in Augenschein nehmen, um einen soliden Vergleich mit dem anzustellen, was davon bei Herbert Witzenmann überhaupt haften geblieben ist, und was dieser dann gegebenenfalls daraus geformt hat. Wo aber statt dessen Wagemann (auf S. L f seiner Übersetzung) lediglich mit dem Fazit und der Absichtserklärung aufwartet: „However, a comprehensive comparison of Witzenmann’s approach with Steiner would go beyond the scope of this introduction and hence remains one of the research desiderata of the future.“ - Auf deutsch: „Ein umfassender Vergleich des Ansatzes von Witzenmann und Steiner würde jedoch den Rahmen dieser Einführung sprengen und bleibt daher ein Forschungsdesiderat für die Zukunft.“ So ein Vergleich sprengt nicht nur im vorliegenden Fall den Rahmen seiner Einführung, sondern ist bei den Witzenmannanhängern auch sonst nirgendwo ernsthaft vorhanden und auch nicht ernsthaft in Sicht, sonst hätte man in den zurückliegenden Jahrzehnten etwas davon bemerkt. Und selbst Hartmut Traub schrieb bereits 2011 im Vorwort seines umfangreichen Buches von der weitestgehenden Leere innerhalb eines Forschungskolloquiums über Steiners Grundlagen an der Alanushochschule. Darüber auch, daß da zum Terminus «seelische Beobachtung» nichts zu hören war. Was letztlich Anlass für ihn war, sich eigenständig kritisch mit Steiners Anthroposophie, genauer: mit den erkenntnistheoretischen Frühschriften Steiners auseinanderzusetzen. (Siehe ausführlicher dazu hier, S. 371 bis 375). Der Anhang Witzenmanns, und offensichtlich nicht nur der war davon, mit Steiners Grundlagen und der «seelischen Beobachtung» schon vor annähernd 15 Jahren völlig überfordert und ist es heutzutage nach wie vor, wie wir von Wagemann hören. Es war vermutlich auch noch nie ernstlich beabsichtigt, sich damit zu befassen. Das seit inzwischen weit mehr als einem halben Jahrhundert, wenn man Witzenmanns Schaffen seit 1948 ins Auge fasst. Während die Strukturphänomenologie (Erscheinungsjahr 1983) erst seit reichlich 40 Jahren, und gewissermassen als wissenschaftstheoretisches Substrat all dieser Arbeiten existiert. Aufklärung über die sachliche Verbindung zu Steiner bleibt trotz ihrer langjährigen Existenz für den Witzenmannvertreter Wagemann gleichwohl nicht mehr als ein Forschungsdesiderat für die (laue) Zukunft. Zwischen Hartmut Traubs Zustandsbericht von 2011 und Wagemanns Absichtserklärung von 2022 hat sich wenig bewegt: Null Verständnis, Null Interesse, und nach über 40 Jahren leere Sonntagsversprechungen allenthalben bei den Witzenmannvertretern mit ihrem hoch dubiosen Konkurrenzunternehmen zu Steiners Anthroposophie! Nichts anderes nämlich scheint mir das zu sein: Nichts anderes als lediglich einen abstrusen weltanschaulichen knock-out-Rivalen zur Anthroposophie und ihrer wissenschaftlichen Begründung innerhalb der anthroposophischen Bewegung präsentieren Witzenmanns Anhänger bislang. Etwas anderes ist derzeit auch gar nicht abzusehen, sondern es wird in einer akademischen Floskel nur vage dahingehend angedeutet, daß es vielleicht auch noch etwas mehr werden könnte. - Flankierende Ankündigungen ohne jede Einlösungsgarantie, wie sie auch in der Politik gebräuchlich sind. Alles wieder einmal auf den St. Nimmerleinstag ausgelagert, als gäbe es dafür Zeit ohne Ende. Die Forschungsprioritäten sind hier ordentlich gegliedert. Wie in Wagemanns Witzenmann-Dissertation von 2010 schon, wo nicht einmal ein eigenständiges Kapitel über Steiner zu finden war – so unwichtig war ihm dieser. Oder klar gesagt: Es besteht auf dieser Seite keinerlei Interesse an ernstzunehmender Steinerforschung, die Witzenmanns Verhältnis zu Steiner, speziell auch im Zusammenhang mit der behandelten Schrift, Strukturphänomenologie gründlich klärt. Sondern der Status der Dunkelheit, der allein bei dieser Schrift inzwischen schon seit annähernd 40 Jahren besteht, bleibt bewußt erhalten. Wie aber will man so etwas allen Ernstes einem anthroposophischen Publikum glaubwürdig präsentieren? Und vor solchen Hintergründen die von den Anthroposophen «großzügig» geförderte Übersetzung einer Schrift rechtfertigen, von der selbst ihre energischen Verfechter aus den anthroposophischen Reihen nicht einmal wissen, was sie mit Steiner überhaupt zu tun hat? Wo die Übersetzer, wie Wagemann freimütig bekennt, in manchen Fällen nicht einmal wissen, was in dieser Schrift Witzenmanns überhaupt drin steht. Derartige Verhaltensparadoxien mag verstehen wer will: In ganz unsinniger und aufwändiger Weise als angeblicher «Anthroposoph» eine «Bibel» der Witzenmanngemeinde in fremde Sprachen übersetzen (lassen), von der niemand weiß was sie mit der Anthroposophie und Steiners eigenen Grundlagen eigentlich zu schaffen hat!? Und wo man noch nicht einmal genau weiß, was darin steht. Gelinde gesagt ist das nicht nur ein unübersehbarer Fall von kognitiver Dissonanz und hochgradigem Wirklichkeitsverlust, sondern auch von fortgeschritten destruktiver anthroposophischer Dekadenz, wie man sie allenthalben jetzt auch auf allen anderen Feldern des kulturellen und sozialen Lebens feststellen kann. - Cancel Culture / geistige Substanzzerstörung auch innerhalb der anthroposophischen Bewegung. Das seit Jahrzehnten schon. - Wenn man sich nun Wagemanns Erläuterungen zu Witzenmanns Strukturphänomenologie ab S. 9 (1.2 The Basic Structure in the Light of Rudolf Steiner’s Epistemology) ansieht, dann wird man sehr schnell bemerken daß von Steiners Begriff der «reinen Erfahrung des Denkens» ebenso wenig zu hören ist wie bei Witzenmann schon. Obwohl Steiner auf diesem Begriff und der dadurch zum Ausdruck gebrachten Tatsache aufbaut, wie jeder Leser wissen sollte, der Steiners Grundlinien … schon einmal gelesen hat. Also nicht nur auf der «reinen Sinneserfahrung», sondern vornehmlich und in entscheidendem Maße doch auf dem der reinen Erfahrung des Denkens. Dieser Unterschied wird bei Wagemann weder thematisiert, noch etwa in ihren Konsequenzen weiter verfolgt. Obwohl Wagemann hier Witzenmanns sogenannte Grundstruktur angeblich im «Lichte der Steinerschen Erkenntniswissenschaft» betrachtet. In einem Lichte allerdings, das bei Wagemann gar nicht leuchtet, da die für Steiner entscheidenden Vergleichs-Komponenten weggelasen sind. Nicht nur das «rein erfahrene Denken» Steiners, sondern ebenso der «erlebte Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» im Denken und Erkennen, der sich bereits in Steiners Grundlinien … von 1886 findet, und darüber hinaus in den nachfolgenden Begründungsschriften. Das beides gehört unbedingt zu einem vergleichenden Kontrast mit Witzenmanns angeblichem «Erzeugungsproblem» und der «entscheidenden Schwierigkeit» aus der Strukturphänomenologie. Wenn das freilich ausnahmslos weggeblendet wird, so lässt sich da von «Licht» schlecht reden. Eher doch von «Finsternis», in die Wagemann dort seinen Leser hüllt. Denn alles das bleibt unerwähnt und wird gestrichen, was für Steiners Erkenntnistheorie zwecks Welterkenntnis absolut unerläßlich und fundamental ist. Was nicht nur die «reine Erfahrung» des Denkens betrifft, sondern ebenso den von Steiner in diesem Zusammenhang der Grundlinien … zum Ausdruck gebrachten «erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» beim rein erfahrenen Denken. Was dann, - man höre und staune, - bei Witzenmann resultierend aus seinen folgenreichen Auslassungen in der Strukturphänomenologie als «entscheidende Schwierigkeit» daherkommt, (in der Übersetzung: The Crucial Difficulty. The Problem of Generation), ohne Steiners diesbezügliche Ausführungen jemals gewürdigt zu haben. Das wie gesagt seit 1948 schon bei Witzenmann. Mit anderen Worten: Exakt an der entscheidenden Stelle von Steiners «erlebtem Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» im Denken und Erkennen platziert Witzenmann seine «entscheidende Schwierigkeit» und das «Erzeugungsproblem»! Es ist genau jenes Kausalitätsproblem, für das er von Steiner in sämtlichen Frühschriften die Lösung präsentiert bekommt, ohne sie jemals auch nur zu erwähnen, geschweige denn sie zu begreifen und entsprechend zu respektieren. Der Anhang Witzenmanns, in diesem Fall Wagemann, bemerkt das freilich nicht, was er da vorliegen hat. Aus einem leicht nachvollziehbaren Grund: Es interessiert ihn gar nicht und hat ihn auch noch nie ernsthaft interessiert, wie eigentlich diese Angelegenheit bei Steiner behandelt wird. - Steinerforschung nahe Null. Witzenmanns sogenannte «Grundstruktur» mit ihrem angeblichen «Erzeugungsproblem» und der «entscheidenden Schwierigkeit» existiert weder als Terminus noch als erkenntniswissenschaftliche Tatsache bei Steiner. Weit entfernt davon: Vielmehr ist sie der zentrale erkenntniswissenschaftliche Gegenpol zu Steiner. Und steht infolgedessen nur exemplarisch für Witzenmanns Zerstörung der erkenntniswissenschaftlichen Grundlagen Steiners. Aus lauter Unverstand und Gleichgültigkeit. Daran nun fesselt sich seit annähernd 40 Jahren der akademische Anhang Witzenmanns mit seinem Halo von verständnislosen akademischen Mitläufern und Seilschaftern, welche diesen Widersinn Witzenmanns mit einem riesigen Aufwand an Zeit- und Geldverschwendung jetzt auch noch ins Englische übertragen lassen. Darin vor allem liegt die ganze Tragik und der Widersinn dieses Irrweges: Wo Steiner das Kausalitätsproblem löst und die idealistischen Wege zur empirischen Geisterkenntnis über das erlebte aktive Denken etabliert, da wird von Witzenmann (und seinem Anhang) infolge ihrer Mißverständnisse und Aufklärungsunwilligkeit das Problem jetzt erst richtig installiert, festgezurrt, und mit ganz großem Tatam und als angeblicher Ersatz für Steiners Anthroposophie bzw deren Grundlagen in der ganzen Welt verbreitet. Der empirische Weg zum Geist wird damit so gründlich an seiner Schlüsselstelle blockiert und ins Gegenteil verkehrt, als sei das überhaupt das eigentliche Ziel des ganzen Manövers. Der Übersetzer Wagemann indessen weiß scheinbar nichts von alledem. Hat keinen Schimmer von dieser Lage. Woher auch? - Wie gesagt: Keinerlei Licht vorhanden bei seinem Beleuchtungsversuch. Eine siebzigjährige Totalblockade oder Vollbremsung in laufender Fahrt gewissermassen wegen Witzenmanns Studienblackout, seit genau genommen 1948. Denn so lange mindestens geht das bei Witzenmann schon in dessen Publikationen. Darüber wiederum zermartern sich seine Anhänger seit rund vier Jahrzehnten einschließlich Wagemann das Hirn, ebenfalls ohne jemals einen klärenden Blick in Steiners eigenes Werk zu werfen, wir wir es soeben wieder von Wagemann zu hören bekamen, der das irgendwann für die Zukunft vielleicht einmal in Aussicht stellt. Anthroposophische Realsatire wieder einmal. Man möchte sich biegen vor Lachen, wenn`s nicht so gruselig wäre. Womit man auch diese Kommentare der «Aufklärung» von Wagemann schon wieder schließen könnte. Was insofern eben bemerkenswert ist, als das Folgekapitel 2 auf S. 17 ff bei Wagemann betitelt ist: The Crucial Difficulty. The Problem of Generation. Und wenn wir das ins Deutsche übertragen, dann bedeutet das wie bei Witzenmanns deutscher Strukturphänomenologie schon: Die entscheidende Schwierigkeit. Das Problem der Erzeugung. Man kann gleichrangig sagen: «Das Problem der Kausalität.» «Das Problem der Verursachung». Oder wenn wir uns an Rudolf Steiner selbst halten: «Das Problem des Zusammenhangs von Wirkendem und Bewirktem.» Eine Spur, auf der Wagemann noch nie einen Millimeter mit dem Steinerverständnis voran gekommen ist. Es augenfällig auch noch nie gesichtet hat, und auch nur rein rhetorisch für die Zukunft in Aussicht stellt, sich überhaupt und vielleicht dereinst einmal damit beschäftigen zu wollen. - Ganz großes Gruseltheater wieder einmal auf der Witzenmann-Bühne aufgeführt. Witzenmann und seinem Schüler ist dieses Problem von Wirkendem und Bewirktem und seine Lösung bei Steiner offensichtlich noch nie begegnet, obwohl es sich ebenfalls schon in Steiners Grundlinien… behandelt und positiv gelöst findet. Und nicht nur dort. Und das nicht zu knapp. Hoch bedeutsam ist dabei auch, daß Steiner gleich nach dem Kant-Kapitel 14 in den Grundlinien … von 1886 im Rückblick auf die zurückliegenden Partien seiner Schrift auf S. 86 das Resümee zieht: „Wir erinnern uns, warum eigentlich das Denken in unmittelbarer Erfahrung bereits sein Wesen enthält. Weil wir innerhalb, nicht außerhalb jenes Prozesses stehen, der aus den einzelnen Gedankenelementen Gedankenverbindungen schafft. Dadurch ist uns nicht allein der vollendete Prozeß, das Bewirkte gegeben, sondern das Wirkende." Das erstreckt sich sachlich mit immer gleichem Resultat durch sämtliche Frühschriften Steiners bis hin zu Goethes Weltanschauung von 1897, wie wir schon dargetan haben. Von all dem, daß der Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem im rein erfahrenen Denken bereits vorliegt, und das bei Steiner seit 1886, ist aber weder bei Witzenmann jemals ein Wort erklungen, noch wird dieser Aspekt von Wagemann beleuchtet. Sondern dieser schreibt über Steiners diesbezügliche Auffassung nichts, sondern bemerkt lediglich auf S. 21: „The question of the relationship between process and result is ancient. It has been part of a diligent and veracious endeavor since this endeavor freed itself from lethargic and timid acquiescence and took up the questions of being and becoming. The problems of duration on the one hand, and coming to be and passing away on the other are of general scientific interest. It would greatly exceed the scope of this treatise to explore them in their many ramifications. ... Rather, within the confines of the inquiry undertaken here, the question of generation and emergence shall be pursued in the interconnection of the formation of structure, observation, and objectivity. It will become apparent that this particular observation will shed light on a much larger area.“ - Auf deutsch sinngemäß: «Die Frage nach dem Verhältnis von Prozess und Ergebnis [Wirkendem und Bewirktem, MM] ist uralt. Sie ist Teil eines emsigen und gewissenhaften Bemühens, seit sich dieses Bemühen aus der lethargischen und ängstlichen Duldung befreit und die Fragen des Seins und des Werdens aufgegriffen hat. Die Probleme der Dauer auf der einen Seite und des Werdens und Vergehens auf der anderen Seite sind von allgemeinem wissenschaftlichen Interesse. Es würde den Rahmen dieser Abhandlung bei weitem sprengen, sie in ihren zahlreichen Verästelungen zu erforschen. ... Vielmehr soll im Rahmen der hier unternommenen Untersuchung die Frage der Entstehung und des Entstehens in der Verbindung von Strukturbildung, Beobachtung und Objektivität verfolgt werden. Es wird sich zeigen, dass diese spezielle Beobachtung ein viel größeres Gebiet beleuchten wird.» - Wie gesagt: Akademische Phrasendrescherei und rhetorisch verpacktes Gruseltheater. Nur leeres Gerede und akademische Schaumschlägerei bei einem Vertreter Witzenmanns und angeblich auch Steiners. Wenn man nun verständlicherweise das Problem ad hoc und in einer Einleitung nicht in sämtlichen Verästelungen verfolgen kann, so wäre es doch gerade in diesem Kommentar-Zusammenhang außerordentlich hilfreich gewesen, sich wenigstens Rudolf Steiner dazu einmal anzuhören, wo es von Anbeginn an thematisiert und auch positiv beantwortet wurde. Nämlich bereits in den Grundlinien … von 1886. Wo es ja im Kapitel 14 sogar mit Blick auf Kant noch einmal ausdrücklich kausalitätsphilosophisch akzentuiert ist. Bei Witzenmann und seinem Schüler herrscht da gähnende Leere. Tabula rasa. Die ganz basalen, einfachsten und allerwichtigsten Sachverhalte in Steiners Schrifttum wurden von beiden vollständig ignoriert. Noch einmal: Es gibt also gar kein «Licht der Steinerschen Erkenntnistheorie», mit dem Wagemann im genannten Kapitel The Basic Structure in the Light of Rudolf Steiner’s Epistemology Witzenmanns Strukturphänomenologie beleuchtet. Sondern da herrscht bei Wagemann weitgehende Finsternis. Allertiefste Finsternis bezüglich Steiner und ganz speziell in der Frage des erlebten Zusammenhangs von Wirkendem und Bewirktem. Wenn man die Angelegenheit etwas analytischer betrachtet, dann läßt sich auch leicht erkennen, warum das so ist. Es ist Witzenmann in all diesen Jahren nie gelungen das Beobachtungsproblem des Denkens zu lösen und Steiners diesbezügliche Gedankengänge zu verstehen, so daß er wie Steiner zwischen der reinen Erfahrung und der erkennenden Beobachtung des Denkens unterscheiden könnte. Was ja durchgängig bei Steiners frühem Schrifttum der Fall ist. Die Folge dieses Unterscheidungsmangels ist ein «Erzeugungsproblem» bei Witzenmann, weil er zwangsläufig auf den «erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem» nicht mehr stößt, von dem fortwährend in Steiners grundlegenden Schriften die Rede ist. Und mit diesem seit 1948 anhaltenden Verständnisblackout Witzenmanns war dann auch Ende der Vorstellung in seiner Strukturphänomenologie der 1980er Jahre. Und ist es bei seinem Schüler Wagemann heute (2022), rund 40 Jahre nach der Strukturphänomenologie noch ganz genau so. Das darf man wohl mit Blick auf das Kernanliegen Steiners einen nachhaltigen Grad an verblindender Wirksamkeit Witzenmanns bei einem in anthroposophischen Kreisen inzwischen namhaften Akademiker der Alanushochschule nennen. So daß man bei Wagemanns Übersetzung auch gut von einer «Doppelblindstudie» sprechen könnte: Der Übersetzer und Kommentator (Wagemann) weiß nichts über Steiners komplementärwissenschaftliches Kernanliegen, dessen allerwichtigste Beobachtung und den erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem, denn der Übersetzte (Witzenmann) wußte ebenso wenig darüber. Man kann sich weiter dazu anhören, was Wagemann auf S. 18 mit Witzenmann sagt: Self-giving. Temporalization. Depresentification. (Sinngemäß auf deutsch) „Selbstgebung. Temporalisierung. Entgegenwärtigung. [Bei Witzenmann im Kap. «Die entscheidende Schwierigkeit», Selbstgebung, Zeitigung, Entgegenwärtigung, MM ] ... Wer den generativen Charakter der Grundstruktur kennt, ist sich eines Problems bewußt, das sich auch im Hinblick auf das Denken, also die Begriffsbildung, stellt. Das Hervorgebrachte (sei es die Grundstruktur oder das Denken selbst) kann erst dann als solches beobachtet werden, wenn es hervorgebracht wurde. Mit dieser scheinbar harmlosen Prämisse sind erhebliche Schwierigkeiten verbunden, die tiefgreifende und weitreichende Untersuchungen auslösen können.“ - Das ist nun O-Ton Witzenmann aus der Strukturphänomenologie. - Frage: Wo bleibt da Steiners reine Erfahrung des Denkens? Und noch einmal: Wo bleibt Steiners erlebter Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem in der reinen Erfahrung des Denkens? - Wagemann als Übersetzer und Kommentierer präsentiert hier lediglich, was für Witzenmann aus der Tatsache seines missverstandenen Steinerschen Beobachtungsbegriffes und dem der Unbeobachtbarkeit folgt. Und mehr als Witzenmann fällt seinem Übersetzer wegen insuffizienter Steiner-Forschung auch nicht dazu ein. Wie gesagt ist das Witzenmanns Sicht der Dinge, die dort dargelegt wird. Der dabei ganz übersehen hat, daß das Denken eben nicht nur beobachtet, sondern auch unmittelbar erfahren wird, und infolge seiner Nachlässigkeit lediglich auf dem Begriff der «Beobachtung» aufbaut. Dabei zwangsläufig übersieht, daß bei Steiner Wirkendes und Bewirktes bereits in ihrem Zusammenhang bei der unmittelbar erlebten Erfahrung des Denkens vorliegen. Und auch dann noch, wenn vergangenes Denken beobachtet wird. Weil er nämlich den mit dem Denken wesensgleichen, begreifenden Beobachtungsprozess ebenfalls unmittelbar als reine Erfahrung erlebt: „Wenn ich aber mein Denken betrachte, so ist kein solches unberücksichtigtes Element vorhanden. Denn was jetzt im Hintergrunde schwebt, ist selbst wieder nur das Denken. Der beobachtete Gegenstand ist qualitativ derselbe wie die Tätigkeit, die sich auf ihn richtet. Und das ist wieder eine charakteristische Eigentümlichkeit des Denkens. Wenn wir es zum Betrachtungsobjekt machen, sehen wir uns nicht gezwungen, dies mit Hilfe eines Qualitativ-Verschiedenen zu tun, sondern wir können in demselben Element verbleiben.“ (GA-4, Kap. III, hier S. 30.) Anders gesagt, wenn der Erkennende sein eigenes Denken erkennend betrachtet (beobachtet), dann hat er es selbstverständlich ebenfalls mit einem erlebten Zusammenhang von Wirkendem und Bewirktem zu tun: Mit der eigenen unmittelbar erlebten erkennenden Denkaktivität, + jenen Erfahrungen des Denkens, die er in Erkenntnisabsicht denkend betrachte, + die in der Folge dieser erkennenden Aktivität sich ergebenden Erkenntnisresultate als das Bewirkte seiner Erkenntnisbemühungen. Oder wie es in der Philosophie der Freiheit (eingangs Kap. IX) dazu heißt: weil Wahrnehmung und Begriff dort zusammen fallen. „Im Betrachten des Denkens selbst fallen in eines zusammen, was sonst immer getrennt auftreten muß: Begriff und Wahrnehmung.“ Seine eigene aktuelle, erkennende Denktätigkeit fällt laut Steiner bei der Beobachtung des Denkens nicht etwa durch den Rost ins Unbewusste, sondern bleibt, wenn auch nicht beobachtbar, so doch beständig wahrnehmbar! Während sie bei Witzenmann wegen der missverstandenen «Unbeobachtbarkeit des gegenwärtigen Denens» wirklich verloren geht und angeblich unbewusst bleibt. Woraus dann Witzenmanns «Erzeugungsproblem» inklusive seiner «erkenntnistheoretischen Grundfrage» wird, «wie Unbeobachtbares zur Erinnerung werden kann». Nebst dem ganzen Rest an «erinnerungstheoretischer Fundamentalwissenschaft der Erkenntnistheorie». Steiners Unterscheidung zwischen «Wahrnehmung des Denkens» und seiner «erkennenden Beobachtung» wurde bei Witzenmann irrtümlicherweise nie bemerkt und getroffen. Und auf diesem zweifelhaften Boden von Fehlinterpretation ist auch seine Strukturphänomenologie gewachsen. Ich will es hier nicht nur bei theoretischen Interpretationsfragen belassen, sondern wir können dazu auch ganz konkret werden. Zur faktischen Überprüfung dessen muss der Leser ja nur an seine vergangenen Denkerfahrungen Fragen richten und darüber nachdenken. Dann wird er ja sehen, ob er seine eigene Denkaktivität bei der Beantwortung dieser Fragen an das Denken erlebt oder nicht. Der Überprüfungsversuch ist also höchst einfach. - Während bei Witzenmann nur vergangenes Denken «beobachtet» wird, und die dabei erlebte (wahrgenommene) Gegenwart der eigenen erkennenden Denktätigkeit / Beobachtungstätigkeit wegen seinem Missverständnis und unzureichender Steinerforschung ausgeblendet bleibt. Das «Wirkende» folglich nie erreicht wird. Woraus Witzenmann dann sein «Erzeugungsproblem» mit allem Nachfolgendem konstruierte. Womit er in der üblichen irrealen Hypothesenphilosophie stecken blieb, die «an die Sache nie herankommt», wie Steiner im Kapitel 14 der Grundlinien … gegenüber Kant kritisch darlegte. Witzenmann (und seinen Schülern) geht es mit Witzenmanns «Erzeugungsproblem» ganz genau so wie Kant. Das, um es noch einmal herauszustreichen, unverändert seit mindestens 1948. Da Witzenmann zudem die akademisch orientierten Anthroposophen mit seiner Sichtweise in besonderer Weise und mit Vorrang ansprach, sind inzwischen ganze Generationen von akademisch gebildeten Anthroposophen in dieser Weise verblindet und daran gehindert worden, die maßgeblichen Gedankengänge Steiners überhaupt zu verstehen. Dies umso mehr, je weniger sie sich um das Studium von Steiners eigenen Begründungsschriften bemühten, da sie ja die bereits vorgefertigte «Alternative» Witzenmann zur Hand hatten, die ihnen alles Denken und eigene Untersuchen von Steiners Begründungen abnahm. So daß sie sich Jahrzehnte lang um Steiners eigenes Begründungswerk und dessen Verhältnis zu Witzenmann nie kümmerten, und das überhaupt erst für die Zukunft vage in Aussicht stellen, wie wir von Wagemann hörten. Wie gesagt: ein einzigartiges Desaster in der anthroposophischen Bewegung, das inzwischen seit annähernd siebzig Jahren anhält. - Damit wiederum könnte man die erkenntnistheoretische Akte «Witzenmann» und dessen Verhältnis zur Erkenntniswissenschaft Steiners eigentlich schließen. Denn sein Übersetzer und Kommentator Wagemann registriert Steiners entscheidende Differenz zu Witzenmann in diesem Punkt ebenfalls nicht. Bemerkt nicht Steiners Lösungsweg zum Kausalitätsproblem, das sich in sämtlichen Frühschriften Steiners leicht finden läßt. Das Problem von Wirkendem und Bewirktem, das Grundproblem Kants und Humes; eine Problemstellung, die sich wie gesagt, durch sämtliche Frühschriften Steiners erstreckt, und dort auf dem Wege der Akt-Psychologie ganz anders beantwortet wird als bei Witzenmann oder Kant. Dieses Problem wird in der Lösungs-Variante Steiners schlicht und ergreifend von Wagemann und Witzenmann nicht behandelt. Unter solchen Umständen ist leicht zu verstehen, daß Steiners «allerwichtigste Beobachtung, die der Mensch machen kann», schlußendlich bei Witzenmann aus schierer Ignoranz und Verständnislosigkeit zur «entscheidenden Schwierigkeit des Erzeugungsproblems» mutierte, weil er nichts von dem begriff, geschweige denn überhaupt wahrgenommen hat, was Steiner dazu schrieb. Was sein Schüler Wagemann, bei dem es bislang nicht besser aussieht, ebenso wenig bemerkte wie Witzenmann selbst. Wenn Wagemann in seinen einleitenden Bemerkungen behauptet, daß Witzenmann Steiner «weiter entwickelt» habe, so bleibt das also nur eine substanzlose Behauptung. Nichts als heiße Luft aus der Akademie. Eine leere Phrase, die zudem nicht überzeugender wird, indem man sie beliebig oft wiederholt. Denn eine Weiterentwicklung Steiners könnte man gegebenenfalls doch nur jemandem zuerkennen, der Steiners begründendes Anliegen überhaupt adaequat erfaßt hat. Denn nur darauf ist der Ausdruck «Weiterentwicklung Steiners» legitim anwendbar. Und dazu wiederum muß man erst einmal Steiner selbst hinreichend kennen, wenn man sich ein berechtigtes Urteil dazu bilden will. Mit Steiner aber will sich Wagemann vielleicht in ferner Zukunft einmal beschäftigen: „However, a comprehensive comparison of Witzenmann’s approach with Steiner would go beyond the scope of this introduction and hence remains one of the research desiderata of the future.“ (Wagemann S. L f) - Ein «Forschungsdesiderat für die Zukunft». Er weiß es also selbst nicht, was Witzenmann mit Steiner überhaupt zu schaffen hat, weil er Steiner kaum kennt. So viel zu Wagemanns «Substanz der Weiterentwicklung» von Steiner. Was man bereits Wagemanns Dissertation über Witzenmann, Gehirn und menschliches Bewusstsein, von 2010 ablesen konnte, die noch nicht einmal ein eigenständiges Kapitel über Steiner enthielt, da sie ja ausdrücklich Witzenmann gewidmet war und nicht Steiner. Gleichwohl wird in vorauseilender Gewißheit schon einmal ohne jede Urteilsgrundlage behauptet, daß Witzenmann Steiner «weiterentwickelt» habe. Akademische Sprechblasen und Rosstäuschereien, und weiter nichts. Das alles ist also nicht ernst zu nehmen, sondern die philosophische Realsatire bei angeblichen «Anthroposophen» aus dem Umfeld Witzenmanns nimmt kein Ende. Denn derart unbegründete philosophische Verheißungen von Steiners Weiterentwicklung durch Witzenmann predigen Witzenmanns Anhänger seit Jahrzehnten schon, ohne dem Verständnis Steiners bis heute jemals ernsthaft nachgegangen zu sein. Wie wir es von Wagemann neuerlich und ganz explizit bestätigt bekommen. Nach allem, was wir also sehen, ist von Steiners Intentionen kaum etwas bei Witzenmann und seinem Schüler Wagemann verstanden worden, sondern wenn, dann überwiegend nur Zerrbilder, die sich schlechterdings nicht als Weiterentwicklung qualifizieren lassen, sondern lediglich als fundamentale Destruktion. Das gilt ganz besonders für Steiners «allerwichtigste Beobachtung, die der Mensch machen kann», vom dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit, aus der Witzenmann in seinem Unverstand in der Strukturphänomenologie ein «Erzeugungsproblem» und die «entscheidende Schwierigkeit» formte: Philosophischer Interpretations-Zinnober und verständnisloses gedankliches Gerümpel in Gestalt eines Kausalitäts- und Erzeugungsproblems dort, wo Steiner dessen Lösung anhand des erlebten Zusammenhangs von Wirkendem und Bewirktem in sämtlichen Frühschriften unmißverständlich darlegte. So sieht im wesentlichen die angebliche «Weiterentwicklung» Steiners durch Witzenmann aus. Sie fährt ihn in voller Fahrt vor die Wand. Indem sie vor Steiners Anthroposophen ein skeptizistisches Kausalitätsproblem nach Art Kants und Humes auftürmt, dessen Lösung Steiner bereits 1886 vorgelegt hatte. - Wo Witzenmanns Anhänger bei alledem aber regelmäßig über Generationen nach Art von Schülern wie Savoldelli, Schieren und Wagemann quasi ein Witzenmann-Jodeldiplom vorlegen, weil sie glauben, damit etwas Eigenes zu haben. Und nur nicht wissen, was das sachlich alles mit Steiner und seiner Erkenntniswissenschaft zu tun hat. - Nämlich substantiell und abgesehen von verfehlten Interpretationen fast so gut wie nichts. (Siehe Wagemann auch hier.) Das Wenige, was Wagemann aus Steiners Fundus mit Recht anzubieten hat, sind Teile aus dem Begriffsverständnis Steiners, dahingehend, daß Begriffe keinen Abbildcharakter haben, dergestalt, daß man sie als quasi photographische Spiegelungen der Sinneswirklichkeit betrachten könnte. Weiter ist ihm auch darin zuzustimmen, wenn er (S. xviii) ausführt, daß es keine theorie- oder begriffsfrei Beobachtung gäbe. Was sich insofern von selbst versteht, bei einer erkennenden Beobachtung, die ganz generell auf reine Erfahrungstatsachen Begriffe anwendet, die nicht wiederum aus den Wahrnehmungen, sondern nur aus der Intuition stammen können. Und natürlich auch auf das rein erfahrene Denken Begriffe anwenden muß, um es zu begreifen. Und sich dazu wiederum vergleichend und unterscheidend dem rein Erfahrenen mit Begriffen nähern muss, die es gilt weiter abzuklären und gegebenenfall zu korrigieren, wie es bei Karl Bühler geradezu mustergültig der Fall war. Der sich über weite Strecken mit der vorherrschenden Assoziationspsychologie seiner Zeit kritisch auseinandersetzte. Folglich gehört das begriffliche Element nicht nur bei jeglicher reinen Erfahrung, sondern speziell auch bei der reinen Erfahrung des Denkens beim erkennenden beobachtenden / Begreifen des Denkens dazu. Denn ohne Begriffe kein Begreifen, das gilt ganz generell. Das «rein erfahrene» Denken als solches hingegen ist theoretisch noch nicht befrachtet und kann es auch nicht sein. Oder um mit Steiner Philosophie der Freiheit Kap V zu sprechen: «Es können sich keine Vorstellungen – sprich individualisierte Begriffe – in meine unmittelbare Wahrnehmung dieses rein erfahrenen Denkens schieben». Was sich wohl bei der äusseren Wahrnehmung als Vorstellung bereits vor die Wahrnehmung legen und sie dadurch theoretisch befrachten kann, das ist bei der reinen Erfahrung des Denkens nicht möglich. Bei der Beobachtung des Denkens nimmt sich das theoretische Befrachtungsproblem insofern etwas speziell aus, nicht nur, weil ich 1) ja im selben Element des Denkens verbleibe, und gegebenenfalls reine Begriffe, die mir als geistige Wahrnehmungen vorliegen, wiederum mit deskriptiven (reinen) Begriffen beschreibe, die ihrerseits wiederum nur aus diesem geistigen Element genommen sind. Oder ganz allgemein das erlebte Denken mit Begriffen beschreibe, die nur aus diesem Denken genommen werden können. Worauf bei Steiner die Selbsterklärungsfähigkeit des Denkens ruht. - Aber nicht nur deswegen, sondern 2) auch, weil ich das rein erfahrene Denken in seiner reinen Erfahrungsform grundsätzlich nicht theoretisch befrachten kann, was bei äusseren Sinneswahrnehmungen wie gesagt möglich ist. Beim Denken hingegen nicht. Weswegen bei Steiner auch der naive Realismus bei der Erkenntnis des Denkens, - und nur dort, - auch zugelassen ist, wie er im Kapitel V der Philosophie der Freiheit schreibt. In der GA-04, Dornach 1995 auf S. 101 ff: „Dem Denken gegenüber kann der Mensch auf dem naiven Wirklichkeitsstandpunkt verbleiben. Tut er es nicht, so geschieht das nur deshalb, weil er bemerkt hat, daß er für anderes diesen Standpunkt verlassen muß, aber nicht gewahr wird, daß die so gewonnene Einsicht nicht anwendbar auf das Denken ist. Wird er dies gewahr, dann eröffnet er sich den Zugang zu der anderen Einsicht, daß im Denken und durch das Denken dasjenige erkannt werden muß, wofür sich der Mensch blind zu machen scheint, indem er zwischen der Welt und sich das Vorstellungsleben einschieben muß.“ (S. 103) Was Wagemann nun völlig übersehen hat, ist die «reine Erfahrung» eines Sachverhalts. Und das gilt im allerhöchsten Maße für das Denken selbst, das im Moment seiner unmittelbaren, bloßen Erfahrung grundsätzlich theoretisch nicht befrachtet werden kann. Worauf Steiner in der Philosophie der Freiheit (hier, Kap. V, S. 71 f) wie gesagt eigens noch einmal hinweist. Diese reine Erfahrung des Denkens wiederum ist in sich zusammenhängend und klar gegliedert – und zwar nicht nur in begrifflicher Hinsicht, sondern auch nach der Beziehung von Wirkendem und Bewirktem. Ganz ohne jede Denktheorie, die erst nach dieser reinen Erfahrung darauf angewendet werden kann. Alles schon im Kapitel 8 und nachfolgenden in Steiners Grundlinien … nachzulesen. Oder in unmissverständlicher Deutlichkeit in Wahrheit und Wissenschaft, Kapitel Vier (hier S. 37): „Wir müssen uns vollständig klar darüber sein, daß wir dieses Hervorbringen in aller Unmittelbarkeit wieder gegeben haben müssen. Es dürfen nicht etwa Schlußfolgerungen nötig sein, um dasselbe zu erkennen.“ Auch das ist ein Fund Steiners, der Witzenmann und seinen Schülern offensichtlich völlig fremd und fern geblieben ist. Der ganze prominente Witzenmann-Kader weiß schlechterdings nichts über solche Zusammenhänge und Ansichten bei Steiner. Und die reine Erfahrung des Denkens scheint Wagemann demgemäß so wenig zu interessieren wie Witzenmann schon. Erst recht nicht in dessen Strukturphänomenologie. Von Steiners innerem Naturforschungsanliegen respektive induktivem Idealismus ist Wagemann zusammen mit Witzenmann Lichtjahre entfernt. Das liegt dort noch vollständig hinter dem Wahrnehmungs-Horizont ihres inneren Universums. Obwohl das Kausalitätsproblem, wie man sieht, selbst bei ihnen bereits als «entscheidende Schwierigkeit» hinter diesem Horizont bedrohlich wetterleuchtet. Als geläufiges Nachleuchten eines Jahrhunderte alten Problems der empirischen Wissenschaft, mit dem Witzenmann dann in all seinem Unverstand auch noch Steiners Grundlagen unzugänglich machte und bei seinen Anhängern dauerhaft in Gestalt eines angeblichen Erzeugungsproblems verriegelte. Ohne zu bemerken, dass und wie Steiner dieses Problem Kants und Humes löst. Eine von Wagemann ebenfalls gar nicht erst bemerkte Tatsache, wenn man sich Wagemanns Auslassungen dazu von S. 21 seiner Witzenmannübersetzung zu Gemüte führt. Denn was bei Wagemann ebenso wie bei Witzenmann nicht einmal von ferne glimmt, ist Steiners ständig wiederholte und über sämtliche Frühschriften sich erstreckende empirische Lösung dieses Kausalitätsproblems von Hume und Kant. Was also soll man weiter dazu sagen, wenn Johannes Wagemann in seiner Einführung auf S. XIV davon spricht, daß Witzenmanns Wurzeln nicht auf Husserl, sondern auf auf Steiners Goetheforschung zurückgehen? Aber nichts darüber zu berichten vermag, daß Steiner an Goethe zwar anknüpft, aber, - ganz abgesehen davon, daß er sich in der Schrift Wahrheit und Wissenschaft am Schluß der Vorrede ( |