Studien zur Anthroposophie Michael Muschalle Michael Muschalle Einige Bemerkungen zu Walter Johannes Stein, Karl Bühler und zur Frage der Erinnerbarkeit von Werdeprozessen des Denkens. (Stand 06. 10. 17 ; auf der Titelseite aktualisiert am 17. 09.23) * "... das wirklich Geistige beginnt überall da, wo wir uns von den Assoziationen durch innerliche Aktivität unabhängig machen." (Rudolf Steiner, GA-067, Dornach 1962, S. 64. Vortr. 07.02.1918) * Literaturhinweis zu diesem Aufsatz: Thomas Meyer (Hgr), Walter Johannes Stein - Rudolf Steiner. Dokumentation eines wegweisenden Zusammenwirkens. Dornach 1985. Hier als PDF die 1921 erweiterte / überarbeitete Originalfassung der Dissertation von Walter Johannes Stein unter dem Titel: Die moderne naturwissenschaftliche Vorstellungsart und die Weltanschauung Goethes, wie sie Rudolf Steiner vertritt. Der ursprüngliche Titel der Dissertation lautete: «Historisch-kritische Beiträge zur Entwickelung der neueren Philosophie» I. Für die Rezeptionsgeschichte der Philosophie der Freiheit und insbesondere für die Frage nach der Beobachtung des gegenwärtigen Denkens ist Walter Johannes Stein sicherlich von besonderem Interesse. Dies aus zwei Gründen: - Er schrieb zu Steiners Weltanschauung nicht nur die erste Dissertation aus der Reihe der Anhänger der Anthroposophie, sondern handelte auch im Auftrag und unter direkter Beteiligung Rudolf Steiners. (Meyer, a.a.O. S. 18 f) - In dieser "Erkenntnistheorie der spirituellen Erkenntnis" spielt die Beobachtung des aktuellen Denkens eine ganz herausragende Rolle, weswegen die spezielle Art des Verständnisses und Steins Zugang zu diesem Verstehen ein besonderes Augenmerk verdient. Bei Walter Johannes Stein, so möchte ich meinen, wird exemplarisch sichtbar, welche Klippen sich vor einem Bearbeiter der Philosophie der Freiheit auftürmen, wenn er auf ihrer Grundlage der Frage eines Erfahrungszuganges zum gegenwärtigen Denken nachgeht. Sind sie schon für den Leser der Zweitauflage außerordentlich hoch, obwohl Steiner dort durch verschiedene Zusätze sichtlich um Klärung und Präzisierung bemüht war, so scheinen sie bei der ersten Ausgabe von 1894 geradezu unüberwindlich, wo hilfreiche und erläuternde Ergänzungen fehlen. Man muß dieser Schwierigkeiten eingedenk sein und im Geiste die eigenen Bemühungen vielleicht noch einmal mit der Erstauflage durchspielend sich fragen, zu welchen Resultaten man wohl selbst unter diesen Umständen gekommen wäre, will man Steins Ansatz mit Einfühlung und Verständnis beurteilen. Von den äußeren Umständen, unter denen er als Kriegsfreiwilliger des ersten Weltkrieges seine Studien über weite Strecken betrieb, einmal ganz abgesehen. Die erkenntnis- und denkpsychologischen Implikationen der Philosophie der Freiheit erschließen sich nur mit großer Mühe und bisweilen gar nicht, so daß selbst ein mittelbarer oder direkter persönlicher Sachkontakt zu Steiner diese Erschwernis nicht aufzuwiegen vermag. Abhilfe hätte wohl nur bringen können, wenn Steiner aus jedem Kapitel ein ganzes Buch gemacht hätte, wie sich Rosa Mayreder einmal ihm gegenüber geäußert hat. Diese Vorstellung jedenfalls kann man gewinnen, wenn man Steins Dissertation durchgeht nebst verschiedenen Materialien, die der Herausgeber Thomas Meyer ihr beigefügt hat. Die Thematik wäre es wert ihr einen längeren Beitrag zu widmen. Aus Zeitgründen muß ich mich hier auf ganz wenige zentrale Aspekte beschränken und werde dabei meine Reflexionen auch auf einige Kommentare von Thomas Meyer ausdehnen, die mir viel zu wertvoll und wichtig erscheinen, als daß man sie links liegen lassen könnte. Wie man überhaupt seinem Buch nur wünschen kann, daß es endlich so viele Leser finde wie ihm seiner Bedeutung nach zukommen. (Mein herzlicher Dank geht an dieser Stelle an Karsten Buß und Christoph Mahler, die mich beide sehr entschieden und sachbezogen auf dieses Buch hingewiesen haben.) Was bei Stein vor allem ins Auge springt, ist, daß er offensichtlich keine hinreichende Klarheit erreicht hat über den Unterschied zwischen der Beobachtung des gegenwärtigen Denkens und seinem Erleben oder Erfahren. Nicht nur sein in mancher Hinsicht unklarer und inkonsequenter diesbezüglicher Sprachgebrauch legt diese Vermutung nahe, sondern auch der Umstand, daß es in seiner Arbeit keinen einzigen expliziten textanalytischen Versuch gibt, eine Erhellung des Verhältnisses von Erfahrung und Beobachtung des gegenwärtigen Denkens anhand des dritten Kapitels (in der Erstausgabe war es das vierte) voranzutreiben. Eine Klärung, um die sich sein Herausgeber mit sichtbaren Erfolgen in seinen Kommentaren bemüht hat. Diese Textanalyse hätte Stein vielleicht in ähnlichem Maße wie nachfolgend bei Thomas Meyer geschehen, aus rein logischen Erwägungen heraus darauf bringen können, daß es auf der Ebene der Philosophie der Freiheit zwar keine Beobachtung, wohl aber ein Erleben des aktuellen Denkens gibt. Notwendigerweise geben muß, wenn diese Schrift nicht dem Vorwurf ausgesetzt sein soll, überhaupt keine empirische, sondern lediglich eine spekulativ-metaphysische Grundlegung der Anthroposophie zu sein. In einem Brief an Rudolf Steiner vom 09. Mai 1917 skizziert W. J. Stein einen bisherigen Ertrag der Studien zu seiner Dissertation und schreibt dort unter anderem, der Standpunkt der Philosophie der Freiheit sei der des Denkens über das Denken. Während der Standpunkt der Rätsel der Philosophie das unmittelbare Erleben der Denktätigkeit sei. (Siehe Meyer a.a.O., S. 67 f.) Weiter (S. 68) fährt Stein fort: "Das <cogito, ergo sum> ist falsch. Denn durch das Denken wird das Denken immer erst nachträglich erfaßt. Also kann man nicht schließen ergo sum - sondern höchstens, daß man eben war. Als ein bloß Gewesenes erfaßt sich der Denker. Der Kampf um den Augenblick, das ist es, worauf es beim Denken ankommt, und das schildert Goethe im <Faust>. Dadurch, daß man sich eben beim Denken zuschaut, spaltet man sich in zwei Bewußtseine (was die <Philosophie d. Freiheit> noch vermeidet)." Steins Bewertung des cogito, ergo sum ergibt hier durchaus einen Sinn, wenn man mit ihm der Auffassung ist, nur über das Bedenken des Denkens thematisiere die Philosophie der Freiheit den Zugang zum Denken, so, wie er es vorangehend kennzeichnet. Daß Steiners Schrift möglicherweise längst das bewußte Erleben des gegenwärtigen Denkens impliziert, und sein Urteil über das cogito dann nicht mehr ganz so widerspruchslos auf die Verhältnisse paßt, dieser Gedanke liegt Stein hier sichtlich fern. Diese Verkennung der erkenntnispsychologischen Sachlage in der Philosophie der Freiheit bleibt nicht nur auf seine Vorarbeiten beschränkt, sondern findet sich auch in der Dissertation selbst. So schreibt Stein auf S. 216: "Ja, wir können uns denkend nicht einmal in der Gegenwart wissend erleben. Nur nachträglich erfassen wir unsere Denktätigkeit" und auf S. 264 spricht er von einem Denker, "der die eigene Denktätigkeit nur nachträglich erlebt", - ohne sich darüber im klaren zu sein, daß letzteres faktisch unmöglich ist. Wenn Rudolf Steiner in späterem Vortrag davon spricht, daß es außerordentlich schwierig sei, zu einem philosophischen Erfassen der Aktivität des Denkens sich aufzuschwingen (siehe Zusatz 1 der Arbeit Zur Unbewußtheit des aktuellen Denkens), so könnte man diese Schwierigkeit gewiß an den Erfahrungen seines Schülers demonstrieren. Was heißt im ersten Fall: Sich in der Gegenwart wissend erleben, bzw.: Nachträgliches Erfassen der Denktätigkeit? und was heißt im zweiten Fall: Die eigene Denktätigkeit nachträglich erleben? Wenn der Denker seine Denk-Aktivität nicht während seiner Denk-Tätigkeit erlebt hat, wie sollte er sie dann nachträglich erleben können? Er wird vielleicht alles mögliche nachträglich erleben. Aber eines doch ganz gewiß nicht: seine Aktivität des Denkens! Er hätte folglich kein einziges empirisches Kriterium, um hernach überhaupt von eigener Denkaktivität zu reden, weil er kein Zeuge dieser Aktivität war. Die augenblickliche Aktivität, - wenn sie denn überhaupt stattgefunden hat, und nicht ein bloßes Assoziieren oder Ähnliches, und woher sollte ich das wissen, wenn ich nicht mit der vollen Wachheit meines Bewußtseins dabei war? - ist einzigartig, einmalig und unwiederbringlich vorüber. Wer sie verpaßt hat indem sie stattfand, der begegnet diesem Moment kein zweites mal, sondern stets einem anderen. Es besteht nicht die geringste Aussicht die Aktivität nachträglich zu erleben. Was also ohne das Zeugnis meines bewußten Dabeiseins nachträglich darüber gesagt werden kann ist bloße Vermutung und Spekulation, - sonst nichts. Dieser, wie ich glaube entscheidende Gedankengang, findet sich in der ersten Ausgabe der Philosophie der Freiheit überhaupt nicht und ist auch in der zweiten nur andeutungsweise im Zusatz am Ende des dritten Kapitels enthalten, wenn Steiner dort (GA-04, 1978, S. 55) sagt: "es kommt darauf an, daß nichts gewollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eigene, von ihm überschaubare Tätigkeit erscheint." Nur ein zarter Hinweis Steiners - seine philosophisch-psychologischen Implikationen und Konsequenzen muß sich der Leser selbst herleiten. Was sich hinter dem Begriff Aktivität oder Tätigkeit des Denkens und erst recht hinter dem Begriff gegenwärtige Aktivität des Denkens rein philosophisch (von Denkpsychologie noch gar nicht zu reden) alles verbirgt, das ist von Steiner in der Philosophie der Freiheit kaum ansatzweise behandelt und schon gar nicht abgeklärt worden. All das harrt noch der Aufarbeitung. - Wen also wundert es, wenn seine Schüler damit in schweres Fahrwasser geraten? Die Folge davon ist, daß W. J. Stein ganz ohne diese Hilfestellung in philosophische Nebelbänke gerät und die Begrifflichkeit von Erleben, Beobachten, Erfassen und Erkennen des Denkens in seiner Dissertation diffus und dunkel bleibt, weil er den erkenntnispsychologischen Einzelheiten der Denkbeobachtung in der Philosophie der Freiheit nicht eingehend und konsequent genug nachspürt. Es, wie mir scheint, bei realistischer Betrachtungsweise auch gar nicht konnte, weil die Philosophie der Freiheit, so, wie sie in der ersten Auflage vorlag, ihm keinen hinreichenden Anhalt dafür bot. Man kann Stein durchaus zugestehen, daß er den erkenntnispsychologischen Aspekt der erlebten Denkaktivität nicht aus den Augen verliert. Ganz im Gegenteil - er thematisiert ihn und sogar mit Vorrang. Allerdings, und das scheint mir kennzeichnend für seinen Zugang zur Philosophie der Freiheit, im Zusammenhang mit dem anthroposophischen Schulungsweg und nicht mit der Philosophie der Freiheit. So schreibt er (S. 190 f): "Die Selbstbeobachtung, deren das gewöhnliche Bewußtsein fähig ist, lehrt darüber nur, daß wir - wenn wir denken -, ehe der Gedanke klar vor uns steht, uns anstrengen müssen, daß wir tätig sein müssen. Erst nachdem diese Tätigkeit von uns ausgeübt worden ist, steht der Gedanke klar und deutlich vor uns. Der Beobachtung der meisten Menschen entgeht aber diese vorbereitende Tätigkeit fast ganz. Ihre Aufmerksamkeit ist, während sie denken, ganz auf das gerichtet, was als Gedanke aufleuchtet, sobald die vorbereitende Tätigkeit abgelaufen ist. Sie wissen nur dumpf, daß sie etwas getan haben (empfinden es vielleicht sogar als Anstrengung), was sie aber tun, indem sie die vorbereitende Tätigkeit üben, als deren Resultat der Gedanke aufleuchtet, das wissen sie nicht. Aber gerade darauf kommt es an." Um jetzt das zu veranschaulichen, was getan werden muß, um die Denktätigkeit zu erleben, bietet die Philosophie der Freiheit in ihrer damaligen Form für Stein offensichtlich keine hinreichende Materialgrundlage, und so greift er diesbezüglich auf einen methodischen Abschnitt aus den Rätseln der Philosophie zurück - im engeren Sinne auf den Skizzenhaften Ausblick am Ende dieses Buches - und zitiert: "«Wenn der Mensch denkt, so ist sein Bewußtsein auf die Gedanken gerichtet. Er will durch die Gedanken etwas vorstellen; er will im gewöhnlichen Sinne richtig denken. Man kann aber auch auf anderes seine Aufmerksamkeit richten. Man kann die Tätigkeit des Denkens als solche in das Geistesauge fassen. Man kann zum Beispiel einen Gedanken in den Mittelpunkt des Bewußtseins rücken, der sich auf nichts Äußeres bezieht, der wie ein Sinnbild gedacht ist, bei dem man ganz unberücksichtigt läßt, daß er etwas Äußeres abbildet . . . Man kann sich ganz einleben nur in das innere Tun der Seele, während man so verharrt. Es kommt hierbei nicht darauf an, in Gedanken zu leben, sondern darauf, die Denktätigkeit zu erleben.»" (Siehe GA-18, 1968, S. 604) Was Rudolf Steiner in diesem Skizzenhaften Ausblick exemplarisch skizziert, ist das Meditieren einer Sinnbild- oder Symbolvorstellung, wie sie sich auch in der Geheimwissenschaft im Umriß (Siehe GA-13, 1977; S. 307 ff) in Form der Rosenkreuzmeditation findet. Eine Parallelstelle hierzu findet sich, und zwar bemerkenswerterweise erst in der zweiten Auflage der Philosophie der Freiheit und ohne den spezifischen Hinweis auf Sinnbildvorstellungen, am Ende des dritten Kapitels, wenn Steiner dort wie schon zitiert hervorhebt: "Mag es das Wesen des Denkens immerhin notwendig machen, daß dieses gewollt wird: es kommt darauf an, daß nichts gewollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eigene, von ihm überschaubare Tätigkeit erscheint." (GA-04, 1978, S. 55) Indem es sich vollzieht muß es vor dem Ich restlos als seine eigene von ihm überschaubare Tätigkeit erscheinen. Da wird nicht über das Denken gedacht, sondern die gegenwärtige Aktivität wird unmittelbar erlebt. Eindringlicher als in diesem Zusatz - man müßte seinen weiteren Kontext hier eigentlich einbeziehen und hilfsweise vielleicht noch was er im Auszug von Zusatz 1 der Arbeit Zur Unbewußtheit des aktuellen Denkens dazu sagt - kann man kaum noch darauf hinweisen, wie entscheidend das Erleben der gegenwärtigen Denkaktivität für die Kennzeichnung des Denkens als Denken ist. Was Steiner hier nachdrücklich einfordert ist die bewußte Zeugenschaft für die eigene Aktivität des Denkens. Wer die hier gestellte Forderung erfüllt, der vollzieht hinsichtlich dieses Erlebens im Prinzip dasselbe, wie derjenige, der Sinnbildvorstellungen meditiert und zielbewußt seine Denk-Tätigkeit erlebt. Und es wird deutlich, daß durch Steiners Hinweise im Skizzenhaften Ausblick etwas methodisch vertieft werden soll, was in der Philosophie der Freiheit längst veranlagt ist. W. J. Stein erkennt wohl zutreffend diese sachlogische Fortsetzung der Philosophie der Freiheit im Methodenabschnitt der Rätsel der Philosophie. Er trifft präzise diese methodologische Nahtstelle zwischen Philosophie und Anthroposophie. Aber er greift nur unzureichend den Punkt ihrer erkenntnispsychologischen Veranlagung in der Philosophie der Freiheit. Nun behandelt Stein ja auch die Aktivität des Denkens in seiner Arbeit, so wie wir es oben zitierten, wenn er davon spricht, daß man sich anstrengen und Tätig sein muß, damit die Gedanken erscheinen. Er hält die Fäden in der Hand, aber es will ihm der Transfer auf den sachlichen Zusammenhang der Philosophie der Freiheit nicht gelingen. Man sucht vergeblich nach einem klaren Hinweis darauf, daß es sich bei dieser erlebten denkenden Anstrengung um erlebtes gegenwärtiges Denken handelt, was es doch ist. Und so hat man den Eindruck, - er mag vielleicht nicht immer ganz zutreffen, aber man hat ihn, - er suche mit dem gegenwärtigen Denken etwas irgendwie Mysteriöses, das nicht nur von seinem Erlebnisgehalt sondern auch von seiner zeitlichen Dimension etwas anderes sein müsse als diese schon dem Normalbewußtsein greifbare Aktivität - nämlich das lebendige Denken. Was Stein offenbar noch nicht hinreichend klar erkennt ist, daß das lebendige Denken selbstverständlich gegenwärtiges Denken ist, aber meine normalbewußte Denkaktivität ebenso. Beides ist gegenwärtiges Denken, nur in unterschiedlicher Auflösung gesehen, oder besser: erlebt - Das eine Mal wie durch ein Mikroskop und das andere Mal mit trüben Augen, wenn man so will. Die vom Normalbewußtsein als unanschaulicher Denkwille erlebte Aktivität ist in dieser Unanschaulichkeit die dem Normalbewußtsein wahrnehmbare Oberfläche oder Grobstruktur des lebendigen Denkens, während der schulungsgestützte Zugriff auf das lebendige Denken dessen Fein- oder Tiefenstruktur offenlegt. Es kann also das lebendige Denken zeitlich nicht anders erscheinen als meine Aktivität. Nicht vorher und nicht nachher, sondern es fällt mit dieser Aktivität zusammen. Wenn mein Denkwille aussetzt, dann ist es auch mit mit dem lebendigen Denken vorbei. Also müssen wir unsere Suche nicht an zeitlichen Differenzen orientieren, sondern an qualitativen. Das heißt: das lebendige Denken in seiner spezifischen Eigenart als etwas ausfindig machen, das in meinem gegenwärtigen Denkwillen, den ich jederzeit in der Verfassung der Normalbewußtheit erleben kann, schon enthalten ist. Ich muß also in die Tiefe meines gegenwärtigen Denkwillens eintauchen, und nicht in etwas, was zeitlich davor oder was weiß ich wo liegt. Da wird man ins Leere tauchen. Und um dieses methodische Eintauchen in den Denkwillen möglich zu machen, dazu dienen die von Stein angeführten Gedankenübungen aus dem Skizzenhaften Ausblick. Nun ist es natürlich nicht falsch, daß der Denker sein Denken erst nachträglich denkend erfaßt, wenn er es zwecks Erkenntnis beobachtet. Diesen Aspekt hat Stein durchaus korrekt gefaßt. Und insofern kann man ihm innerhalb gewisser Grenzen zustimmen wenn er sagt, der Standpunkt der Philosophie der Freiheit sei der des Denkens über das Denken. Aber das ist nur ein geringer Teil der ganzen Wahrheit. Was W. J. Stein nicht sieht und auch in seiner gesamten Dissertation nicht zum Ausdruck bringt, ist, daß das Denken über das Denken in der Philosophie der Freiheit nur auf der Grundlage der unmittelbar erlebten Denkaktivität stattfindet und - was ihren intimsten und bedeutendsten philosophischen und erkenntnispsychologischen Kern angeht - auch nur stattfinden kann. Das fragliche Kapitel dieser Schrift macht also sachlich gesehen auch in der ersten Auflage schon die Unterscheidung von einerseits erlebter gegenwärtiger Denkaktivität und andererseits beobachtetem Denken notwendig. Der Standpunkt des erlebten Denkens ist also nicht nur in den Rätseln der Philosophie zu finden, sondern ebenso in der Philosophie der Freiheit, was ja von Steiner vortragsweise ausdrücklich hervorgehoben wird. (Siehe dazu GA-78, 1968, S. 38 ff, insbesondere S. 42. Vortrag vom 30. August 1921. Siehe Zusatz 1 der Arbeit Zur Unbewußtheit des aktuellen Denkens) Und zwar schon in ihrer ersten Ausgabe von 1894 - und nur die lag Stein während seiner Vorarbeiten zur Dissertation vor. Rudolf Steiner hatte also gute Gründe dafür, in der Zweitauflage im dritten Kapitel und an anderen Stellen seiner Schrift den Aspekt der erlebten Denkaktivität nachdrücklich zu pointieren. Dieser war nämlich durch die Art der Darstellung in der ersten Auflage weitgehend untergegangen und noch nicht einmal für Steiners damals vielleicht engsten philosophischen Schüler zu erkennen. Und es waren, abgesehen von ungeschickten Formulierungen, nur durch die Art der Darstellung verursachte Mißverständnisse, die Steiner später dazu bewogen haben, die Philosophie der Freiheit inhaltlich zu überarbeiten und zu ergänzen. So jedenfalls sagt er es in der Vorrede zur Neuausgabe von 1918 auf S. 10. Um eine ganz andere Sachlage handelt es sich, wenn Stein von jenem höheren Bewußtseinswesen spricht, auf das erkenntnistheoretisch hinzuarbeiten er von Steiner den Auftrag hatte. Jenem zunächst verborgenen Geistwesen, das von seiner Warte aus Zuschauer des menschlichen Seelenlebens ist, das man in gewisser Hinsicht, sofern sein Zuschauen auf das gegenwärtige Denken gerichtet ist, als Beobachter des gegenwärtigen Denkens bezeichnen könnte. (Siehe dazu GA-35, 1984 S. 281, im Aufsatz Die Erkenntnis vom Zustand zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Ebenso im Aufsatz, Die Aufgabe der Geisteswissenschaft und deren Bau in Dornach, in GA-35, 1984, S. 173 ff; insbes. S. 188 f.) Das ist nun nicht mehr der methodische Gesichtspunkt der Philosophie der Freiheit. Und Stein geht den methodischen Einzelheiten dieser Beobachtung nur ganz im grundsätzlichen nach. Rechtfertigt es als philosophisch Denkbares, mehr nicht. Auf dieses Bewußtseinswesen ist in der Tat der Beobachtungsbegriff der Philosophie der Freiheit aus mancherlei Gründen nicht mehr anwendbar. Einer der Gründe dafür ist, daß es als verborgenes Bewußtseinswesen selbst erst entdeckt werden muß vom gewöhnlichen Beobachter des Denkens. Das heißt: Schon um mich von seinem existentialen Bestand und seiner Beobachtereigenschaft auch nur zu überzeugen, muß ich all die zahllosen Erkenntnisprozesse durchlaufen, auf die offensichtlich doch der Denk-Beobachtungsbegriff der Philosophie der Freiheit anzuwenden ist - vielleicht mit mancher Abwandlung. Deswegen kann sein Beobachten nicht von derselben Art sein wie meines - jedenfalls zunächst nicht. Und das andere ist, daß dieses Bewußtseinswesen mein Denken nicht nur beobachtet wenn ich es entdeckt habe, sondern, so wie es Steiner schildert, immer schon. Selbst dann, wenn ich von meinem Denken noch gar nichts weiß. ( Etwa im genannten Aufsatz Die Aufgabe der Geisteswissenschaft und deren Bau in Dornach, in GA-35, 1984, S. 189: "In unserem Willen lebt etwas, was fortwährend uns innerlich beobachtet.") So daß man wirklich sehr genau nachschauen muß, was Steiner in diesem Fall unter einer Beobachtung des gegenwärtigen Denkens versteht. Und ob diese Beobachtungstätigkeit des genannten Bewußtseinswesens, wenn ich ihrer denn teilhaftig geworden bin, die anfängliche denkende Beobachtung ausschließt, oder nicht vielmehr einschließt. Denn auch höhere Wesenheiten, seien es Engel/höheres Selbst, oder was immer an Geistwesen das menschliche Bewußtsein bevölkert, müssen erst erkannt sein, bevor ich an deren Erkennen bewußt partizipieren kann. Das heißt: Die Erkenntnistheorie der spirituellen Erkenntnis steht auf den Schultern der Erkenntnistheorie des gewöhnlichen Bewußtseins. Ich darf weiter daran erinnern, was Steiner auf dem Philosophiekongress in Bologna 1911 zu dieser Angelegenheit sagt. Es heißt dort: "Die wahre Geistesforschung nimmt den ganzen inneren Seelenapparat von Logik und Selbstbesonnenheit mit, wenn sie das Bewußtsein aus der sinnlichen in eine übersinnliche Sphäre zu verlegen sucht. Deshalb kann gegen sie auch nicht vorgebracht werden, daß sie das rationelle Element der Erkenntnis unberücksichtigt lasse. Sie kann allerdings ihren Inhalt nicht nach der Wahrnehmung in Begriffen denkerisch bearbeiten, weil sie das rationelle Element bei ihrem Hinausgehen aus der Sinnenwelt stets mitnimmt und es wie ein Skelett der übersinnlichen Erfahrung in aller übersinnlichen Wahrnehmung als einen integrierenden Bestandteil stets beibehält." (Die psychologischen Grundlagen und die erkenntnistheoretische Stellung der Anthroposophie, in GA-35, 1984, S. 136.) Das ganze Rüstzeug des denkenden Erkennens wird also nicht einfach über Bord geworfen, sondern bleibt integraler Bestandteil auch der übersinnlichen Erkenntis. Das zweite, was hier zu beachten ist, ist die Tatsache, daß Rudolf Steiner in der Neuauflage seiner Grundlinien in den Anmerkungen ausdrücklich darauf hinweist, daß der Erkenntnisbegriff, so wie er in den Grundlinien entwickelt wurde, prinzipiell auch für das Erkennen der geistigen Tatsachen Gültigkeit habe. Hier gilt: "Wenn diese [geistige Anschauung, MM] durch die Seelenvorgänge auftritt, die ich in meiner späteren Schrift «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» beschrieben habe, dann bildet sie wieder die eine Seite des geistigen Seins; und die entsprechenden Gedanken vom Geistigen bilden die andere Seite. Ein Unterschied tritt nur insofern auf, als die Sinneswahrnehmung durch den Gedanken gewissermaßen nach oben zum Anfang des Geistigen hin in Wirklichkeit vollendet, die geistige Anschauung von diesem Anfang an nach unten hin in ihrer wahren Wesenheit erlebt wird. Daß das Erleben der Sinneswahrnehmung durch die von der Natur gebildeten Sinne, das der Anschauung des Geistigen durch die erst auf seelische Art ausgebildeten geistigen Wahrnehmungsorgane geschieht, macht nicht einen prinzipiellen Unterschied." (Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, GA-02, 1979, S. 138, Anmerkung zu Seite 27 in der Neuauflage von 1924) Man müßte also sehr genau nachzeichnen, wie ich zur Entdeckung dieses Geistwesens gelange, wie dieses Bewußtseinswesen beobachtet, solange ich es noch nicht entdeckt habe, durch welche speziellen Eigenschaften seine Beobachtungstätigkeit sich im einzelnen auszeichnet und wie ich mich dieser seiner Beobachtungstätigkeit bemächtigen oder ihrer teilhaftig werden kann. Das sind eine Reihe von Fragen, die im einzelnen abgeklärt werden müssen. Da ist es mit grundsätzlichen Erwägungen, wie sie uns Walter Johannes Stein vorlegen konnte, bei weitem nicht getan. Dieses Projekt steht noch aus. Mancher Bearbeiter der Philosophie der Freiheit mag an diese Bewußtseinswesenheit gedacht haben, wenn er über die Beobachtung des aktuellen Denkens sprach. Walter Johannes Stein hatte angesichts der Philosophie der Freiheit einen gewissen Anlass vom Denken über das Denken zu sprechen. Von einem unmittelbaren Anschauen des Denkens war in dieser Schrift damals noch nicht die Rede, aber in der Zweitauflage im Zusatz am Beginn von Kapitel IX. Der Bearbeiter der Zweitauflage hat also auch Anlass von einem unmittelbaren Anschauen des Denkens zu sprechen. Wenn er jetzt mit dem genannten Bewußtseinswesen im Hinterkopf, das dem Denken zusieht, sich um einen Verständniszugang zu diesem unmittelbaren Anschauen bemüht, dann mag er nur allzuleicht auf den Gedanken verfallen, Steiner spreche auch hier von diesem Bewußtseinswesen, das in unmittelbarer Anschauung des aktuellen Denkens begriffen ist. Was sollte ihn daran hindern dies anzunehmen? - Ich meine mindestens zweierlei sollte ihn daran hindern: Einmal der sachliche Kontext, in dem von unmittelbarem Anschauen des Denkens die Rede ist. Und zum anderen Steiners Hinweis am Beginn des Buches, daß niemand auf seine späteren anthroposophischen Schriften hinschielen muß, um den Sachgehalt der Philosophie der Freiheit annehmbar zu finden. Er muß also auch nicht auf die anthroposophischen Veröffentlichungen hinschielen, um sich hier das unmittelbare Anschauen des Denkens zu verdeutlichen. Damit ist ein sehr klarer Interpretationsrahmen vorgegeben, der festlegt, daß das unmittelbare Anschauen des Denkens hier nicht dasselbe ist, wie das Anschauen des Denkens durch jenes Bewußtseinswesen dort. Das heißt, von unmittelbarer Anschauung des Denkens ist hier in einem philosophisch-erkenntnistheoretischen Sachzusammenhang die Rede und bedeutet so viel wie: Das Denken ist in der Lage sich selbst zu erkennen. Und zwar ohne auf Hirnphysiologie zurückgreifen zu müssen, oder auf unbewußten Instanzen, die ihm prinzipiell verborgen sind oder bleiben. Eine Erklärung des Denkens durch Hirnphysiologie käme einer materialistisch-deterministischen Auffassung gleich. Und eine Erklärung durch unbewußte Instanzen der Ansicht Eduard von Hartmanns. Beide Positionen werden hier noch einmal, wie auch an anderen Stellen der Schrift, abgewiesen durch den positiven Hinweis darauf, daß das Denken sich selbst beobachten und erklären kann, was Steiner ja schon im dritten Kapitel demonstriert hat. Dieser erkenntnistheoretische Nachweis ist im weiteren Sinne sowohl der Beleg für die Erkenntnisfähigkeit des Menschen überhaupt und ebenso für dessen Freiheitsfähigkeit. Und schließlich ist es auch der Beleg dafür, daß schon auf dieser Stufe der Mensch in einem Übersinnlichen lebt, wenn auch zunächst noch auf der Ebene des reinen Gedankenlebens. Wollte man diesen basalen erkenntniswissenschaftlichen Beleg in das später zu entwickelnde übersinnliche Bewußtsein und Erkenntnisvermögen verlagern, dann wäre jede philosophisch-erkenntnistheoretische Grundlegung der Anthroposophie nutz- und zwecklos. Und es wäre vergleichbar mit dem unsinnigen Bemühen einer höheren Mathematik, sich etwa mit den Mitteln der Differentialrechnung selbst zu begründen und nicht aus ihren eigentlichen philosophisch-logischen Wurzeln heraus. Wenn sich der Bearbeiter des Buches weder diesen Interpretationsrahmen noch den sachlichen Kontext hinreichend energisch vor Augen führt und womöglich noch mit manchen anderen Verständnisschwierigkeiten zu kämpfen hat, dann werden sich ihm fortwährend die Verständnisfäden verwickeln und verwirren. (Siehe hierzu auch den Zusatz am Ende der vorliegenden Arbeit) Es ging mir im Zusammenhang der hier vorliegenden Arbeiten einzig um den Beobachtungsbegriff der Philosophie der Freiheit, und ich denke man muß ihn sehr genau unterscheiden und abgrenzen vom Beobachtungsberiff der spirituellen Erkenntnis wie er Stein vorschwebte, wenn sich nicht ständig die Dinge durchkreuzen und konfundieren sollen. Erst wenn man den ersten und grundlegenderen geklärt hat, wobei es noch eine Menge zu tun gibt, kann man sich an den zweiten begeben. Walter Johannes Stein hat augenfällig diesen grundlegenden Beobachtungsbegriff nicht hinreichend erschlossen, und sich von dieser wenig stabilen Basis aus an den anderen gewagt. Das ist noch nicht sehr glücklich gelungen, und, was die zahllosen methodischen Details betrifft, auch nicht sonderlich aufschlußreich, sondern hat manches zur allgemeinen Verwirrung beigetragen. Auch natürlich bedingt durch die extrem widrigen Bedingungen, unter denen er arbeitete - das muß man gerechterweise hinzufügen. Der Wert seiner Ausarbeitung liegt denn auch weniger im stringenten Erreichen des gesetzten Zieles, sondern, in Verbindung mit den erhellenden Anmerkungen seines Herausgebers, in den mannigfaltigen Details, die sich darum ranken. Deswegen ist eine Beschäftigung mit ihm überaus fruchtbar. Bei aller Kritik: Das von Thomas Meyer herausgegebene Buch ist Geist-reich. Ganz im Gegensatz zu manch anthroposophisch-okkultistischem Schmachtschinken, in dem viel von Geist gefaselt wird, aber keiner anwesend ist. (Ich denke zum Beispiel an die rauschhaft assoziativen Exzesse im Buch Das Erwecken des Herzdenkens, von Florin Lowndes, Stuttgart 1998, der seine Leser - ich bitte um Entschuldigung für diesen herben Ausdruck, aber man kann es nicht anders sagen - regelrecht besoffen macht. Zur Klärung von Sachfragen außer Verwirrung kaum etwas beiträgt, und ihrem Verständnis schon im Vorfeld auf S. 20 ff mit seinen unbesonnenen und unbelegten Phantastereien über das intuitive Denken in der Philosophie der Freiheit jeden vernünftigen Zugang zu diesem Werk versperrt. Und für all das, was aus diesem Buche sich ergeben kann, gleich mit. Angesichts derartiger Erscheinungen selbst im angesehenen Verlag Freies Geistesleben fragt man sich ernstlich, ob das Abgleiten der anthroposophischen Bewegung in einen tumultarischen esoterischen Fundamentalismus bloß noch eine theoretische Denkmöglichkeit ist, oder ob sie da nicht längst angekommen ist. Bei all dem Bombast an Esoterik, der da im Zusammenhang mit der Philosophie der Freiheit von Lowndes völlig wirkungslos aufgefahren wird, da er ja seinen Leser schon auf den ersten Seiten in die Wüste geschickt hat, gibt es nur noch einen einzigen Wunsch: Versucht doch in Gottes Namen erst einmal dieses Buch auf einer normal verständigen Ebene zu begreifen! Mit ganz irdischen logischen Denkmitteln, damit aus dem vermeintlichen Aufstieg in die Über-Logik nicht gleich eine fantastische Abfahrt in die Para-Logik wird. ) II. Ein paar Sätze noch zu den Kommentaren Thomas Meyers. Im wesentlichen Stichworte nur, die hier nicht mehr sein sollen als Gedankenskizzen, die weiterer Vertiefung und vor allem weiterer empirischer Absicherung in die verschiedensten Richtungen hin bedürfen. Im Grunde genommen lediglich erste Ideenskizzen sind für ein umfangreiches Forschungsprogramm : Auch der Herausgeber von W. J. Steins Dissertation löst das behandelte Problem der Beobachtung des gegenwärtigen Denkens in seinen tiefsinnigen und hilfreichen Hintergrundkommentaren noch nicht zur Zufriedenheit, obwohl er einer brauchbaren Lösung sehr nahe kommt. Zum Teil wenigstens liegt diese Unzulänglichkeit in der Tatsache begründet, daß sich Meyer (S. 122) bei der Behandlung der Frage, ob und wie wir ein Bewußtsein von Werdeprozessen des Denkens erlangen können, zu sehr von erinnerungstheoretischen Eingangserwägungen im Zusammenhang mit dem Begriff der reinen Erfahrung den Lösungsweg einengen läßt. Meyer stellt sich (S. 123) mit Recht die Frage, wie man denn sein Denken nachträglich beobachten können sollte, wenn man vom tätigen Denken keinerlei Bewußtsein entwickelt hätte: "Bedeutete es, daß von der aktuellen Tätigkeit keinerlei Bewußtsein entwickelt werden könnte, so würde sich die oben angedeutete erkenntnistheoretische Schwierigkeit ergeben: es bliebe keine Wahrnehmung, auf die der Denkaktbegriff unmittelbar bezogen werden könnte. Der lebendige Denkakt selbst läge in einem unzugänglichen und unbewußten Jenseits, und es käme also, hätte ich vom Denkakt selbst keinerlei Bewußtsein, eine Klärung zwischen gegenwärtigem und nachträglich erinnertem Denkakt auch gar nicht in Betracht." Das ist vollkommen konsequent gedacht, und Meyer entwickelt daraufhin die folgerichtige Überlegung, daß vom gegenwärtigen Denken auf jeden Fall ein Denkbewußtsein oder Denkaktbewußtsein vorliegen müsse. Denn schließlich betone Steiner ja auch, daß wir die "Erfahrungen, die wir über unseren Denkprozeß gemacht haben", hinterher zum Gegenstand des Denkens machen können. Wenn Meyer dieses Denkaktbewußtsein dann auf S. 124 "intuitives Denkbewußtsein" nennt, und damit im Zusammenhang verweist auf Steiners Kennzeichnung des intuitiven Denk-Erlebens als "Wahrnehmung, in der der Wahrnehmende selbst tätig ist," und als eine "Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenommen wird", so trifft dieser Hinweis in meinen Augen präzise die Sachlage. Für das erlebte gegenwärtige Denken oder Denkakt-Erleben verwendet Steiner, wie sich zeigen läßt, in der Tat den Terminus intuitiv erlebtes Denken. Das zeigt auch, daß dieses intuitiv erlebte respektive erlebte gegenwärtige Denken sachlich schon im dritten Kapitel der Steinerschen Schrift zu finden ist. Auch wenn er die spezifische Terminologie dort noch nicht verwendet, soll gleichwohl im ersten Teil der Schrift vom intuitiv erlebten Denken die Rede sein. Dieser erste Teil, so Steiner in den Zusätzen von 1918 im Kapitel Die Konsequenzen des Monismus (S. 254) "... stellt das intuitive Denken als erlebte innere Geistbetätigung des Menschen hin." Wobei er sich nicht auf spezielle Textstellen bezieht, sondern generalisierend auf den gesamten ersten Teil des Buches. (Siehe dazu auch meine Ausführungen hier, sowie hier und dort ) Zweierlei allerdings erkennt Thomas Meyer (noch) nicht, oder - etwas zurückhaltender formuliert: noch nicht hinreichend - obwohl er unmittelbar davor steht: a) Daß sich die Erfahrungen, die ich über meinen Denkprozeß gemacht habe, nicht notwendigerweise nur in begrifflichen Inhalten erschöpfen, sondern auch manches andere mit umfassen (können). Auf jeden Fall ein spezifisch seelisches Erlebnis meiner eigenen Aktivität, was er selbst angibt, aber auch eine Reihe weiterer seelischer Erlebnisse. Solche etwa, die die Würzburger Schule um Oswald Külpe mit dem Terminus "Bewußtseinslagen", "Regelbewußtsein" usw. bezeichnet. Und ferner: b) Daß diese Denkakt-Erfahrungen nur in der Form der reinen Erfahrung vorliegen können, oder es zumindest können müssen, was er eben zuvor (S. 122) ausgeschlossen hat unter Hinweis darauf: die Erfahrung zeige, daß Erinnerungsvorstellungen nur möglich seien von Wahrnehmungen, die schon irgendwie begrifflich bestimmt seien. Doch sie müssen in dieser Form als begrifflich noch nicht bestimmte Wahrnehmungen vorliegen können - eben weil ich mein Denken noch nicht darauf gerichtet habe, und dies auch während des aktuellen Denkens gar nicht möglich ist. Womit seine eingangs gefolgerten Schlüsse, daß man Erinnerungen an reine Erfahrungen nicht haben könne und dies wohl der Grund für die Nichterinnerbarkeit von Werdeprozessen des Denkens sei, hinfällig sind. Ergo: Bewußte reine Erfahrungen sind grundsätzlich möglich, vor allem im Rahmen von Denkerlebnissen. (Man kann jedem Anthroposophen, der sich philosophisch mit der Frage der reinen Erfahrung befaßt, nur ans Herz legen, sich mit den hier erwähnten Denk-Untersuchungen Karl Bühlers zu befassen, damit die Frage der reinen Erfahrung nicht nur von einem abstrakt philosophischen Niveau her verhandelt wird, sondern auch verstärkt eine konkret empirische Basis bekommt. Wären reine Erfahrungen nicht möglich, dann wäre es ausgeschlossen, überhaupt neue und bewußte Wahrnehmungen in den Denkerlebnissen zu haben. Es muß folglich eine bewußte Wahrnehmung vor jeder Kategorisierung geben. Diese begrifflich nicht bestimmten reinen Wahrnehmungen müssen zudem auch - vielleicht nicht vollständig, aber ein Stück weit - erinnerbar sein, sonst wüßten wir hernach nichts von unseren Erlebnissen des Denkens. Die Würzburger um Oswald Külpe gingen denn auch im Gegensatz zu Meyer davon aus, daß es so etwas wie unmittelbare Erinnerungen an Denkvorgänge gibt. D. h.: Erinnerungen an etwas, das noch nicht begrifflich bestimmt worden ist. Als Eselsbrücke zum Verstehen kann sich der Leser vielleicht auch einmal mit seinen Traumerinnerungen auseinandersetzen. Die bewußten Traumvorgänge sind nämlich während des Träumens auch nicht kategorial bestimmbar, denn das bewußte Denken ist ja in diesem Zustand völlig ausgeschaltet. Sie sind also im Grundsatz reine Wahrnehmungen. Gleichwohl existieren - zum Teil sehr lebhafte und detailreiche - Erinnerungen an Träume, die durchaus nicht nur Erinnerungen an schon Kategorisiertes sind, das von der Traumdynamik lediglich als Versatzstück des Bewußtseins gehandhabt wird. Sondern es gibt dort auch gänzlich neue und bislang unbekannte Wahrnehmungsarten oder besser -qualitäten. Es sind oft sogar diese ganz ungewöhnlichen und fremdartigen Qualitäten der inneren Wahrnehmung, für die es nichts Vergleichbares im Wachbewußtsein gibt, die besonders nachhaltig und eindrucksvoll in der Traumerinnerung haften bleiben. Man wird sich hier vielleicht auch die Frage vorlegen müssen, ob hinsichtlich des philosophischen Problems der reinen Erfahrung die Selbsterlebnisse des Bewußtseins nicht grundsätzlich anders zu bewerten sind, als Erlebnisse von zunächst außerhalb des Bewußtseins stehenden Gegenständen, etwa der physischen Sphäre.) Übrigens hat Steiners selbst nie explizit behauptet, daß es so etwas wie bewußte reine Wahrnehmungen prinzipiell nicht geben kann. Noch nicht einmal in Wahrheit und Wissenschaft, wo man sich vielleicht am ehesten zu diesem Gedanken gedrängt sehen könnte. Er problematisiert dort lediglich die Grenzziehung zwischen reiner Wahrnehmung und Erkanntem. Aber er schließt die reine Erfahrung nicht etwa grundsätzlich aus. (Siehe dazu etwa in GA-322, Dornach 1981, S. 113 f; Vortrag v. 03. Okt. 1920. Siehe ebenso in der Schrift Von Seelenrätseln, GA-21, Dornach1983, S. 27 f.) Der Begriff der reinen oder begriffslosen Erfahrung ist für ihn keineswegs nur ein erkenntnistheoretischer Grenzbegriff mit einer nur logischen Funktion, der etwas bewußtseinsfaktisch Unerreichbares bezeichnet. Sondern das tatsächliche Erlangen dieser begriffslosen Wahrnehmung durch Übung - das geht aus dem Vortragszusammenhang in GA-322 und dem Sachzusammenhang in GA-21 deutlich hervor - ist ein ganz wesentliches Schulungsziel für Steiner. Die extreme "Logisierung der Wahrnehmung", um einen Terminus von Johannes Volkelt aufzunehmen, ist demgegenüber eine ausschließliche erkenntnistheoretische Konstruktion seiner philosophischen Schüler. Und ich selbst, das muß ich gerechterweise hinzufügen, bin diesem Gedanken lange genug angehangen, was man meinen früheren Arbeiten noch gut ansehen kann. Aber diese Denkfigur ist unrealistisch und führt früher oder später auf lauter Absurditäten, vor allem im Hinblick auf die unmittelbare Erfahrung des Denkens. Man kann demnach festhalten: Der Anlaß für die Nichterinnerbarkeit von Werdeprozessen des Denkens liegt nicht in unserer Unfähigkeit zur bewußten reinen Erfahrung sondern in etwas anderem. Zum Beispiel in der Anschauungslosigkeit des lebendigen Denkens, von der W. J. Stein auf S. 195 aber auch - und das scheint mir in bezug auf das dort behandelte Willensmoment besonders erwähnenswert - auf S. 213 spricht. Von dieser Unanschaulichkeit spricht auch der in meiner Arbeit behandelte Denkpsychologe Karl Bühler. (Siehe Kapitel 3.3 der Arbeit Zur Unbewußtheit des aktuellen Denkens) Und im Mittelpunkt der von mir im Kapitel 3.3 referierten Fallbeispiele steht fast ausnahmslos jene Art von Vorstellungen, die, wie Stein S. 213 ausführt, in die Vergessenheit abgesunken sind und den Charakter von willensartigen Fähigkeiten angenommen haben. Es ist also unbedingt ratsam, sich zum Zwecke der weiteren Klärung mit den in Kapitel 3.3 angesprochenen Denk-Untersuchungen Karl Bühlers auseinanderzusetzen. Vor allem mit dem Typ von Gedanken, die Bühler in Anlehnung an Edmund Husserl Intentionen nennt, und die offenbar nicht nur die von Bühler (S. 349) genannte Eigenschaft haben komplexe Erinnerungen zu sein, sondern ebenso willensartige Fähigkeiten. Fähigkeiten, die auf vergangenen Erfahrungen aufbauen und zu vereinzelten Erinnerungsvorstellungen führen können, aber nicht notwendigerweise müssen, sondern sich in einer zwar inhaltsreichen, aber gleichwohl anschauungslosen Form zu präsentieren vermögen. Es scheint mir hilfreich in diesem Zusammenhang das Augenmerk einmal auf eine Parallele in den Beobachtungsaussagen Rudolf Steiners und Karl Bühlers zu richten: Rudolf Steiner schreibt etwa in dem oben erwähnten Aufsatz (GA-35, S. 276): "Man treibt diese Hingabe an die Denkvorgänge so weit, daß man die Fähigkeit erlangt, die Aufmerksamkeit nicht mehr auf die im Denken vorhandenen Gedanken zu lenken, sondern allein auf die Tätigkeit des Denkens. Für das Bewußtsein verschwindet dann jeglicher Gedankeninhalt, und die Seele erlebt sich wissend in der Verrichtung des Denkens. Das Denken verwandelt sich so in eine feine innerliche Willenshandlung, die ganz vom Bewußtsein durchleuchtet ist. Im gewöhnlichen Denken leben Gedanken; die gekennzeichnete Verrichtung tilgt den Gedanken aus dem Denken aus. Das herbeigeführte Erlebnis ist ein Weben in einer inneren Willenstätigkeit, die ihre Wirklichkeit in sich selbst trägt." Das mag zunächst Stirnrunzeln hervorrufen; denn: wie kann man sich in der Verrichtung des Denkens wissend erleben, wenn man den Gedankeninhalt aus dem Bewußtsein getilgt hat? Was soll man da noch denken? Erklärlich wird diese Wendung vielleicht wenn man sich vergleichbare Aussagen von Bühler und seinen Versuchspersonen vor Augen hält. Die Versuchspersonen geben wiederholt zu Protokoll, daß ihnen bei der denkenden Entscheidung von Fragen sehr viel bewußt gewesen sei, ohne allerdings in Form von konkreten Vorstellungen oder Einzelgedanken aufzutreten, sondern anschauungslos und gleichzeitig gegeben war. Sie erlebten (sehr gezielt, denn das lag im Fokus des wissenschaftlichen Interesses) ihre Denkaktivität, wußten, was sie dachten, fällten auf dieser Grundlage auch Entscheidungen, und dennoch war kein sich veranschaulichender spezifischer Gedankeninhalt auszumachen. Dieser Zustand des gleichzeitigen, anschauungslosen und dennoch sehr umfangreichen Wissens, schreibt Bühler, habe bei seinen Mitarbeitern Verwunderung ausgelöst. Bühler spricht in diesem Zusammenhang von einem "unmittelbaren und substratlosen Wissen", das den "Umfang von ganzen Kapiteln" haben könne. Das klingt doch sehr verwandt dem, was Steiner sagt: In beiden Fällen wird die Aufmerksamkeit auf die Aktivität des Denkens gerichtet. Ein konkreter vereinzelter Gedankeninhalt ist nicht da, und dennoch weiß man sehr viel, erlebt sich "wissend in der Verrichtung des Denkens". In einer Denktätigkeit, bei der zwar die Einzelgedanken verschwinden, die aber von "Bewußtsein durchleuchtet" ist. Es ist allerdings zu bedenken: Bei Bühlers Versuchspersonen sind diese Dingen nicht schulungsmäßig systematisch eingeübt, sondern sie treten bei zwar geübten Denkern und psychologischen Beobachtern auf, aber eben doch nur aus einer allgemein vorhandenen Veranlagung und Fähigkeit sich ergebend. Was, wenn diese Fähigkeit zielgerichtet weiter einstudiert und dann sehr energisch bewußtseinsphänomenologisch weiter untersucht wird? Eingehende qualitative Vergleiche lassen sich hier natürlich nicht sinnvoll anstellen, sondern wir können nur grundsätzliche Gemeinsamkeiten darlegen. Aber das allein schon scheint mir sehr aufschlußreich. Man wird also vielleicht annehmen dürfen, daß die Unanschaulichkeit und somit Unerinnerbarkeit bzw eingeschränkte Erinnerbarkeit von Werdeprozessen des Denkens etwas mit dem zu tun hat, was ich im Kapitel 3.3 die Simultanpräsenz von Gedanken genannt habe. Und dies wiederum ein noch erster schwacher, aber gleichwohl fasslicher Eindruck dessen ist, was Rudolf Steiner in GA-35, 1984 S. 277 die nicht unmittelbar erinnerbare "Willenswirklichkeit" nennt. (Im Aufsatz: Die Erkenntnis vom Zustand zwischen dem Tode und einer neuen Geburt) Von dieser sagt Steiner (S. 277 f): "Die geschilderte Willenswirklichkeit muß, wenn sie als solche wieder im Bewußtsein erlebt werden soll, auch wieder so erarbeitet werden wie das erstemal. Nicht gemeint ist damit, daß diese Wirklichkeit nicht mittelbar dem gewöhnlichen Gedächtnisse einverleibt werden könnte. Das muß sogar geschehen, wenn der Weg der Geistesforschung ein gesunder sein soll. Aber, was von der geistigen Wirklichkeit im Gedächtnis verbleibt, das ist nur Vorstellung von dieser Wirklichkeit, wie dasjenige, was man heute erinnert von einem gestrigen Erlebnis nur eine Vorstellung ist. Begriffe, Ideen kann man gedächtnismäßig behalten; die geistige Wirklichkeit muß immer neu erlebt werden." Nachtrag 06.10.2017: Hervorzuheben ist, - und das ist in dieser Abhandlung bislang deutlich zu kurz gekommen -, daß für Steiner das Erleben der geistigen Wirklichkeit unabhängig von der physischen Leiblichkeit erfolgt. Während an der Gedächtnisbildung der physische Leib beteiligt sein muß. Deswegen sind übersinnliche Wahrnehmungen, die ohne den physischen Leib erfolgen, laut Steiner nicht erinnerbar, sondern müssen mittelbar mit Hilfe des physischen Leibes dem Gedächtnis einverleibt werden. Infolgedessen sind Begriffe des gewöhnlichen Bewußtseins auch erinnerbar, während die lebendigen Begriffe als wirkende geistige Entitäten es nicht sind, weil sie unabhängig vom pysischen Leib erlebt werden: Siehe dazu S. 277: "Begriffe, Ideen kann man gedächtnismäßig behalten; die geistige Wirklichkeit muß immer neu erlebt werden. Indem man diesen Unterschied der durch die Entwickelung der Denktätigkeit erreichten geistigen Wirklichkeit von dem Hegen bloßer Gedanken lebendig erfaßt, gelangt man dazu, sich mit dieser Wirklichkeit außerhalb des physischen Leibes zu erleben. Was das gewöhnliche Denken zumeist für eine Unmöglichkeit halten muß, tritt ein: man erlebt sich als außerhalb des Daseins, das mit dem Leibe zusammenhängt." Ich bitte das für den Rest der Arbeit zu beachten. An sich müßte sie mit Blick auf diese Sachlage noch einmal überarbeitet und erheblich ergänzt werden. Auf jeden Fall gilt, daß die gegenwärtige Aktivität des Denkens der Philosophie der Freiheit (drittes Kapitel) erlebt werden muß und auch wird. Was Steiner ja auch in der annähernd zeitgleich entstandenen Schrift Wahrheit und Wissenschaft (GA-3) gegen Ende von Kapitel IV ausdrücklich fordert und behauptet. Wonach das Hervorbringen von Begriffen unmittelbar gegeben, das ist: erlebt sein muß: "Wir müssen uns vollständig klar darüber sein, daß wir dieses Hervorbringen in aller Unmittelbarkeit wieder gegeben haben müssen. Es dürfen nicht etwa Schlußfolgerungen nötig sein, um dasselbe zu erkennen." (Womöglich hat W. J. Stein diese Schrift nicht gekannt oder nicht beachtet. Auf jeden Fall aber ist die Philosophie der Freiheit beileibe nicht die einzige Quelle anhand derer die strittige Frage nach dem erlebten gegenwärtigen Denken aus der Philosophie der Freiheit entschieden und beurteilt werden kann. Steiners Grundlinien ... liefern ebenfalls eine entsprechende Urteilsgrundlage und desgleichen sein Vortragswerk. Siehe dazu sehr ausführlich meine Studie Bildende Kräfte und Rudolf Steiners Philosophie der Freiheit auf meiner Webseite.) Und innerhalb dieser erlebten Aktivität ergibt sich durch Schulung die Möglichkeit das weiter zu erleben, was Steiner dann oben in GA-35 als Willenswirklichkeit etc. bezeichnet. Vom Ätherleib ist da unter anderem explizit die Rede. Ohne das erlebte gegenwärtige Denken des Normalbewußtseins wäre indessen der methodische Weg, wie er von Steiner in GA-35 skizziert wird, nicht zu begehen. Denn an dieser Aktivität setzt die dort behandelte Schulung an. Ende des Nachtrags Erklärlich wird die solchermaßen eingeschränkte Erinnerbarkeit der Willenswirklichkeit, wenn man sich im Rekurs auf Bühlers Darstellungen verdeutlicht, was in ihr eigentlich enthalten ist: Sie ist die Summe oder Essenz unserer Erfahrungen die wir auf einem speziellen Gebiet gesammelt haben. Oder in Anlehnung an Steiners Philosophie der Freiheit: Die Totalität unserer individualisierten Begriffe innerhalb eines beschränkten Bereichs, die zu etwas Willensartig-Dynamischem namens Fähigkeit umgeschmolzen worden ist und in ihrer dynamischen Gesamtwirksamkeit als unanschaulicher Denkwille erlebt wird. Der wirksame Totalzusammenhang ist auf dieser Ebene ebensowenig erinnerbar, wie es vergleichsweise ein simultaner Totalzusammenhang im Bereich der gewöhnlichen sinnlichen Wahrnehmung wäre. Im Gegensatz zu den nicht erinnerbaren Werdeprozessen des Denkens, schreibt Stein auf S. 195 mit Steiners direkter Hilfestellung, seien Werdeprozesse im Objektiven erinnerbar. Letzteres gilt - aber doch auch nur begrenzt: Wie sich Pflanzengestalten oder Wolkengebilde im Verlauf der Zeit verändern, das läßt sich mit einiger Mühe und Vorstellungskraft in der Erinnerung phantasiemäßig und flüssig nachbilden - jedoch nur, solange wir auf einem vereinzelten und eingeschränkten Felde, etwa der visuellen Wahrnehmung verbleiben. Wir wären dagegen in diesem Bemühen völlig verloren, wenn wir eine Vielheit an gleichzeitigen Veränderungen im selben Sinnesfeld oder gar im Bereich sämtlicher Sinnesfelder - etwa beim Gang über eine frühsommerliche morgendliche Waldlichtung oder über einen belebten Jahrmarkt - ebenso phantasiemäßig und flüssig in der Erinnerung nachvollziehen wollten, weil eben dann auch hier alles vergleichbar einem "durch und durch beweglichen Prozeß" ist. Und dies entspricht in einer gewissen Annäherung der Sachlage beim Erleben und Erinnern des Denkwillens. Der wirksame Totalzusammenhang als solcher ist nicht erinnerbar, sondern mittelbar nur so etwas wie ein Eindruck, den er hinterläßt. (Tatsächlich ist die Frage der Erinnerbarkeit von geistigen Wahrnehmungen um einiges komplexer als es Steiner mit seinen Korrekturen in Steins Dissertation deutlich machen konnte. Ich habe eben schon mit angeführt, daß er auch von mittelbaren Erinnerungen an solche Wahrnehmungen spricht. Man vergleiche ebenfalls was er zu dem Thema in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21, Dornach 1976, S. 142 f) sagt. ) Der Unanschaulichkeit und Nicht-Erinnerbarkeit des Denkwillens kann man sich vielleicht weiter von einer etwas anderen Seite mit dem Verstehen nähern, wenn man ihn in seinem Fähigkeitscharakter als reines Potential auffaßt, in dem sich die ungeheure Fülle von Einzelerfahrungen zu einem lebendigen Vermögen metamorphosiert hat, dergestalt, daß sie sich darin allesamt in einem Wirkungszusammenhang in Form eines dynamischen gleichzeitigen Überlagerungszustandes befinden, - wenn man einmal mit aller gebotenen Vorsicht diese Analogie zur Quantentheorie bemühen darf. (Siehe dazu auch Roger Penrose, Computerdenken, Heidelberg 1991, S. 389 f; S. 434 f) Die Einzelerfahrung wird vergessen - aber sie geht nicht völlig verloren, sondern gliedert sich als dynamisch Wirksames dem lebendigen Gesamtzusammenhang des Seelenlebens ein und wird fortwährend in ihrer Potentialität angereichert und modifiziert, aber nie vernichtet. Was im Denkwillen dann zutage tritt ist ein simultaner lebendiger Gesamtzusammenhang oder eine Art Resultante all dieser weiterhin wirkenden Einzelerfahrungen. Von dieser Resultante als augenblicklich wirksamem Denkwillen ist es schwerlich vorstellbar, daß sie sich als Denkwille veranschauliche, denn wie und wohinein sollte sich die Gesamtdynamik veranschaulichen? Sie veranschaulicht sich erst dann, wenn sie zu einem gewissen Halt oder Abschluß gekommen ist und in eine konkrete Vorstellung ausläuft. (Letzteres ist als der von Steiner erwähnte Ablähmungsvorgang zu begreifen) Man vergleiche hierzu auch den kurzen Auszug von Massimo Scaligero gegen Ende von Kapitel 3.3 der Arbeit Zur Unbewußtheit des aktuellen Denkens. Der Hinweis auf Roger Penrose eben ist sehr bewußt plaziert, weil ich glaube, daß er da etwas sehr wichtigem auf der Spur ist, das sich weiter zu beobachten lohnt. Die betonte Vorsicht allerdings ist hier mehr als ratsam, damit man nicht in den Kategorienfehler verfalle, das Vorliegende (den Denkwillen) mit den Mitteln der Quantentheorie zu betrachten. Die Quantentheorie ist von der und für die Physik gemacht. Was in unserem Fall vorliegt ist aber ein geistig-seelisches Phänomen. Und für diese Phänomene hat die Physik überhaupt keine Begriffe und erst recht keine Methoden ihrer habhaft zu werden. In der Quantentheorie geht es etwa um Ortszustände einzelner Lichtquanten. Von letzteren sagt die Theorie, das einzelne Lichtquant sei nicht entweder hier oder dort, sondern zugleich hier wie auch dort. - Deswegen spricht Penrose von einer Überlagerung aller Ortszustände. Beim Denkwillen geht es zwar auch um etwas Dynamisches, aber um etwas Bewußtseinsdynamisches und nichts Physikalisches. Weiter geht es auch nicht um Orte zur selben Zeit sondern um Inhalte oder Sinngehalte zur selben Zeit. Der Bewußtseinsinhalt zum Zeitpunkt X ist nicht entweder nur dies oder das, sondern all das. Der Vergleich zur Quantentheorie ist also nur analogisch und soll auch nur als das genommen werden. Penrose hat eine - vieleicht sogar vielversprechende - Analogie zwischen dem Denken und dem Licht entdeckt, und auf dieser Basis weitreichende, aber bislang noch sehr einseitige Folgerungen für die Physik gezogen. Wem also bei dieser Analogie etwas fröstelt, der kann auch zur Analogie des Allgemeinbegriffs greifen. Da haben wir nämlich dasselbe Phänomen der gleichzeitigen Überlagerung aller Zustände, jetzt allerdings nicht dynamisch wie auf dem geistig-seelischen oder physikalischen Felde, sondern bloß auf einem rein ideellen Felde, - den Begriff einmal in seiner abstrakten Form genommen. (Siehe dazu auch Stein, a.a.O., S. 196) Im Begriff des Dreiecks sind sämtliche Möglichkeiten, die eine Dreiecksgestalt anzunehmen vermag, potentialiter schon enthalten. Er ist nicht dieses oder jenes Dreieck, sondern seinem Sinngehalt nach alles zugleich. Wenden wir uns von dieser abstrakten Betrachtungsebene des Begriffs der Ebene seines Gedacht-Werdens zu, dann wird aus einer bloß abstrakten Potentialität eine ganz reale - im engeren Sinne eine bewußtseinsreale. Sich den Begriff des Dreiecks vorstellen hieße etwa, sehr verkürzend gesprochen, sich gleichzeitig sämtliche Dreiecksformen vorzustellen, die überhaupt nur denkbar sind. Eine gute Frage in unserem Zusammenhang wäre, wie diese Vorstellung wohl aussähe? - Nun wird man sicherlich mit guten Gründen an der Möglichkeit zweifeln, sich sämtliche denkbaren Dreiecksformen gleichzeitig vorzustellen. Man wird sie allenfalls in einer flüssigen Vorstellungsabfolge in innerem Bilde nacheinander, oder eine beschränkte Anzahl davon zugleich präsentieren können. Aber dennoch hat man, indem man diese Vorstellungsfolge produziert, dasselbe ideelle Potential in sich, das der Begriff des Dreiecks bedeutet, und in dem sie potentiell gleichzeitig enthalten sind. Nur diesmal nicht bloß abstrakt, sondern real wirksam. Im Denkwillen ist - wenn man einmal an diese wenig glückliche Unterscheidung Husserls aus den Logischen Untersuchungen anknüpfen will (Siehe Prolegomena zur reinen Logik, 7. Aufl. Tübingen 1993, S. 67 ff) - aus dem Idealgesetz des Dreiecks ein Realgesetz geworden. An diesem Punkt dürfte sich wohl - mit Blick auf Husserls diesbezügliche Ausführungen auf S. 68 der Logischen Untersuchungen - die vielleicht gründlichste Unverträglichkeit zwischen den Auffassungen Husserls und Steiners festmachen lassen. Siehe hierzu auch Melchior Palágyi, Der Streit der Psychologisten und Formalisten in der modernen Logik, Leipzig 1902, § 8, Realgesetze und Idealgesetze, S. 39 ff. Will man also die Idee des Dreiecks näherungsweise erleben, so hätte man in diesem wirkenden Denkwillen, der ja gleichsam ein Abbild oder eine Art Doppelgänger (Stein spricht S. 199 von Vervielfältigung) der ursprünglichen Idee des Dreiecks ist, zwar zunächst noch keine Anschauung der Idee. Aber, bei Fokussierung der Aufmerksamkeit auf den Denkwillen, auf jeden Fall erst einmal ein Erlebnis davon, wie aus einer reinen ideellen Potentialität sämtliche Dreiecksformen herausgeboren werden und die Formen aus dem Stadium der Gleichzeitigkeit in die gedehnte Zeitlichkeit und in die Vereinzelung entlassen werden. Diese Produktion folgt einem genau angebbaren Prinzip, von dem man nichts anderes sagen kann, als daß es im Denkwillen regierend anwesend ist und wirkt. Seiner denkpsychologischen Sachlage nach ist das vielleicht nicht allzuweit entfernt von Külpes Erlebnis wenn er in den Bühlerschen Versuchen berichtet, er habe einen momentanen förmlichen Überblick über das Kantsche System gehabt. Dieses Erleben wirkender ideeller Potentialität, das dürfte einleuchten, wird um so gesättigter und in sich differenzierter ausfallen, je mehr gezielte Übung auf diesem Felde und je mehr Beobachtungserfahrung vorhanden ist. Von der anderen Seite gesehen kann die Unanschaulichkeit des wirkenden Denkwillens auch dazu verführen, ihn überhaupt vollkommen zu verkennen und zu übersehen und stattdessen zu meinen, gegenwärtige Denkakte seien der bewußten Erfahrung gar nicht zugänglich - letzteres eine fast durchgängige Auffassung von Psychologen und Philosophen seiner Zeit, wie Bühler eingangs seiner Untersuchung berichtet. Das würde eine mögliche Erklärung dafür abgeben, warum beispielsweise Herbert Witzenmann mit der Frage der Erfahrungsgegebenheit von gegenwärtigen Denkakten nie zurecht gekommen ist. Die Empirie schien ihm ja zu bestätigen, daß diese Erfahrung nicht vorhanden war. Und sie bestätigte ihn scheinbar auch in dem Glauben mit seiner (Fehl)Deutung von der Unbeobachtbarkeit des gegenwärtigen Denkens aus dem dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit richtig zu liegen. Ein Blick in die Untersuchungen Bühlers hätte da unter Umständen als Korrektiv hilfreich sein können. Analoges wie bei der eben besprochenen Dreiecksvorstellung läßt sich auch in modifizierter Form mit reinen Begriffen wie etwa Freiheit oder Kausalität etc durchführen - prinzipiell mit jedem Begriff, indem man nach seinem Inhalt fragt und versucht sich diesen Inhalt gleichzeitig vorzustellen. Man wird dann ganz ähnliche Erfahrungen machen wie beim Versuch, sich gleichzeitig sämtliche denkbaren Dreiecksformen vorzustellen. Dennoch kann man etwas von dieser Gleichzeitigkeit erleben, vor allem, wenn man in der Begriffsexplikation erfahren ist, wenn man sein Augenmerk darauf richtet, wie sich der Allgemeinbegriff in oder trotz seiner unanschaulichen Bewußtseinsanwesenheit bereits nach seiner inhaltlichen Seite hin differenziert. Von Erlebnissen dieser Art berichten Bühlers Versuchspersonen. Vieles von dem, was gleichzeitig im Begriff als Inhalt enthalten ist - was verständlicherweise voraussetzt, daß man sich diesen Inhalt vorher in zahlreichen Bemühungen schon zugänglich gemacht hat, so daß er zu einer willensartigen Fähigkeit geworden ist - ist dann in einer substratlosen, medienfreien Form gegenwärtig. Man kann dies vielleicht auch als ein Übergangsstadium betrachten zwischen dem Erleben der Willenwirklichkeit im engeren Sinne, von der Steiner spricht, und der Phase der Herabgelähmtheit des kraftenden Gedankens. Man könnte also sagen, daß der gesamte Begriffsinhalt - soweit man seiner habhaft ist - gleichzeitig im Denkwillen anwesend ist. Hier hat die Auffassung Herbert Witzenmanns seine relative Berechtigung, wenn er sagt, daß Begriffe nur vollzogen werden können. Sehr interessant in diesem Zusammenhang ist beispielsweise, was er zu einer vergleichbaren Dreiecksübung sagt, wie ich sie vorhin erläutert habe: "Es gibt kein Übergehen der Erscheinungen ineinander, mögen diese auch noch so ähnlich sein; vielmehr geht jedes Erscheinende aus dem allem Erscheinen gemeinsamen Urquell des Nicht-Erscheinenden hervor. Dieses Hervorgehen aus dem gleichen Unvorstellbaren wird für die seelische Beobachtung als die innere Führung des Vorstellungsprozesses bewußt, welche ein Ausgleiten der Vorstellungsbildung in Formcharaktere, die nicht dem gleichen Bereich (der gleichen Reihe) angehören, verhindert. Diese innere Führung ist nicht vorstellbar, sondern nur (mit-) vollziehbar." (Herbert Witzenmann, Das sokratische Motiv in der «Philosophie der Freiheit» Rudolf Steiners, in: Herbert Witzenmann, Die Kategorienlehre Rudolf Steiners, Krefeld 1994, S. 28 ) Ich möchte dies im Kontext des bisher Ausgeführten so zusammenfassen: Der Begriffsinhalt ist zwar im Denkwillen ganzheitlich anwesend, allerdings auf eine unanschauliche und in seiner Gesamtheit nicht vorstellbare Art. Und will man diesen Begriffsinhalt explizit - bzw im Fall der Dreiecksvorstellung anschaulich - machen, so muß man das gleichzeitig im Denkwillen Anwesende in die Zeitlichkeit überführen - bzw in der Ausdrucksweise Steiners: das lebendige Denken ablähmen. Die einzelnen Dreiecksfiguren gehen eben nicht auseinander hervor, sondern aus dem nicht vorstellbaren und nur vollziehbaren aber erlebbaren dynamischen Element des Denkwillens, in dem der Dreiecksbegriff präsent ist. Und Vergleichbares gilt für die eben erwähnten begrifflichen Inhalte, die einen Allgemeinbegriff konstituieren. Kritisch möchte ich allerdings Witzenmann gegenüber bemerken: Das, was die einzelnen Erscheinungen im Denkwillen hervortreibt, erscheint natürlich selbst auch; das heißt: es ist Gegenstand einer bewußten Erfahrung. Es ist zwar nicht vorstellbar als konkrete Einzelvorstellung, aber es erscheint gleichwohl. Und zwar im echten Sinne einer Erscheinung, die zunächst begrifflich noch nicht hinreichend bestimmt ist. Denn was dieses Hervortreibende ist, das verlangt weitere Sondierungen und erkennende, gedankliche Bestimmungen. Es ist also nicht so wie Witzenmann sagt: " ...; vielmehr geht jedes Erscheinende aus dem allem Erscheinen gemeinsamen Urquell des Nicht-Erscheinenden hervor." Dieser Urquell erscheint eben in diesem Fall - bei unserer Aktivität des Denkens, oder sagen wir ruhig: als wirkender Geist im Menschen - auch, denn richtig verstandenes Denk-Erleben ist bekanntlich schon Geist-Erleben (PdF. S. 256; 2. Zusatz von 1918). Geist, der nicht erscheint, ist schwerlich zu erleben. In diesem Fall wäre das denkende Hervorbringen ideeller Entitäten für das Individuum gänzlich unerfahrbar. Und das ist ja ein Punkt, an dem Witzenmann allergrößte Verständnisschwierigkeiten mit der Philosophie der Freiheit hat, wie ich in verschiedenen Beiträgen auf dieser Internetseite darzustellen versucht habe. Dennoch: Vor dem hier dargestellten Hintergrund ist Witzenmann gewiß auch darin zuzustimmen, wenn er sagt, daß Denkakt und Inhalt gleichartig seien (Siehe Intuition und Beobachtung, Bd. I, Stuttgart 1977, S. 80). Sie sind es insoweit, als es der begriffliche Inhalt des Denkwillens ist, der die Dynamik des Denkwillens beherrscht. Von besonderer Relevanz ist in diesem Zusammenhang, daß für Steiner im reinen Denken Wille und Denken zusammenfallen - und das reine Denken "ebensogut als reiner Wille anzusprechen" ist. (Siehe etwa GA-202, Dornach 1980, S. 202; Vortrag v. 19.12.1920; Siehe ebenso GA-322, Dornach 1981, S. 124, Vortrag vom 3. Okt. 1920.) Im Denk-Willen lebt sich beim reinen Denken gewissermaßen der Welten-Wille aus. (Siehe dazu auch in der Schrift Vom Menschenrätsel, GA-20, Dornach 1984, S. 140 f.) Dies scheint mir ein ergiebiger Gesichtspunkt zu sein, der vor dem Hintergrund des hier Gesagten allerdings noch weiterer Aufarbeitung und philologischer Absicherung bedarf. In dieser Beziehung aufschlußreich sind auch verschiedene Ausführungen, die Steiner im philosophischen Schrifttum über das Verhältnis von Wille und Idee gemacht hat. Etwa dahingehend, daß der menschliche Wille selbst Idee sei, diese "als Kraft aufgefaßt". (Goethes naturwissenschaftliche Schriften, GA-1, Dornach 1973, S. 197. Siehe zum Verhältnis Wille/Idee auch meine Ausführungen an anderer Stelle auf dieser Hompage. Dort vor allem die Unterkapitel b und c.) Bemerkenswert ist vor allen Dingen, daß für Steiner die Kategorien Sinn ( besser: Idee) und Kraft (z. B. Wille) nicht getrennt werden können wie etwa bei Eduard von Hartmann, wo sie völlig auseinanderfallen, sondern Kraft nur eine spezifische Form des Sinns (der Idee) ist. Phänomenologisch bedeutsam scheint mir daher in diesem Zusammenhang, daß die Gleichzeitigkeit der Bewußtseinsanwesenheit eine sehr genaue Entsprechung in dem hat, was - philosophisch gesehen - den ganzheitlichen Begriffsinhalt - seine logische Architektur oder Morphologie - ausmacht. Das heißt in der Art und Weise, wie der Sinn des Begriffs logisch gebaut und ineinandergefügt ist. Bewußtseinsdynamik des Denkwillens und Begriffsinhalt, so könnte man es vielleicht sagen, sind strukturhomolog. Als charakterisierendes Stichwort für diese logische Morphologie des Begriffs einerseits und die Bewußtseinsdynamik und Unanschaulichkeit des Denkwillens andererseits bietet sich das des zugleich Ineinander- und Außereinander-Seins an. Vergleiche etwa auch Josef König, Der Begriff der Intuition, Halle/Saale, 1926 S. 43 f: "Die Bedeutung, die die Spekulation mit dem Begriff der Dialektik verband, unterscheidet sich für einen ersten Blick sehr beträchtlich von dem Kantischen Verstand dieses Begriffes, auch ganz abgesehen von dem auf alles und jedes sich erstreckenden transzendentalen Charakter kritischer Begriffe. Das Thema aller Dialektik ist die Kontinuität des rein Gedachten oder rein Denkbaren; im einzelnen Gedanken liegt an sich schon mehr als explizit in ihm gedacht wurde; er ist schon dem ganzen Kosmos des rein Denkbaren verhaftet, so daß grundsätzlich die Möglichkeit bestehen muß, von jedem vorgegebenen Gedanken aus auf die Totalität des rein Denkbaren zu kommen: wir diese in ihm also schon implizit besitzen. Macht man z. B. die Kausalität selbst zum Gegenstand des Nachdenkens, indem man das implizit mit ihr Gegebene sich zum Bewußtsein bringt, so kommt man notwendig zu anderen und wieder anderen Kategorien (Kontinuität, Wechselwirkung, Substanz). Das besagt, daß die einzelnen Kategorien nicht einfach koordiniert sind, daß sie ferner auch nicht lediglich in einem systematischen auf Bestimmung raumzeitlicher Gegenstände abzielenden Zusammenhang ihren Ort haben (die kritische Ansicht), sondern daß sie in sich selbst ein eigentümliches Verhältnis von Ineinander- und zugleich Außereinandersein zur Darstellung bringen. An wenigen Punkten macht sich der an sich selbst so ungeheuer problematische Kampf des Denkens mit den sprachlichen Ausdrucksmitteln so sehr bemerkbar wie hier, denn ganz gewiß ist dieses Ineinander- und Außereinander-Sein eine sehr inadäquate und doch fast unvermeidliche Vorstellung." Man sieht, daß für die philosophische Reflexion das Ineinander- und Außereinander-Sein der Begriffe oder Kategorien, wenn man sie als rein ideelle Gegebenheiten betrachtet, eine etwas anders gelagerte Fragestellung ist, als für die Bewußtseinstheorie. Die philosophische Reflexion fragt ja (noch) nicht nach aktuellen Bewußtseinszuständen, sondern nach begriffslogischen Gegebenheiten. Für die Bewußtseinstheorie geht es indessen ausdrücklich um die bewußtseinsfaktische Sachlage. Sie fragt nicht primär im philosophischen Sinne nach Begriffsinhalten, sondern nach Bewußtseinsinhalten und den Bedingungen ihrer Anwesenheit. Das bedeutet auf der einen Seite, daß nicht alles, was prinzipiell Begriffsinhalt sein kann oder muß, auch schon Bewußtseinsinhalt ist. Er ist es zumindest in dem Fall noch nicht, wo das individuelle Bewußtsein zum jeweiligen Begriffsinhalt noch nicht vorgedrungen ist. Steiners um Klärung bemühte Auseinandersetzung mit dem Freiheitsbegriff macht dies deutlich. Von der anderen Seite gesehen gibt es für die Bewußtseinstheorie auch eine gleichzeitige Überlagerung von solchen Inhalten, die nicht im streng begrifflich-logischen Sinne zusammengehören, wie etwa disparate Erfahrungen oder Erinnerungen aller Art. Mir scheint dieses Ineinander- und Außereinander- Sein eine sehr passende Beschreibung dessen, was im Begriff vorliegt. Auf der einen Seite gehören Teilbegriffe wie Kontinuität, Wechselwirkung usf. zum Wesen des Kausalitätsbegriffs, ohne die er nicht das wäre was er ist. Während sie auf der anderen Seite wiederum eigenständige Begriffswesenheiten für sich selbst sind, freilich in den analogen Abhängigkeitsbeziehungen zu wieder anderen Begriffen stehend, wie es für den der Kausalität gilt. Es ist dies ja ein grundlegender Gedankengang, der auch bei Steiner in den philosophischen Frühschriften immer wieder auftaucht, wenn vielleicht auch nicht ganz so treffend formuliert. Für eine Theorie des denkenden Bewußtseins heißt dies: Wer irgend einen beliebigen Begriff denkt, der denkt simultan eine Fülle anderer Begriffe mit, die in diesem einen enthalten sind und ihm sein spezifisches Eigensein verleihen. Und für diese impliziten Gedanken gilt eben dasselbe. Er denkt also nicht irgend ein abgesondertes ideelles Etwas, sondern gleichsam einen ganzen Begriffsorganismus, bzw einen ganzen Kosmos solcher sich wechselseitig erhaltenden und bestimmenden Begriffsorganismen. In jedem einzelnen Gedanken ist sein gesamter geistiger Umraum anwesend. Und dies umso mehr, je reicher der Begriff dem Denker ist und je gedankenkräftiger er ihn denkt. Diese Beziehung zwischen den einzelnen Gedanken ist, und da liegt das Spannende für die Bewußtseinstheorie, keine bloß schematische oder formale, wie man sie vielleicht in irgend einer älteren Lehre vom Begriff finden könnte. Sondern sie ist in jedem Augenblick, wo wirklich gedacht wird, eine dynamische, lebende, die sich in einem tätigen Prozeß verwirklicht. Und ein Schwerpunkt der bewußtseinstheoretischen Untersuchung liegt in der Frage: Was lebt denn da eigentlich in dieser merkwürdigen Weise im Denken, daß jeder Punkt der Peripherie auch dynamisch vom gesamten Umkreis her gestaltet wird, diesen in sich enthält und seinerseits den Umraum mitgestaltet? An sich sind solche Gedankengänge in der Philosophie ja nicht unbekannt. Ich selbst habe in meiner Arbeit über die Unbewußtheit des aktuellen Denkens (gegen Ende von Kap. 3.2 f) auf vergleichbare Überlegungen Ernst Cassirers aufmerksam gemacht. Was diesen Ansätzen allerdings gewöhnlich fehlt ist ein methodisch-empirischer Erlebenszugang zu diesem Phänomen. Darauf verweist Steiner im Skizzenhaften Ausblick. Und darin, einen solchen methodischen Zugang geschaffen zu haben, sieht er persönlich die Stärke des eigenen Ansatzes. Die Gruppe der Würzburger Schule um Oswald Külpe hat sich zumindest im Prinzip auf die Suche nach etwas Vergleichbarem begeben, wenn sie es auch nie vertiefen konnte. Ob die Vorstellung des Ineinander- und Außereinander-Seins tatsächlich so inandaequat ist, wie König meint, ist spätestens mit dem Aufkommen der Quantentheorie und dem Begriff der gleichzeitigen Überlagerung fraglich geworden. Die von König angedeutete Schwierigkeit entsteht vor allem, wenn man an diesen Begriffsinhalt mit raum-zeitlichen Vorstellungen herangeht. Dann bekommt man ein ähnlich gelagertes Problem wie bei der scholastischen Frage, wieviel Engel auf eine Nadelspitze passen. Sinngehalte sind nun einmal keine raum-zeitlichen Gebilde und versperren sich einem von dieser Raum-Zeitlichkeit geprägten Vorstellungsvermögen. Von der anderen Seite könnte man vielleicht auch annehmen, daß sich das Bewußtsein soweit von dieser Raum-Zeitlichkeit unabhängig macht, wie es in seinem Erleben dieser Gleichzeitigkeit und damit Unabhängigkeit von der Raum-Zeitlichkeit teilhaftig wird. Denn wenn etwas Nicht-Raum-Zeitliches für die Dynamik des Bewußtseins verantwortlich ist, dann ist das Erleben dieser Dynamik das Erleben eines Nicht-Leiblichen. Das würde zumindest einen Verständniszugang zum Gemeinten eröffnen, wenn Steiner davon spricht, daß sich der Mensch im fortgesetzten Erleben des Denkwillens bzw. der Willenswirklichkeit außerhalb seines Leibes erlebe. Für die Bewußtseinstheorie, und hier ganz besonders für die Theorie des Denkbewußtseins, jedenfalls erscheint mir das Ineinander- und Außereinander- Sein wie eine geradezu denknotwendige Schlüsselkategorie. Sowohl was den inhaltlichen Aspekt betrifft, als auch den dynamischen - wenn man also danach fragt: Ist, und wenn ja, wie ist dieses gleichzeitige Ineinander- und Außereinander-Sein der Begriffe respektive Bewußtseinsinhalte in realen Vorgängen des Bewußtseins verankert? (Siehe zu diesem Thema auch Akt4.html auf dieser Homepage.) Für die Bewußtseinstheorie kann daher dieser Begriff zu einem Leitbegriff werden. Für Penrose ist diese Gleichzeitigkeit oder Einheit des Bewußtseins nebenbei gesagt einer der Gründe, von der Bewußtseinstheorie aus eine Veränderung der gesamten Physik anzusteuern.
III. Beim Denkwillen haben wir also allem Anschein nach etwas, bei dem Gleichzeitigkeit herrscht, dahingehend, daß in ihm eine unendliche Fülle an Möglichkeiten simultan enthalten ist und wirkt. Und zwar weder im nur dynamischen Sinne wie bei der Quantentheorie, noch im nur ideellen Sinne wie beim abstrakten Allgemeinbegriff, sondern seine Eigenschaften sind sowohl dynamisch als als auch ideell. Er ist ein unanschauliches, aber erlebbares dynamisch-ideelles Potential, das sich auch in seiner Unanschaulichkeit - um an Bühler anzuknüpfen - in unmittelbarem Wissen manifestieren kann, das heißt in Form von amodaler Bewußtheit. So daß man sagen kann, der Denkwille gleiche nach der einen Seite hin einer Idee oder einem Allgemeinbegriff, und nach der anderen Seite hin etwas, was auch Kraftwirkungen zeitigt und etwas hervorbringt bzw verändert. Auf der seelischen Ebene in Form von Vorstellungen und Erkenntnissen, und auf der biologisch-physikalischen Ebene bei Stoffwechselerscheinungen und Nervenprozessen. 1) Und - etwas robuster - in Form von echten Handlungen, in denen sich das Gedachte schließlich äußerlich sichtbar manifestiert. Alles in allem könnte man diesen Denkwillen wohl auch als kraftenden Sinn bezeichnen. Auf das Erleben dieses kraftenden Sinns zielt Steiner mit den Meditationen hin, wenn er im Skizzenhaften Ausblick sagt, es käme "nicht darauf an in Gedanken zu leben, sondern darauf, die Denktätigkeit zu erleben." (GA-18, 1968, S. 604) Es mag manchem Leser, der in der anthroposophischen Anschauung etwas bewandert ist, jetzt vielleicht etwas dämmern, falls er sich daran erinnert, daß es bei Steiner der Ätherleib ist, der denkt. Siehe etwa GA-138, S. 123 f, Vortrag vom 31.08.1912. Steiner führt dort aus: "Denn es ist etwas Eigentümliches um die okkulte Natur dieses Denkens. Eine materialistische Wissenschaft glaubt, daß der Mensch etwa mit seinem Gehirn denke. Er denkt nicht mit seinem Gehirn; das ist einfach ein Irrtum. Und wenn Sie den ganzen Sinn dessen kennenlernen, was in der Schrift [Ein Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen, (GA-16) MM] gesagt ist, so werden sie auch begreifen, daß der Vorgang des Denkens, die Tätigkeit des Denkens, die Verbindung und Lösung von Ideen nicht im physischen Leibe abläuft, sondern im ätherischen oder elementarischen Leibe. In Wahrheit denkt auch der Mensch, der im gewöhnlichen Leben steht, mit seinem elementarischen oder ätherischen Leibe, nur bewirkt das Stehen im gewöhnlichen Leben, daß der Mensch kein Wissen haben kann von jener Tätigkeit, die in ihm vorgeht, wenn er denkt, aber nur im ätherischen Leibe vorgeht. Im Grunde genommen denkt der Mensch fortwährend, und fortwährend ist der ätherische Leib in Bewegung, und diese Bewegung bedeutet denken. Aber was kommt von alledem zum Bewußtsein, was so im ätherischen Leibe vorgeht? Es kommt nur das zum Bewußtsein, was davon gespiegelt wird. [...] Der Ätherleib ist in fortwährendem Gedankenfluß. Aber wann nur wird dieser Gedankenfluß Wahrnehmung? Wenn das, was im physischen Leibe ist, das Gehirn, dasjenige spiegelt, was im ätherischen Leibe vorgeht. Was sonst immer da ist und wovon der Mensch gewöhnlich nichts weiß, das wird gespiegelt vom Gehirn, das wie ein Spiegelungsapparat aufzufassen ist. Und in allen Fällen, wo das Leben gespiegelt wird, wird es bewußt. Daher muß der physische Leib da sein, damit der ätherische Leib, der eigentlich denkt, von seinem Denken etwas wissen kann. Aber es denkt nicht das Gehirn, und es denkt nicht der physische Leib. Sowenig als das, was im Spiegel erscheint, Sie sind, sowenig ist das, was der Mensch wahrnimmt im Gehirn, sein Denken, denn dieses Denken sitzt im elementarischen oder ätherischen Leibe." Ergänzend hierzu noch eine Vortragspassage vom Mai 1915. Steiner sagt dort: "Wir haben besonders betonen müssen, daß die Tätigkeit, die uns durch die Gedanken zum Bewußtsein kommt, eigentlich verläuft im ätherischen Leibe des Menschen, und daß diese im ätherischen Leib verlaufende Tätigkeit, also die Tätigkeit, die dem Gedankenbilde zugrunde liegt, uns zum Bewußtsein kommt durch ihre Abspiegelung im physischen Leibe. Aber verrichtet wird sie im Seelisch-Geistigen. so daß der Mensch, wenn er in der physischen Welt darinnen steht und nur denkt - aber wirklich denkt -, eine geistige Tätigkeit verrichtet. Man kann sagen, daß sie ihm nur nicht zum Bewußtsein kommt als geistige Tätigkeit. So wie uns, wenn wir vor einem Spiegel stehen, nicht unser Gesicht, sondern dessen Abbild aus dem Spiegel heraus zum Bewußtsein kommt, so kommt uns im alltäglichen Leben nicht das Denken, sondern dessen Spiegelbild, als Gedankeninhalt, von dem physischen Leibesspiegel zurückgestrahlt, zum Bewußtsein." (GA-161, Dornach 1980, S. 252, Vortr. v. 02.05.1915) Siehe auch GA-161, Dornach 1980, S. 240 ff, Vortr. v. 01.05.1915 ) Bemerkenswert an dieser letzten Passage scheint mir, daß Steiner hier den Gedankeninhalt, also dasjenige, was weiter oben als etwas charakterisiert wurde, das aus dem Stadium der Gleichzeitigkeit und Anschauungslosigkeit, in die Zeitlichkeit respektive Explizitheit überführt wird, mit einem Spiegelbild vergleicht. Und die Bewußtwerdung dieses Spiegelbildes, d.h. des konkreten gedanklichen Inhaltes, von der Leibesfunktion abhängt. Mir ist klar, daß man nicht jedes im Vortrag gesprochene Wort Steiners auf die Goldwaage legen sollte, denn damit geht man unter Umständen schnell in die Irre. Hier ist also weitere Prüfung erforderlich. Aber der Sachverhalt entspricht sehr weitgehend dem, was vorangehend geschildert worden ist. Was aus dem lebendigen, tätigen Geist als vereinzelter Gedankeninhalt herausfällt, ist der am Hirnorgan gespiegelte oder abgelähmte Schattenwurf dieser geistigen Tätigkeit, der in Form eines konkreten begrifflichen Inhalts bewußt wird. An dieser Stelle macht sich schmerzlich das nahezu vollständige Fehlen einer anthroposophisch-denkpsychologischen Betrachtungsebene bemerkbar, die die Phänomene des normalbewußten Denkens etwas gründlicher und systematischer beschreibt. Die wenigen in Vortrag oder Schrifttum - beispielsweise in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21) - verstreuten Hinweise Steiners sind dazu bei weitem nicht ausreichend. Deswegen läßt sich über diese Zwischenwelt zwischen dem lebendigen elementarischen und dem abgestorbenen normalbewußten Gedankenleben so wenig brauchbares sagen. Vom "Schatten des elementarischen Gedankenlebens" spricht Steiner in einem Vortrag in München am 26. August 1913: "Aus meiner Darstellung haben Sie ersehen können", sagt er dort, "daß das, was einem bekannt ist in der physisch-sinnlichen Welt als das Denken, eigentlich nur der äußere, durch den physischen Leib hervorgerufene schattenhafte Abdruck ist desjenigen Denkens, das in den okkulten Untergründen ruht und das eigentlich Lebewesenheit genannt werden kann. Sobald wir mit unserem ätherischen Leib in der elementarischen Welt uns bewegen, werden die Gedanken, ich möchte sagen dichter, lebendiger, selbständiger, wahrer in ihrer Wesenheit. Was man innerhalb des physisch-sinnlichen Leibes als Denken erlebt, verhält sich zu diesem wahreren Element des Denkens wie ein Schattenbild an der Wand zu den Gegenständen, von denen es geworfen wird. Es ist in der Tat der Schatten des elementarischen Gedankenlebens, der hereingeworfen wird in die physisch-sinnliche Welt durch die Einrichtung des physischen Leibes. Wir denken gleichsam in den Gedankenwesensschatten, wenn wir in der physisch-sinnlichen Welt denken. Da eröffnet das übersinnliche, das hellsichtige Erkennen einen Ausblick in die wahre Natur des Denkens. Keine Philosophie, keine äußere Wissenschaft, wenn sie noch so geistreich auftritt, kann über diese wahre Natur des Denkens irgend etwas richtiges erkunden; ..." (GA-147, Dornach 1969, S. 62) Die Philosophie der Freiheit bewegt sich - mal mehr, mal weniger - hart an der Grenze zur elementarischen Welt. Aber sie bleibt nie bei den bloßen Schatten des Geistes in Form der Gedankeninhalte stehen, sondern macht von Anfang an zu ihrem vordringlichsten Anliegen die dem Schattenwurf zugrunde liegende Aktivität. Und vor allem in den späteren Zusätzen sind die Verweise über die Grenze hinaus sehr explizit. Der anthroposophische Schulungsweg vertieft dann methodisch etwas, was wie erwähnt in dieser Schrift längst veranlagt und thematisiert ist. So daß man kann also sagen kann: Wer seine gegenwärtige Denktätigkeit erlebt, der erlebt die Tätigkeit seines ätherischen- oder Bildekräfteleibes, wie Steiner ihn auch nennt. Er erlebt ihn zunächst als anschauungslose bloße Aktivität des Denkens, die erst im Zuge der von Steiner angegebenen Gedankenübungen konturierter wird. Aber es gibt Übergänge nach dort hin, die man, wenn man weiß, was man suchen soll, teilweise bei Bühler auch beschrieben findet. Falls der Leser sich zum Beispiel vor Augen führt, daß einer der beiden Teilnehmer von Bühlers Versuchen angesichts der augenblicklichen Inhaltsfülle seines Denkbewußtseins die Anmutung von Erlebnisbeschreibungen Ertrinkender hatte, dann wird ihm diese Anmutung vielleicht nicht mehr nur zufällig erscheinen. Bühler ahnte wohl mehr das Außerordentliche, das sich im Denkbewußtsein verbirgt, wenn er 1907 schreibt: "Wer garantiert uns denn dafür, daß Urteil und Begriff Begriffsbestimmungen sind, zu denen auch eine psychologische Betrachtungsweise der Denkvorgänge kommen wird? Und selbst wenn sie zu ihnen kommt, daß diese Bestimmungen auch dieselbe dominierende Bedeutung haben werden, wie in der Logik?" (Bühler s.o., S. 303) Für denjenigen, dem sich im Denkbewußtsein wirkliche, lebendige Geistwesen offenbaren, die nicht nur abstrakt gedacht, sondern auch erlebt werden, gibt es in der Tat noch ganz andere, wichtigere Gesichtspunkte, diese Erlebnisse zu betrachten. Für ihn werden Logik, Urteil und Begriff eher zu abgestorbenen, quasi fossilierten Überresten des lebendigen Geistes. Aber nicht in der Weise, daß er sie einfach wegwerfen wird, um einen mißverstandenen Aufstieg ins Über-Logische zu beschleunigen und von unnötigem Ballast zu befreien. Sondern er nimmt "den ganzen Seelenapparat von Logik und Selbstbesonnenheit" mit und legt sie "wie ein Skelett" über die übersinnlichen Erfahrungen, um Steiners Bemerkung auf dem Philosophiekongress von 1911 in Bologna noch einmal aufzunehmen. (s. o.) Ohne dieses Skelett wird er zum haltlosen Phantasten. Ich will das hier nicht allzu weit ausführen und nur so viel dazu sagen, daß dies ein Gesichtspunkt ist, der von anthroposophischer Seite weiterer Erhellung und Abklärung bedarf. Vor allem die Beziehung zwischen dem Ätherischen, dem Wollen und dem Denken ist hierzu eingehender zu beleuchten. Rudolf Steiner hat sich, so weit ich sehe, zu diesem Zusammenhang eher spärlich und auch vorrangig in Vorträgen versprengt geäußert, was wegen des dortigen Sprachgebrauchs schon seine eigenen Schwierigkeiten für den präziseren Verständniszugang mit sich bringt. Schließlich auch: daß das Ätherische überhaupt etwas mit Begriffen, mit dem Gedankenleben zu tun hat, ist nicht immer und für jeden ersichtlich. Wenn Steiner beispielsweise auf dem Philosophiekongress in Bologna 1911 den Ätherleib kennzeichnet als etwas, das erlebt wird "als ein Zusammenfluß der allumfassenden Gesetzmäßigkeit des Makrokosmos" (S. 126) bzw. ihn dort (S. 127) charakterisiert als "nichts anderes als ein zusammengedrängtes, die Weltgesetzlichkeit in sich spiegelndes Bild der kosmischen Gesetzmäßigkeit", so wird der Zusammenhang mit dem Begrifflichen nur dem klar, der weiß, daß Begriffe eben diese Eigenschaft haben: nämlich ein Gewebe von Gesetzen zu sein, die die Weltgesetzlichkeit zum Ausdruck bringen. (Siehe: Die psychologischen Grundlagen und die erkenntnistheoretische Stellung der Anthroposophie. Vortrag auf dem 4. internationalen Philosophie-Kongreß 1911 in Bologna. Abgedruckt in GA 35, Dornach 1984, S. 111 ff) Herrmann Poppelbaum hat insoweit recht mit seiner, freilich auch etwas sparsamen Bemerkung, wenn er (S. 186) sagt, der Ätherleib habe "sozusagen von Natur Begriffs-Charakter". (Literaturhinweis siehe weiter unten.) Auch andere Termini wählt Steiner in diesem Zusammenhang, die das Gemeinte in einer je etwas anderen Weise charakterisieren, aber den Zusammenhang mit dem Begrifflichen nahelegen. So spricht er in dem oben schon erwähnten Autoreferat (GA-35, Dornach 1984 S. 189 f ) auch von einem "Äthermenschen", der "bewegliche Logik" sei. Will man einen philosophischen Ausdruck für diesen Ätherleib haben, so könnte man ihn als Überlagerung oder Zusammenfluß von lebendigen und wirkenden Universalien bezeichnen. Während die gewöhnlichen Gedanken wirkungslos und tot sind. Dies trägt auch dem Umstand Rechnung, daß Steiner selbst gelegentlich in dieser Frage an die Universalienlehre anknüpft. Siehe hierzu ausführlicher: Peter Schneider, Steiners Begriff der Abstraktion und das Universalienproblem, in: Peter Schneider, Einführung in die Waldorfpädagogik, Stuttgart, 1985, S. 96 ff; ebd., S. 110 ff Das alles ist viel eingehender zu klären. als es hier angedeutet werden kann. Und man darf natürlich bei all dem eines nicht vergessen, was hier allerdings ganz bewußt noch nicht behandelt wurde: Die Verbindung des Ätherischen mit dem Astralen. Unter den philosophisch orientierten Anthroposophen wäre vielleicht Herbert Witzenmann am ehesten in der Lage gewesen, den Zusammenhang des Ätherischen mit dem Denken herauszuarbeiten, wenn er sich nicht durch seinen unglücklichen Zugriff auf das gegenwärtige Denken diesen Weg verbaut hätte. Denn ein Erfahrungszugriff auf das Ätherische im Denken setzt das bewußte Erleben des gegenwärtigen Denkens - das ist: des kraftenden Begriffs respektive des tätigen Denkwillens - voraus. Dieser Sachverhalt mag auch deutlich machen, wie wichtig die Unterscheidung zwischen Beobachten und Erfahren oder Erleben des gegenwärtigen Denkens in der Philosophie der Freiheit ist. Von solchen Unterscheidungen kann sehr viel abhängen für das weitere Verständnis. Auch Lorenzo Ravagli hat vor Jahren schon in seinem Buch Das Evangelium der Bewußtseinsseele, München 1995, etwa S. 162 ff, einen leisen Vorstoß in die Richtung auf das Ätherische hin hin unternommen. Ebenso im Aufsatz, Der esoterische Schulungsweg im Frühwerk Rudolf Steiners (Jahrbuch für anthroposophische Kritik, 1997, v.a. S. 87 ff) Ich meine das ist es wert wesentlich weiter vertieft zu werden. Bei Ravagli stehen dort noch sehr stark die Begriffe im Vordergrund seiner diesbezüglichen Ausführungen. Was sachlich vor dem Hintergrund des bislang Gesagten ja nicht zu kritisieren ist, denn die Bildekräfte haben natürlich etwas mit den Begriffen zu tun. Aber mir scheint es jetzt darauf anzukommen den Denkwillen mehr bewußtseinsphänomenologisch zu fokussieren, denn nicht im abstrakten Begriff stecken die Bildekräfte, - er ist ja gerade das Kraftlose und Abgelähmte -, sondern im kraftenden Begriff. Und der ist am ehesten und unmittelbar im Denkwillen erreichbar. (Wobei ich allerdings nicht meine, daß Ravagli in den erwähnten Zusammenhängen von abstrakten Begriffen spricht, sondern schon auch von kraftenden; desgleichen bleibt auch der Denkwille bei ihm nicht unerwähnt.) So viel ist ja klar: mit Begriffsuntersuchungen allein ist dem Ätherischen gewiß nicht beizukommen. Man muß schon auch den Weg einschlagen, der von der Psychologie des Denkens gegangen wird, soweit sie empirisch-bewußtseinsphänomenologisch orientiert ist. Es heißt also auch die Scheu vor einem mißverstandenen Schreckwort namens Psychologismus zu überwinden. Und hierzu ist es nicht nur erforderlich den anthroposophischen Hintergrund weiter zu durchleuchten, sondern zusätzlich an das anzuknüpfen was von nichtanthroposophischen Forschern dazu beigetragen werden kann. Wer sich mit der hier behandelten Thematik - Erleben des gegenwärtigen Denkens / Erleben des Ätherischen - in Richtung auf das Ätherische fruchtbringend weiter befassen will, dem sei folgender Überblicksartikel von Hermann Poppelbaum sehr ans Herz gelegt. Siehe: Hermann Poppelbaum, Begriff und Wirkensweise des menschlichen Ätherleibes. In: J. Bockemühl / W. Schad u.a., Erscheinungsformen des Ätherischen. = Beiträge zur Anthroposophie, 1, Stuttgart 1977, S. 179 ff. Er ist zwar realtiv kurz, behandelt aber den Zusammenhang des Ätherischen mit dem Denken auf eine gut strukturierte Weise. Damit gibt er dem Leser eine solide Möglichkeit an die Hand, in Verbindung mit den hier vorliegenden Ausführungen den methodischen Zusammenhang zwischen der erlebten Aktivität des Denkens in der Philosophie der Freiheit, den Gedankenmeditationen aus dem Skizzenhaften Ausblick und dem Erleben des Ätherischen schlüssig nachzuvollziehen. Zudem bietet ihm der Aufsatz einige Literaturangaben zum eigenen Weiter- und Quellenstudium. Um den Blick von hier aus noch einmal auf die bislang nur angedeuteten Überlegungen von Roger Penrose zu richten. An der Stelle, wo wir uns jetzt bewegen geschieht etwas sehr wesentliches im Hinblick auf Problemstellungen, die in der Philosophie unter dem Stichwort Leib-Seele-Wechselwirkung oder mentale Kausalität gehandelt werden. Denn der Ätherleib oder Bildekräfteleib ist bei Steiner nicht nur derjenige der denkt, sondern außerdem der geistige Organisator sämtlicher Lebensvorgänge, und muß demgemäß mit dem Leib in Wechselwirkung treten, d. h., auf einer physiologischen Ebene wirken. An dieser Stelle berühren sich also denk- und bewußtseinsphänomenologische Fragen gleichermaßen wie solche nach Freiheit und Erkenntnis sehr konkret mit naturwissenschaftlichen. (Das könnte zum Beispiel heißen, daß manche bizarre Erscheinung der Quantenwelt nur vor dem Hintergrund des Ätherischen zu begreifen ist. Bedenkenswert in diesem Zusammenhang ist vielleicht folgende Passage aus dem Artikel Das rätselhafte Leuchten allen Lebens in Spiegel Online vom 23.08.05: «"Der Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger, dem als erster die Teleportation von Lichtteilchen experimentell gelang, bekennt: "Richtig vorstellen kann ich mir auch nicht, was bei diesen Vorgängen jenseits von Zeit und Raum vor sich geht." Gleichwohl könne man "Lichtteilchen als reine Information betrachten."») Und jetzt wird aus der von Penrose gefundenen bloßen Analogie zwischen dem Licht und dem Denken vielleicht auch etwas mehr als nur eine Analogie. Denn als Denkwille wirkt der kraftende Sinn oder Ätherleib auch an (vermutlich sogar gleichzeitig an verschiedenen) Orten. - Auf jeden Fall erst einmal insoweit, als das tätige Denken seine Spuren im Leiblichen hinterläßt. (Siehe dazu GA-04, S. 146 ff) Auf der Suche nach diesem Berührungspunkt von Geist und Materie und der Eigenart ihrer Wechselwirkung ist Penrose. Er könnte unter Umständen noch näher dran sein, wenn er dem faktischen Denken mehr bewußtseinsphänomenologische Aufmerksamkeit angedeihen ließe. Einen wichtigen Hinweis über Penrose hinaus gibt vielleicht Fritz A. Popp in seinem Buch Biologie des Lichts, Berlin, Hamburg 1984, wenn er dort (S. 139) die Frage aufwirft, ob die Struktur der lebenden Materie nicht aus der Eigenschaft der elektromagnetischen Wechselwirkung verstanden werden müsse. Eine bemerkenswerte Perspektive angesichts der Tatsache, daß Elektromagnetismus aus der Sicht Steiners nichts anderes ist als die Außenseite des Gedankens. (GA-93, Dornach 1982, S. 113; Siehe dazu auch Steiners Schrift Vom Menschenrätsel, GA-20, Dornach 1984, S. 146 ff; insbes. S. 153: "...das Licht ist schon geistig."; sowie S. 172.) 1a) Ich lege besonderen Wert darauf, daß hier vom Denken und vom Denkwillen die Rede ist und nicht etwa vom Assoziieren und assoziativer Dynamik. Denn die erwähnte Wirksamkeit der Einzelerfahrungen besteht natürlich auch wenn wir nicht denken. Und entsprechend existiert auch dann eine Resultante der Gesamtdynamik, die sich im Gegensatz zum Denken jedoch lediglich eigendynamisch-ungesteuert in einer chaotischen Art von Vorstellungsdarwinismus auslebt. 2) Einem Prozeß, auf dessen Grundlage nie von einem Zusammengehören, sondern allenfalls von einem Zusammengeraten von Vorstellungen die Rede sein kann, um an ein gewichtiges Wort Richard Hönigswalds anzuknüpfen. (Siehe Richard Hönigswald, Prinzipienfragen der Denkpsychologie, Berlin 1913, S. 34.) Es kommt also auf das Ich an, das diesem Wirksamkeitsgefüge innewohnt und es überschaut, den Denkwillen mobilisiert, beherrscht und der Gesamtdynamik Ziel und Einheit gibt. Und hier vielleicht wird man jene höhere, dem Denken zuschauende Bewußtseinswesenheit finden, von der Walter Johannes Stein spricht. Von der das gewöhnliche empirische Denk-Ich nur eine Art Abglanz ist. Denn um diese Einheit zu schaffen - darauf führen schon logische Überlegungen - muß es dieser Dynamik nicht nur innewohnen, sondern sie auch vollständig überblicken und Zugriff darauf haben. Und zwar in einem weit umfassenderen Sinne als das bekannte empirische Ich. Assoziative Eigendynamik und Denkprozeß aber können empirisch nur von einander geschieden werden, wenn eine entsprechende Erfahrungsgrundlage für beide vorhanden ist. Deswegen auch ist die tatsächliche Erfahrung des Denkwillens - sprich: das Erleben der eigenen Aktivität - von so ausschlaggebender Bedeutung für die Abgrenzung des Denkens von dem was nicht dazu gehört. Beachtenswert scheint mir deshalb in diesem Zusammenhang ein Detail, das sich bei W. J. Stein nicht findet. So deutet dieser auf S. 212 f darauf hin, daß man im gewöhnlichen Bewußtsein alle auf den Leib gerichteten Lebens- bzw. Tätigkeitsprozesse verschläft, und diese sich in unbewußten Tiefen abspielen. (Siehe dazu auch den Hinweis auf Steiners Schrift Von Seelenrätseln in Anmerkung 2 auf S. 213). Was Stein allerdings nicht hervorhebt, ist, daß dies nicht in derselben Weise für das Denken gilt. Im Denken nämlich verschläft man diese Aktivität nicht wie bei leiblichen Tätigkeiten, sondern man verträumt sie nur. (Siehe auch dazu GA-21, 1976, S. 133 und vorher. Auf S. 133 heißt es bei Rudolf Steiner entsprechend: "Man sieht: im gewöhnlichen Bewußtsein verschläft man das Wollen, wenn man durch den Leib ein Wollen nach außen entwickelt; man verträumt das Wollen, wenn man im Denken nach Überzeugungen sucht. ") Anders gesagt: Im Gegensatz zu Lebensprozessen bzw. jenen Willensvorgängen, in denen durch den Leib ein Wollen nach außen gerichtet wird, sind die Willens- oder Lebensvorgänge beim Denken bereits dem Normalbewußtsein erlebnismäßig erreichbar. Abgedämpft zwar - aber nichts desto trotz erreichbar. Wäre es also wirklich so, wie W. J. Stein auf S. 214 schreibt: "Wie zum Beispiel der Ideengehalt der Welt ... in mir so auftaucht, daß ich ihn als Selbsterzeugnis meiner Seele erlebe, das ist mir ... verborgen", dann müßten wir die Willensvorgänge beim Denken in derselben Weise verschlafen wie jene, mit denen wir durch den Leib ein Wollen nach außen verwirklichen. Dann aber bliebe uns tatsächlich nichts weiter übrig, als die denkende Tätigkeit in ein unbewußtes und unzugängliches Jenseits zu verlagern, wie Thomas Meyer sagt. Eine schwer nachvollziehbare Gedankenlinie angesichts einer Philosophie, die schon auf der basalen erkenntnistheoretischen Ebene behauptet, daß wir im Denken das Weltgeschehen an einem Zipfel ergreifen, wo wir dabei sein müssen, wenn es zustande kommen soll. Was W. J. Stein augenfällig entgangen ist, das ist der essentielle Unterschied zwischen dem Erleben des aktuellen Denkens und seinem Beobachten. Wohl nicht wenige Anthroposophen neigen zu der Auffassung, daß Steiner dort, wo er in der Zweitauflage der Philosophie der Freiheit vom Erleben des Denkens spricht, auf spätere, spezifisch anthroposophische Forschungsresultate zurückgreift und diese in seine Grundschrift einbindet. Demnach wäre das Erleben des Denkens etwas, was in gewissem Sinne nicht Voraussetzung, sondern ein erst zu erreichendes fernes Ziel eines Erkenntnisweges ist, der mit einem Denken über das Denken in der Philosophie der Freiheit lediglich beginnt. Auch das ist ein Punkt, der unter die weiter oben schon besprochene Mehrdeutigkeit der Philosophie der Freiheit gehört. Denn natürlich hat das Erleben des Denkens auch eine Dimension, die oberhalb der Philosophie der Freiheit liegt. Deswegen gilt auch hier in besonderer Weise sich an den von Steiner vorgegebenen Interpretationsrahmen zu halten. Mit anderen Worten: Ich halte diesen Standpunkt für nicht sehr tragfähig. Er würde implizieren, daß Steiner damit von seiner erwähnten einleitungsweise vorgegebenen programmatischen Generallinie abgewichen wäre, wonach niemand auf die Anthroposophie hinschielen muß, um den Sachgehalt der Philosophie der Freiheit annehmbar zu finden. Womit er sich letztlich doch ein gutes Stück um seine Glaubwürdigkeit gebracht hätte. Die Bewußtseinsphänomenologie des Denkens in der Philosophie der Freiheit ist, wie Steiner am Ende von Kapitel II der Schrift (in der Erstauflage am Ende von Kapitel III), und vortragsweise auch im April 1918 sagt, die Phänomenologie des normalen Denk-Bewußtseins. (Siehe GA-067, Dornach 1962, S. 337, Vortr. v. 20.04.1918) Es gibt allerdings hier und da Stellen, an denen Steiner mehr vorausdeutend auf die Anthroposophie zielt. Doch tut er es da entweder explizit oder deutlich erkennbar - jedenfalls nicht im Geheimen. Und ein verhaltener, indirekter Hinweis auf das Ätherische liegt gewiß auch in einer Wendung wie Leben im Denken, wie sie sich im Kap. VIII. im Zusatz von 1918 (S. 142) findet. Denn das Ätherische ist ja für Steiner das, was als Geistiges das Leben organisiert und unterhält. Und der Ätherleib ist auch - man erinnere sich an das weiter oben Ausgeführte - derjenige, der denkt. So daß zwischen Leben und Denken aus geisteswissenschaftlicher Sicht ein überaus enger Nexus besteht. Wenn also in der Zweitauflage vom lebendigen Denken oder Leben im Denken die Rede ist, dann ist diese spätere Wortwahl von 1918 wohl auch geprägt von dieser unmittelbaren Verbindung der Bilde- oder Lebenskräfte mit dem Denken. Das heißt: Ein Denken, das lebt, ist von diesen Äther- oder Bildekräften durchdrungen, die das Leben unterhalten. (Daß die Philosophie der Freiheit nach Steiners Verständnis noch eine in ihr selbst nicht explizit thematisierte okkulte Dimension des Verstehens hat, ist bekannt, doch dies möchte ich hier außer Acht lassen. Denn mit wirklichem Verständnis kann man sich dieser Ebene erst nähern, wenn man die basalen erkenntniswissenschaftlichen Aspekte der Philosophie der Freiheit schon begriffen hat. Und schon gar nicht kann man den begründenden Aspekt dieses Buches ohne das philosophische Verständnis einseitig von seiner okkulten Sinnebene her erschließen.) Das Erleben der Aktivität des Denkens - sprich: des aktuellen Denkens - gehört indessen ganz und gar zu jenen Voraussetzungen der Philosophie der Freiheit, die schon dem Normalbewußtsein zugänglich sind. Und es auch sein müssen, will man ihren philosophischen Gehalt nicht mißverstehen. Vielleicht sollte man den einleitenden Standpunkt mit dem gehörigen Ernst würdigen, Steiner beim Wort nehmen und wirklich auf alles Hinschielen verzichten. Der Umstand, daß er nicht in der Erstauflage, sondern erst in der Zweitauflage explizit vom Erleben des Denkens spricht, so scheint es mir, hat nichts mit der Übernahme spezifisch anthroposophischer Forschungsresultate auf der Grundlage eines höheren Bewußtseins zu tun, sondern einen sehr simplen rezeptionsgeschichtlichen Hintergrund und folgt einer zwingenden sachlichen Notwendigkeit: Hätte er diesen Hinweis in der Zweitauflage nicht gegeben, dann hätte erst recht kaum einer seiner Schüler begriffen, daß schon in der Erstauflage vom erlebten gegenwärtigen Denken die Rede ist und dieses auch vorausgesetzt wird. Sowohl beim Autor, als auch beim Rezipienten. Daß hier für Steiner dringender Handlungs- und Klärungsbedarf bestand, wird selten irgendwo deutlicher als in der Dissertation von Walter Johannes Stein - einschlägige Arbeiten etwa von Witzenmann oder Kühlewind lassen sich ohne weiteres dazu gesellen. (Siehe hierzu auch den schon erwähnten Zusatz 1 der Arbeit Zur Unbewußtheit des aktuellen Denkens) Es empfiehlt sich übrigens bei dieser Gelegenheit - und sei es nur um der Neugier willen - den Blick einmal auf die Person Karl Poppers zu richten (siehe Karl R. Popper/ John C. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, München 1982, S. 141 ff). Als Schüler Karl Bühlers war Popper über methodische Detailfragen der Denkbeobachtung nämlich weit besser informiert als manche Spezialisten des Übersinnlichen, die sich von anthroposophischer Seite über dieses Thema verbreiten. Schon was er auf den wenigen genannten Seiten ausführt scheint mir in methodischer Hinsicht mehr Erhellendes zu dieser heiklen Gelenkstelle der Philosophie der Freiheit zu enthalten als sämtliche Arbeiten der genannten Autoren zusammengenommen, soweit sie auf dieser Homepage behandelt worden sind. (Zusatz vom 11.07.05 : Durch den Zusammenhang des Ätherischen mit dem Denken ergeben sich hinsichtlich der Beobachtung des Denkens einige Gesichtspunkte, die ich in Ermangelung einer passenden anderweitigen Stelle in dieser Arbeit wenigstens in dieser abschließenden Zusatzbemerkung unterbringen will, weil ich sie in bezug auf die Fragestellung für wichtig halte. Begreift man geisteswissenschaftlich unter dem Denken eine Tätigkeit des ätherischen oder Bildekräfteleibes, dann bekommt die Beobachtung des Denkens einen entsprechend neuen methodischen Akzent. Dergestalt, daß die Beobachtung des Denkens jetzt zur Beobachtung einer Tätigkeit des Ätherleibes wird. Und sich insofern die in der Philosophie der Freiheit behandelte methodische Thematik Beobachtung des Denkens auf die Beobachtung des Ätherleibes hin erweitert. Ich möchte hier nur ein illustrierendes Beispiel dafür geben, wie sie sich erweitert, und daran einige methodische Fragen richten. Es gibt im Vortragswerk Steiners anschauliche Schilderungen darüber, wie auch das gegenwärtige Denken in seiner ätherischen Eigenart und Wirksamkeit gegenüberstellend wahrgenommen oder angeschaut werden kann. Und zwar aus einer Position jenseits des Leiblichen, vom Geistigen her. Sozusagen von einem inneren Außerhalb des Leiblichen, wenn man einmal diesen etwas paradoxen Ausdruck bemühen darf. Von diesem Standort her wird nicht nur der dem physischen Leib zugrunde liegende Ätherleib anschaubar, sondern in diesem eingeschlossen das tätige Denken selbst. In bezug auf die ätherische Erscheinung des Denkens beschreibt Steiner 1914 folgendes: "Wenn man dann versucht eine innere Tätigkeit auszuüben da draußen, aber außer dem Leibe, die sich vergleichen läßt mit dem Nachdenken - aber es ist eben etwas anderes als das gewöhnliche Denken, es ist ein Entfalten einer inneren schöpferischen Seelenkraft -, wenn man die entwickelt, so sieht man in diesem Leuchtewesen da drinnen mehr: Man sieht da drinnen bewegende Kräfte, die, man möchte sagen, wie eine Art von Kraftzirkulation diese Leuchtegestalt durchsetzen. Und jetzt weiß man: Das, was du da drinnen wie eine Art Einschluß in deinem Leuchteleib erschaust, das ist dein Gedankenleben von außen gesehen. Man kann es nun erkennen als einen Teil des Ätherleibes, den man eben sieht. Man sieht den Ätherleib als das webende Gedankenleben. Es ist wie ein Zirkulieren von dunklen Wellen, eine geistige Blutzirkulation könnte man sagen, dunkle Wellen in dem Leuchteleib, die dem Ganzen ein eigentümliches Ansehen geben und die einem eben die Erkenntnis aufdrängen: Da wellt und wallt in deinem physischen Leib der Ätherleib drinnen, den du jetzt von außen anschaust, der dir jetzt sichtbar wird. [...] Sehen Sie, so erlangt man außerhalb seines Leibes stehend die Erkenntnis, daß es wirklich den physischen Leib und den Ätherleib gibt, und wie sie aussehen, von außen gesehen." (GA 153, Dornach 1978, S. 83; Vortrag vom 09. April 1914) Was hier deutlich wird, ist, daß es bezüglich der Wahrnehmung des Denkens auch einen gegenüberstellenden Standort gibt, der nicht zeitversetzt gegenüberstellt wie bei der Erkenntnis des Denkens im gewöhnlichen Bewußtsein, sondern der - und ich glaube das geht aus Steiners Beschreibung ziemlich klar hervor - das gegenwärtige Denken oder Gedankenleben von einem geistigen Außerhalb simultan gegenüberstellend anschaut. In Form einer geistigen Wahrnehmung, die er parallel zu seiner gleichzeitig ausgeübten Denktätigkeit hat. Zum Erleben seiner Denktätigkeit tritt jetzt hinzu das Erleben einer ätherischen Erscheinung - das in der Philosophie der Freiheit besprochenen Erleben der Denktätigkeit erweitert sich um ein geistiges Anschauen, das in seinem phänomenalen Gehalt weit über das hinaus geht, was das gewöhnliche Erleben des Denkens zu leisten vermag. So viel erst einmal zu dieser reinen Faktenlage. Diese Sachlage mag wohl manchem Bearbeiter der Philosophie der Freiheit vor Augen gestanden haben, wenn er dem Anschauen des Denkens in diesem Buch nachspürte. Leider - und das ist die Crux vieler Vortragsäußerungen Steiners - wird in diesem Vortragsausschnitt über feinere erkenntnistheoretische und methodische Details der geschilderten gegenüberstellenden Wahrnehmung und Erkenntnis nichts gesagt. Die Frage ist nämlich, was heißt hier: "Und jetzt weiß man ..."; "Man kann es nun erkennen ...." oder "... die einem eben die Erkenntnis aufdrängen ...".? Anders gesagt: Was heißt hier erkennen? - Wie wird es ihm zur Erkenntnis, daß das, was er da aus einer geistigen Außenperspektive als ätherische Konfiguration wahrnimmt, sein eigenes Gedankenleben ist? - Diese Problematik war, nicht ganz so spezifiziert, vor wenigen Jahren Gegenstand einer anregenden Diskussion zwischen mir und einem kritischen Leser (Christoph Mahler). Und ich denke, daß die Fragestellung sehr ernst zu nehmen ist, insbesondere wenn man danach fragt: Wie geht es denn mit der Beobachtung des Denkens eigentlich weiter, wenn man den Standort der Philosophie der Freiheit verläßt und sich mehr in das Geistige hinein bewegt? Wie verbindlich ist Steiners Bemerkung in diesem Buche, daß ich mein gegenwärtiges Denken nie beobachten kann? Gilt das nur für die Philosophie der Freiheit oder auch für den Erkenntnisstandort jenseits dieses Buches? Ich glaube, man muß sich hinsichtlich dieser Problemlage klar machen, daß Steiner, wenn er vor einem öffentlichen oder meinetwegen auch anthroposophischen Publikum spricht, sich in einer annähernd vergleichbaren Lage befindet wie ein Fachwissenschaftler, der vor einem Publikum referriert, das nicht selbst dieser Fachwissenschaft als Experte angehört. Das heißt, er muß sich einer gewissen populären, verständlichen Sprache anbequemen, die von seinem Publikum auch verstanden werden kann. Er kann natürlich nicht auf jedes wissenschaftstheoretische oder methodische Forschungsdetail eingehen, das sich mit dem behandelten Forschungsgegenstand verbindet. Einmal würde der Gegenstand seiner Darstellung dann ausufern. Und zum anderen würde er von vielen Zuhörern, die kein entsprechendes erkenntniswissenschaftliches Vorwissen haben, nicht mehr verstanden werden. Deswegen ist so ein populär vereinfachender Vortrag Steiners von der faktischen Geisteswissenschaft mit ihren erkenntniswissenschaftlichen Problemstellungen vielleicht etwa so weit entfernt wie ein populärwissenschaftlicher Vortrag über Quantenphysik von der wirklichen Quantenphysik. Ich meine, daß es wohl einen erheblichen qualitativen Unterschied gibt auf der Erlebnisebene des Denkens, aber keinen prinzipiellen Unterschied auf der Erkenntnisebene hier und dort. Will sagen: In beiden Fällen muß erst erlebt werden, und erst danach wird erkannt. Hier ist vielleicht hilfreich, - ich habe es ja oben schon einmal angeführt - was Steiner auf S. 132 f der Philosophie der Freiheit über die Erweiterung seines Wahrnehmungsbegriffes sagt, wenn er dort schreibt: "Bedacht sollte auch werden, daß die Idee von der Wahrnehmung, wie sie in dieser Schrift entwickelt wird, nicht verwechselt werden darf mit derjenigen von äußerer Sinneswahrnehmung, die nur ein Spezialfall von ihr ist. Man wird aus dem schon Vorangehenden, aber noch mehr aus dem später Ausgeführten ersehen, daß hier alles sinnlich und geistig an den Menschen Herantretende als Wahrnehmung aufgefaßt wird, bevor es von dem tätig erarbeiteten Begriff erfaßt ist." Übertragen auf das angeführte Vortragsbeispiel: Wer eine ätherische Wahrnehmung des Denkens hat, der hat mit dieser geistigen Wahrnehmung allein noch nichts über die ätherische Natur des Denkens erkannt. So wenig, wie derjenige, der sein normales Denken bloß erlebt, damit sein Denken schon erkannt hat. Sie bleibt so lange geistige Wahrnehmung, bis sie vom tätigen Begriff erarbeitet worden ist. Das ist: Bis sie dem Erkenntnisleben einverleibt worden ist. Dann erst ist sie erkannt. Steiner deutet Vergleichbares in den Anmerkungen zu seinen Grundlinien ... an. Auch das habe ich hier bereits angeführt. Dort (S. 138) heißt es: "Wenn diese [geistige Anschauung, MM] durch die Seelenvorgänge auftritt, die ich in meiner späteren Schrift «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» beschrieben habe, dann bildet sie wieder die eine Seite des - geistigen - Seins; und die entsprechenden Gedanken vom Geistigen bilden die andere Seite. Ein Unterschied tritt nur insofern auf, als die Sinneswahrnehmung durch den Gedanken gewissermaßen nach oben zum Anfang des Geistigen hin in Wirklichkeit vollendet, die geistige Anschauung von diesem Anfang an nach unten hin in ihrer wahren Wesenheit erlebt wird. Daß das Erleben der Sinneswahrnehmung durch die von der Natur gebildeten Sinne, das der Anschauung des Geistigen durch die erst auf seelische Art ausgebildeten geistigen Wahrnehmungsorgane geschieht, macht nicht einen prinzipiellen Unterschied. [...] In Wahrheit ist in meinen späteren Veröffentlichungen kein Verlassen der Idee des Erkennens vorhanden, die ich in dieser Schrift ausgebildet habe, sondern nur die Anwendung dieser Idee auf die geistige Erfahrung." (Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, GA-02, Dornach 1979, S. 138 f) Die geistige Erfahrung des Ätherischen, die ja oberhalb des reinen Denkens liegt, muß nach unten hin in das Begriffliche hinein abgeschlossen werden. Wenn man in der Philosophie der Freiheit unter dem Beobachten oder Anschauen des Denkens sein Erkennen begreift, dann besagt die These von der Unbeobachtbarkeit des gegenwärtigen Denkens, daß ich mein Denken nicht gleichzeitig tätigen und erkennen kann. Denn es muß ja erst da sein, also erlebt werden, bevor es erkannt werden kann. Und dies gilt auch für den Blickwinkel jenseits der Philosophie der Freiheit. Auch da muß erst erlebt werden - wenn auch in einer weit umfänglicheren Weise - und dann wird erkannt. Anders gesagt: Auch der Geist muß nicht nur erfahren oder erlebt, sondern auch begriffen werden. Auf eine pragmatische Ebene übertragen: Man muß sich innerhalb dieser geistigen Erfahrungen auch orientieren können. So wie man sich bereits in den gewöhnlichen Denkerlebnissen erkennend orientieren muß, wenn man das Denken nicht nur denkend erfahren repektive erleben, sondern auch begreifen will. Das ist letztlich ja auch der Grund, warum dem Studium der Geisteswissenschaft ein so hoher Stellenwert zukommt. Steiner deutet dies zu Beginn seiner Geheimwissenschaft an, wenn er dort hervorhebt, daß es nutzlos sei, vor dem Studium der Geisteswissenschaft den Schulungsweg zu gehen, um selbst erst einmal unabhängig von jeder geistigen Wissenschaft eigene übersinnliche Erfahrungen zu machen. Was sich auf diesem Wege ergibt ist dieselbe Sachlage, wie sie für jede andere Wissenschaft auch zutrifft: Ungefähr so sinnvoll wie elektrotechnische Versuche zu machen, ohne sich in die Prinzipien der Elektrotechnik vorher einzuarbeiten. Oder in einem Chemielabor herumzuhantieren, ohne etwas von Chemie zu verstehen. Deswegen hat nicht nur Steiner so argumentiert; auch ein Wissenschaftsphilosoph wie Thomas Kuhn würde so argumentieren: Die Erfahrungen, die auf diese Weise unabhängig von jedem wissenschaftlichen Erkenntnisrahmen gemacht werden, bleiben ein "unbestimmtes, sich verwirrendes Chaos". (GA-13, Dornach 1968, S. 50) Ein solcher Mensch, wollte er weiterhin so vorgehen, müßte unter Vernachlässigung der Forschungstradition vieler Generationen in einem mühsamen Prozeß den Inhalt dieser Wissenschaft allein aus sich selbst herausspinnen - mit höchst ungewissem Ausgang. So zu verfahren wäre wenig sinnvoll. Kein Mathematiker, kein Naturwissenschaftler und kein Philologe würde je auf einen solchen Gedanken verfallen. Über diesen wissenschaftsphilosophischen und -historischen Aspekt seiner Methode äußert sich Steiner zwar gelegentlich, aber doch viel zu wenig. Insofern stellen die wissenschaftshistorischen Untersuchungen Thomas Kuhns einen guten, und wie ich meine wichtigen Ersatz dar. Denn was dort von Kuhn aus einer wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive zur Entwicklung der Naturwissenschaft gesagt wird läßt sich mit den entsprechenden Anpassungen im Prinzip auch auf die Anthroposophie übertragen. Man benötigt für übersinnliche Erfahrungen jedweder Art auch einen Verständnishintergrund oder -rahmen, der eine vernünftige Einordnung dieser Erfahrungen erlaubt. Und dieser Rahmen ist begrifflicher Natur. Es könnte demnach ein Mensch ohne entsprechendes Studium in gewisser Hinsicht erfolgreich in die übersinnliche Welt zunächst eintreten und auch Erfahrungen des Ätherischen, vielleicht zufällig sogar dieses ätherischen Denkens haben. Er wüßte nur nicht was er da vor sich hat, wenn ihm dieser Rahmen fehlt. Die erlangte übersinnliche Sehfähigkeit nützt ihm ungefähr so viel wie einem operierten Blindgeborenen das bloße Wiedererlangen des Augenlichts nützt: Er bleibt, wenn er auf dieser Stufe stehen bleibt, ein blinder Seher. Das heißt: der Geistesforscher, wenn er der ätherischen Konfiguration seines Denkens geistig erlebend gegenübersteht, integriert dieses Erlebnis in einen schon vorhandenen Begriffsrahmen, sonst wäre ihm diese Wahrnehmung unbestimmt und unverständlich. Erst in dieser begrifflichen Integration liegt die Erkenntnis der ätherischen Wahrnehmung. Und bezüglich dieser begrifflichen Integration ist die Beobachtung des Denkens hier eine analoge wie bei der Beobachtung des normalbewußten Denkens. Deswegen hatte Steiner auch keine Veranlassung die schon in der Erstauflage der Philosophie der Freiheit behauptete Unbeobachtbarkeit des gegenwärtigen Denkens in der Zweitauflage zu revidieren oder zu relativieren. Denn an der grundsätzlichen Struktur der Erkenntnis des Denkens ändert sich nichts durch den Umstand, daß der Erlebnisstandort jetzt in ein geistiges Außerhalb verlagert wird und zum Erleben der Eigentätigkeit des Denkens das simultane Erleben seines ätherischen Aspektes hinzutritt. Wie komplex und schwierig dieser Vorgang der begrifflichen Integration und Urteilsfindung bei der übersinnlichen Wahrnehmung des Ätherischen vor allem für den Anfänger ist, das läßt sich gut entnehmen der zweiten und dritten Meditation in Steiners Schrift, Ein Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen, (GA-16, Dornach 1968). Anmerkungen 1) Der nichtanthroposophische Leser wird mir hier vielleicht einen Kategorienfehler vorhalten, wenn ich sage, daß der ideelle Denkvorgang auf einer physiologisch-physikalischen Ebene (kausal) wirkt. Die Frage läßt sich an dieser Stelle nicht eingehend beantworten. Ich kann nur den Hinweis darauf geben, daß intelligible Kausalität durchaus möglich ist. Sie setzt allerdings voraus, daß der Denkprozeß nicht vollständig von deterministischen Vorgängen des Hirnorgans bestimmt ist. Zumindest bei Erkenntnisvorgängen, die sich an der Logik orientieren, ist dies der Fall und muß es sogar sein, weil sonst Erkenntnis im eigentlichen Sinne gar nicht möglich wäre. Allerdings setzt die Anerkenntnis dieser Tatsache auch eine völlig neue Physik voraus, mit einer entsprechenden Einschränkung des Kausalitätsprinzips und des Energieerhaltungssatzes. Für anthroposophische Leser ist dieser Gedankengang leichter zu fassen, wenn sie sich daran erinnern, daß das Denken die leibliche Organisation zurückdrängt und sich selbst an dessen Stelle setzt, wie es Steiner eingangs des IX. Kapitels der Philosophie der Freiheit beschreibt. Dieses Zurückdrängen ist durchaus im Sinne einer kausalen physiologischen Wirksamkeit der Denkvorgänge gemeint. (Siehe etwa sehr deutlich in GA-78, Dornach 1968, S. 142 ff, Vortr. v. 05.09.1921 und an anderen Stellen dieses Bandes. Desgleichen in GA-067, Dornach 1962, S. 324 ff, Vortr. v. 20.04.1918.) Siehe zu diesem Fragenkomplex auch den Aufsatz Über den Zusammenhang von Freiheitsfrage und Erkenntnisfrage auf dieser Homepage. 1a) Einen kurzen Artikel von mir, der sich etwas näher mit Penrose und einigen zentralen philosophischen Fragen seiner Arbeit befaßt, finden Sie in der Zeitschrift Die Drei, 7, Juli 2005, S. 31 ff. Siehe weiter dazu die Kritik zu diesem Aufsatz von Ernst Oldemeyer, Dualistische oder monistische Rettung des Denkens und der Freiheit, in Die Drei, 10, Oktober 2005, S. 61 ff; ebenso meine Antwort an Ernst Oldemeyer, Quantenphysik und Gedankenleben, in Die Drei 11, November 2005, S. 59 ff. 2) Das Problem Assoziation - Denken ist natürlich vielschichtiger, als wir hier deutlich machen können. Zumindest stellt sich die Frage, was die jeweilige Ursache der assoziativen Vorgänge ist. Sind es leibliche Vorgänge oder seelische? Im Prinzip käme beides in betracht. Auch diese Frage müßte aus anthroposophischer Sicht weiter abgeklärt werden. (Siehe einiges hierzu ebenfalls in GA-067, Dornach 1962, S. 47 ff; S. 63 ff; S. 340 ff.) |